Man könnte an dieser Stelle etliche wundervolle Platten bejubeln, die Victor Simonelli im Alleingang oder zusammen mit Tommy Musto Anfang der 90er gemixt und produziert hat. Zu dieser Zeit war er schon ein Veteran der New Yorker Clubmusik, die beeindruckende Liste von exklusiven Mixtape-Dokumenten auf seiner Webseite belegt umfassend mit welchen Legenden der Jahre vor und nach dem Discokollaps er bestens bekannt war. In seiner alten Nachbarschaft in Brooklyn hat man jedoch sehr unterschiedliche Lehren aus diesen Lehrjahren gezogen. Der an New York Freestyle geschulte, sehr samplefreudige Ansatz weiter Teile seines House-Bekanntenkreises scheint seinen Prämissen nicht entsprochen zu haben, denn seine Arbeiten waren geradezu mustergültige Beispiele für die Besinnung auf das Wesentliche. Eine Stimme, ein Groove, ein Dub, und alles auf gleicher Augenhöhe. Seine Beats waren prägnant, aber nicht zu aufdringlich, und seine Arrangements waren beneidenswert strukturiert, da sie nur mit wenigen aber dafür zwingenden durchgehenden Melodien soviel federnde Fahrt aufnahmen, dass dazu nur noch wenige punktgenaue Details hinzukommen mussten, alles andere hätte das geschmeidige Gleichgewicht als sinnlose Ornamente zerstört. Und wie einst Burt Bacharch mit Dionne Warwick, hatte Simonelli mit Joi Cardwell eine kongeniale Interpretin gefunden, die vergleichbar sophisticated, manierismenfrei und ungospelig seiner Musik den entscheidenden Assoziationsmehrwert und die Wahrhaftigkeit verleihen konnte, die sich aus dem entspannten Wesen ihres Gesangsstils im Kopf potenzierte. Joi Cardwell klang immer sexy, weil sie sich niemals an unrealistischen musikalischen und inhaltlichen Vorgaben und Konstellationen verhob. Und so ist “Goodbye” vielleicht der tröstendste Song, zu dem man den Part des Prellbocks einer ungleichen Beziehung wegtanzen kann. Der Moment der Erkenntnis ist gekommen, es gibt ein letztes Fazit, und dann wird endgültig klar Schiff gemacht:
“So here it is 4 a.m., and I’ve been thinking about all the things I can tell you. But I’m a lady and I’m always gonna be a lady. So I keep it simple. Goodbye.”
Miss Joi Cardwell – Goodbye (The Victor Simonelli Remixes) (Eightball Records, 1992)
Eins musste man den Italienern schon immer lassen, sie wissen meist sehr zeitig welcher Sound sich in qualitativer und kommerzieller Hinsicht zu kopieren lohnt. Das zieht sich von Adaptionen amerikanischer Discomusik der klassischen Phase bis hin zu heutigem Minimalgeklacker. Natürlich hat das auch oft zu sehr originären Interpretationen geführt, teilweise wurde auch etwas ganz Neues daraus was sich an die Ursprungsländer als Ursprung zurückverkaufen ließ. Die musikalisch fortschrittliche Fraktion von Italo Disco wäre ein Beispiel, diverse ältere House- und Technoproduzenten in den US-Metropolen können es bestätigen. Ein wirklich glückliches Zusammentreffen war die italienische Annektierung von House. Wurden die ersten Chicago-Trax noch mit massivem Pianoeinsatz und plakativsten Disco-Diven-Samples Ende der 80er zu Chartbreakern à la Blackbox verkehrt, an denen sich insbesondere die englische Breakbeat-Szene schon seit Jahren erfreut und abarbeitet, griff man Anfang der 90er den New Yorker House-Sound auf, für den vor allem Labels wie Strictly Rhythm, Nervous und Nu Groove standen, neben