DJ Mudds Spezialisten-Disco-Label hat sich einen Track vom deutschen Produzenten Icasol gesichert, der auch schon als Mujaba auf Four Roses Recordings ein paar funkelnde Deep House-Glanzlichter gesetzt hat. „Ongou“ hingegen ist ein lichtdurchfluteter Arpeggioboogie, der sich langsam über wohlige Strudel in einen stark erweiterten Bewusstseinszustand hinübergleiten lässt. Wer jemals über das Anschauen von Heißluftballons oder anderen freundlichen Schwebeobjekten über beeindruckender Landschaft ins Wonnedämmern geraten ist, ist hier mehr als gut aufgehoben. Die Idjut Boys verabschieden sich mit ihrem Remix vorerst von der eigenen Tradition von Disco in Dub, und markieren stattdessen tolldreist den vorläufigen Kulminationspunkt in Sachen überbalearischer, vollhippiesker Soft Rock-Ambience. Weit weit draußen.
Ohaueha, über ein plockeriges Rhythmusfundament schichtet Solomun bei „Don’t Cry“ Pianoläufe und dramatischen Streichereinsatz, als wolle er Faze Action für das Electro House-Jetzt updaten. Das hat seine zugreifenden Momente, hätte aber ruhig gerne noch dramatischer sein dürfen, wenn man schon mal dabei ist. „The Way Back“ bietet plastillinen House mit Âme im Hinterkopf und einer Eric Kupper-Gedächtnis-Solo-Orgel, sehr sauber, aber auch etwas zu sauber und irgendwie untief. „Somebody’s Story“ ist ein Zwitter der vorherigen Stücke mit Mut zur Opulenz, der unbeirrt die Restnacht aufrechterhält, während draußen schon die Vögel zwitschern und die Sonne wenig später knallen wird, als wäre sie zwischenzeitlich auf wenige Kilometer herangerückt.
Rock und Disco, die wackelige Allianz. Auf so viele glückliche Aufeinandertreffen zwischen No New York und ELO kommen mindestens ebenso viele unglückliche, manifestiert in etlichen Auftragsspezialmixen kredibler Discotypen seit Dekaden, die an beiderlei Zielpublikum vorbei, meistens nur in beinharten Hi-NRG-Clubs bzw. Traktordissen und ihren modernen Pendants ihren Zweck erfüllten. Man stelle sich das vor wie Al Pacino auf der Tanzfläche in „Cruising“: fremder Turf, ungewohnte Rituale, falsche Bewegungen. Insofern gehen Holy Ghost den richtigen Weg. Ein bisschen Gniedelgitarrenpart geht schon und das unterschwellige 70erRockglorienzeitgefühl vermischt sich ganz proper mit den weitflächigen Insignien von Jetztzeitdisco, vor allem wenn man einfach so unbedarft und referenzstressbefreit ins Rund feuert wie hier geschehen. Run Roc hingegen der flirrend-stoische Part, sein Mix jagt die Chants und den Bass durch einen Echostrudel und geht beherzt ein paar Schritte in Richtung Mittneunziger-Trance. Also ingesamt eine prima Platte für Beardo-Apologeten, die schon mal zu ganz anderen Sachen getanzt haben.
Zum vierten Mal schiebt sich Four Roses nach vorn, zum zweiten Mal mit Danilo Plessow, der hier auf dem Titeltrack eine Sehnsucht nach flächendeckender Strobohypnose auslebt, mit erneut gewichtigen Ergebnissen. „Sun Sequence“ schwingt wie ein außer Kontrolle geratenes, überdimensioniertes Pendel über den Köpfen, stoisch und schwer. Die Sonne, um die es hier geht, hat nicht mehr viel Amtszeit vor sich und die Signale treffen mit einiger Verspätung, aber umso massiverer Wirkung ein. „Feel The Love“ ist ähnlich dunkel, kommt aber eher aus einem tiefen Gewölbe nach oben, wo es sich dann unvermutet als schwarzseidener Spotlight-Hustler entpuppt. Die Liebe, um die es hier geht, hat auch keine Zeit zu verlieren. Ein Blick muss reichen. Und reicht.
Herb LF kehrt zurück und verlängert den Höhenflug von Farside um eine weitere Katalognummer. Für all diejenigen, denen schon länger schwant, dass Deep House sich zur Zeit für den Konsensanschluss zu Techno zu oft in aseptischen Klängen verkalkuliert, gibt es hier einen äußerst wirkungsvollen Willkommensgruß. „Sunliner“ kreuzt im Blindflug Reese-Bass, Glockenspielohrwurm und warmes Flächenrauschen, das dürfte im richtigen Moment von der richtigen Hand am richtigen Ort in die Kategorie „schockierend“ fallen. Auch „Shake“ und „Down To The Sound“ gehen beherzt und weise mit den Zutaten um und haben noch dazu das Dub-As im Ärmel, ohne sich in Basic Channel-Konventionen zu veröden. Expertentum in frisch.
Hofuku Sochi im Live-Modus-Video-Audio-Mix im Hamburger Angelklub, und der Titel ist Programm. Wo die Krautrock-Elektroniker den Weltraum erforschten, kehren Stachy und Co. vor der eigenen Küste und tauchen weit runter. Der Sound ist jedoch durchaus vergleichbar. Es rumort und wabert, romantisiert drehen Bleep-Spiralen ihre Runden, später rücken ziemlich funktionstüchtige Dub-Basslines ein und es wird die Party forciert. Der freundlichste Ambient seit The Orb, mit entprechend lustig-anachronistischer Bildspur voller Cyberplankton und Sinuskurven, die an die seligen Zeiten erinnern, als X-Mix auf VHS der heiße Scheiß war. Dafür gehört ihnen die Calypso anvertraut und sie sollen solange auf große Erkundungsfahrt gehen, wie sie es für nötig erachten.
