Im Gespräch mit Jan Joswig über “Umleitung” von Franz Josef Degenhardt (1966).
Wie und wann bist Du auf “Umleitung” bzw. überhaupt auf Franz Josef Degenhardt gestoßen?
Mein Schulfreund und ich dachten es wäre als Korrektiv zu unseren unverschämt blonden Surferhaaren wichtig, wenn wir uns als nachdenkliche Humanisten inszenierten statt als draufgängerische Hedonisten. Während die anderen Haschpfeifen am Gürtel trugen, schleppten wir eine Wandergitarre mit uns rum und hörten Georg Danzer, Konstantin Wecker, Bettina Wegner und Franz Josef Degenhardt. Fast wären wir in die Jugendpolitik gegangen. Ehrlich gesagt, bin ich’s sogar. Ich war Gründungsmitglied des „Grün Alternativen Jugendverbandes“. Aber es war nur wegen der Prinz-Eisenherz-Comics von Hal Foster, die der Kassenwart sammelte. Ich schwör’s beim Singenden Schwert!
Was macht “Umleitung” so wichtig für Dich?
„Umleitung“ ist der Freud’sche Versprecher in Degenhardts Werk, das Stück, das geheime Identitäts-Vorstellungen von ihm verrät: einmal der Star mit Pflaumenhintern-Groupie sein statt immer der Oberlehrer-Entertainer mit Faltenrock-Tanten am Rollkragenzipfel. Ich bilde mir ein, diesen Einblick hat er nur halb bewusst inszeniert. So viel unkontrollierte Sehnsucht und Frustration blitzt sonst nie im Liedermacher-Genre auf. Ferien vom eigenen (politisch-künstlerischen) Ich nehmen und sich endlich „ruhig mal reaktionär sein“ lassen. Als „miesen Chauvi“ haben wir ihn in unseren Wandergitarre-Zeiten dafür geächtet (erinnert sich heute auch keine Sau mehr dran, an dieses Schimpfwort).
Compost bringt die Münchener Disco-Tradition mit dieser Mix-CD von Panoptikums Tom Wiegand zurück aufs Parkett. Zudem war man war ja schließlich der Nischenforschung vom Gardasee schon örtlich am nächsten dran. Der Untertitel „Space Disco“ ist dennoch etwas großzügig angelegt, denn die Titel von Selection und Jagg sind verdiente Italo-Boogie-Schwerter, und Two Man Sound bzw. Tony Allen künden wohl eher von der Begeisterung für Afro- und Latin-Perkussion der italienischen DJ-Vorreiter als von den unendlichen Weiten des Weltraums und den Bestrebungen, diese auf den Tanzboden zu transformieren. Dort landet man aber ohne Umwege bei den Ausflügen von Fachblatt-Schlagzeug-Legende Curt Cress, Ströer und Lee Harmony, Panoptikum selbst sowie dem britischen Library-Präsi Alan Hawkshaw und dem Moog-Reggae von Ken Elliott und seinen Vulkaniern. Das Grande Finale gebührt dem Remix von „Ain’t Nobody“, den Frankie Knuckles vermutlich tatsächlich herbeihalluziniert hat. Als Mix folgt diese wirklich schöne Auswahl einer einnehmenden und flott vorgetragenen Dramaturgie, die jeder, der sich von der gelegentlichen Nöligkeit von Vollbart-Disco-Verfechtern belästigt fühlt, als geradezu vorbildlich empfinden dürfte.
Ripperton übernimmt die etwas undankbare Aufgabe „Tides“ zu remixen, nachdem Carl Craig damit schon ziemlich nachhaltig und lagerübergreifend gelandet war. Von diesem Ufer mag er sich dann auch nicht allzu weit entfernen. Etwas kühler im Gesamteindruck, etwas nach hinten erweitert, andere Bassline, den Gesang etwas ausgebaut und verschoben. Das ist aber alles nicht anders genug um nicht gerade dadurch das herauszustellen, was das Original so überzeugend vorgab: Aus wenigen Zutaten in einer ausgefuchsten Dramaturgie die totale Hymne machen. Auf der anderen Seite haben sich 7 Samurai als Panoptikum für ihren Remix von Invisible Sessions „Till The End“ wohl ein paar Notizen zu Innervisions gemacht, aber sie emanzipieren sich, indem sie ein herbstliches Piano mit ein paar verträumten Detroit-Flächen klüngeln lassen. Das klingt zuerst, als würde ein wenig der Zug fehlen, entwickelt sich dann aber zusehends ganz prächtig.
Weiter geht es mit der Disco-Ursachenforschung im Hause Compost, diesmal unter der Ägide von Tom Wieland alias 7 Samurai, der hier als Panoptikum den Blick zurück als verdrehten Sequencer-Pop mit Blechbeats auslegt und mit schrägem Zellophan-Charme in der vorwiegend eckig ausgestatteten Neonbar die Punkte einfährt. Ansonsten dabei: „Nepa Dance Dub“ von Tony Allen anno 1984, zu dem man sich Theo Parrish wild mit Augen und Restkörper rollend zur EQ-Höchstleistungsphase der Party vorstellen kann und die Allzweckwaffe „Que Tal America“ von Two Man Sound, den immer noch dollsten Latino-Hustlern, die Belgien jemals hervorgebracht hat.
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