Credit To The Edit

Posted: June 23rd, 2011 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , | No Comments »

Credit To The Edit

Noch lange nach dem offiziellen Niedergang zog sich das Erbe der Disco-Ära mehr oder weniger latent durch das jeweils aktuelle Clubmusik-Geschehen, aber in den letzten Jahren nahm die Auseinandersetzung mit dem Thema neue Formen an. Damit einhergehend meldete sich eine Form der Musikbearbeitung zurück, die schon abgelegt schien: der Edit. Wo zur klassischen Phase des Edits noch DJs und Produzenten zu Schere und Klebeband griffen, um individuelle Versionen für Club-Sets maßzuschneidern, führten die fortschreitenden technischen Erleichterungen in der Musikproduktion zu einer Flut von Edits bekannter oder obskurer Titel. Es war nun geradezu üblich, sich erst mit ein paar editierten Fremdkompositionen schwankenden Mehrwerts einen Namen zu machen, und sich dann allmählich als eigenständiger Künstler zu etablieren. Je mehr Disco sich in die breite öffentliche Wahrnehmung zurückmeldete, desto weiter drifteten die Lager derer auseinander, die Disco in immer entlegenere, spezialisiertere Winkel erforschen wollten, und derer, die Disco einfach mehr Popularität wünschen. Aber beide Lager machten für ihre Zwecke zahllose Edits. Bis dahin wurde jedoch schon ein ganz schön langer Weg zurückgelegt.

Ab Mitte der 70er Jahre war die Bandmaschine fester Bestandteil der Setups von Studio und DJ-Kanzel. Schon 1974 nahm der New Yorker DJ John Addison damit seine Sets im Club auf, und ungefähr zur gleichen Zeit verbrachte Tom Moulton, frustriert von den damals noch gängigen Fade-outs und Pausen auf der Tanzfläche, etliche Arbeitsstunden damit, Tapes für den Club Sandpiper auf der Schwulen-Enklave Fire Island zusammenzuschneiden, auf denen die Songs ineinander übergingen. Der Arbeitsaufwand, die Methodik und das Arbeitsgerät dabei waren mit dem Cutter beim Film vergleichbar, und man brauchte eine Menge Geduld und ein fein abgestimmtes Ohr dafür, die Parts der Musik harmonisch und punktgenau zu trennen und an anderer Stelle wieder zusammenzufügen. Moulton war somit nicht nur ein Pionier der Mix-Compilation, er führte 1976 auch die 12“ in die Clubkultur ein, als er eine verlängerte Version von Moment Of Truths „So Much For Love“ für das Format anfertigte (seine Glanztaten als Mixer würden diesen Rahmen sprengen). Moulton war jedoch nie DJ, wohingegen der legendäre Walter Gibbons, der sich mit ihm anhand seiner Version von Double Exposures „Ten Percent“ die Verdienste um die erste 12“ teilte, seine Erfahrungen als Ausnahmetalent in der Kanzel in seine Edits einfließen ließ. Die Mixe, die er im Club machte, indem er bestimmte Parts von Songs am Mischpult ausdehnte und wiederholte und ihnen somit eine völlig neue Dramaturgie und Dynamik verlieh, bannte er bald auf Tonbänder und Acetat-Pressungen, um sich die Arbeit im Club zu erleichtern. Und in Zeiten, in denen der DJ pro Nacht viele Stunden am Stück zu arbeiten hatte, war das ein ernstzunehmendes Kriterium. Die Umstrukturierung eines Stückes mittels Editieren war demzufolge schon von Beginn auch durch Funktionalität definiert, gleichermaßen das Erlebnis auf der Tanzfläche betreffend, als auch das Wirken des DJ, der für das Erlebnis sorgt. Schnell wurde aus der tanzbareren Alternative zum Originalversion der Standard, und ein DJ ohne signifikante eigene Edits war kaum noch konkurrenzfähig. Anfang der 80er, nach dem klassischen Disco-Boom, wurde dieses Gewinnerteam nicht ausgewechselt, sondern weiterentwickelt. In New York zogen Studio-Asse wie François Kevorkian oder Shep Pettibone wegweisende Lehren aus den frühen Tagen des Edits, und arbeiteten ihr Ausgangsmaterial von Underground bis Pop zu kaum noch wiedererkennbaren Versionen um. Gleichzeitig sorgte die etwas jüngere Generation, am prominentesten vertreten durch die Latin Rascals und Mr. K alias Danny Krivit, dafür, dass einerseits die Tradition neu erblühte, andererseits den Anschluss an neue Sounds fand, und von England aus kümmerte sich Greg Wilson darum, dass die Kunst des Edits von England aus auch in Europa um sich griff. In Chicago rumorte wenig später bereits das Phänomen House, das maßgeblich von den dort tätigen DJs Frankie Knuckles und Ron Hardy auf den Weg gebracht wurde, wobei auch ihre Edits eine gewichtige Rolle spielten, vor allem die radikalen Dekonstruktionen, mit denen Ron Hardy seine favorisierten Tracks behandelte.

