Terrence Dixon – From The Far Future Part. 2

Posted: October 10th, 2012 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , | No Comments »

Terrence Dixon war in der Geschichte von Detroit Techno schon immer ein Produzent, auf den man eher zufällig aufmerksam wird. Es ist etwas rätselhaft warum jemand, der seit 1994 unter eigenem Namen und lediglich einem Pseudonym (Population One) stetig und gleichbleibend herausragend veröffentlicht, dennoch mit diesem Außenseiter- und Spezialistenthema-Status geschlagen ist. Wer einmal auf seine Musik gestoßen ist, bleibt meistens überzeugter Fan, aber man muss eben erst darauf stoßen. Und im Gegensatz zu vielen anderen Weggefährten aus seiner geschichtsträchtigen Techno-Metropole wird ihm dabei von den Medien erheblich weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Es mag daran liegen, dass er als DJ kaum herumreist um seine Stellung zu sichern bzw. zu erweitern. Es mag auch daran liegen, dass er als Produzent durchaus eine signifikante eigene Handschrift hat, diese aber auf diverse Stilarten elektronischer Musik verteilt. Es mag letztlich auch daran liegen, dass er nicht zur rechten Zeit ein eigenes Label am Start hatte, um die Detroit-Fangemeinde an sich zu binden. Stattdessen verstreute er seinen Output auf diverse Labels und machte einfach weiter. „From The Far Future (Part Two)“ ist nun eine Fortsetzung seines 2000 an gleicher Stelle erschienenen Albums, und im Vergleich zu den diesjährigen Alben der ungleich präsenteren Detroiter Jeff Mills und Robert Hood steht es nicht minder persönlich da, und auch nicht minder großartig. Von beiden hat er offensichtlich seine musikalischen Lehren gezogen, aber es liegt ihm weder an einem Requiem für seine Heimatstadt, noch will er alles Irdische hinter sich lassen, oder seine Tracks einem strengen Konzept unterwerfen. Vielmehr finden klassischer Minimal- und Dub Techno, verschrobener Deep House und auch Jazz in dunkler und psychedelischer Ausprägung zusammen, und bilden, wie so oft bei Dixon, trotzdem ein verblüffend kohärentes Gesamtbild, das gehörig auf den Trip geht. In jedem Track driften die Teile auseinander und wieder zusammen, alles dreht sich, trudelt, und dennoch ist alles verdichtet, packend voran, und immer den entscheidenden Twist vorbei an der Konvention. Nachtfahrt durch Motor City mal wieder, aber andere Route.

Spex 11/12


Terre Thaemlitz – Soulnessless

Posted: June 14th, 2012 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , | 1 Comment »

Es muss Terre Thaemlitz schon sehr irritiert haben, welche übergreifende Zustimmung vor drei Jahren dem als DJ Sprinkles veröffentlichten Album „Midtown 120 Blues“ entgegenschlug. Es war bei weitem nicht das erste Mal, dass in seinem/ihrem Schaffen beeindruckende House-Tracks erschienen, die durch und durch mit Subtexten aus dem von ihr/ihm seit den frühen 90er Jahren entschlossen verfolgten Themenspektrum versetzt waren. In der Wahrnehmung seiner/ihrer Arbeit war es inhaltlich ein weiterer Aspekt, musikalisch eine weitere Bestätigung. Aber House hatte zu dieser Zeit vielleicht noch weniger über den Tanzflächenrand hinweg zu sagen als zuvor, und klang auch über weite Strecken ziemlich ausgelaugt, sodass hier für viele plötzlich auf mehreren Ebenen die Ausnahme erschien, die die Regeln in Frage stellt. Nur haben sich die Regeln durch diese Episode keineswegs geändert, und Thaemlitz lag wohl nichts ferner, als sich als der ulkige Querulant mit den feinen Tunes mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Ganz im Gegenteil, als sich die Aufmerksamkeit auf ihre/seine Clubkultur-Interessen richtete, sowieso nur ein Ausschnitt ihrer/seiner Musik, war „Soulnessless“ schon längst in Arbeit. Und dieses nun endlich fertiggestellte Unterfangen geht weit über die Mühen hinaus, die er/sie sich ohnehin schon seit Jahren macht. Schon das „Dead Stock Archive“ von 2009, eine im Eigenvertrieb erhältliche Compilation sämtlicher ihrer/seiner musikalischen Aktivitäten auf 2 DVDs, war eine deutliche Absage an die digitalen Musikplattformen, mit deren Gesetzmäßigkeiten und Rechtsverletzungen sich Thaemlitz seit einiger Zeit herumplagen musste. „Soulnessless“ bündelt nun diese Kritik in einem gewaltigen künstlerischen Komplex. Das Album erscheint in Form einer MicroSD-Karte samt kleinem Booklet. Auf der musikalischen Ebene gibt es fünf elektroakustische, mit unzähligen Tondokumenten verwobene Cantos plus Bonusmaterial, in deren Zentrum ein knapp über dreißigstündiges Pianosolo steht. Ergänzend dazu aufwendig gestaltete Videoclips und Texte in 10 Sprachen. Die inhaltliche Ebene fasst Thaemlitz auf seiner/ihrer Webseite aufs Kürzeste als den Versuch einer Dekonstruktion von „Soul Music“ aus einer non-spirituellen und anti-religiösen Perspektive zusammen, der er sich über die prekären Zusammenstöße von „gender, electronic audio production and spirituality“ annähert. Und beide Ebenen greifen beim Hören, Lesen und Sehen derart intensiv ineinander, dass man angesichts dieser immensen Fülle von Eindrücken fast kapitulieren muss, aber nie will. Konzeptuelle Arbeiten anderer Künstler erscheinen im Vergleich unweigerlich fast lächerlich, was weniger mit der Superlativ-Quantität dieses Materials zu tun hat, sondern mit der Akribie und Konsequenz, mit der ein Superlativ-Erlebnis erreicht wird. Und der Dancefloor? Dem wird das Ungetüm in zwei begleitenden Vinyl-EPs samt House-Remixes untergejubelt. Und wie macht man nach so etwas weiter? Ich mache mir nicht die geringsten Sorgen.

Spex 07/08 2012