In Italien ist Clubmusik schon seit der klassischen Ära von Disco in den 1970ern integraler Bestandteil von la dolce vita. Seit damals wird mit offenen Armen empfangen, was von den nordamerikanischen Metropolen herüberschwappt. In Italien wird der musikalische Input mit elastischem Verhältnis zu Urheberrechten in etwas umgedeutet, das dem Lebensgefühl an Adria und Mittelmeer eher entspricht. Kopieren lohnt sich künstlerisch und vor allem kommerziell. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert: Der lockere Umgang der Italiener mit Originalmaterial ist kreativ und zugleich berüchtigt, unzählige halbseidene Coverversionen und Bootlegs zeugen davon.
Man muss aber ebenso konstatieren, dass stets etwas Originäres dabei entstanden ist. Italo-Disco-Musik der achtziger Jahre ist das Kardinalbeispiel hierfür. Was zunächst in Resteuropa noch als billige Plastikversion von Disco verschrien war und als Musik, zu der eher die Jugendlichen aus einfachen Verhältnissen in der lokalen Diskothek den Disco Fox tanzten, mutierte schnell zu einem internationalen Einfluss mit erstaunlicher Langlebigkeit und Hipness-Faktor.
Ein Grund dafür ist sicherlich der unbedarfte Charme der italienischen Musik, ein anderer ist aber auch die Innovationsfreude ihrer Produzent:innen. So verwundert es nicht, dass die Pioniertage von House Music ab Mitte der 1980er in Chicago und Detroit gespickt waren mit Importplatten aus Italien, die in den Playlists wichtiger US-Radiosender und den entsprechenden Clubs tiefe Spuren hinterlassen haben. Es gelangte quasi etwas in die USA zurück, das sich sehr von dem unterschied, was man zuvor nach Europa exportiert hatte.
Und mit House entlässt man dann abermals eine gewichtige neue Komponente in das Nachtleben der Alten Welt, und wieder wurde sie gerade in Italien besonders schnell begeistert verarbeitet. Die Genese von Italo House ab Ende der 1980er folgt dabei den bewährten Mustern der Jahre zuvor, was nicht weiter verwunderlich ist, denn viele Protagonisten, wie etwa Ricky Montanari und Claudio Rispoli alias Moz-Art waren als DJs und Produzenten schon seit der Disco-Ära aktiv und gingen bei der Adaption von House ähnlich zweckorientiert vor.
Äußerst hilfreich war, dass die italienische Musikindustrie über Jahre Import- und Exportstrukturen aufgebaut hatte, mit der man in Sachen der schnelllebigen Clubmusik stets vorneweg war. Der erste italienische House-Track, der über die Landesgrenzen hinaus Tanzflächen eroberte, ist „Ride on Time“ von Black Box. Seine Musik funktioniert vor allem so gut, weil sie dreist Bestandteile zusammenklaubt, die sich schon vorher bestens bewährt haben. Man kopierte die einprägsamen Pianoakkorde und synthetischen Grooves der frühen US-House-Produktionen wie etwa von Marshall Jeffersons „Jungle Wonz“ und stellte ein Model ans Mikrofon, welches in Videoclips und Playbackauftritten zu der ungefragt übernommenen Originalstimme von Loleatta Holloways Disco-Klassiker „Love Sensation“ (1980) mimt. Wie man damit durchkommen kann, obwohl der Song zu einem beträchtlichen Hit wurde? Ganz einfach, „Ride on Time“ klingt derart umwerfend, dass man erst viel später Fragen wegen Plagiatsvorwürfen stellte.
Das Erfolgsrezept ist so simpel wie effizient. Instinktsicher werden die nachhaltigen Elemente des Originals isoliert, die auf der Tanzfläche Ekstase auslösen, produziert sie ekstatischer, aber auch gefälliger und lässt ordentlich mediterrane Sonnenwärme rein. Dann werden etliche Veröffentlichungen nachgeschoben, die mehr oder weniger nach dem gleichen Muster funktionieren, und schon bald hat man ein eigenes Genre erschaffen, dass sich bis heute ungebremst in zahllosen Variationen zwischen Eurodance, UK Breakbeats und balearischen Großraum-Clubhits fortpflanzt.
Italienische Clubmusik muss im großen Rahmen funktionieren, was durchaus ein wichtiges Kriterium ist, denn italienische Clubs sind in der Regel groß. Sehr groß. Sie zeugen von einer langen, stolzen Tradition der Dekadenz und Maßlosigkeit, des ganz breiten Pinselstrichs inklusive Stuck-Säulen auf der Tanzfläche, Außenpools mit Panoramablick und absurden VIP-Bereichen. Man kann diese Etablissements vom Weltall aus erkennen, und den Autokorso dorthin auch. In solchen Clubs muss der DJ klotzen, und nicht kleckern. Nichts und niemand darf das pompöse Gesamtbild mit kleinen Gesten und kleinen Ansprüchen und kleiner Kunst verunreinigen. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Die für Italo House maßgeblichen und größtenteils an der italienischen Riviera ansässigen Clubs wie „Ethos Mama“, „Diabolik’a“, „Vae Victis“, „Cocorico“ und „Peter Pan“ haben eine Kapazität im großzügig drei- bis vierstelligen Bereich: Podest-Tänzer:innen, MCs und DJs, die sich keine Fehler erlauben können. Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass der Sound in der Blütezeit von Italo House ab 1990 nicht so klingt, als müsste er erheblichem kommerziellen Druck standhalten.
An Italo House kann man sicherlich die wichtigen Evolutionsstufen der internationalen House Music ablesen, und die erste Zündstufe Ende der 1980er Jahre ist eine Sturm-und-Drang-Phase, in der bedingungslose Euphorie und Pianos regierten. Der wirklich kreative Schwung setzt aber um 1990 ein, als in den USA der House-Sound deeper wurde. Die italienischen DJs und Produzenten mussten ein gehöriges Erweckungserlebnis gehabt haben, als etwa Larry Heard und Marshall Jefferson versonnenere Tracks produzierten oder etwas später in New York auf dem wichtigen Label-Triumvirat Strictly Rhythm, Nu Groove und Nervous Tracks von Wayne Gardiner, Gijo Rosario, Ronald & Rheji Burrell und Roger Sanchez veröffentlicht wurden. Diese Musik postuliert eine deutliche Abkehr von funktionalen Tanzflächen-Imperativen. Italo House ist introspektiv, mit sanft pulsierenden Grooves und vor allem mit bittersüß-emotionalen Flächen ausgestattet und wird alsbald als Ambient und Mellow House in den Kanon aufgenommen. Bereits 1989 schickten Angelo Albanese und Massimino Lippoli den sich sehr großzügig bei Manuel Göttschings „E2-E4“ bedienenden Clubhit „Sueño Latino“ auf den Weg.
