Es ist bezeichnend, dass Larry Heard von den zahlreichen Plagiatsvorwürfen ausgespart blieb, mit denen sich die Chicago House-Pioniere nach den ersten Erfolgen gegenseitig überhäuften. Seine Musik war und blieb einzigartig. Es war offensichtlich, dass hier kein DJ mit schnellem Enthusiasmus Tracks zusammensetzte, die möglichst nächstes Wochenende das Warehouse oder die Music Box befeuern sollten. Hier hatte jemand eine Vision, die über die hektische Betriebsamkeit und die Effizienzprioritäten der Gründertage von House weit hinausging. Und es ist ebenso bezeichnend, dass dieses Album nur eine Zusammenstellung von vorher auf Singles veröffentlichten Tracks ist, und trotzdem ein ewiger Meilenstein geblieben ist, der bis heute als endgültige Referenz fortschwingt. Die fragile und reine Schönheit von Deep House-Prototypen wie „Can You Feel It“ und „Beyond The Stars“ ist nie wieder erreicht worden, und die psychedelische Rhythmik von „Washing Machine“oder „The Juice“ war auch schon dort, wo die anstehenden Wellen in Detroit, Chicago und überall sonst auf der Welt noch hinrollen würden. Blaupausen-Alert!
Terrence Dixon war in der Geschichte von Detroit Techno schon immer ein Produzent, auf den man eher zufällig aufmerksam wird. Es ist etwas rätselhaft warum jemand, der seit 1994 unter eigenem Namen und lediglich einem Pseudonym (Population One) stetig und gleichbleibend herausragend veröffentlicht, dennoch mit diesem Außenseiter- und Spezialistenthema-Status geschlagen ist. Wer einmal auf seine Musik gestoßen ist, bleibt meistens überzeugter Fan, aber man muss eben erst darauf stoßen. Und im Gegensatz zu vielen anderen Weggefährten aus seiner geschichtsträchtigen Techno-Metropole wird ihm dabei von den Medien erheblich weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Es mag daran liegen, dass er als DJ kaum herumreist um seine Stellung zu sichern bzw. zu erweitern. Es mag auch daran liegen, dass er als Produzent durchaus eine signifikante eigene Handschrift hat, diese aber auf diverse Stilarten elektronischer Musik verteilt. Es mag letztlich auch daran liegen, dass er nicht zur rechten Zeit ein eigenes Label am Start hatte, um die Detroit-Fangemeinde an sich zu binden. Stattdessen verstreute er seinen Output auf diverse Labels und machte einfach weiter. „From The Far Future (Part Two)“ ist nun eine Fortsetzung seines 2000 an gleicher Stelle erschienenen Albums, und im Vergleich zu den diesjährigen Alben der ungleich präsenteren Detroiter Jeff Mills und Robert Hood steht es nicht minder persönlich da, und auch nicht minder großartig. Von beiden hat er offensichtlich seine musikalischen Lehren gezogen, aber es liegt ihm weder an einem Requiem für seine Heimatstadt, noch will er alles Irdische hinter sich lassen, oder seine Tracks einem strengen Konzept unterwerfen. Vielmehr finden klassischer Minimal- und Dub Techno, verschrobener Deep House und auch Jazz in dunkler und psychedelischer Ausprägung zusammen, und bilden, wie so oft bei Dixon, trotzdem ein verblüffend kohärentes Gesamtbild, das gehörig auf den Trip geht. In jedem Track driften die Teile auseinander und wieder zusammen, alles dreht sich, trudelt, und dennoch ist alles verdichtet, packend voran, und immer den entscheidenden Twist vorbei an der Konvention. Nachtfahrt durch Motor City mal wieder, aber andere Route.