zahllosen anderen anbetungswürdigen Kleinstadressen mit gelegentlichen Geniestreichen. Auf einmal erschienen Importe aus Italien, die in der Sanftheit und Emotionalität der US-Prototypen geradezu badeten, denn in den Großclubs in Rimini und Riccione wie Peter Pan oder Ethos Mama reichten die großzügigen Flächen und Bassgrooves von Produzenten wie Wayne Gardiner, Bobby Konders, Mood II Swing, den Burrell-Brüdern oder Nathaniel X nicht einmal aus, da ging es um andere Räume und ein anderes Gemeinschaftsgefühl auf der Tanzfläche, da musste mit dem großen Pinsel nachgebessert werden. Wenn man Italo House dieser Jahre beschreibt, verfällt man deswegen schnell in azurblaue Klischees, denn tatsächlich eint alle diese Stücke, dass sie eine mediterrane Selbstzufriedenheit ausstrahlen, die mit dem vom urbanen Alltagskampf geprägten Melancholieklang amerikanischer Großstädte nur noch in Resten zu tun hat. Stattdessen bekommt man hier eine reiche Palette an Sounds und Arrangements, die teilweise bis knapp unter die Kitschgrenze stoßen, auf der Tanzfläche aber nicht nur für die kollektive Glückseligkeit aufgebrezelter Einheimischer und der clubeigenen Fächertänzerinnen sorgten. Reichlich Urlauber waren genauso von dieser warmen Umarmung eingenommen, und reisten mit einer musikalischen Utopie in ihre grauen Vorstädte zurück. So etwas erzielt man natürlich nur mit Könnerschaft, und die Produzenten hinter Omniverse beispielsweise, Ricky Montanari und Moz-art, wussten schon seit etlichen Jahren was bei ihren Tänzern funktioniert und was nicht. Beide waren seit den 70ern hinter den Decks, ersterer fing eher als klassischer Disco-DJ an, letzterer war einer der wenigen Cosmic-Pioniere, die heutzutage jeder schon damals kannte. Und „Antares“ ist neben „Alone“ von Don Carlos die Genredefinition, sechs Minuten wie ein übermütiger Sprung in einen glitzernden Pool, und wenn man am anderen Ende wieder auftaucht, sieht man schöne Menschen in luftiger Bekleidung und schweißtreibenden Bewegungen, und da kommt auch schon der erste Drink. Es geht auch ohne Kopf.
Es gibt eine verschiedene Herangehensweisen an einen Sommerhit. Es gibt Songs, die musikalisch ein Sommergefühl transportieren, oft stammen diese Varianten sowieso schon aus wärmeren Gefilden, Bossa Nova etwa, da würde man lieber sein, wo es immer warm ist und die Menschen nur leichte Bekleidung brauchen, das sieht auch viel netter aus. Songwriter mit weniger Fantasie, wie George Michael, machen daraus gleich einen tönenden Reiseprospekt für diejenigen, die sich solche Fernreisen nicht leisten können (oder eine Bestätigung für die, die es können). Vergnügt klingen die Cocktailgläser, die von ausgebeuteten Einheimischen verteilt werden, alles ist blitzesauber und völlig ungebrochen. Die andere Art von Eskapismus sind die Ranschmeißerhits der Billigzielorte, jeder will den Charterfolg der Saison, nur wenige könne es schaffen, die Drinks und auch sonst alles ist wesentlich preiswerter und macht einen heftigeren Kopf. Beides sind Souvenirs, die sich schnell verbrauchen, denn der Realitätscheck zuhause macht die ganze Romantik rasch zunichte. Da möchte man den Club Tropicana oder Ähnliches auch gar nicht mehr ständig reingerieben bekommen, und es war einem ja auch ziemlich flau im Urlaub, mehrere Tage lang, muss man ja auch zugeben.
