The Human League – Hysteria

Posted: April 7th, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

1984 sahen sich Human League dem gewichtigen Dilemma gegenüber, an das Vorgängeralbum „Dare“ anzuschließen, ein wahres Ungetüm was Verkaufszahlen und Strahlkraft anging. Zwar hatte „Dare“ die Kunst-Verpflichtungen der brillanten ersten beiden Alben weitestgehend entkräftet und man konnte nun eigentlich in alle Richtungen ordentlich auf die Pauke hauen, aber dennoch waren Philip Oakey und Co. ratlos wie sie weiter verfahren sollten. Also ließen sie sich Zeit, und zwar rückblickend zuviel Zeit um die Erfolgswelle von „Dare“ weiter reiten zu können. „Hysteria“ konnte die neuen Fans kaum befriedigen, es war einfach zuwenig Pop, und die alten Fans, sie mochten nach dem Pop-Geschiller von „Dare“ auf einen Schritt zurück richtig Sheffield und Post-Punk-Elektronik-Visonen gehofft haben, konnte man sowieso nur noch mehr enttäuschen. Der Ruch eines Albums, das eigentlich alles richtig machen will, aber alles nur falsch machen kann, durchsetzt „Hysteria“. Schon der Name ist merkwürdig gewählt, eigentlich hätte angesichts der Richtungsänderungen „Dare“ hier viel besser gepasst, wohingegen das eigentliche „Dare“ viel mehr „Hysteria“ war als das hier. Die erste Single, die politische Exkursion „The Lebanon“, führte Rockgitarren in den Bandsound ein und bietet somit inhaltlich und klanglich schon mehr Irritationen, als man der Basis nach der Serie vorangegangener Überhits hätte zumuten sollen. Auch die Coverversion von Lyn Collins’ „Rock Me Again“ ist eine bockige Abfuhr. Soul? Rock? Human League? Dennoch sind die Vorhaltungen mangelnder Popqualitäten, die „Hysteria“ nach drei Jahren Bedenkzeit schon fast in die Ecke bedächtiges Alterswerk abdrängen wollten, völlig haltlos, es sind bloß andere Popqualitäten. Es fehlen sicherlich die stürmenden und drängenden Manifeste von „Dare“, die sich so kongenial mit dem sturen Willen verbanden, die Charts in Schutt und Asche zu legen. Aber auch wenn bei der Intensität und Unmittelbarkeit der Songs ein paar Gänge zurückgeschaltet wurde, eine strickjackige Einkehr am Kamin ist dies beileibe auch nicht (diese Sichtweise ging mir schon bei den Pet Shop Boys immer auf den Geist, als ob sie vor „Behaviour“ nie milde und nachdenklich gewesen wären). Der Bruch des Albums zum vorherigen Karriereverlauf liegt dennoch vor allem in der Haltung. Ein bisschen schwärmerischen Überschwang haben sie noch herübergerettet, bei „I’m Coming Back“ und „The Sign“ etwa, bei den Rest der Songs überwiegt jedoch Desillusioniertheit und Melancholie. Es scheint fast so, als hätten sich die Träume die auf „Dare“ geträumt wurden, überhaupt nicht erfüllen können, und nun wird der Boden nach der Feier aufgewischt. Und genau da liegen die Stärken von „Hysteria“. Die Songs über Lügen, Betrügen, Vertrauensbrüche, Ratlosigkeit, enttäuschte und immer noch glimmende Hoffnungen sind mit das Wahrhaftigste, was Synthpop in seiner ganzen Glanzepoche hervorgebracht hat. Vor allem „Life On Your Own“ und „Louise“ bieten ein fantastisches Gespann, in dem in beeindruckender Ehrlichkeit und Präzision die verpassten Chancen und mit falschem Stolz konservierten Gefühlsbrachen geschildert werden, die eine Liebe hinterlässt, in der man sich nicht anvertrauen konnte, sowie die Anstrengungen, die man danach unternimmt, um damit fertig zu werden. Und das ist vielleicht zuwenig für die Charts, aber mehr als genug um einen für den Rest des Lebens zu begleiten.

The Human League – Hysteria (Virgin, 1984)

de:bug 04/10