Eine Blaupause für italienische House-Produktionen, mit denen sich jeder Club in eine weltumarmende Utopie von Glückseligkeit mit Meerblick verwandeln lässt und jeder urbane Alltagskampf inmitten weniger azurblauer Umgebungen augenblicklich in Vergessenheit gerät. In den Studios arbeiten nun beispielsweise Carlo Troya alias Don Carlos, Claudio Coccoluto und Enrico Mantini an Musik, die sich anhört wie ein Sprung ins glitzernde Wasser eines sonnendurchfluteten Swimmingpools. Und wenn man am anderen Ende wieder auftaucht, sieht man schöne Menschen in luftiger Bekleidung und schweißtreibenden Bewegungen, und da kommt auch schon der nächste Drink. Die meisten Italo-Produzenten sind erfahrene DJs, sie wissen genau, was sie selbst wollen, und vor allem, was ihr Publikum will. Und dafür ist jedes Mittel recht. Auf Labels wie Irma, Palmares, DFC, UMM und Calypso zelebrieren sie eine hemmungslose Opulenz, die bis knapp vor die Kitschgrenze stößt, die Pianos sind immer noch prominent im Mix, bloß etwas weicher gestimmt, gesampelte oder eingesungene Stimmen vermitteln Botschaften von Liebe und Zusammenhalt, die gleichermaßen wahrhaftig wie gelogen sind, und über allem thronen die wärmsten und weichsten Flächen, in die man sich jemals hat reinfallen lassen können.
Es gibt kaum Clubmusik, die mehr Eskapismus und Hedonismus ausstrahlt, mehr Harmonie anbietet und mehr Glück verspricht als Italo House in den 1980er und frühen 1990er Jahren. Aber die Realität hat noch längst jede Illusion zur Strecke gebracht, und Italo House erging es nicht anders. Viele Prachtclubs an der Adria wirkten irgendwann wie Relikte und mussten schließen. Tänzer:innen brauchten andere Attraktionen, Clubkultur wollte mit neuen Trends gefüttert werden, DJs und Produzenten wollten sich nicht länger wiederholen. Die Spuren sind dennoch nicht mehr zu tilgen, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Revival-Zyklen wieder bei Italo House gelandet sind. Im Internetzeitalter ist eine musikalische Stilrichtung schnell erschlossen und über virtuelle Verkaufsportale verfügbar, und so treibt mittlerweile eine junge Generation die Gebrauchtpreise der Originale in den Bereich des Irrsinns, veröffentlicht aber auch Legendäres und Vergessenes neu. DJs, Produzenten und Publikum verfallen wieder den bewährt verführerischen Reizen dieser Musik.
Und es gibt auch wieder haufenweise aktuelle Produktionen, die den Faden da aufnehmen, wo man ihn Mitte der 1990er Jahre hat fallen lassen, mit frischen Ideen und modernen Mitteln. Etwa von den norwegischen Künstlern Skatebård und DJ Fett Burger und vom italienischen Produzenten Cosmic Garden (Nicola Loporchio). Das Leben wird nicht einfacher, die Sorgen werden nicht weniger, und dann kann man auch ruhigen Gewissens zu bewährten House-Mitteln greifen.
Der Wiener DJ, Produzent und Grafiker Stefan Biedermann alias DJ Super
Leiwand oder auch Danube Super Leiwand, kurz DSL, ist ein Phänomen. Er
war österreichischer Mix-Champion, mit Scratch-Gastauftritten in den
Charts bei Falco und Edelweiss und überregional einflussreicher Radio-DJ
bei der Sendung „Dope Beats and Tribe Vibes“ im ORF. DSL gibt selten
Interviews und seine Diskografie ist übersichtlich: Ein Album, einige
Singles und Remixe, deren hohe Qualität ein Verlangen nach mehr
auslöste, – leider vergeblich. So sind es vor allem seine Engagements in
den Clubs, die die Legende von DSL fortgeschrieben haben. DJs mit
einem Repertoire aus HipHop, Reggae und Rare Groove gibt es viele, aber
der Flow von DSL ist und bleibt stilprägend. Inzwischen ist DSL auch als
Grafiker renommiert. Aus Anlass der Veröffentlichung des von DSL
designten aktuellen WM-Spielplans haben wir einige Freundinnen,
Weggefährten und Bewunderer gebeten, das Wesen von DSL in Worte zu
fassen.
„Kennengelernt habe ich Stefan 1988 beim „New Music Seminar“ in New
York. Er hatte mit Dr. Moreau’s Creatures – zusammen mit Peter Kruder,
Sugar B, Rodney Hunter und Oliver Kartak, dort einen Auftritt. Das war
eine frühe Wiener HipHop-Crew, die hatten damals einen Hit und wurden
eingeladen, den live in New York zu spielen. DSL war ca. 18, ich
Mitte 20. Er hatte Mitte Achtziger schon aufgelegt und bei DJ-Battles
mitgemacht. Das lief in Wien in Großraumdiskotheken. Ich mochte seine
unglaublich präzise Art aufzulegen. Er hat Turntablism als einer der
ersten in Wien verstanden. Da waren die meisten noch rockistisch
orientiert mit Nick Cave und so. HipHop wurde, wenn überhaupt, dann
höchstens auf LPs wahrgenommen, Stefan mischte mit Maxisingles. Das war
rebellisch, er hat HipHop als Kunstform verstanden, die Instrumentals
geliebt, fast mehr als die Vocal-Tracks. Ich bekam dann von Werner Geyer
ein wöchentliches 15-Minuten Fenster für HipHop in der „Musicbox“ beim
ORF-Radio und fragte Stefan, ob er die Mixes machen will. Das war Beginn
von „Dope Beats and Tribe Vibes“, einer HipHop.Sendung, die es immer
noch gibt. Stefan hat eine sehr musikalische Ader. Sein Gespür für
Timing ist grandios. Der Vater war Orchestermusiker und von dem hat er
wohl ein sehr gutes Gehör geerbt. Er ist jetzt Grafiker und lebt –
frisch verheiratet – wieder in Wien. Die Club- und Musikszene in Wien
hat keiner so geprägt wie er. Den Funk hat er in unsere Sendung
gebracht. Es hat mich sehr geprägt mit ihm zu arbeiten und ich habe
extrem viel von ihm gelernt.“
Katharina Weingartner, Autorin und Filmemacherin, Wien
„Anfang der Neunziger teilten DSL und ich uns den Freitag in dem
kleinen, aber immer vollen Wiener „Roxy-Club“. Einen Freitag er, den
nächsten ich. Arbeitszeit für uns DJs war von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr.
