Jack Peñate – Tonight’s Today
Posted: April 21st, 2010 | Author: Finn | Filed under: Rezensionen | Tags: de:bug, Jack Peñate, Platte des Tages | No Comments »Es war mir lange Zeit ein wenig rätselhaft, warum ich es von den Small Faces, über Suggs bis hin zu Mike Skinner immer großartig fand, wenn Engländer unbekümmert im Dialekt ihrer Herkunft singen, wohingegen mich die Protagonisten dieses Estuary English-Poptums so gut wie gar nicht interessierten. Der Erfolg des Stils bei Lena Meyer-Landrut (in der fiktionalen Variante) und ihren Vorgängerinnen von Kate Nash bis zu Adele, und mein überwiegendes Desinteresse daran, ließen mich schon befürchten, ich fände es mittlerweile chauvinistisch ganz generell unschicklich und vulgär, wenn Mädchen ihren unmittelbaren Kulturraum ins Mikrofon übermitteln, und hätte das auf die entsprechenden männlichen Gegenparts prophylaktisch gleich mit ausgeweitet. Jack Peñate, den man sehr grobmaschig und eher chronologisch in diesen Kontext einsortieren könnte, zeigte hingegen, dass man vor allem einfach erstmal Pop in einer gewissen Qualität hinbekommen muss, damit der Sprachgestus nicht unangemessen, oder einfach nur affektiert klingt. Jack Peñate erwies sich in dieser Hinsicht schon früh als Hoffnungsträger mit einigem Potential. Erst wurde er als überdrehter Enkel von Two Tone und The Jam eingereiht, und er machte grundsympathische Videos, in denen er zeigte, wie toll auch ein Spätgeborener gleichzeitig singen, Gitarre spielen und tanzen kann. Aber er verschwendete auch lässig eine niederschmetternde Ausnahmeballade als Hidden Track seines Debütalbums („Learning Lines“ in der Akustikversion), und schien überhaupt störrisch und begabt genug zu sein, um allen Vertrauensvorschuss zu rechtfertigen. Und tatsächlich, schon mit seinem zweiten Album „Everything Is New“ von 2009 legte er so richtig hin. Mit genauso viel Tumult und Überschwang wie vorher preschte er nun in Richtung Afrika, Brasilien und Dancefloor davon, und verband verwirrte Psychedelik mit weiteren großen Popmomenten. „Tonight’s Today“ war der erste Single-Vorbote, eine merkwürdige Hymne an den Punkt exzessives Feierns, an dem jegliche zeitliche, örtliche und gesundheitliche Orientierung in einen Zustand umschwappt, von dem man noch lange gut haben wird, oder schlecht. Eigentlich könnte es der Theme Song aller Rund-um-die-Uhr-Hedonisten sein, die am Folgemittag ohne Ahnung von oben, unten, und links und rechts an der kopfschüttelnden arbeitenden Bevölkerung vorbeitaumeln, aber für die meisten von ihnen enthält er vermutlich zuviel Musik, und zuviel Worte. Wer außer ausgeprägten Überzeugungstätern möchte schon eine hundertprozentig zutreffende Bestandsaufnahme hören, wenn man sich auch mit ein paar stereotypen Losing Control-Slogans bemuttern kann? Und wer außer auch im Volldelirium Aufnahmefähigen könnte diesen überladenden, harmoniesingenden, schlierigen Afro-Echo-Boogie verkraften, wenn schon die Snare im fortlaufenden Kopftechno der vergangenen 48 Stunden das entscheidende Signal zuviel ist? Nicht auszudenken man würde dann noch das kongeniale Video dazu sehen müssen, das so irre wirkt, als hätte ein Apotheker, der selbst sein bester Kunde ist, ein Tom Waits-Remake drehen wollen. Unbescholtenere Hörer mögen sich hingegen an einem Schnappschuss aus der anderen Realität erfreuen, und wagemutige DJs können mit der 12“-Version das Ruder schwerstens rumreißen. Aber lieber vorsichtig.
Jack Peñate – Tonight’s Today (XL Recordings, 2009)
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