DJ Sneak – Beetz-N-Noizez EP

Posted: October 6th, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

Als die die erste Großphase von House in Chicago, vertreten durch die ehemaligen Speerspitzen DJ International und Trax, mit den 80ern endete, kam eine längere Zeit der Umorientierung, die rückblickend sehr chaotisch war. Mit den alten Partnern wollten die Künstler nichts mehr zu tun haben, es hatte einfach zu viele schiefe Verträge gegeben, und die anfänglichen Chartsausflüge der Pioniere erwiesen sich zusehends als flüchtig. Diejenigen, die schon dort gewesen waren, kamen mit prahlerischen Berichten zurück, doch eigentlich war die Tür bereits wieder zu, und man konnte sie mit Unterschubladen wie Hip House u. ä. nicht wieder öffnen, und die vormalig einladenden Gesten aus Übersee gingen jetzt in Richtung Detroit. Ein paar unverzagte Jungs jedoch beriefen sich nun auf die Ursprungsqualitäten von Chicago House, und marschierten schnurstracks dorthin zurück. Die Entschlackungskur ging von Labels wie Dance Mania und Cajual/Relief aus und machte schnell die Runde. Die verdrogte Leidenschaft und Experimentierfreude Ron Hardys stand abermals Pate, und dessen radikal funktionale Tape Loops wurden in Erinnerung zurückgerufen. Demzufolge wurde die Musik zu Tracks abgebaut, monoton und unbehauen, billigst produziert, und Disco, die Grundlage des Ganzen, wurde höchstens in abstrakten Fetzen eingearbeitet. Kurzum, House zerlegte sich selbst in seine Einzelteile, nahm ein paar Erkenntnisse der noch jungen Techno-Geschichte mit dazu, und wurde mit äußerst reduziertem Aufwand erneut auf die Reise geschickt, in unzähligen Versionen. Und auch wenn haarsträubende Pressungen und luschige Programmierung noch heute den meisten DJs zu schaffen machen, das Gefühl der Stücke war wieder echt und zwingend, und die Intensität so offensichtlich, dass die Klassiker dieser Zeit erstaunlich gut gealtert sind und heute im Feldzug gegen Plugin-Sauberkeit immer noch eine gern genommene Alternative und Inspirationsquelle bieten. Einer der Gewinner dieser zweiten Chicago House-Welle war DJ Sneak, der damals noch bei Gramophone Records arbeitete, dem Epizentrum der Geschehnisse, und sich dort wohl eingehend Gedanken darüber machte, wie er zum Fortgang des Sounds beitragen wollte. Seine zweite Platte von 1994, die Beetz-N-Noisez EP, hatte dann schon alles vorformuliert, was ihn später für lange Zeit zum Star machte: noch vertretbare Reste von Trackstyle-Booty-Sexismen, Disco, in rhythmisch eingesetzten, bis zur Unkenntlichkeit entstellten Sampleschlaufen, die nur selten länger als zwei Takte Zeit hatten, und allerlei anderer Krach. Was da an Einzelelementen zu hören war, war keineswegs neu, aber wie er es zusammensetzte schon. Es ging nur noch um den direkten Weg, alle ablenkenden Schnörkel im Arrangement waren entfernt, der Rest wurde solange ins Hirn gehämmert, bis man sich den Signalen nicht mehr entziehen konnte. Zudem vermied Sneak den laxen Umgang seiner Weggefährten mit dem Produktionsprozess. Seine Tracks klangen dick, klar, akzentuiert, ihr Klang war neben der Struktur ein weiterer entschiedener Bestandteil der Wirkung. Dass er aber auch ohne den Sample-Baukasten auskam bewies „Fear The World“, ein hundsgemeiner, dunkler Brocken von einem Track, der nur mit einer hypnotischen Tonschlaufe und Start-Stop-Beats ausgestattet so beängstigend durch den Club walzt, dass die Flächentraditionalisten am spießigen Ende von House sich vermutlich wünschen, er wäre nie erschaffen worden. Denn House kann eigentlich alles, auch wenn es scheint, dass es heutzutage nicht mehr jeder wissen soll.