Wenn es voll war, ging es manchmal auch bis Mittags. DSL besuchte mich
an seinen arbeitsfreien Freitagen regelmäßig, nachdem der letzte Tropfen
in den Bars der Nachbarschaft geflossen war, kam er beschwingt hinter
das DJ-Pult und fragte mich, was ich im Moment an neuen Doubles
(Dupletten) habe. Im HipHop steigert der versierte DJ die Dramaturgie,
indem er mit zwei Kopien der selben Platte, – eine Instrumental-Version,
eine Vocal-Version – , den Track mit der Technik von Scratching in
kleinste Einzelteile zerlegt und damit die Crowd auf dem Dancefloor zur
kollektiven Ekstase bringt. DSL konnte man mit zwei Platten so lange
alleine lassen, dass sich ein Frühstück locker ausging und ich mir dann
nach einer Stunde die völlig durchgedrehte Crowd wieder abholen musste.
Dass er die ganze Zeit den selben Song spielte, checkte keiner.“
Peter Kruder, G-Stone Recordings, Wien
„Bevor DSL in den Neunzigern im Hamburger Golden Pudel Club aufzulegen
begann, gab es dort bereits zwei Plattenspieler, der zweite wurde aber
nie benutzt. DSL war der Erste, den ich dort mit zwei Plattenspielern so
virtuos habe auflegen hören, dass ich schier gebannt war. Damals waren
tatsächlich schon renommierte DJs im Pudel zu Gast oder legten
regelmäßig auf, jedoch gefühlt angeknüpft am vermeintlichen, – ich sags
ungern-, Trash-Pudel-Style. DSL kam und scratchte Soulplatten, oder war
es HipHop? Was waren das für Beats! Für ihn selbstverständlich und
extrem locker: das Doppeln und die Arbeit mit der Endlosrille – ein
einfacher Trick, wir Hamburger kamen aus dem Staunen nicht heraus.
Zauberei! Leiwand! Dazu die Optik: Schlaksige Körperlichkeit aus Mensch
und Turntables, Beine, Arme, Schallplatten, Hände und Regler, alles
durcheinander gewirbelt und dabei Musik herstellend, dann auf direktem
Weg zurück damit in diesen langen Körper. Whoosh! Bald hatte ich diverse
Gelegenheiten, höchstselbst mit ihm und seinem musikalischen Body
aufzulegen. Ich hatte die Deckel der Plattenspieler nicht beiseite
gelegt, sondern sie als Schutz vor Blicken extra hochgeklappt, um mich
dahinter zu verbarrikadieren. DSL: Bitte übernehmen Sie.
Myriam Brüger, djmelanie, Berlin
„Kaum volljährig und frisch nach Bayern gezogen, war die ab 1990 im ORF
ausgestrahlte Radiosendung „Dope Beats and Tribe Vibes“ Auftakt und
Höhepunkt meines Ausgehwochenendes. Oft hörte ich sie auf der Fahrt in
den Club und verharrte bis zum letzten Ton im Autositz. Der
redaktionelle Teil beleuchtete mittels Interviews und Reportagen direkt
aus den USA zunächst die aktuellen, damals rasanten Neuerungen im HipHop
und ordnete diese auch kulturell und soziopolitisch ein, bevor zum
Finale DSL, damals im deutschsprachigen Radio wohl einzigartig, einen
durchgehenden Mix spielte. Moderationsinhalt und der sehr eigene Duktus
zwischen Slang und Feuilleton prägten mir ein, dass die
unterschiedlichen Lebensumstände dem Fan das direkte Kopieren der
US-Vorbilder verbieten. DSL unterstrich diesen Eindruck akustisch mit
einem damals schon eigenen Stil und seinem Signatur-Trick, das selbe
Stück auf beiden Plattenspielern minimal zeitversetzt zu spielen und so
einen verwaschenen Flanger-Effekt zu simulieren. Als ich DSL dann später
an unserem mittlerweile gemeinsamen Wohnort Hamburg kennen lernen und
live hören konnte, verstand ich auch, wie persönlich sein Stil und wie
musikalisch sein Leben ist; im Umgang eher bescheiden und etwas
introvertiert, aber mit einem feinen, trockenen Schmäh und unbändigem
Enthusiasmus ausgestattet, ist Stefan kein DJ, der mit seinen
meisterlichen, technischen Fähigkeiten eitel protzend Musikstücke
zerschreddert oder das Publikum mit schalem Hit-Potpourri ködert.
Sondern er zieht einen mit seiner originellen Auswahl und weichen,
fließenden Übergängen in die Strömung. Ebenso individuell vermengt er
HipHop-Kultur mit seiner anderen Leidenschaft, dem Fußball: Angefangen
mit seiner Ode an Toni Polster, später als Präsident unseres
vielköpfigen, regelmäßig im Vereinsheim spielenden DJ Kollektivs „St.
Pauli Sound Supporters“, für das er auch alle Flyer gestaltete und
dessen Banner der Steh-Fan auch bei jedem Spiel prominent in der Kurve
platzierte, bis jetzt zu den einzigartigen, zunächst aus Spaß für das
gemeinsame Schauen in relativ kleiner Freundesrunde entworfenen
Turnierplänen. Kurzum: super-leiwand DJ, ur-ur-leiwand als Typ.“
Constantin Groll, Word&Sound Vertrieb, Hamburg
„Vor fast 30 Jahren standen wir hinter dem DJ-Pult der Disko im Wiener
Volksgarten, tranken was, rauchten und lauschten der Musik, als ich
unvermittelt ohnmächtig wurde, zu Boden ging und auf dem besten Wege
war, mir den Hinterkopf volle Kanne an der Thekenkante anzuschlagen.
