Erobique & Jacques Palminger – Songs For Joy

Posted: November 10th, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , | No Comments »

Ich fand immer die Geschichten vom New Yorker Brill Building faszinierend, ein Gebäude in New York, in dem von Ende der 50er bis Mitte der 60er später legendäre Songwriter wie Goffin/King, Greenwich/Weil, Barry Mann, Neil Sedaka und viele mehr in stickigen Winzbüros versuchten, Jugendkultur in großartigen Popsongs abzubilden, den Druck der Stechuhr und der Arbeitgeber nur mit Talent, Belastbarkeit und erheblichen Kenntnissen ihrer Materie die Stirn bietend. So ungnädig diese Arbeitsweise war (alle Beschäftigten wollten eigentlich nur so schnell wie möglich da raus), die örtliche Begrenzung stand großen Gedankenfluchten entgegen, man hörte der Musik ihre anstrengende Entstehung nicht an und viele dieser Songs sind heute Klassiker der Popgeschichte, die perfekte Umsetzung der Träume ihres Zielpublikums. ”Songs For Joy“ ist ein Konzept, mit dem Carsten ”Erobique“ Meyer, Jacques Palminger und Chris Dietermann jeweils einmal in den letzten drei Jahren das Berliner Maxim Gorki Theater besetzt hatten. Jeder war eingeladen, Ideen, Fragmente und Texte dort abzugeben, und in den folgenden zwei Wochen machten sich die drei daran, daraus Songs entstehen zu lassen, die dann in einer Abschlussgala aufgeführt wurden, unter Mitwirkung der vom Musikbusiness größtenteils unvorbelasteten Einsender. Die Herangehensweise war bzw. ist dabei sicherlich etwas ungezwungener als in der obigen Hitfabrik, aber der Anspruch, in kürzester Zeit aus einer Fremdidee einen möglichst zeitlosen und großartigen Popmoment zu schaffen, ist auch hier unverkennbar, und der lässt sich nur einlösen, wenn man Pop wirklich begriffen hat. Dieses Album ist eine Werkschau der unter diesen Bedingungen entstandenen Songs, und es löst den Anspruch nicht nur ein, es ist womöglich das aufrichtigste, unmittelbarste, smarteste, rührendste und liebevollste Statement, das in diesem Land erscheinen konnte, wo Pop immer noch regelmäßig entweder an diffusen Internationalitäts- oder Diskursminderwertigkeitskomplexen zerschellt. Die Kombination der unbedarften aber dadurch absolut nicht minder klugen Texte mit dem Kompositions- und Improvisationstalent der Gastgeber, von unzähligen Bühnenauftritten und innig geliebter und gelebter Musik zwischen Northern Soul und Tropicália, Style Council-Popperpop, Pazifiksonne-Softrock und Chansondisco, großen Balladeuren und vergessenen Randfiguren befeuert, ist schlichtweg wundervoll, und stellt der nicht schweigenden Mehrheit hiesiger Popproduktion mit Ursprung zwischen Fließband und Diskussionsrunde ein seitenlanges Armutszeugnis aus. Mancher kann diese Musik vielleicht nicht verkraften, ohne sich einen Ironiemasterplan oder sonstige Schattenkonzepte einzureden. Aber mancher sollte vielleicht einfach mal versuchen wirklich zu hören, was es hier zu hören gibt: große Umarmungen, große Herzen und große Freude.

de:bug 11/09