de:bug 10/09


DJ Pierre – Muzik

Posted: September 29th, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

Es wurde in den letzten Jahren gehörig Schindluder getrieben mit dem Wild Pitch-Begriff. Hunderte von Tracks, die einfach nur lang und im Aufbau etwas ausladender Natur waren, wurden von faulen Journalisten in diese Schublade gesteckt. Dabei ist Herkunft und Machart von Wild Pitch club- und musikhistorisch in guter Quellenlage. Eine Gruppe von DJs in New York, u. a. Bobby Konders, Victor Rosado, Kenny Carpenter, John Robinson, David Camacho, Timmy Richardson und eben DJ Pierre, versuchten mit einer Party-Reihe namens Wild Pitch die Lücke zu schließen, welche mit der Schließung der Paradise Garage im Jahr 1987 einherging. Die Musik dazu war ähnlich wie in Levans Legendenstätte, nur der Anteil von Reggae und House war gestiegen. DJ Pierre verarbeitete seine Erlebnisse dort 1990 in dem Track ”Generate Power“, und entwickelte dafür eine neue Stilausprägung von House, die er nach dem Club benannte. Das Grundprinzip war im Grunde genommen einfach. Über etwas ungelenke Beats, die diesen speziellen watscheligen Groove entwickeln, schichtete er im gemächlichen Takt von mehreren Minuten Element über Element: Bass, Akkorde, Ravesignale, Stimmen, Perkussion, Zerrsounds, schließlich stehende Strings, alles was recht war, immer schön eins nach dem anderen, immer noch eine Schippe drauf. Das Ganze entwickelt in der Summe eine hypnotische Sogwirkung mit strikter Vorwärtsrichtung, die sich mit jedem addiertem Element potenziert und nach und nach, scheinbar endlos und doch immer intensiver, einem Höhepunkt entgegensteuert, sich dann imposant entlädt, und danach wieder behutsam heruntergefahren wird. Das erinnerte nicht von ungefähr an sehr guten Sex, wenn es gut gemacht war klang es auch so. Pierre begriff schnell, dass er nach seinem Geistesblitz mit den modulierten Bassklängen der Roland TB-303, aus denen dann Acid House wurde, hiermit einen weiteren, noch nie da gewesenen Sound parat hatte, den er in den Folgejahren konsequent verfeinerte. Und wie bei Acid House ließen sich andere Produzenten von der Idee anstecken. Leute wie Roy Davis Jr., Spanky bei Strictly Rhythm, Maurice Joshua, Nate Williams und DJ Duke bei Power Music, dann etwas szeneexterner Junior Vasquez oder X-Press 2 und zahllose weitere Epigonen. Und wie immer war das Prinzip dann irgendwann ausgereizt, war vom ganzen Interpretieren ganz ausgeleiert, ließ sich nicht mehr mit neuen Trends verknüpfen. Und wie immer wurde es dann irgendwann später wieder hervorgeholt, und mit frischen Ideen versetzt klappte es dann auch wieder. ”Muzik“ von 1992 ist Wild Pitch der klassischen Phase im Moment seiner höchsten Vollendung. Eine Lehrstunde in Aufbau und Wirkung. Wer immer sich gegenwärtig Wild Pitch auf die Fahne schreiben möchte, möge doch bitte vorher hier vorbeischauen, denn von den Siegern lernen, heißt siegen lernen.

DJ Pierre – Muzik (Strictly Rhythm, 1992)