Die tanzbare Seite von Library Music wurde ja schon mal ab den mittleren 90ern im Zuge des damaligen Easy Listening-Hypes aufgedeckt, etwa von dem KPM-Sampler auf Strut und diversen halbseidenen Compilations aus Italien. Jetzt hat die anhaltende Begeisterung für das Kosmische wieder die Tore geöffnet, Raymond Scott ist wieder wer, und in den Archiven der Fließband-Studiotüftler der 60er bis 80er sollte auch noch zur Genüge Material abzugreifen sein, um bis zur nächsten Obskuritäten-Baisse Spezialwissen zu streuen. Nur machen den Job hier jetzt nicht mehr etwa The Karminsky Experience oder andere Zeitgenossen, sondern die Franzosen Alexis Le-Tan und Jess aus dem Tigersushi-Umfeld. Was sie zusammengetragen haben, klingt ähnlich wie zur ersten Renaissance: die funky Seite von Muzak, Auftragsdisco, sowohl einsetzbar um deine eingeweihten Freunde mit dem nächsten Checker-Mixtape zu überrumpeln, als auch als Hintergrundmusik für retro-futuristische Designideen. Das Genre bringt eine gewisse Formatfreude und Homogenität schon mit sich, aber diese Zusammenstellung ist trotzdem durchgehend treffsicher ausgeführt. Erfreulicherweise gibt es auch ein paar ziemlich gestörte Moog-Experimente, Flash Rock-Versuche und auch ein paar echte verhinderte Floorfiller zu hören. Vermutlich rutschen deren Komponisten schon bald wieder in den Schatten zurück, da heißt es zugreifen.
Compost bringt die Münchener Disco-Tradition mit dieser Mix-CD von Panoptikums Tom Wiegand zurück aufs Parkett. Zudem war man war ja schließlich der Nischenforschung vom Gardasee schon örtlich am nächsten dran. Der Untertitel „Space Disco“ ist dennoch etwas großzügig angelegt, denn die Titel von Selection und Jagg sind verdiente Italo-Boogie-Schwerter, und Two Man Sound bzw. Tony Allen künden wohl eher von der Begeisterung für Afro- und Latin-Perkussion der italienischen DJ-Vorreiter als von den unendlichen Weiten des Weltraums und den Bestrebungen, diese auf den Tanzboden zu transformieren. Dort landet man aber ohne Umwege bei den Ausflügen von Fachblatt-Schlagzeug-Legende Curt Cress, Ströer und Lee Harmony, Panoptikum selbst sowie dem britischen Library-Präsi Alan Hawkshaw und dem Moog-Reggae von Ken Elliott und seinen Vulkaniern. Das Grande Finale gebührt dem Remix von „Ain’t Nobody“, den Frankie Knuckles vermutlich tatsächlich herbeihalluziniert hat. Als Mix folgt diese wirklich schöne Auswahl einer einnehmenden und flott vorgetragenen Dramaturgie, die jeder, der sich von der gelegentlichen Nöligkeit von Vollbart-Disco-Verfechtern belästigt fühlt, als geradezu vorbildlich empfinden dürfte.
Blitzeblanken, elektroiden Hip Hop im Mittelgeschwindigkeitsbereich mit ein paar dampfenden Soul-Einlagen hat uns Sepalot von Blumentopf auf seinem ersten Album gefertigt. Frank ‚N’ Dank, MC Blu und Saigon sind aufgesprungen, Miss Platnum, Ladi6 von Fat Freddy’s Drop und Olivier Daysoul singen dazu. Anvisiert ist also die glaubwürdige Seite der Party, mit Anbindung an internationales Geschehen zwischen JDilla, P-Funk-Erinnerungen und einer kleinen Prise Mark Ronson. Die Zeiten, in denen man bei deutschen Produktionen in diesem Sektor die sich messen könnende Umsetzung hervorheben musste, sind eh gegessen, das setzen wir jetzt voraus. Professionalität verträgt sich jedoch auch oft unzureichend mit Individualismus, und zuweilen drängt das Slickness-Gebot die Songs etwas in die Beliebigkeit und bestens erkundete Gebiete, darin den Standards aus Übersee auch total auf Augenhöhe. Aber gut, wenn man sich nie auf Ganovengedöns festgelegt hat, dann ist man jetzt für alles offen. Ähnlich effizient hätte Sepalot vermutlich auch Krautrock-Breaks choppen können, oder eben Westcoast-Soft Rock, um überregional zu bleiben.
Funktional-minimaler Chord-House aus Frankfurt. Im Original ist es perkussiv und von einer kaskadigen Ohrwurmmelodie getragen, die an Kevin Saunderson erinnert, jedoch minus den Funk, den Schmutz und die Gefühle. Der Remix von Broombeck verzichtet auf diese Signalwirkung und hüpft etwas ziellos voran bis ein sich beschleunigender Echokammer-Break kurz Verwirrung stiften soll. Danach hüpft er etwas zappeliger weiter, aber nicht wesentlich. Die Version von Dadableep hat auch so einen blinkernden Pingpong-Groove, aber erheblich mehr Spielzeit. Gefüllt wird diese vor allem durch spiralige Bleeps, später noch eine Lasur dräuender John Carpenter-Flächen. Sensou nimmt die Akkorde des Originals wieder auf, und den Groove der anderen Versionen dazu. Wenn das alles von der gleichen Person fabriziert wurde, ich wäre nicht verwundert.
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