Es muss Terre Thaemlitz schon sehr irritiert haben, welche übergreifende Zustimmung vor drei Jahren dem als DJ Sprinkles veröffentlichten Album „Midtown 120 Blues“ entgegenschlug. Es war bei weitem nicht das erste Mal, dass in seinem/ihrem Schaffen beeindruckende House-Tracks erschienen, die durch und durch mit Subtexten aus dem von ihr/ihm seit den frühen 90er Jahren entschlossen verfolgten Themenspektrum versetzt waren. In der Wahrnehmung seiner/ihrer Arbeit war es inhaltlich ein weiterer Aspekt, musikalisch eine weitere Bestätigung. Aber House hatte zu dieser Zeit vielleicht noch weniger über den Tanzflächenrand hinweg zu sagen als zuvor, und klang auch über weite Strecken ziemlich ausgelaugt, sodass hier für viele plötzlich auf mehreren Ebenen die Ausnahme erschien, die die Regeln in Frage stellt. Nur haben sich die Regeln durch diese Episode keineswegs geändert, und Thaemlitz lag wohl nichts ferner, als sich als der ulkige Querulant mit den feinen Tunes mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Ganz im Gegenteil, als sich die Aufmerksamkeit auf ihre/seine Clubkultur-Interessen richtete, sowieso nur ein Ausschnitt ihrer/seiner Musik, war „Soulnessless“ schon längst in Arbeit. Und dieses nun endlich fertiggestellte Unterfangen geht weit über die Mühen hinaus, die er/sie sich ohnehin schon seit Jahren macht. Schon das „Dead Stock Archive“ von 2009, eine im Eigenvertrieb erhältliche Compilation sämtlicher ihrer/seiner musikalischen Aktivitäten auf 2 DVDs, war eine deutliche Absage an die digitalen Musikplattformen, mit deren Gesetzmäßigkeiten und Rechtsverletzungen sich Thaemlitz seit einiger Zeit herumplagen musste. „Soulnessless“ bündelt nun diese Kritik in einem gewaltigen künstlerischen Komplex. Das Album erscheint in Form einer MicroSD-Karte samt kleinem Booklet. Auf der musikalischen Ebene gibt es fünf elektroakustische, mit unzähligen Tondokumenten verwobene Cantos plus Bonusmaterial, in deren Zentrum ein knapp über dreißigstündiges Pianosolo steht. Ergänzend dazu aufwendig gestaltete Videoclips und Texte in 10 Sprachen. Die inhaltliche Ebene fasst Thaemlitz auf seiner/ihrer Webseite aufs Kürzeste als den Versuch einer Dekonstruktion von „Soul Music“ aus einer non-spirituellen und anti-religiösen Perspektive zusammen, der er sich über die prekären Zusammenstöße von „gender, electronic audio production and spirituality“ annähert. Und beide Ebenen greifen beim Hören, Lesen und Sehen derart intensiv ineinander, dass man angesichts dieser immensen Fülle von Eindrücken fast kapitulieren muss, aber nie will. Konzeptuelle Arbeiten anderer Künstler erscheinen im Vergleich unweigerlich fast lächerlich, was weniger mit der Superlativ-Quantität dieses Materials zu tun hat, sondern mit der Akribie und Konsequenz, mit der ein Superlativ-Erlebnis erreicht wird. Und der Dancefloor? Dem wird das Ungetüm in zwei begleitenden Vinyl-EPs samt House-Remixes untergejubelt. Und wie macht man nach so etwas weiter? Ich mache mir nicht die geringsten Sorgen.
Die Sound-, Konzept-, und Stilideen der klassischen Post-Punk-Zeit, auf unzählige Veröffentlichungen auf Klein- und Großlabels verteilt, bilden einen solchen Riesenwust von Referenzpotential, dass die nachfolgenden Generationen mit der Aufarbeitung kaum hinterherkommen. Diese Bemühungen gehen schon seit den 90ern voran, und immer noch gibt es neue Aspekte, die es aufzugreifen lohnt. Erst konzentrierte man sich bei Electroclash auf die eher übergreifenden Hits, Mode, und Performance, dann folgten die Spezialisten und gruben bis in die entlegensten Winkel nach