de:bug 09/09


Bobby Konders – House Rhythms

Posted: September 15th, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

Auch wenn er vermutlich niemals aus dem Kollektivgedächtnis der House-Liebhaber verschwinden wird, es soll hier, aus zu immer gegebenen Anlass, abermals an den legendärsten Abtrünnigen in der Geschichte von House erinnert werden: Bobby Konders. Er mastermixte sich bis Anfang der 90er Jahre bei New Yorks Radiosender WBLS einen klangvollen Namen mit House, Reggae, Hip Hop und Disco-Klassikern, dann erschütterte er in einem überschaubaren Zeitraum von 1989 bis 1993 die Clubkultur mit Platten, in denen er die oben genannten Musikstile zu Produktionen verknüpfte, die immer noch ihresgleichen suchen. Seine Soundidee klingt in der Theorie simpel, war aber in der Ausführung zum Verzweifeln originär. Konders injizierte die Bassschwere und das Raum- und Zeitgefühl von Dub in den House-Sound, reicherte dies mit der Tiefe und Virtuosität von Peter Daous Keyboards an, dem wohl klassischsten aller New Yorker Studiomusiker der dortigen Szene, und erzeugte so eine Musik, die gleichzeitig drücken und schweben konnte, und bei aller rohen Unmittelbarkeit stets erhaben und überlegen schien. Selbst bei einer etwas wirr anmutenden Abfolge von Remix-Auftragsarbeiten zwischen den Associates, Foremost Poets bis hin zu Herb Alpert, ließ sich dieses Patentrezept problemlos übersetzen, stets war das Ergebnis der pure Bobby Konders-Zauber, in bestechend konsistenter Qualität. Diese EP von 1990 ist das Manifest dieser Schaffensperiode. Egal ob dubbiger Acid („Nervous Acid“), deeper Flöten-House (“The Poem“), technoider Freestyle (“Let There Be House“), oder rootsiger Hypno-House (“Massai Women”), mit den dazugehörigen Versions, jeder der sechs Tracks wurde zu einem Klassiker, fortwährendes Zeugnis vom immensen Talent eines Produzenten, seine Vorlieben und Ideen scheinbar mühelos in einen Trademark-Sound zu transferieren, der stets gültig bleibt, und an dem sich bis in alle Zeiten die Epigonen die Zähne ausbeißen werden. Und was macht das Genie, das viel besungene? Es pfeift auf die bedingungslose Verehrung seiner Anhängerschar, legt sich auf seine erste, größere Liebe zu Reggae und Dancehall fest, und produziert nie wieder einen House-Track. Keine Retrospektiven, Überredungskünste oder Gagenangebote, die sich zu Clubkultur verhalten wie Abba zu Pop, haben daran etwas ändern können. Es hat natürlich auch nicht geholfen, dass seine Karriere in diesem… anderen… Betätigungsfeld seiner Wahl ähnlich legendär und einflussreich verlief, und wesentlich mehr Geld einbrachte. Was bleibt ist ein Werk von erdrückendem Ausnahmestatus, und die Erkenntnis, dass es niemals wieder vorkommen sollte, dass jemand von solchen Gaben einfach abspringt. Von noch so einer Verschmähung, solch einem tiefen Schock, würde sich House wohl nicht mehr erholen können.