Als House dann ab Ende der 80er seinen Siegeszug antrat, wurde der klassische Edit vom Sampling verdrängt und geriet aus dem Blickpunkt. Nicht nur das mühselige Arbeiten mit Tapes war schon längst Vergangenheit, man konnte mit Sampler und Sequenzer wesentlich schneller vorgehen, und oft war eine gezielte Referenz wichtiger als eine sorgfältig arrangierte Neubearbeitung. Aber schon in den 90ern wurden diese Referenzen wieder nostalgischer, und man erinnerte sich daran zurück, dass eine eingehende Beschäftigung mit prägnanten Einzelparts einem Track zu neuem Glanz verhelfen konnte. Dieser Glanz färbte auf die liebevollen Edits ab, die DJ Harvey und Gerry Rooney auf Black Cock veröffentlichten, und zog sich von den Dub-Exkursionen der Idjut Boys, den Respektbekundungen Ashley Beedles, der Expertise von Joey Negro und Dimitri from Paris bis hin zur Experimentierfreude Theo Parrishs und der verantwortungsbewussten Archäologie von Morgan Geist.

Viele der genannten Protagonisten bestimmen auch die Renaissance des Edits in den letzten Jahren. Auch sie bedienen sich dabei der Neuerungen, die die Herstellung eines Edits wesentlich vereinfacht haben. Tonbänder sind jetzt Files, Schnitt- und Mischpulte sind Produktionssoftware, und das Studio ist im Laptop. Der Weg vom Original bis zum Edit hat sich auch vor dem Hintergrund virtueller Distributionswege derart verkürzt, dass vom Flohmarktfund bis zum Release theoretisch nur wenig Zeit vergehen muss. Damit geht aber leider oft eine Bootlegger-Mentalität einher, die sich nur noch rudimentär um die Qualitäten und Lizenzrechte von Basismaterial schert, und die Auswahl der Musik beschränkt sich nur zu häufig auf Distinktion durch Obskurität und Verfügbarkeit. Tracks werden dann nicht mehr individuell interpretiert, sondern nach den Convenience-Geboten modernen Auflegens zwangsbegradigt. Kickdrum schlägt Schlagzeuger, Arrangement schlägt Neuarrangement. Natürlich gibt es genug Produzenten, die, dem Grundgedanken der Edit-Klassiker gemäß, einen Track so auseinander- und wiederzusammenbauen, dass ein Mehrwert entsteht, aber man muss in der Schwemme von Edits, die daran nicht weiter interessiert sind, immer tiefer tauchen. Über die Verantwortlichen dafür stellte Lars Bulnheim, Gitarrist bei Superpunk und begnadeter Soul-DJ, einst treffend fest: „Da will einer Kalif sein, anstelle des Kalifen“.

Es lohnt es sich in jedem Fall, sich bei den Pionieren zu unterrichten, wie man mit einem Edit eine neue Version schafft, die neben der alten Version mindestens besteht. Anschauungsmaterial dafür gibt es mehr als genug.