Nein nein, der wirkliche Sommerhit ist einerseits musikalisch direkt, andererseits textlich indirekt. Die Art von Flair, die er verströmt ist nicht touristisch geprägt, sondern eine sehr unmittelbare Umsetzung einer Wetterlage, die so bruttenheiß ist, dass sich kein Lebewesen mehr bewegt als unbedingt nötig. Alles ist schlapp, so schlapp, schlapp schlapp, fast schon paralysiert. Die Sonne ist ein Feind, alle Gardinen sind zu, hoffentlich halten das Eisfach und der Ventilator durch. Wenn das Hitzegewitter nicht bald kommt, wird der Restverstand verdunsten. Und so klingt „Long Hot Summer“. Der schlaffeste Groove der Welt, nur hier und da perlen ein paar seifige Tastensounds, wie das Kondenswasser was außen am Glas herunterperlt solange das Eis noch nicht geschmolzen ist. Bloß keinen Stress jetzt, ein Beat und ein paar Claps, nicht so schnell, eine schön elastische Bassline dazu, zu der man nicht viel denken muss, mit Wippdynamik. Die Referenz der Faulkner-Verfilmung im Titel wird angetippt, aber mehr muss nicht. Ein paar Reminiszenzen an gute Zeiten, die in diesem heißen Sommer zerfallen sind. Der Verlust, über den die Parties und all die anderen Zerstreuungen nicht hinweghelfen. Im stilsichersten Legeroutfit badet man im eigenen Ennui, wohl wissend, dass es bald wieder kühler wird, und dann kriecht die Leere durch und durch, bis sie alles besetzt hat, bis nichts mehr übrig ist was mal schön war, und leicht, und unbekümmert. Es ist einfach vorbei. Und wenn so etwas in einem Song passiert, reicht es nun wirklich den Sommer in einer Zeile nur zu erwähnen, man ahnt ohnehin, dass nach den Frühlingsgefühlen bis hin zur Herbstdepression nur eine Zeit dazwischen der Übeltäter gewesen sein kann. Darauf wird man nicht wieder hereinfallen, doch der long hot summer, er kommt jedes Jahr zurück. Und alles beginnt wieder von vorn.
The Style Council – Long Hot Summer (Polydor, 1983)
Die Musikgeschichte ist reich an Vermisstenanzeigen großer Talente, die sich nach wechselhaften Karrieren voller Missverständnisse einfach komplett aus dem Business ausklinkten, aber kaum jemand hat das so konsequent durchgezogen wie Lewis Taylor. Einige seiner Werke sind mit ausreichend Forschergeist und Beschaffungsbudget noch aufzutreiben, aber ansonsten ist die Faktenlage sehr brüchig. Seitdem Taylor 2006 bekannt gab nicht mehr in der Musikindustrie arbeiten zu wollen, gibt es kaum Videos (die meisten werden nach kurzer Zeit gelöscht), kaum Interviews, und schon gar keine offiziellen Artist-Seiten. Es scheint fast so, als würde es Taylor begrüßen, dass niemand mehr überhaupt auf seine Musik stößt. Und tatsächlich muss sich bei ihm einige Frustration aufgestaut haben. Island nahm ihn für sein Debütalbum unter Vertrag, als ersten Künstler der es nur per Demo dorthin schaffte, und wollte ihn als große weiße Soulhoffnung lancieren, alle Songs und deren üppige Arrangements selbst geschrieben, und dann noch alle Instrumente selbst eingespielt. Tatsächlich war aber der Soul in seiner Musik nur eine Facette, er hatte eben eine Ausnahmestimme, und er setzte sie gern auf schleppende R&B-Grooves. Ebenso