Glücklicherweise war Stefan geistesgegenwärtig, wie sonst auch, fing
mich heldenhaft auf – man könnte auch sagen, ich sank in seine Arme –
und rettete mich. Das hinterließ einen bleibenden Eindruck. Abgesehen
davon hat er mich musikalisch sehr beeinflusst. Er brachte mir die
Instrumentals auf den Maxis näher, deren reduzierte Beats und Grooves
waren fortan mein Ding. Und auf den New Yorker Produzent Mark The 45
King wäre ich ohne ihn auch nicht gekommen. DSL ist sehr groß, sehr
verschmitzt, sehr begabt und ich muss ihn unbedingt wieder mal auflegen
hören!“
DJ Electric Indigo, Berlin
„DSL ist der DJ, der mir die schönsten Party-Nächte geschenkt hat. Er
hat die seltene Gabe, Menschen mit Musik überglücklich zu machen – wie
oft bin ich selig im ersten Morgenlicht nach Hause gewankt! Zum
erstenmal erlebt habe ich DSL in Hamburg Ende Achtziger auf einem
Openair-Soundclash an der Elbe – damals noch mit seinem Kollegen Sugar
B, und ich erinnere mich, dass wir da schon alle unseren Augen nicht
trauten über diesen langen Lulatsch an den Plattentellern. Später im
Pudel, hat Stefan meist im Sitzen aufgelegt, weil er sonst mit dem Kopf
durch die Decke gegangen wäre, und im Laufe der Nacht dann seine
mitgebrachten Stullen ausgepackt.“
Marga Glanz, Groove City Record Store-Inhaberin, Hamburg
„Von keinem anderen Künstler sind mir im Lauf der Jahre so viele Platten
abhanden gekommen, abgeschnackt oder stibitzt worden, wie von Wiens
allerfeinstem DJ DSL. Dies beweist zweierlei: Zum einen die turmhohe
Qualität seiner Produktionen, die rechtschaffene Tänzer zu spontanen,
aber irgendwo auch ehrenhaften Ganoven werden lässt, sobald der DJ nicht
genau aufpasst: Zum anderen die latenten Beschaffungsschwierigkeiten,
die mit seinen Platten stets verbunden waren. DSL-Vinyl war schwer zu
kriegen, kleine Auflagen auf Obskuro-Labels, echte, wirkmächtige
Fetische eben, denen ich immer noch nachflenne. Immerhin habe ich noch
das von ihm designte Sankt-Pauli-T-Shirt.“
DJ Hans Nieswandt, Köln
Ich hatte gerade meine Teenagerzeit als Mod und Atrium-DJ abgestreift
und beim Wiener Plattenladen Dum Dum Records neues, Aufregendes
entdeckt, da hörte man von den Brüdern Biedermann: Stefan Biedermann
wurde zweimal in Folge DMC-Weltmeister, damit war die Legende geboren.
Danke, lieber DSL für deine Pionierarbeit!
Erdem Tunakan, Cheap Records, Wien
„Als ich Stefan das erste mal sah, stand er an einem Flipper im
legendären U4 Club in Wien. Er trug damals eine unglaublich stylische
Haarsträhne, die aus einem keck in den Nacken geschobenen Basecap
hervorquoll. Mir wurde er als der beste DJ Wiens vorgestellt. Was mir
sofort auffiel, war ein Move, den er mit seiner Hand machte, während er
den Flipper bearbeitete. In regelmäßigen Aufständen wische er seine
Fingerspitzen an seinem Hemd ab! Profimove! Dass er das auch beim
Scratchen machte, fiel mir erst später bei einem Auftritt mit den
Moreau’s auf. Ich hab mir diesen Finger-Move dann selbst angewöhnt und
mach ihn bis heute beim Auflegen!“
DJ Patrick Pulsinger, Wien
„What a Great Happiness, DSL hat es wieder getan und den ultimativen
WM-Spielplan entworfen. Das ist wohl seine größte Tat nach dem Remix von
„Happy Bear“ und seinem „Der Mond“-Remix für Rocko Schamoni. Stefan, wir
vom Hund am Hafen vermissen dich und deinen HipHop für Erwachsene sehr,
konnten aber deiner in Wien-lässt-sich-in-Schönheit-Sterben-Sehnsucht
keine Hamburgensie entgegensetzen, die dich zum Bleiben veranlasst
hätte. Ohne Dein Deejaying ist HipHop nie wieder wie vorher, nicht so
elegant und anmutig in seiner reinen Form.
Ralf Köster, Golden Pudel Club-Mitbetreiber, Hamburg
You published your first book „Love Saves The Day“ in 2003, and although there had been plenty of literature on the topic of the classic Disco era of the 70s in New York City, it still stood out. What led you to write it?
I don’t know if that much had been written. Albert Goldman’s book „Disco“ had come out in 1979 and contains a small amount of information on David Mancuso’s private party, the Loft, and the Sanctuary, the discotheque where the pioneering Francis Grasso DJed, but it’s main focus is on the midtown discotheque Studio 54. In 1997 Anthony Haden-Guest published „The Last Party“, but that was mainly about Studio 54 and was largely concerned with celebrity culture. Both had a completely difficult reading of disco to the one I developed in “Love Saves the Day”, which focused on the influence of DJs on the rise of dance culture and what came to be known as Disco. I thought they missed the underlying dynamic of what made the culture so exciting.
Is it true that „Loves Saves The Day“ originally started out as an introductory chapter of a book about House Music?
Yes, that is true. The book about House Music was supposed to start in mid-1980s Chicago and then move on to New York City and the beginnings of UK Rave culture. I was born in 1967, so for me Disco was the music I liked when I was a kid, because the music reached its commercial peak in 1977/78. By the time I was in my 20s I was ready for something completely different and that came in the form of House Music, thus the original idea for the book. But I ended up interviewing David Mancuso early into my research, even though he was a relatively unknown figure at the time, and when he suggested that the history should begin with the Loft in 1970 I asked other interviewees, including house legends Tony Humphries, Frankie Knuckles and David Morales, if they’d heard of David and the Loft. They all replied that the Loft had been a transformational experience and so I quickly came to understand that the history of underground dance culture—a culture that ended up inspiring Disco—had yet to be narrated. Initially I thought I’d write a chapter about the 1970s but by the time I’d written 500 pages I’d only reached the end of 1979, so that turned out to be a book in itself. I just became fascinated by the way in which the communication between the person selecting the records and the dancing crowd introduced an entirely different form of musicianship to the world.
