Cristina – Cristina

Posted: October 27th, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , , | No Comments »

ZE Records, die beste Schnittstelle zwischen Post Punk und Disco die man sich überhaupt jemals herbeisehnen konnte, ist nach wie vor faszinierend wenig ausgelaugt von fortlaufenden Retrospektiven und allgemeinem Beifall. Die Musik war einfach zu gut, von dem unsäglichen Davitt Sigerson mal abgesehen, den ich mir immer als eine Rockparodie schön gedacht habe, der aber leider wirklich nur Rock war, und wirklich kein guter. 1980 war das Label auf dem ersten kreativen Höhepunkt, August Darnell wurde zusammen mit Andy Hernandez aus den Trümmern von Dr. Buzzard’s Original Savannah Band herübergeholt, und zusammen wurden sie als Kid Creole und Coati Mundi zu Hausproduzenten erkoren. Schon das erste Album von Kid Creole & The Coconuts, ”Off The Coast Of Me“, machte klar, dass Darnell keineswegs daran dachte, seine textlichen, musikalischen und konzeptuellen Geniestreiche bei Dr. Buzzard und Machine zurückzulassen, er überführte sie einfach in den neuen Lebensraum. Und da sein Talent zu dieser Zeit vor brillanten Ideen unbändig umhersprühte, gab es nicht die geringsten Abstoßungsreaktionen. Demzufolge war es natürlich eine Prachtidee, ihn mit dem Debütalbum von Cristina zu betrauen, einem sehr schicken Mädchen aus gutem intellektuellem Hause, das vorher vornehmlich smarte Texte für die lokale Hipsterpresse verfasste, und dann nach Überredung des Labelmitinhabers und späteren Ehemannes Michael Zilkha die Single ”Disco Clone“ aufnahm, eine furiose Ansage an die im Aussehen und Persönlichkeit gleichgeschalteten Hühner im Club, mit kongenialer Musik, die sehr zickig gängige Disco-Arrangements mit schrägen Refrains und merkwürdigen Latin-Eskapaden verband. Cristina hatte eine eher begrenzte Singstimme, aber sie strahlte im Überfluss alles aus, was einer Diva der Disco-Gegenkultur förderlich war: gebildete Cleverness, kalkulierte Distanziertheit und nicht zuletzt fragiler Sex-Appeal, der durch treffsicher modisches Auftreten noch forciert wurde. Darnell war natürlich schlau genug, sie die ganze Gegensätzlichkeit und Komplexität ihrer exaltierten Kunstfigur ausleben zu lassen, und ergänzte ihre Posen mit luftig-beschwingtem Latin-Disco und exotischen Dschungelklängen auf der absoluten Höhe seines Könnens. Dadurch ergab sich, dass Cristina immer glaubwürdig war, sei es als Disco Clone-Fortsetzung in Polnareffs ”La Poupée Qui Fait Non“ oder als frustrierte Strohwitwe in ”Blame It On Disco“, und vielerlei andere tolle Rollen mehr. So perfekt kam das danach nicht mehr zusammen, die Musik ihres zweiten, von Don Was produzierten, Albums hatte andere Qualitäten, konnte jedoch mit der schlauen City-Dekadenz ihrer Texte nicht mehr mithalten, und sie zog sich wieder aufs Schreiben zurück. Was für eine Verschwendung!

Cristina – Cristina (ZE Records, 1980)

de:bug 10/09


Garçons – Divorce (Philips)

Posted: August 4th, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , , , | No Comments »

Dieses 1979 in Zusammenarbeit mit der Downtown NYC-Bastion ZE Records erschienene Mini-Album ist in der Tat so chic dass es schmerzt und räumt nonchalant alle möglichen Punkte auf der nach oben offenen Hipster-Skala ab. Eigentlich als Begleitgruppe von Marie Girard konzipiert, ein Jahr später erschien ebenfalls auf ZE mit einem souveränen hellblauen Lacoste-Polo auf dem Cover das legendäre Debütalbum als Marie et les Garçons, inszenieren sich die Jungs hier als die naiven französischen Gäste der New Yorker Post-Punk-Disco-Szene, sozusagen der Brückenschlag zwischen Les Bains Douches und Danceteria. Ungläubig werden mit Accent die Skyscraper bestaunt und der ganze Glitz der darunter auf Straßenlevel schäumt (25th Street! Broadway!), aber gleichwohl sind die Pariser als feste Größen in der Schicki-Zwischenwelt ihrer Heimat bestens ausgestattet (die Straßenkehrer from outer space-Outfits auf dem Cover? Les Garçons sont habillés par Jean-Carles de Castelbajac). Damals zollten sich die Premiervisagen der Alten und Neuen Welt noch den gebührenden Respekt und deswegen sind sie auch alle für dieses transatlantische Joint Venture zusammengekommen: Ramona Brooks singt im Hintergrund, die ZE-Supremos Esteban und Zilkha produzieren, Bob Blank nimmt auf und DJ Tom Savarese mischt ab. Die Fotos der illustren Beteiligten auf dem Innersleeve rahmen ein Textfeld in dem sich zigmal „Danse-Dance-Danse-Dance“ wiederholt. Für die verständnislosen Außenstehenden fällt nur Häme ab: „Watch the critics when I dance with you, we’re so with it.“ Für den Rest gilt: “Dance, dance, let the French boy dance“. Mehr Geschenk als die Statue of Liberty, und wesentlich besser angezogen.

De:Bug online 08/09