wichtig waren ihm aber der klassische Rock und Pop der 60er und 70er Jahre in der psychedelisch-progressiven Variante. Die einzigen dokumentierten Fremdkompositionen in seinem Schaffen sind „Ghosts“ von Japan, und ein Großteil von Captain Beefhearts „Trout Mask Replica“, werkgetreu nachgestellt. Seine Alben wimmeln nur so vor Referenzen, die Mitte der 90er eher vorerst abgehakt als revisionsbedürftig galten, und dementsprechend wurde er stets von großen Teilen der Kritik bejubelt, und von noch wesentlich größeren Teilen des Publikum übersehen. Die Aufnahmen des „Lost Album“ sollten gleich nach seinem Debüt erscheinen, und die Plattenfirma, die es noch nicht aufgegeben hatte ihn als Singer-Songwriter-Produzenten-Genie und als weiße Antwort auf Marvin Gaye zu etablieren, musste ihm wohl beim Anhören der Bänder fast Unzurechnungsfähigkeit bescheinigt haben. Taylor hatte sich vollends in seine Liebe für opulenten Westcoast-Pop geworfen, er schichtete seine Stimme zu Kathedralen aus Beach Boys-Harmonien, er baute Klangwände aus mehr Instrumenten als auf Sgt. Pepper benötigt wurden, und setzte sie so ausladend zusammen, dass sie außer Sichtweite gerieten. Er versuchte in seine Melodien die Kompositionskunst der gesamten Popmoderne zu vereinen. Doch dann bremste man ihn einfach aus und statt seines großen Wurfes erschien ein Album das in etwa so war das erste, nur noch verschrobener, dann wurde er in die Wüste geschickt. Beim Versuch mit gleichem Aufwand auf eigenem Label weiter zu veröffentlichen, womöglich angetrieben von stetigen Promi-Lobeshmynen von Bowie bis Weller bis Timbaland, rieb er vermutlich sein gesamtes Restvermögen auf. Als dann 2005 ein kleines Label endlich das verschollene Album auf den Markt brachte, war es wieder nix. Es ging völlig unter, zuwenig Unterstützung, zuwenig Interesse. Taylor gestattete noch, dass Robbie Williams „Lovelight“ coverte und verschwand dann auf Nimmerwiedersehen. Ironischerweise bewies er damit abermals ein sehr eigensinniges Timing, hätte er nur etwas länger gewartet, das „Lost Album“ hätte im Zuge von Yacht Rock-Renaissance und neuer Psychedelik-Begeisterung alle Aeroplanes, Harveys, Prog-Norweger und Neo-Baleariker in die Schranken gewiesen. Aber im Grunde genommen tut es das trotzdem.
Lewis Taylor – The Lost Album (Slow Reality, 2005)
Du bist ja schon eine ganze Weile aktiv. Mit Deinem Label Mirau fing es an, was ja anfangs auch noch ganz anders ausgerichtet war als das, was jetzt Deine Karriere ausmacht. Man hätte also schon darauf kommen können, dass man Dich nicht so leicht festlegen kann. Stellt das mittlerweile ein Problem für Dich dar?
Nein, wo ich heutzutage stattfinde, ist schon größtenteils ein House/Disco-Rahmen. Ich sehe das nicht als Problem. Ich finde es nur dann schwierig, wenn ich nun auf eine Rolle als Nu Disco-Produzent beschränkt werde, weil es für mich halt nichts aussagt. Ich finde der Begriff „Nu Disco“ ist schon schwierig. Ich will mich auf gar keinen Fall festlegen, in irgendeine Richtung.
Es Dir also wichtig als Produzent einen Freiraum zu behaupten, in dem Du machen kannst, was Du willst?