This marked the beginnings of contemporary DJ culture and it amounted to a form of democratic music-making that was firmly rooted in the counterculture, or the social forces that were unfolding in the US of that era. Before the beginning the 1970s DJs were required to “kill the dance floor” with a slow song every five or six records in order to persuade dancers to buy a drink. But when Mancuso and Grasso started playing at the beginning of 1970 they played to dancers who were rooted in the culture of gay liberation, civil rights, feminism, experimentation with LSD, and the anti-war movement. Grasso was already playing at the Sanctuary in the late 1960s and told me it was quite boring, but when the Sancutary became the first public discotheque to welcome gay men onto the dance floor at the beginning of 1970 the dancing became much more energetic and Grasso decided to try to maintain the intensity by inventing the technique of mixing two records together. Mancuso, meanwhile, started to hold dance parties in his downtown loft on Valentine’s Day 1970 and gave the party the name “Love Saves the Day”, which referenced universal love and the acid trip. Rather than mix records together, Mancuso took his dancers on a transformational journey through the juxtaposition of sound.
There is a direct lineage from the early days of The Loft through to New York dane venues such as the Paradise Garage, because the Garage owner Michael Brody and his resident DJ Larry Levan were Loft regular. The influence extends to the origins of House Music, because Robert Williams attended the Loft before he opened the Warehouse in Chicago, where he employed Frankie Knuckles to DJ, and the coinage House Music first referred to the music Knuckles would play at the Warehouse. Knuckles was also a Loft regular. So in many paths led back to the Loft. Everything seemed to be connected.
Were the interviewees in „Love Saves The Day“ waiting to tell their story?
Yes, because up to then it had not really been told, even if their cultural influence in the 70s turned out to be enormous. By the time I got home after that first interview with David Mancuso word there were five messages from people he knew and who were ready to talk on my answer machine—so it seems as though he trusted me and that there was a desire for this untold story to be told. One of the messages was from the DJ Steve D’Acquisto, who introduced me to Francis Grasso, and so things unfolded from there. This all took place in 1997, so a couple of years, I believe, before Bill Brewster and Frank Broughton started to track down David and Francis for their book „Last Night A DJ Saved My Life“.
Did you feel it was important to emphasize the political aspects of Disco?
I would say they emphasised themselves because Disco was so obviously political. The backlash against Disco peaked with the Disco Demolition night at a baseball game in Chicago’s Comiskey Park on July 12th 1979, where a local radio DJ asked the audience to bring Disco records and then blew them up in the middle of the baseball double-header. It amounted to a Mid-Western backlash against the multicultural and polysexual coalition that underpinned disco culture and I’ve argued that in many respects we can track the rise of Donald Trump (and before him Ronald Reagan) to this moment. Disco became one of the first scapegoats for the decline of industrial culture in the United States and Trump appealed to the same disenfranchised and discontented demographic. I’m always interested in the correlation between music scenes and the wider culture in which they occur. So “Love Saves the Day” was about more than Disco, even if Disco was one of its central concerns. It’s important to remember that Disco music didn’t emerge as a genre until 1974, so the first for years of the book analyse a period when the culture was fermenting but didn’t have a name or a settled sound. It’s also important to note the version of disco depicted in „Saturday Night Fever“ had very little to do with the kind of culture that was still taking place in downtown New York, and by the end of 1978 downtown DJs were also becoming tired of commercial disco. The quality of the music had declined and it was time for something new. But the downtown expression of the culture survived the backlash. Read the rest of this entry »
Als Dein erstes Buch Loves Saves The Day erschien, gab es schon mehrere Bücher über die klassische Ära Disco-Musik der 70er in New York, aber es stach hervor. Was bewog Dich, es zu schreiben?
Disco von Albert Goldman erschien 1979, aber es handelte vornehmlich vom Club Studio 54. Es gab darin eine ziemlich rassistische Referenz über David Mancusos Club The Loft und flüchtige Erwähnungen eines weiteren DJ-Pioniers, Francis Grasso. Zudem schrieb Anthony Haden-Guest The Last Party, aber darin ging es auch hauptsächlich um das Studio 54 und deren Celebrity-Kultur. Beide hatten ein anderes Interesse an Nightlife-Kultur, und das hatte nichts mit DJs zu tun, und ich dachte, dass sie an der eigentlichen Dynamik vorbeigingen, die Partys so interessant macht.
Stimmt es, dass Loves Saves The Day ursprünglich als Einleitungskapitel eines Buches über House-Musik gedacht war?
Ja, das stimmt. Das Buch über House sollte in Chicago Mitte der 80er einsetzen und dann zum New York der späten 80er übergehen, und von dort zu den Anfängen der englischen Rave-Kultur. Ich bin 1967 geboren, für mich war Disco also Musik, die ich zu ihrem Gipfel 1977/78 als Kind gemocht hatte. Als ich wirklich anfing, mich für Musik zu interessieren ging ich aus und interessierte mich für House. Aber ich interviewte für das Projekt DJs wie Tony Humphries, Frankie Knuckles, oder David Morales, und sie alle erwähnten einen anderen DJ als großen Einfluss, und das war David Mancuso. Also traf ich mich mit ihm und er riet mir, nicht nur mit Disco anzufangen, sondern mit der Zeit davor, den frühen 70ern. Zuerst behagte mir die Idee nicht, aber als Journalist erkannte ich, dass da eine Story war. Und es ist auch wichtiger Teil von Nachforschungen, den Ursprüngen nachzuspüren, und ich sah mich immer zwischen dem Journalismus und dem akademischen Betrieb. Also vergrub ich mich in das Thema für die Einleitung, und 500 Seiten später war ich im Jahr 1979 angelangt, und beendete ein völlig anderes Buch. Ich erkannte sehr früh, dass die wichtigste Entwicklung in dieser Kultur stattfand, als die Kommunikation zwischen DJ und tanzendem Publikum einen völlig neuen Umgang mit der Musik einführte. Und es war auch Teil der Gegenkultur, eng mit den sozialen Kräften verbunden, die in den USA dieser Ära am Werk waren: die Schwulenbewegung, Bürger- und Frauenrechte, LSD-Experimente, und die Anti-Kriegsbewegung.