Vergessenem, Unveröffentlichtem, und möglichen Wiederveröffentlichungen. Und nun geht Techno allerorten zu seinen alternativen Wurzeln zurück, und man beruft sich eher auf Throbbing Gristle denn auf Kraftwerk, grieseliges Grau statt knalliges Neon, Haltung statt Pose, Konzept-Elitismus statt Pop-Gegenentwurf. Bevor man sich in diesen ganzen Verhältnismäßigkeiten verheddert, kann man aber auch einfach auf die Flying Lizards zurückgreifen, die auf einem Album eigentlich alles anticken, was die Musik in diesem Kontext so großartig macht: respektlose Pop-Dekonstruktionen etwa, möglichst desinteressiert von einer blasierten New Wave-Schönheit interpretiert (“Money”, “Summertime Blues”), Tschingderassabumm-Speed-Opern (Mandelay Song), zweckentfremdeter Rock ‘n’ Roll-Klassizimus (“TV”), verqueres Songwritertum (“Her Story”, “The Window”) oder Dub-Labortests (man beachte die brilliante Abfolge “The Flood”, “Trouble”, Events During Flood”). Man kann David Cunningham nicht wirklich einen unterschätzten Künstler nennen, aber was er hier mit u. a. Steve Beresford, David Toop, Vivien Goldman, Deborah Evans und Mitgliedern der Pop Group und This Heat verantaltet, ist wirklich außergewöhnlich. Das Nachfolgealbum “Fourth Wall” ist nicht so zerstreut, aber ähnlich genial, und ist eine merkwürdige, aber gern genommene Samplequelle für Detroit Techno (z. B. “Steam Away”). Das dritte Album “Top Ten” erschöpfte sich etwas in der Idee der gelangweilten Schepper-Coverversionen, auf den B-Seiten der Single-Auskoppelungen “Sex Machine” und “Dizzy Miss Lizzie” tummeln sich aber sehr bemerkenswerte und einflussreiche Proto-Techno-Wildheiten (“Flesh And Steel”, Gyrostatics”). Cunningham ist natürlich sowieso ein überragender Produzent von Palais Schaumburg, General Strike, This Heat bis Wayne/Jayne County & The Electic Chairs, anerkannter Avantgarde-Haudegen und, ich vermute mal vermutlich unfair, derjenige, der Michael Nymans Musik u .a. für Peter Greenaway zur Erträglichkeit dirigiert hat. Und dank Staubgold zum ersten Mal auf Vinyl im Erscheinen begriffen ist “The Secret Dub Life Of The Flying Lizards”, eine Sammlung von Dub-Aufnahmen von 1978, mit Jah Lloyd auf Jamaika aufgenommen. Ich finde das braucht man alles, wenn nicht mehr.
The Flying Lizards – The Flying Lizards (Virgin, 1980).
In der House- und Technogeschichte gibt es reichlich Auswahl an Signaturklängen, die auch Dekaden nach ihrer Entstehung noch bestens funktionieren und deswegen auch weiter und weiter benutzt werden. Wenn Derrick May jedesmal Geld bekommen würde, wenn jemand die Bassline von “Nude Photo” verwendet, er hätte sich nicht nur die mit den Jahren immer unnachvollziehbareren Erklärungen sparen können, warum er keine Musik mehr produziert, er hätte nichtmal mehr auflegen müssen. Larry Heard hätte sich mit stetigen Tantiemen der Bassline von “Can You Feel It” nie mehr mit dem Musikbusiness rumärgern müssen, dito Kevin Saunderson, sei es mit seinem patentierten Bassgrummeln oder den Euphorieakkorden von “Good Life”. Der Flurschaden-Staubsauger von Joey Beltrams “Mentasm”, und so weiter und so fort. Es gibt diverse solche kanonisierten Großklassiker, welche die fortwährende Verehrung ihrer Urheber rechtfertigen, auch wenn ihnen mit den Jahren die Ideen ausgegangen sind. In Hinblick auf die eine geniale Idee hat die Clubkultur durchaus ein Elefantengedächtnis und man kann lange davon zehren. Und dann gibt es diese Platten, die fast aus Versehen zur Legende werden, ohne große Auswirkungen auf die Karriere des Produzenten. “I Like It” von Landlord ist dafür ein