 

25 Edits:

Bettye Lavette – Doin’ The Best That I Can – Walter Gibbons Remix (West End Records, 1978)

Yaz – Situation – François Kevorkian Dub Version (Sire, 1982)

First Choice – Let No Man Put Asunder – Frankie Knuckles Vocal Mix (Salsoul, 1983)

Jimmy Ruffin – Hold On To My Love – Robbie Leslie Disconet Remix (ERC, 1984)

MFSB – Love Is The Message – Mr. K Re-Edit (T.D. Records)

Carl Bean – I Was Born This Way – Shep Pettibone Better Days Version (Next Plateau, 1986)

La Flavour – Mandolay – Latin Rascals Version (Seathru Records, 1987)

Data – Living Inside Me – Razormaid A-2 Vinyl Mix (Razormaid, 1989)

DJ Harvey – Love Finger (Black Cock, 1998)

Patti Jo – Make Me Believe In You – Black Science Orchestra Re-Edit (Original Sound Track Recordings, 1999)

Patti Labelle – Get Ready (Looking For Love) – Ron Hardy Back To The Music Box Edit (Nuphonic, 2000)

Theo Parrish – Ugly Edits Vol. 2 (Ugly Edits, 2002)

Dance Reaction – Disco Train – Morgan Geist Caboose Mix (Environ, 2003)

Johnnie Taylor – What About My Love – Joey Negro Re-Edit (Rapster, 2004)

Isaac Hayes – I Can’t Turn Around (Ron’s Edits, 2004)

Tantra – A Place Called Tarot – Idjut Boys Re-Edit (Tirk, 2004)

The Slits – Bassvine (Secret Mixes Fixes, 2005)

Tangoterje – Can’t Help It (G.A.M.M, 2005)

Mark E – Scared (Jiscomusic, 2005)

Best Friend Around – It’s So Good To Know – Dim’s Re-Edit (Labels, 2005)

Dazzle – You Dazzle Me – Kenny Dope Edit (Azuli, 2006)

Midnight Star – Midas Touch – Hell Interface Remix (Boards Of Canada, 2007)

Bim Marx – Stronger (Stilove4music, 2008)

Various – Reflection Series #2 (Medusa Edits, 2009)

GW- Two Sides Of Sympathy – GW Edit (Reactivate, 2009)

 


Musikexpress 7/11


5 Remixe

Posted: June 23rd, 2011 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , | No Comments »

Inner Life

Ain’t No Mountain High Enough (The Garage Version) (1981)

Schon die 1970er-Version von Diana Ross war ein Klassiker der frühmorgendlichen Sleaze-Phase legendärer Clubs und DJs, aber erst die vom Disco-Wunderproduzenten Patrick Adams betreute Interpretation legte das ganze hymnische Potential des Songs frei. Von Jocelyn Brown geschmettert, klang die Musik nun tatsächlich im gleichen Maßstab wie die Naturgewalten im Text, und Larry Levan legte in seinem Remix noch etliche Schippen drauf. Ein unsterbliches Denkmal, für ihn, die Paradise Garage, und Disco überhaupt.

 

Kraftwerk

Tour de France (François Kevorkian Remix) (1984)

Ein sehr beeindruckender Zwischenstand, den Kraftwerk in das jahrelange Warten zwischen “Computerwelt” und „Electric Café“ setzten. Kevorkian gelang es in seinem wenig später folgenden Remix, die fragile Schönheit der Melodie zu bewahren, die noch auf Jahrzehnte die Fernsehbilder über den Lieblingssport der Düsseldorfer begleiten sollte. Aber er unterstrich auch  mit wenigen, aber wirksamen Akzenten die Physikalität des Themas, und brachte den Track in die hedonistischste Höchstleistungszone, den Club.

 

Nicolette Larson

Lotta Love (Jim Burgess Remix) (1978)

1978 gab der Disco-Boom derart dominant den Takt vor, dass Plattenfirmen selbst Neil Young-Songs singenden ehemaligen Neil Young-Backgroundsängerinnen einer Tanzflächenbehandlung unterzogen. Glücklicherweise erhielt hier Jim Burgess den Zuschlag, der genau wusste mit welchen subtil-eleganten Mitteln man tausende von hyperemotionalen Tänzern durch den Morning Music-Engtanz geleitet. Und zwar so genau, dass zwischen den Second Hand-Preisen der Original- und Remixversion ein erhebliches Preisgefälle besteht.

