Suicide – Dream Baby Dream (Island)

Posted: June 3rd, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

Die Jugend jeder Generation hat ein grundsätzliches Anrecht darauf, mit billigen Synthezisern und einer fragwürdig ernährten, aber hip aussehenden Rampensau exaltiert auf der Bühne herum zu zicken. Das ist schon seit Dekaden so, und besonders die Verhaltens- und Klangcodes vom Post Punk der 70er sind bis zu den heutigen Ausläufern weitergereicht worden. Sehr zum Leidwesen der nachfolgenden Epigonen gab es aber schon in den Anfangstagen dieser Ära Suicide, bei denen die heile Diner-Jugendkultur von „American Graffiti“ auf die kranke Welt der Lower East Side zu treffen schien, mit allen dazugehörig potenzierten Landestraumata und Billigstdrogen. Natürlich war das im Prinzip Rock ‚n’ Roll, aber die Musik war bis auf die Grundfesten monotonisiert und automatisiert, und von der üblichen Bandstruktur war nur noch Martin Rev übrig, der kaputte Sequenzen und Stakkatobeats zu Tracks zusammenfeuerte, die in ihrer eintönigen Souveränität schon verstörend genug waren. Aber dann war da ja noch Alan Vega, der es schaffte, sämtliche Rollenmuster und Interpretationstraditionen der an Vorgängern noch überschaubaren Popgeschichte von ungefähr Jerry Lee Lewis bis Lou Reed bis an den Rand der Erträglichkeit zu intensivieren. Ein einziges Gestöhne, Geheul und Gewimmer, von allem zuviel und alles gleichzeitig. Somit ergab sich bei Suicide ein mit nichts vergleichbares Gesamtpaket äußerster Konsequenz und Wahrhaftigkeit zwischen unverhohlen fieser Aggressivität und ziemlich ähnlich gelagerter Leidenschaft, mit dem man sich besser nicht anlegen sollte. Bei „Radiation“ von dieser 12“ von 1979 sind diese Grundzüge alle im Schwung, Vega dekliniert sich halluzinierend zwischen den apokalyptischen Reitern und den archetypischen Mamas hindurch, dazu eine sägende Bassschlaufe, ein paar Dubschlinger und simpelste Casiobeats. „Dream Baby Dream“ hingegen demonstrierte, dass der Speed-Minimalismus von Suicide auch in Pop von berückender Schönheit ausarten konnte, man musste ihn lediglich um ein taumelndes Glockenspiel und eine sehr eingängige Melodieschlaufe ergänzen, dazu Vega ein paar Zeilen über die ewige Blumenkraft der Träume delirieren lassen, und alles so bedingungslos und undistanziert wie alles andere von ihnen davor auch. Vorher hatten sie schon Techno in der Vorbereitung, und nun auch noch den Popappeal desselben gleich mit dazu. Solche Visionen mögen sie für den Rest ihrer Karriere nicht aufrechterhalten haben, aber sie wurden seitdem in zahllosen Nachversuchen ungleich banaler verarbeitet, in der ganzen tristen Überladung von albernen Klamotten, flatterigen Slogans und lächerlichen Haltungen, die man seit Sigue Sigue Sputnik erdulden musste (und die waren vergleichsweise super).

De:Bug online 06/09