Hatten die Interviewten des Buches schon darauf gewartet, ihre Geschichte erzählen zu können?
Ja, denn bis dahin wurde ihre Geschichte nicht wirklich erzählt, auch wenn ihr kultureller Einfluss in den 70ern enorm war. Als ich nach dem ersten Interview mit David Mancuso nach Hause kam, hatte sich schnell herumgesprochen, dass man mir trauen konnte, und ich hatte einige Nachrichten von seinen Freunden auf dem Band, unter anderem vom DJ Steve D’Acquisto, der mich wiederum Francis Grasso vorstellte, und dann ging es von dort weiter. Das alles geschah ab 1997, bevor einige von ihnen mit Bill Brewster und Frank Broughton für ihr Buch Last Night A DJ Saved My Life sprachen. Als Mancuso und Grasso Anfang der 70er anfingen aufzulegen, gab es einen demografischen Wandel auf den Tanzflächen, und beide legten den Grundstein für das, was wir heute unter DJ-Kultur verstehen. Grasso war z. B. der Stamm-DJ des Sanctuary, das bis Ende der 60er eine heterosexuelle Diskothek war, und dann die erste, die Schwule einließ. In den 60ern musste der DJ ab und zu die Tanzfläche abwürgen, damit die Bar ihren Umsatz machen konnte. Aber dann wurde irgendwann so frenetisch getanzt, dass Grasso diese Intensität hochhalten wollte, und dafür erfand er die Technik des Mixens von zwei Platten. Die Herangehensweise von Mancuso war hingegen, als musikalischer Gastgeber einer Privatveranstaltung zu fungieren, in seinem eigenen Loft, ausgestattet mit einer hochwertigen Hifi-Anlage, und seine Gäste auf eine musikalische Reise zu schicken. Und seine erste Party fand am Valentinstag 1970 statt, unter dem Motto „Love Saves The Day“. Es führt eine direkte Linie vom frühen Loft zu anderen New Yorker Clubs wie der Paradise Garage, deren Besitzer Michael Brody und Stamm-DJ Larry Levan regelmäßige Gäste waren. Auch Robert Williams ging dorthin, was ihn dazu bewog, das Warehouse in Chicago zu eröffnen, in dem Frankie Knuckles als DJ die Grundfesten von House errichtete. Alle Wege führten zurück zum Loft, es war alles verbunden.
War es Dir ein Anliegen, die politischen Aspekte von Disco hervorzuheben?
Absolut. Die Reaktion gegen Disco fand ihren Höhepunkt in der Disco Demolition Night bei einem Baseball-Match im Comiskey Park-Stadion in Chicago am 12. Juli 1979. Ein lokaler Radio-DJ hatte dazu aufgefordert, Disco-Platten mitzubringen und jagte sie dann zwischen zwei Spielen in die Luft. Es war eine Gegenreaktion im Mittleren Westen. Ich würde argumentieren, dass die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten dort begann. Es ist die gleiche Zusammensetzung und Grundstimmung einer Bevölkerungsgruppe, die sich sich ökonomisch abgehängt fühlte, und Disco-Kultur wurde zum Sündenbock für den Verfall der Industrie. Ich interessiere mich immer für die Korrelation zwischen einer Mikrokultur und der Makrokultur, in der sie erfahren wird. In diesem Buch ging es um mehr als nur Disco. Disco-Musik definiert als solche gab es erst ab 1974, es gab also schon vier Jahre davor, in denen all diese Entwicklungen stattfanden.
Hattest Du während des Schreibens den Musiker Arthur Russell schon als Schlüsselfigur ausgemacht, an dem sich die Verbindungen dieser Entwicklungen aufzeigen ließen? Er wurde dann ja der Mittelpunkt Deines nächsten Buches Hold On To Your Dreams.
Definitiv. Während der Gegenreaktion wurde es offensichtlich, dass sich die Disco-Szene, wie sie im Film Saturday Night Fever dargestellt wurde, weit von ihren Ursprüngen entfernt hatte. Sie explodierte zu einem Lebensstil, und selbst Disco DJs hatten es satt. Die Qualität der Musik hatte stark abgenommen und es war an der Zeit für etwas Neues. Steve D’Acquisto stand Arthur Russell sehr nahe und schlug mir vor, ein Buch über ihn zu schreiben. Mir wurde klar, dass ich nicht wie automatisiert Chronologie und Themen abarbeiten wollte. Mein Lektor war zuerst besorgt, dass sich nicht genug Leute für Russell interessieren würden, denn seine Musik wurde zwar noch gespielt und gehört, aber nach seinem Tod 1992 verschwand er als Person aus der öffentlichen Wahrnehmung. Aber 2003 schrieb David Toop einen langen Text über ihn in der Zeitschrift Wire, da zwei posthume Veröffentlichungen bevorstanden, und das Interesse lebte wieder auf und machte das Buch möglich. Natürlich war er ein interessante Person, aber ich hatte mich nie wirklich für die Gattung der Biografie interessiert. Ich interessiere mich für Szenen, die nach dem Mitwirkungsprinzip funktionieren. Arthur Russell hatte sich aber immer für Kollaborationen begeistern können, und die sozialen Erfahrungen, die durch Musik ermöglicht werden, und er war von sich aus offen für verschiedene Arten von Musik. Daher wurde er zu dieser Schlüsselfigur, die sich durch verschiedene Szenen von Downtown New York bewegte, wie etwa Orchestrale Musik, Punk, dann Disco und Hip Hop sowie Folk und Dub. Und er bewegte sich nicht der Reihe nach, und wechselte eine Szene durch eine andere aus, er machte es ohne Priorisierung und ohne hierarchisches Denken. Er wollte, dass die Szenen eine simultane Konversation haben, und er war sehr mobil. Read the rest of this entry »
Ich interessiere mich schon seit Jahren nicht mehr sonderlich für Bands. Manchmal lese ich über irgendwelche Hoffnungsträger in irgendeiner dieser für Bands zuständigen Fachzeitschriften und mache einen unmotivierten YouTube-Test, und das führt dann fast immer dazu, dass ich mich weiterhin nicht mehr sonderlich für Bands interessiere. Als mir ein guter Freund vor einiger Zeit die Sleaford Mods als momentan beste Band der Welt empfahl, war ich dementsprechend skeptisch, lag aber komplett falsch. Die Sleaford Mods sind tatsächlich die momentan beste Band der Welt.