 

Nightmares on Wax

Aftermath (LFO Remix) (1990)

LFO ließen von der schon sehr guten Originalversion nicht viel mehr übrig als das Vocal-Sample von Main Ingredient und ein paar verteilte Soundschlieren, und addierten dazu die Grundelemente, die sie in der Frühphase von Warp Records so originär und konsequent einsetzten, dass sie eine ganze Weile als die einzig legitimen Nachfolger von Kraftwerk gehandelt wurden: möglichst hohe Frequenzen (Bleeps), möglichst tiefe Frequenzen (Bass), und dazwischen ein nicht mehr menschlich klingender, psychotischer Maschinen-Funk.

 

Musikexpress 7/11


Queer Anthems

Posted: October 18th, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , | No Comments »

Lesley Gore – You Don’t Own Me (Mercury, 1963)

Der prototypische Selbstbestimmungssong. Lesley Gore sah ihn eher als geschlechtsloses “humanist anthem”, aber dass die Feministinnen und die Gay Rights-Bewegung den Song später für sich einspannten, hat ihr sehr gut gefallen.

Nina Simone – See-Line Woman (Philips, 1964)

Eine schöne und stolze schwarze Frau in teuren Kleidern, die den Männern das Geld aus der Tasche zieht und ihre Herzen bricht, und trotzdem bewundert wird. Drag Queens aus armen Verhältnissen erkoren dies bis heute zu ihrem theme song.

The Carpenters – Let Me Be The One (A&M, 1971)

Die Geschwister Carpenter waren eher asexuell, aber die Campness ihrer Musik und die tragischen Komponenten ihres Lebens waren nicht nur in Todd Haynes’ legendärem Barbiepuppentrickfilm „Superstar“ höchst ikonentauglich.

David Bowie – John, I’m Only Dancing (RCA, 1972)

Egal, ob der Tänzer des Songs seinen Freund beschwichtigt, oder den Freund seiner Mittänzerin, Bowie ließ sich sein Gender bending nicht nehmen und die „boys“ blieben für ihn stets beschwingt, mitsamt Zwischentönen. Einer musste eben auf seinem Level den Anfang machen, und das war er am liebsten selbst.

Lou Reed – Walk On The Wild Side (RCA, 1972)

Der Song für alle unverstandenen Außenseiter, die ihr bisheriges Leben verabschieden und in der Großstadt angespült werden. Der Glam den sie dort finden ist selten der eingeplante, aber es ist immer noch Glam.

Jobriath – I’maman (Elektra, 1973)

Mit vereinten Kräften versuchte man aus Jobriath den alles überstrahlenden Megastar des Glam Rock zu machen, und es wurde ein fürchterliches Fiasko. Er starb früh und vereinsamt an AIDS, und erst eine von Morrissey lancierte Retrospektive konnte später beweisen, dass er überhaupt je existierte.

The Elton John Band – Philadelphia Freedom (MCA, 1975)

Zum Erscheinungsdatum der Single versteckte sich Sir Elton noch weitestgehend im Schrank, aber diese Hymne an die lesbische Tennislegende Billie Jean King und den Sound der City Of Brotherly Love zeigte schon, dass er auf einem guten Weg war.

South Shore Commission – Free Man (Wand, 1975)

Eigentlich ein Mann-Frau-Duett, aber der geschlechtlich nicht eindeutig einzuordnende Gesang und markige Textzeilen wie „I’m a free man and talking ‘bout it” und „Freedom is the key to loving me” führten schleunigst zur Rekontextualisierung.

Candi Staton – Young Hearts Run Free (Warner Bros. Inc, 1976)

Wer jung ist, soll seine Jugend genießen und selbst bestimmen wohin er seine Liebe wirft. Der traurige Rest kommt schon noch früh genug. Wird von Ignoranten oft mit Rod Stewarts „Young Turks“ verwechselt.

Carl Bean – I Was Born This Way (Motown, 1977)

Ein gläubiger Gospelsänger und Reverend hält Seite an Seite mit Tom Moulton, dem legendärsten Mixer der Discogeschichte, ein glühendes, stolzes, mutiges und total umwerfendes Plädoyer für Toleranz, Nächstenliebe und schwules Selbstverständnis. Read the rest of this entry »