Paradebeispiel. Wer nach mehr Releases von Landlord sucht, wird nichts finden, es gibt nur dieses eine. Bereits 1989 auf dem klassischen kanadischen House-Label Big Shot erschienen, hatte der spätere Hi-Bias Hausproduzent Nick Fiorucci wohl nichts anderes im Sinn als eine amtliche House-Produktion. Er tat sich mit einem Sänger mit dem ziemlich unglaublichen Namen Dex Danclair zusammen (der außer auf “I Like It” nie wieder in Erscheinung trat), und machte das, was er desöfteren machte: Deep House mit Gefühl und leicht angedunkeltem Sanftmut, nicht zu kickend, nicht zu dramatisch, nicht zu tief schürfend. Aber selbst in den konventionelleren Versionen des Tracks schrauben sich an clever gesetzten Punkten diese Stabs hoch, die man, einmal gehört, einfach nie mehr aus dem Kopf bekommt. Fiorucci schien das Potential dieser Akkordfolge durchaus abgesehen zu haben, denn der “Blow Out Dub” besteht dann aus nicht anderem als einer Bassline, eher dezenten New York Freestyle-Breaks, und eben diesem Piano-Riff, immer und immer wieder. Und was sich auf Zimmerlautstärke schon beeindruckend effizient anhörte, richtete im Club ungeahnte Verheerungen an. Ein archetypisches Rave-Signal, aus einer so schönen wie unspektakulären Vocal-House-Platte geboren. Generationen von Produzenten konnten davon nicht mehr die Zitatfinger lassen, bis zum heutigen Tag. Natürlich kommt das nicht von ungefähr, man kann mit diesen wenigen Akkorden aus jedem unscheinbaren Track eine Stimmungsschleuder zusammenmixen, und aus jedem schon guten Track etwas, das wie ein außerordentlich guter Track wirkt. Wer das nicht glauben will, möge das gerne mit der aktuellen Preset-Produktion überprüfen, wo noch das gewisse je ne sais quoi fehlt. Aber bitte vorsichtig.
Wenn heutzutage ein DJ in einem Techno- oder Houseset eine von der Geschwindigkeit passende Hip Hop-Platte auflegen würde, wäre mit großer Wahrscheinlichkeit augenblicklich Stille im Saloon, der betreffende Booker würde Stoßgebete gen Himmel richten, und die Forenserver gingen in Rauch auf. Gelegentliche Ausflüge von Erfolgsproduzenten -und Rappern in die Dance-Kultur einerseits, man erinnere sich beispielsweise an Snoop Doggs famosen Flötenhouse-Ausrutscher “Sexual/Sensual Eruption”, und gelegentliche Ausflüge von Erfolgsproduzenten- und DJs in die Hip Hop-Kultur andererseits, man erinnere sich beispielsweise an unselige Gastauftritte auf irgendwelchen Ed Banger-Platten o.ä., haben im Prinzip den Burgfrieden nicht wieder hergestellt. Hip Hopper halten Clubmusik für oberflächlich und schwul (oder auch für nicht lukrativ genug, zu wenig materialistisch, zu wenig poppende Glocks), und Clubmusiker halten Hip Hop für oberflächlich und nicht schwul genug (oder auch für zu lukrativ, zu materialistisch, zu viel poppende Glocks). Man wirft sich gegenseitig vor, falsche Botschaften auszusenden, und bezichtigt sich der Irrelevanz. Die eine Fraktion schüttelt den Kopf über falsche Drogen und Gehampel und sinnlose Eskapismen, die andere Fraktion schüttelt den Kopf über falsche Drogen, Statussymbole und sinnlose Gangsterismen. Die gemeinsamen Wurzeln, sie werden geschichtsklitternd unter den Teppich gekehrt. Die Zeiten, als im Club beides ging, sowieso. Alle Behauptungen, dass man sich da wieder annähern würde, sind Nischeneinblicke ohne Realitätsanbindung. Zulange hat es sich die große Mehrheit der Hip Hop-Kultur unterhalb der 120er-bpm-Grenze in Kopfnickertempi gemütlich gemacht, zulange hat sich die Tanzmusikkultur damit begnügt, der anderen Seite ein generelles inhaltliches Armutszeugnis auszustellen.