Ja, das ist schon sehr wichtig. Das ist oft immer sehr stimmungsabhängig, und das kann morgen auch was ganz Anderes sein. Es war sicherlich auch Glück, dass es jetzt in dieser Disco-Welle alles zusammenkam, aber ich habe nicht gezielt daraufhin produziert. Read the rest of this entry »
Disco-Ausgrabungsgebiete scheinen langsam aber sicher den Weg von Northern Soul zu beschreiten. Von der Ursuppe der klassischen Ära ausgehend wurde von recherchefreudigen DJs und Sammlern mittlerweile jedes Spezialthema ausgeweidet, was nicht bei drei auf den Bäumen war, der Kanon hunderter Stilverzweigungen steigt stetig im Preis, ist aber sowieso keine Herausforderung mehr, da schon erschöpfend in den gängigen Spezialforen durchgewunken. Es ist schon zuweilen etwas sehr überbemüht, wie nun entlegene Nischenphänomene und die dazugehörigen Produzenten für das Checker-Repertoire der Party herhalten sollen, auch wenn sie zur Zeit ihrer aktiven Phase nicht die geringste Aufmerksamkeit erlangt haben, ob rechtmäßig , oder berichtigenswert. Fest steht, vieles von dem was da noch in hintersten Kisten schlummern mag, ist eventuell der heiße Scheiß mit dem man vor der Konkurrenz mächtig Eindruck schinden kann, vieles bringt aber heute auch nur ungefähr drei Gleichgesinnte pro Veranstaltung dazu, Blicke wissender Zustimmung vom Rand der Tanzfläche herüberzunicken. Das ist natürlich nur für sehr egozentrische DJs eine Genugtuung, denen die Abgrenzung wichtiger ist als anderen Menschen im Club Freude zu bereiten, die Mehrheit auf der Party hält es höchstwahrscheinlich schlichtweg für Unvermögen. Für Individualisten mit Sendungsbewusstsein gibt es aber immer noch viel zu entdecken, zum Beispiel britische Musik der 80er mit zurückhaltender Funkyness und überhaupt nicht zurückhaltender Popgeste. Natürlich sind Bands wie Aztec Camera, Orange Juice oder Haircut 100 nicht unbedingt speziell, aber die wunderbaren 12“-Versionen ihrer Songs sind es offenbar schon, denn sie sind kaum im Clubkontext zu hören, sie bleiben von hingeluschten Edits und verknappten Laserprint-Cover-Bootlegs verschont, niemand mag dafür mehr bezahlen als den Bruchteil der Preise, welche die Spezialfunde auf den Kompilationen der Szenepräsis hochjubeln. Dabei ist es oft nicht nur gewollt, wie man die Tanzflächen mit verlängerten und kompakteren Versionen der eigenen Hits erobern wollte, es ist oft sehr gekonnt. Als Beispiel dafür soll hier die 12“-Version von „… From Across The Kitchen Table“ der Pale Fountains dienen, einer dieser Bands, die nur ein paar Singles und noch weniger Alben hinbekamen bevor sie in die Versenkung entlassen wurden, die aber auch eine dieser Bands sind, deren gute Songs man nie mehr aus dem Kopf bekommt. „… From Across The Kitchen Table“ ist in der Albumversion schon eine umwerfende Hymne, aber in der Maxiversion werden die 60er-Einflüsse im Arrangement etwas zurückgepfiffen, es gibt eine überaus kombinationsfreudige Synthiefläche, den Anfang kann man nun auf den Beat mixen, es gibt eine prima Disco-Backgroundsängerin, überhaupt bietet die Dramaturgie nun die Wendungen und Höhepunkte, die auch ein abwegiger Selektionseinfall benötigt um getanzt zu werden. Und das Schöne daran ist, dass es sehr sehr sehr viele andere Maxis aus dieser Zeit gibt, die diesem Kleinod in nichts nachstehen. Wer das als Indiediscoprototypenschrullen abtut hat wirklich nichts begriffen, das wollte alles mindestens in die Charts, und es wirklich nichts Schlimmes daran, ein großzügiges und smartes Pop-Statement einzuwerfen, und das Mitsingen großer Refrains beim Tanzen, das gilt es unbedingt zu erhalten, in jedem Kontext.