Jason Williamson, der das Projekt 2006 ins Leben rief, kann mit Bands prinzipiell auch nicht sonderlich viel anfangen. Wohl deswegen waren die Sleaford Mods eine Weile nur er selbst, dann traf er auf Andrew Fearn, und es wurde ein Duo. „I used to be in bands, fuckin hated it“, lautet die einzige Info auf der Bandcamp-Seite. Die ersten vier zwischen 2007 und 2011 nur auf Cdr erschienenen Alben waren dort bis vor kurzem noch als Download erhältlich, jetzt sind es nur noch die zwei Alben mit Fearn danach. Warum das so ist, liegt vorerst im Dunkeln. Vermutlich war Williamson erst mit den späteren Songs richtig zufrieden, es lungern offizielle Reissues auf ihren Einsatz, oder es gab die Erkenntnis, dass der rasch fortschreitende Bekanntheitsgrad mit heftigen Copyright-Klagen einhergehen könnte, denn aus der Not des Einzelkämpfers heraus bestand das Anfangswerk aus einem wilden Wust von Samples, querbeet der Northern Soul-, R&B, Beat-, Rocksteady-, Hip Hop- und Punkgeschichte wegzitiert, und das nicht in der obskuren Variante. „No samples cleared, bastards are loaded anyway“, lautete eine diesbezügliche Info zu einem vorerst verschwundenen Frühwerk, und mit diesem Duktus muss man schon klarkommen können, wenn man sich für die Sleaford Mods interessiert, denn er läuft quasi nonstop. Gerne werden Williamsons rotzige Schimpfkanonaden mit großen sozialrealistischen Grantlern der englischen Musikgeschichte wie John Cooper Clarke und Mark E Smith verglichen, noch kürzer gegriffen mit Mike Skinner, wohl auch wegen dessen entspanntem Verhältnis zur Musikalität von Beats, aber stets bleibt die Erkenntnis, dass Williamson seine eigene Liga ist. Der Mann hatte offensichtlich eine sehr lange Zeit viele Probleme, und man hofft fast, dass der aufgestaute Frust noch reicht, wenn er nicht mehr so viele hat. Bis dahin hasst er alles und jeden, und das mit Recht. Und sein Fluss von schmerzhaften Beobachtungen und wüsten Beschimpfungen ist so beeindruckend treffend, dass man ihm unbedingt zustimmen muss. Wahrscheinlich gibt es noch viel mehr Idioten und Idiotie da draußen, schon allein deswegen ist er unverzichtbar. Und die Musik ist es auch, ein Musterbeispiel an Kongenialität. Anfangs bestach der Sound der Sleaford Mods dadurch, dass nur die besten Elemente relevanter Meilensteine als Loops isoliert wurden, und dadurch fast noch relevanter klangen, und darunter durchweg primitive, aber immer passende Beats. Andrew Fearn hat diese Idee noch effizienter gemacht, außer einer mickrigen Beatbox, postpunkigen Basslines und ein paar ausgewählt beiläufigen, aber immer zwingenden Sound-Irrlichtern lenkt jetzt noch weniger von Williamson ab, und trotzdem könnte man sich keinen Song anders vorstellen als er geworden ist. Auf der Bühne setzen sie das ebenso konsequent um. Im Hintergrund Fearn, der einen Laptop vor sich hat, sich aber die meiste Zeit höchstens damit beschäftigt, wie der Kumpel auszusehen, den der Sänger damals auf dem Arbeitsamt kennengelernt hat, und seitdem immer auf die Konzerte mitnimmt. Der komplett referenzbefreite Billo-Fly Boy-Look, mit markenloser Jogginghose, albernen T-Shirts, schlechten Kappen und schlechter Rasur, und immer ein Dosenbier in der Kralle und eine Fluppe im Maul, verantwortlich für den authentischen wenig frische Luft-Teint, merkwürdige Gesichtsausdrücke und sehr ungelenke und unmotivierte Dance-Moves. Williamson auch ein Getränk am Mann, teils zum Schmieren der im Dauereinsatz geforderten Stimmbänder, teils weil es eben auch sein muss. Er ist respekteinflößend charismatisch und eine coole Sau, und niemand wird es je wagen, ihn zu unterbrechen. Sein Aussehen und seine Kleidung verraten den Mod-Part in der Zusammensetzung, aber in der sehr beiläufigen Ausprägung, ein paar Insignien reichen, man nennt sich schließlich nicht die Chelsea Mods, und man hat zu viel Verstand, zu wenig Kohle und immer noch genug Working Class-Stolz um The Face sein zu wollen. Es ist fast ein bisschen rätselhaft, wie die beiden es hinkriegen, so dermaßen gut so viele Subkulturen auf einmal zu sein, sowohl textlich, musikalisch und äußerlich, aber sie kriegen es hin.
Die vielen, nicht sonderlich interessanten Bands müssen die momentan beste Band der Welt so sehr hassen, wie diese den Rest der Welt.
Ein Platten-Label, das in der internationalen House-Szene wohl am schmerzlichsten vermisst wurde, kehrt diesen Sommer zurück: Dance Mania.
Als der Betreiber Ray Barney 1999, von Steuerproblemen und strukturellem Wandel in der Musikwirtschaft geplagt, das Geschäft auf Eis legte, war nicht abzusehen, in welchem Ausmaß das Label aus Chicago auch ohne weitere Veröffentlichungen florieren würde. Von 1985 bis dahin waren immerhin fast dreihundert Veröffentlichungen zusammengekommen, eine für die schnelllebige Clubkultur schon bemerkenswerte Taktung. Und doch schrumpften die Bestände in den Plattenläden über die Jahre immer mehr zusammen, bis nur noch wenige Exemplare aus Lagerfunden übrigblieben, hochgepreist auf Sammler-Niveau. Die gesuchtesten Titel des Backkatalogs hingegen schraubten sich auf dem Gebrauchtmarkt bis auf dreistellige Beträge hoch, und so war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die Gründungsmitglieder davon Notiz nehmen würden, dass sich das Geschäft wieder ausreichend lohnen könnte.