1988 etwa war das alles noch kein Problem. Der energetische Sloganismus von Public Enemy oder das unterschätzte Frühwerk der Stereo MCs liefen auf jeder amtlichen britischen oder kontinentaleuropäischen Acid House-Party (wo entgegen dem gegenwärtigen clubkulturellen Revisionismus keineswegs nur 303-Geblubber lief, sondern alles zwischen Barry White und Lisa Stansfield einen Auftritt haben konnte), und selbst ein düster-dräuendes Biest wie “Follow The Leader” war eine frenetisch gefeierte Hymne. Und warum auch nicht? Rakim, der weltcoolste MC, war schon früh via Sampling in den Dance-Kanon aufgenommen, und der soundtrackhafte Charakter des Stücks passte bestens in die funktionale Psychedelik der Strobonebelwelt. Noch war alles gemeinsam 4/4, und solange die DJs es schlüssig zusammenbringen konnten, war es schlüssig zusammengebracht. Und eigentlich könnte das jetzt wieder klappen. Die Slow Motion-House-Bewegung hat sich schon fast so heruntergedrosselt, dass man bei der überwiegenden Hängerdynamik von Hip Hop anklatscht, jeder dritte Pos(t)erboy-Emo-House-Produzent behauptet im ersten Interview, in der Jugend quasi nichts anderes gehört zu haben, ein bisschen House vielleicht noch, und die Rap-Elite ist auf der Sinnsuche immerhin schon bei Daft Punk und Haddaway angelangt. Man könnte also auch problemlos die Edit-Kanone aufeinander richten. Entweder es gibt dann wieder einen Leader mit reichlich Followern, oder man redet anschließend überhaupt nicht mehr miteinander, vielleicht nicht einmal mehr übereinander. Aber probieren geht über studieren.
1984, als “Eden” erschien, war der große Bruder doch noch nicht am Ruder, jedenfalls nicht in der englischen Popmusik. Gewisse Reglementierungen waren aber schon zu spüren. Irgendwo musste es hin, das schnelle Geld, und irgendwie musste es revidiert werden, das gute englische Stilempfinden. Den spätgeborenen Mods und Soulboys war Mod und Soulboy sein nicht mehr ausreichend, man entdeckte im großen Stil die Freuden von gefälliger Jazzmusik, Stil-, Literatur-, Film-, Literatur- und Designklassiker der 50er bis 60er Jahre und vor allem Londons Rare Groove-Szene brodelte dann so heftig, dass eine musikalische Ausgeburt in den Charts nur eine Frage der Zeit war. Blue Rondo À La Turk waren für Sohos Wag Club das, was Kid Creole & The Coconuts für die New Yorker Danceteria waren, Paul Weller war so von den Möglichkeiten eingenommen, dass er dafür The Jam opferte (deren Spätphase war der Nachfolgeband The Style Council eigentlich ähnlich, aber das neue Personal war einfach passender), und dann kam Sade, die vor allem bei männlichen Journalisten für ungeahnte Verwirrung sorgte, und aus einer Szene eine Bewegung werden ließ. Man konnte Everything But The Girl allerdings kaum Mitläufertum unterstellen, Tracey Thorn hatte bereits einige Meriten als tragendes Mitglied der legendären Marine Girls und eine umjubelte Lagerfeuer-Soloplatte vorzuweisen, und tatsächlich ließ sich die frühe Musik der Band eher mit dem Young Marble Giants-Nachfolger Weekend vergleichen, als mit Viktor Lazlo. Aber für den Erfolg von “Eden” hat das überwiegende Tristeza-Bossa Nova-Songwritertum der Songs auf “Eden” sicher nicht geschadet, und der Zeitgeist breitete folglich jovial die Arme aus. Sie wollten nicht so dringend die Coolness ihrer Vorbilder erreichen, vernestelten sich nicht so sehr mit ungelenkem Anti-Thatcher-Salonsozialismus und waren generell nicht so oberflächlich wie andere Vertreter jener Zunft. Man kann sicher argumentieren, dass Tracey Thorns Stimme so markant ist, dass jeder Song mit ihrer Beteiligung quasi automatisch schon immer ganz melancholisch wird, aber so schön wie hier fasste ihr Gesang Musik und Text selten zusammen. Und “Eden” ist bis heute eines dieser Alben, das deprimierte Grundstimmungen ergänzt und erklärt, ohne deprimierend zu sein, da kann kommen was wolle. Everything But The Girl blieben aber auch später verlässlich, sei es in ihrer kurzen Smiths-Phase auf dem nächsten Album, oder mit dem was sie jetzt sind, nach Ben Watts mysteriöser Erkrankung und Tracey Thorns Zweitkarriere als Gastauftrittsinstitution, sozusagen der altersweise Realitätscheck alternder und sinnsuchender jüngerer Clubber. Demgegenüber ist Paul Weller jetzt Steve Marriott, Sade ist Kate Bush, und der Rest wartet auf das große Acid Jazz-Revival.