The Pale Fountains – … From Across The Kitchen Table (Virgin, 1985)
Derrick Carter war lange Zeit ein mehr als verlässlicher Garant für sehr individuelle House-Musik. Zu Gründungszeiten von Classic Mitte der 90er war er noch ganz in den Schnittmengen von Chicago und Detroit verhaftet, dann dauerte es aber nicht lange, bevor er in zahlreichen Eigenproduktionen und Remixarbeiten den Sound perfektionierte für den er auch heute noch steht: ein eigenwilliger Funk, stets versehen mit bouncigen technoiden Versatzstücken, einer Art hintergründiger Deepness, die sich nur schwer mit den anderen großen Melancholikern des Genres vergleichen ließ, und vor allem einer gehörigen Portion Exzentrik. Sein Haltung und seine Inhalte waren eigenbrötlerisch verschroben, stets sehr klug und entwickelten auf dem Fundament seiner Tracks oft eine merkwürdige nachhaltige Qualität. Oft wandte er eine ähnliche Herangehensweise wie seine Zeitgenossen an, bei Disco-Dekonstruktionen etwa, aber er machte daraus etwas ganz Eigenes. Sei es über mit Referenzen gespickte Tracktitel, über eine smarte Sample-Auswahl, und natürlich seine Art, über das eigene gesprochene Wort einen mindestens doppelten Boden einzubauen. Man schien meistens beim Hören seiner Musik die Gelegenheit zu haben, in die Gedankenwelt von Jemandem einzutauchen, dessen Idee von Clubmusik bei eingelösten Funktionalitätsgeboten nicht bereits eingelöst war. Vielmehr erschloss sich erst von dort aus eine komplexe Betrachtung subjektiver und objektiver Zusammenhänge, die weit über das Maß hinausging, mit dem andere Produzenten ähnliche Felder beackerten. Carter gab sich nicht damit zufrieden, mit leicht identifizierbaren Reminiszenzen eine Vertrauensbasis herzustellen, er bog bis dahin ein paar Mal um die Ecke, und lenkte das Gesamterlebnis dann mit seinen Texten in ganz andere, unerwartete Bahnen. Am besten gelang ihm das auf seinen EPs auf Classic, wie „Nü Pschidt“ oder „Unterschrift“ und anderen 12“s, dort wagte er sich am weitesten in die eigenen Ideen vor, und von dort kam er auch mit den interessantesten Tracks zurück. Für mich persönlich ist „Shhh!“ immer noch eine seiner besten Platten. Ein für ihn typischer, hüpfender Groove, den man aber 2001 nicht mehr unbedingt in dieser Frische und Qualität von ihm erwartet hätte. Darauf setzt er einen Monolog, laut Labelcredits in einem Hotelzimmer geschrieben, dessen Text weit über die leeren Hüllen hinausgeht, die man sonst im Club zu hören kriegt: „ It’s quiet now, and as I think my thoughts alone, I try to keep my head straight, but I think I’m too far gone. For in this silence, the truth ringes even louder. A constant grinding begging recognition of its power“. Und so geht es weiter, immer tiefer in die eigene Psyche. Die Musik dazu scheint fast wie ein Echo der Nacht davor, als der Erzähler noch in ganz anderen Gemütszuständen war, und dies ist der fällige Comedown, der in seiner Gegensätzlichkeit umso härter trifft. Zusätzlich verstört, dass Carter dabei den Erkennungswert seiner Erzählstimme fast auf Heliumniveau hochpitcht. Ein dunkles, klaustrophobisches und psychedelisches Ausnahmewerk entstand somit, immer noch unvergleichlich, immer noch tief beeindruckend. Als Coda gibt es dann „What Happened To The Music?“, ein Slowmotion-Disco-Groover, aus dem heutzutage vermutlich jemand einen dieser gedrosselten Housetracks gemacht hätte, die gerade so in Mode sind. Bisschen schickes Sample dazu, ein paar bewährte, möglichst warme Akkorde, verknappte Auflage, fertig ist die Laube. Derrick Carter reicht hingegen die Dualität zwischen dem bitteren Gehalt des originalen Songs von den Trammps und der extraüberzeugenden Slickness seines neu untergebauten Grooves, um darauf hinzuweisen, dass man eine Menge falsch machen kann, wenn man Alt und Neu aufeinandertreffen lässt. Er muss es damals schon geahnt haben, aber vielleicht nicht in diesem Ausmaß.