Denn das Geschäft war vor allem bei Chicago House immer ein entscheidender Faktor. Rocky Jones von D.J. International und Larry Sherman von Trax Records, den maßgeblichen Labels der House-Gründertage, waren Businesstypen von fast schon legendärer Zwielichtigkeit, und auch ihre zahlreichen, mit Knüppelverträgen ausgebeuteten Künstler kommen in Interviews mit größter Wahrscheinlichkeit an den Punkt, an dem es eher darum geht, für die Musik angemessen bezahlt, als angemessen künstlerisch gewürdigt zu werden. Auch bei Dance Mania wurde nach einer gnadenlosen Kosten-Nutzen-Rechnung gewirtschaftet. Der Sound der dort veröffentlichenden Produzenten war schon billig genug, kaum jemand konnte sich hochwertiges Equipment leisten und so manche Genre-Klassiker wurden auf geliehenen Geräten zustande gebracht. Doch man war jung, sprudelte vor Ideen, und man konnte es gleich um die Tat umsetzen, denn auch Dance Mania presste nahezu alles was von den lokalen Talenten angeliefert wurde. Und das natürlich möglichst ökonomisch. Altes Vinyl wurde in den Presswerken recycelt, und man kann die vorher darauf enthaltene Musik irritierenderweise in leisen Stellen noch heraushören. Man sieht auf den Rillen Zeitungspapier, oder sonstwie rätselhafte Krümelreste, viele Platten sind flattrig, und haben regelrechte Kerben am Außenrand. Und der Cut aus dem Mastering-Studio klingt bei einem Großteil der Platten so mumpfig, als hätte der Engineer begeistert ein Dolby-Verfahren benutzt, was schon in der frühsten Beta-Phase verworfen wurde. Kurzum, Dance Mania-Platten sind nichts für audiophil veranlagte Hörer, und so mancher ist schon bei dem Gedanken verzweifelt, welche Wirkung die Musik hätte entfalten können, wenn sie einfach besser klingen würde.
Aber genau das ist natürlich, was die Magie des Label-Repertoires ausmacht. Schon in den ersten Jahren erschienen Ausnahmeplatten von wichtigen Pionieren der House-Geschichte wie Marshall Jefferson („7 Ways“), Lil Louis („Frequency“) und Farley Jackmaster Funk (House Nation“), und obwohl man wie die anderen Chicagoer Labels sämtliche Phasen nach der ersten Blütezeit durchlief, zuerst Acid House, dann Vocal- und Hip House, es gab immer diese Tracks, die sich etwas weiter voran wagten als das Restgeschehen. Und als dann die Konkurrenz den Level der ersten Erfolge mit kommerzielleren Stücken erzwingen wollte, ging man bei Dance Mania den entgegengesetzten Weg, und wurde radikaler. Ausgehend von den reinen Rhythmus-Tools in den Sets legendärer DJs wie Ron Hardy oder dem Hot Mix 5-Team des Radiosenders WBMX, entschlackte man jeglichen Ballast bis auf das Basisgerüst, den Track. 1990 erschien „Armani Trax“ von Robert Armani und bestand nur noch aus einem Beat, Handclaps und einem sich stetig wiederholenden schabenden, metallischen Geräusch. Dennoch erzielt das Stück nur mit diesen minimalen Mitteln eine beeindruckende Sogwirkung, und der dazugehörige Erfolg machte schnell Schule. Nicht nur in den lokalen Clubs, sondern auch für die schnell wachsende Techno-Szene Europas waren die rauen Tracks aus Chicago von u.a. DJ Rush, Parris Mitchell oder Glenn Underground eine willkommene Alternative. Von ihrer oft fragwürdigen Klangqualität abgesehen waren sie das perfekte Werkzeug, dynamisch, punktgenau und bedingungslos effizient. Ob alleinstehend in ihrer ganzen ausgefuchsten Reduktion, oder im Mix als Unterstützung von auswärtigen Stücken mit mehr Arrangements, aber weniger Energie. Ab 1994 erhielt diese Mischung aus Beats und wenigen, markanten Tonsignalen eine neue Bedeutung durch die Zufuhr von Elementen aus dem Gangster-Bereich des Hip Hop, und wurde zu Ghetto House. Schon vorher waren Dance Mania-Platten gerne explizit, aber Produzenten wie DJ Funk, DJ Deeon oder Jammin’ Gerald trieben es auf die Spitze. Das Tempo wurde weiter erhöht und wenn man Fotos aus den Clubs in Chicago aus jener Zeit betrachtet, wird schnell klar, dass sich der rasant hochpegelnde Sexual Content vor allem an die Mädels richtete, die auf der Tanzfläche die komplette Sau rauslassen. Denn Tanzen zu dieser Musik war eine zutiefst physische Angelegenheit und wurde mit größter Hingabe betrieben. Und auch wenn man ein mehrstündiges DJ-Set nur mit Tracks bestreiten konnte, in denen man von einer herrischen Stimme aufgefordert wurde, irgendein Körperteil zu whippen oder zu worken, oder beides, die Musik war eine Dienstleistung unter extremer Belastung, die von den Künstlern sehr ernst genommen wurde.
Nach einigen Jahren, in denen sich dieser Sound wie geschnitten Brot verkaufte, ging es wieder zurück in den Untergrund, und nach der Pleite des Labels entwickelte es sich zu Phänomenen wie Juke oder Footwork, welche noch schneller aber rhythmisch vertrackter waren, und daher mit offenen Armen in der UK-Bass-Szene aufgenommen wurden. Und wie so oft wenn etwas aufgegriffen wird, besinnt man sich auf die Ursprünge, und der Funke springt in alle Richtungen. Schon bald hörte man die Dance Mania-Prototypen nicht nur in aktuellen Produktionen wieder, sondern auch im direktem Einsatz in der DJ-Kanzel, sei es in Kombination mit neueren Tendenzen oder in nostalgischer Reinkultur.
Natürlich ist es bezeichnend, dass der elektronischen Musik nach all den Jahren was zu fehlen scheint, das die Reaktivierung von Dance Mania immer noch bieten kann, aber schön ist es allemal. Und diesmal klingen die Platten besser, und jeder wird bezahlt.
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