Everything But The Girl – Eden (Blanco Y Negro, 1984)
Das Konzept der alten, nicht rostenden Liebe hat einen schweren Stand in der hastigen Welt der elektronischen Musik, wo der eigene und der an hungrige Hypemaschinen verfütterte Fortschrittsglaube ständig Ausschau hält nach neuen Entwürfen, Klängen und unverbrauchten Themen. Das hält den Motor am Laufen, die Konkurrenz lebendig, und man braucht sowieso nicht das Gleiche in mehrfacher Ausführung, es gibt ja noch so viel mehr da draußen. Jemand, der einfach seinen Ansatz gefunden hat und diesen in jahrelanger Präzisionsarbeit weiter verfeinert, gerät, auch wenn die Ergebnisse fortdauernde Anerkennung durchaus rechtfertigen können und keineswegs irrelevanter werden, schnell in den Ruch desjenigen, der sich wiederholt, zitiert, die Sache nicht voranbringt, man hat davon schon reichlich ähnliche Tracks im Schrank, in der Mappe, auf der Festplatte, im Kopf. Man kann es eigentlich abhaken. Und dann kommen natürlich genau von solchen Produzenten Veröffentlichungen, die in der Tat vorherigen ästhetisch ähnlich sind, nur als schweinepriesterteure multimediale Obistrip-Exzesse über Japan-Umwege zu beschaffen, mit schon wieder so einem spinnert-prätentiösem Konzept, musikalisch eine weitere Variante bestimmter Gefilde des Backkatalogs, in der bekannten, ungelenken Art und Weise verwoben. Und dann ist das alles so zwingend gut, greift so umwerfend ineinander, ist ein so effizientes Katapult in die Gedankenwelt eines anderen Menschen, das alles wieder genauso ist wie früher, beim ersten Mal, und die Male danach, als man solche Überlegungen von Haltbarkeitsdauer, Vertrauensvorschüssen und Kontinuitätsproblemen nie angestellt hätte, und man sich wundert wie es so weit kommen konnte dass man je gezweifelt hat. Und dann rudert man nicht kräftig zurück in die Richtung von jemanden, der offensichtlich nie aufgehört kräftig zu rudern, man rudert kräftig hinterher. This report serves as my testimony to the above occurrence.
Man könnte an dieser Stelle etliche wundervolle Platten bejubeln, die Victor Simonelli im Alleingang oder zusammen mit Tommy Musto Anfang der 90er gemixt und produziert hat. Zu dieser Zeit war er schon ein Veteran der New Yorker Clubmusik, die beeindruckende Liste von exklusiven Mixtape-Dokumenten auf seiner Webseite belegt umfassend mit welchen Legenden der Jahre vor und nach dem Discokollaps er bestens bekannt war. In seiner alten Nachbarschaft in Brooklyn hat man jedoch sehr unterschiedliche Lehren aus diesen Lehrjahren gezogen. Der an New York Freestyle geschulte, sehr samplefreudige Ansatz weiter Teile seines House-Bekanntenkreises scheint seinen Prämissen nicht entsprochen zu haben, denn seine Arbeiten waren geradezu mustergültige Beispiele für die Besinnung auf das Wesentliche. Eine Stimme, ein Groove, ein Dub, und alles auf gleicher Augenhöhe. Seine Beats waren prägnant, aber nicht zu aufdringlich, und seine Arrangements waren beneidenswert strukturiert, da sie nur mit wenigen aber dafür zwingenden durchgehenden Melodien soviel federnde Fahrt aufnahmen, dass dazu nur noch wenige punktgenaue Details hinzukommen mussten, alles andere hätte das geschmeidige Gleichgewicht als sinnlose Ornamente zerstört. Und wie einst Burt Bacharch mit Dionne Warwick, hatte Simonelli mit Joi Cardwell eine kongeniale Interpretin gefunden, die vergleichbar sophisticated, manierismenfrei und ungospelig seiner Musik den entscheidenden Assoziationsmehrwert und die Wahrhaftigkeit verleihen konnte, die sich aus dem entspannten Wesen ihres Gesangsstils im Kopf potenzierte. Joi Cardwell klang immer sexy, weil sie sich niemals an unrealistischen musikalischen und inhaltlichen Vorgaben und Konstellationen verhob. Und so ist “Goodbye” vielleicht der tröstendste Song, zu dem man den Part des Prellbocks einer ungleichen Beziehung wegtanzen kann. Der Moment der Erkenntnis ist gekommen, es gibt ein letztes Fazit, und dann wird endgültig klar Schiff gemacht:
“So here it is 4 a.m., and I’ve been thinking about all the things I can tell you. But I’m a lady and I’m always gonna be a lady. So I keep it simple. Goodbye.”