Je mehr unausgegorene Plugin-Plucker-Tracks mit Stoppuhrvorhersehbarkeit heutzutage die Vertriebswege blockieren, desto überlebensgrößer erscheint rückblickend die Phase Mitte der 90er Jahre bis ins nächste frühe Jahrtausend, als Playhouse mit fast jedem Release die Erwartungen vor sich her trieb. House bekam einen neuen Anstrich der bis heute nachwirkt, jedoch heute nur noch selten so gut klingt. Die Diskrepanz erscheint umso größer, je mehr Produzenten gerade meinen, sich mit einer halbgaren Deepness abmühen zu müssen, weil es der Konsens gerade vorgibt. Es scheint nur zu oft, als würden viele stereotype Flächen, viele spießig getaktete Rhythmen, viele pseudoversonnene Brüche und viele Frickelversuche von etlichen Ideen ausgezählt werden, die etwa Isolée oder Roman Flügel schon vor langen Jahren hatten. Und eben LoSoul. Peter Kremeier war der cool ruler. Er setzte das Hypnoseträchtige von Wild Pitch, die Tiefe von Prescription, die Discodekonstruktionen von Cajual und die reine Lehre von Larry Heard in einen völlig originären Sound um, der nur noch Spuren seiner Vorgänger aufwies, aber zu gleich wirkenden Resultaten kam. Seine Hypnoseträchtigkeit kam von einer fast stoischen Beharrlichkeit, nicht von einer gen Höhepunkt gesteuerten Dramaturgie, seine Tiefe kam vom Gesamteindruck der Einzelteile, über lange Hörminuten verinnerlicht, seine Discoreminiszenzen waren bis zur Unkenntlichkeit dekonstruiert, aber massiv und funky, und seine Lehre war selbst rein genug um fortzubestehen. Ähnlich wie bei Isolées Debütalbum vom gleichen Jahr konnte auch „Belong“ nicht auf volle Länge den hohen Erwartungen der vorherigen 12“s entsprechen, da fehlte ein wenig das durchgehend Zwingende und die Kohärenz, die das Format nun mal erfordert, aber zumindest eine Hälfte der Tracks ist nach wie vor gut. Und zwar so gut, dass der Rest überhaupt nicht ins Gewicht fällt. „Taste Not Waste“ oder „Depth Control“ sind zeitlose, dunkle Anschauungsbeispiele dafür, wie man Reduktion mit Druck verbinden kann, ohne auch nur einen Moment an Intensität zu verlieren. „Overland“ ist gleichzeitig das Naheliegendste und das Entfernteste, was man mit „Billie Jean“ anstellen konnte. „You Can Do“ zieht Kreise um seinen Loop bis nur noch Schönheit übrig bleibt, und „Sunbeams And The Rain“ setzt dieser Schönheit ein Denkmal im Maßstab einer himmelhohen Statue, ebenso überraschend pur traditionalistisch wie erwartet konsequent weitergehend. „Belong“, in der Tat.
Das Spaßprojekt der gestandenen Post Punk-Elektroniker Jean-Marc Lederman (u. a. Fad Gadget, Gene Loves Jezebel) und Bruce Geduldig (u. a. Tuxedomoon) bleibt den meisten wohl mit ihrem 1987er-Clubhit „Poison“ in Erinnerung. In Tracks wie diesen orientierte man sich musikalisch an der hartnäckig alle sonstigen Clubmusiktendenzen ignorierenden Benelux-EBM-New Beat-Szene, die zunächst nur widerwillig House, Acid und Techno als neuen Spielkamerad akzeptierte. Die Weathermen vergnügten sich aber meistens in einer Popauslegung all dessen, und zogen der martialischen Universalernsthaftigkeit der zugehörigen Szene den Boden unter den Kampfstiefeln weg. Statt Tarnanzugtanzzwang dachte man sich eben lieber psychotische Frauenrollen aus, und gab sich je nach Bedarf als Patricia Hearst / Jimmyjoe Snark III bzw. Susanna Stammer und Chuck B aus. So weit, so ulkig. 1988 verblüfften sie dann aber mit „Punishment Park“, einem Track, der wie aus einer Zeitmaschine herausgeplumpst schien, die gleichzeitig auf vor und zurück eingestellt war. Einerseits war dies klassisch melodiöser Synthpop, andererseits auch irgendwie gestörter Deep House, und dazu gab es einen rätselhaften Text, der zugleich sexy und hinterhältig wie eingekehrt und traurig klang. The games people play, die zwielichtige Darkroom-Großstadtblues-Variante. Themenverwandtschaft zum gleichnamigen Agitprop-Filmklassiker von Peter Watkins bestand nur in entlegenen Winkeln, aber der Track hallt ebenso lange nach.