Miss Joi Cardwell – Goodbye (The Victor Simonelli Remixes) (Eightball Records, 1992)
Eins musste man den Italienern schon immer lassen, sie wissen meist sehr zeitig welcher Sound sich in qualitativer und kommerzieller Hinsicht zu kopieren lohnt. Das zieht sich von Adaptionen amerikanischer Discomusik der klassischen Phase bis hin zu heutigem Minimalgeklacker. Natürlich hat das auch oft zu sehr originären Interpretationen geführt, teilweise wurde auch etwas ganz Neues daraus was sich an die Ursprungsländer als Ursprung zurückverkaufen ließ. Die musikalisch fortschrittliche Fraktion von Italo Disco wäre ein Beispiel, diverse ältere House- und Technoproduzenten in den US-Metropolen können es bestätigen. Ein wirklich glückliches Zusammentreffen war die italienische Annektierung von House. Wurden die ersten Chicago-Trax noch mit massivem Pianoeinsatz und plakativsten Disco-Diven-Samples Ende der 80er zu Chartbreakern à la Blackbox verkehrt, an denen sich insbesondere die englische Breakbeat-Szene schon seit Jahren erfreut und abarbeitet, griff man Anfang der 90er den New Yorker House-Sound auf, für den vor allem Labels wie Strictly Rhythm, Nervous und Nu Groove standen, neben zahllosen anderen anbetungswürdigen Kleinstadressen mit gelegentlichen Geniestreichen. Auf einmal erschienen Importe aus Italien, die in der Sanftheit und Emotionalität der US-Prototypen geradezu badeten, denn in den Großclubs in Rimini und Riccione wie Peter Pan oder Ethos Mama reichten die großzügigen Flächen und Bassgrooves von Produzenten wie Wayne Gardiner, Bobby Konders, Mood II Swing, den Burrell-Brüdern oder Nathaniel X nicht einmal aus, da ging es um andere Räume und ein anderes Gemeinschaftsgefühl auf der Tanzfläche, da musste mit dem großen Pinsel nachgebessert werden. Wenn man Italo House dieser Jahre beschreibt, verfällt man deswegen schnell in azurblaue Klischees, denn tatsächlich eint alle diese Stücke, dass sie eine mediterrane Selbstzufriedenheit ausstrahlen, die mit dem vom urbanen Alltagskampf geprägten Melancholieklang amerikanischer Großstädte nur noch in Resten zu tun hat. Stattdessen bekommt man hier eine reiche Palette an Sounds und Arrangements, die teilweise bis knapp unter die Kitschgrenze stoßen, auf der Tanzfläche aber nicht nur für die kollektive Glückseligkeit aufgebrezelter Einheimischer und der clubeigenen Fächertänzerinnen sorgten. Reichlich Urlauber waren genauso von dieser warmen Umarmung eingenommen, und reisten mit einer musikalischen Utopie in ihre grauen Vorstädte zurück. So etwas erzielt man natürlich nur mit Könnerschaft, und die Produzenten hinter Omniverse beispielsweise, Ricky Montanari und Moz-art, wussten schon seit etlichen Jahren was bei ihren Tänzern funktioniert und was nicht. Beide waren seit den 70ern hinter den Decks, ersterer fing eher als klassischer Disco-DJ an, letzterer war einer der wenigen Cosmic-Pioniere, die heutzutage jeder schon damals kannte. Und „Antares“ ist neben „Alone“ von Don Carlos die Genredefinition, sechs Minuten wie ein übermütiger Sprung in einen glitzernden Pool, und wenn man am anderen Ende wieder auftaucht, sieht man schöne Menschen in luftiger Bekleidung und schweißtreibenden Bewegungen, und da kommt auch schon der erste Drink. Es geht auch ohne Kopf.
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