The Weathermen – Punishment Park (Play It Again Sam Records, 1988)
Schon viel wurde über die bittersüße Emotionalität schwadroniert, die viele Technotracks aus Detroit verströmen. Jede versonnen stimmende Fläche im Verbund mit komplexen Rhythmen wurde dem fortschreitenden Verfall der Stadt angelastet, jeder Augenzeugenbericht von heimkehrenden Besuchern schien die Fernspekulation zu bestätigen. Eine ganze Produzentengeneration wurde so zum Synonym für den Degenerationsprozess ihrer urbanen Umwelt, und ihre Fähigkeiten diesen in Musik auszudrücken. Voll heftig da in Detroit, Downtown-Wüste, Komplettinsolvenz, Mad Max 4: Inner City Blues, wurde geschaudert, nur dort kann so eine Musik entstehen. James Pennington alias Suburban Night veröffentlichte allerdings schon mit seinen ersten Platten auf Transmat Töne die vermuten ließen, es sei alles noch viel schlimmer. Seine Welt ist zappenduster. Wenn die verzerrten Stimmen über den meilentief rumorenden Bass von „The Groove“ ihre Einwürfe machen, hat man das Gefühl man würde zwei Psychopathen belauschen, die mit einem Teleskop auf der Party im Hochhaus gegenüber Opfer ausspähen. „The Worlds“ handelte offenkundig von Welten, gegen die H.R. Gigers Visionen wie Urlaubspostkarten anmuten. „The Art Of Stalking“ klang wie ein Speer aus chromatischer Materie, der einem von unsichtbaren Gegnern so hart durch den Körper gejagt wird, dass es eine glatte Ein- und Austrittwunde gibt. Die Fantasie von James Pennington schien deutlich gestörter als die seiner Weggefährten, und er schien fest entschlossen, sie musikalisch direkt umzusetzen. Kaum nachvollziehbar, dass er einst Detroits Pop-Durchbruch „Big Fun“ mitzuverantworten hatte. Seine Eigenproduktionen waren weit von jeglichem Eskapismus entfernt, hier ging es mehr um unmittelbare Bedrohung, nächtlichen Einzelkampf und Hinterhalt. So erschien es nur konsequent, dass sich Pennington in der zweiten Welle von Detroit Techno der von industrieller Düsternis geschulten klanglichen Kriegsführung rund um Underground Resistance anschloss, und nicht den hoffnungschimmrigen Introspektiven der Belleville 3 plus Carl. Dort erschien seine Musik nicht mehr wie ein düsterer Querschläger, sondern vielmehr wie die Perfektion eines unheilvollen Aggregatzustandes, und die Einstands-EP „By Night“ wirkte fast wie ein erleichterter Befreiungsschlag, wenn es in dieser Musik so etwas wie Erleichterung geben würde. Gibt es aber nicht. „Echo Location“ klingt wirklich exakt wie Bruce Wayne Junior, der nach dem tiefen Sturz in die Höhle in ein Meer von Fledermausaugen starrt. „The Warning“ und „Nightvision“ bieten auch keinen Ausweg, eher tappt man noch tiefer in den lichtlosen Schlund. Der einzige Orientierungspunkt sind die strengen Rhythmen, die pure Funktion, der Rest sind nur noch flirrende, verwischte Klangwischer, die den Empfänger mit voller Absicht streifen, und man weiß schon, dass der finale Stoß demnächst kommen muss. Aber wann? WANN?
Suburban Knight – By Night EP (Underground Resistance, 1996)
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