de:bug 09/09


808 State – Newbuild

Posted: September 8th, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

1988, im Blütejahr von Acid House, war die Sachlage eigentlich klar. In den USA war Acid roh und funky und entschieden billig-analog, die Chicago Originators allerdings schon auf dem Sprung zum nächsten Ding (Hip House vorerst, da lässt sich die Geschichte nicht klittern), und Detroits Brüder im Geiste machten etwas ganz Anderes aus der Vorlage. In England hingegen griffen die traditionellen Mechanismen der Hype-Presse und Acid wurde zur Bewegung. Und diese war in Klang und Mode überwiegend Pop. Im Gegensatz zu den amerikanischen Ur-Tracks, die voll in ihrer Funktionalität aufgingen, kam man auf der Insel nicht ohne den stilistischen Mehrwert aus. Also wurde alles day-glo, Smileys, Acid Ted und Space Cadet, und man hielt Radlerhosen und Bandanas für ein unbedenkliches Outfit. Man brauchte erneut Gesichter, und im Rückenwind von Yazz, Baby Ford, D-Mob quietschten und blubberten Varianten in die Charts und Clubs, die mit der experimentellen Ausprägung des Ausgangsmaterials nicht mehr viel zu tun hatten. Und dann kamen 808 State aus Manchester mit ihrem Debütalbum ”Newbuild“, einer komplett anderen Interpretation all der Zufallsklänge, die sich mit einer 303 erzielen ließen. Graham Massey, vormalig Mitglied der Post Punk-Veteranen Biting Tongues, Martin Price, Besitzer des legendären Plattenladens Eastern Bloc und Gerald Simpson, das Voodoo Ray-Wunderkind, hatten offensichtlich weder Interesse daran, den Sound aus Chicago zu kopieren, noch ihn mit käsigen Samples zu Top of the Pops-Material umzubiegen. Ihr Entwurf war kalt und irre, ein einziges manisches Flirren, das bereits von den komplexen Rhythmen vorangehetzt wurde, die Markenzeichen der Band blieben. Wo die Boulevardpresse sich mit Drogenvorwürfen gegen die vergleichsweise charmanten aber eher harmlosen Hits der Szene warm schoss, war eigentlich hier der wahre Feind. Musik, die gleichermaßen klang wie ein weitäugiger Rausch im Strobonebel der Clubs, sowie eben auch ein weitäugiger Rausch inmitten der grauen Fiesheit mancher Gegenden nordenglischer Städte, dessen Stumpfheit die Kids im Strobonebel der Clubs bekämpfen wollten. Der komplexe Irrsinn von ”Flow Coma“ oder ”Sync/Swim“ hat nichts von seinem Schockpotential eingebüßt, und ebnete den Weg derer, für die die Clubmusik der folgenden Jahre nicht mit Behaglichkeit einherzugehen hatte, also in etwa das Bindeglied der Hinterhältigkeit und Radikalität von Cabaret Voltaire und Konsorten und Aphex Twin und Konsorten, und dann wieder zurück nach Chicago zu Traxx und Jamal Moss. Wie so oft ließ sich der Intensitätslevel des Erstlings nicht halten, wie so oft probierte man sich danach mit anderen Ideen aus, man überwarf sich, man ging getrennte Wege, und man produzierte das nächste Meisterwerk, in anders aber mindestens ebenso bedeutend, ”Automanikk“ hier, und ”Ninety“ da. Der Stoff, aus dem die Träume sind.

de:bug 09/09


V/A – The Nature of Retribution

Posted: September 1st, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , | No Comments »

Die Faszination der Labels Prescription und Balance ist weiterhin ungebrochen. Erfolgreiche Reissues, irrsinnige Online-Marketplace-Preise und zahllose Versuche des internationalen Nachwuchses in unterschiedlicher Fallhöhe, die Magie der klassischen Veröffentlichungen für das eigene Profil abzuwaschen, künden immer aufs Neue davon und selbst das lange Schweigen von Chez Damier und Ron Trents fortwährende Abstecher ins jazzig-spirituelle Dudel-Muckertum ließen den Glanz ihrer Großtaten nie verblassen. Es erscheint mir etwas sinnlos aus dem Katalog eines der klassischsten Deep-House-Labels den definitiven Klassiker zu bestimmen, da hat jeder seine eigene Geschichte (wen es dennoch interessiert, bei mir wäre es “Forever Monna“, aus verschiedensten Gründen). Also soll es hier um “The Nature Of Retribution“ gehen, aus dem einfachen Grund, dass diese Platte zum Zeitpunkt ihres Erscheinens 1995 eine Art Rückschau auf die eigenen Karrieren war, und gleichzeitig alles aufwies, was diese zumindest im Kanon von Deep House für immer andauern lassen wird. Alles was des Afficionados Kultdetektor fuchsig macht, ist hier vertreten: Die Platte verzichtet vollkommen auf Credits. Keine Titel, keine Autoren, nix. Wozu auch, es ist offensichtlich wer und was hier dahinter steckt. In neuen Versionen schaut Chez Damier noch mal bei seiner legendären 49 auf KMS und Chuggles vorbei, und Ron Trent bei Nagual. Dazu gibt es noch einen für sie typischen, luftigen House-Gospel, der vermutlich eine Gemeinschaftsproduktion ist. Was sich hier wie eine relativ profane Vorgehensweise einer überschaubaren Werkschau liest, versammelt jedoch eine Ansammlung von Tracks, die bis heute alles in den Staub schmettern was ihren Weg kreuzt, in Neuversionen, die mindestens in der Lage sind das Gleiche anzurichten. A1 ist eine geradezu frustrierende Lehrstunde darin, mit wie wenig man wie viel erreichen kann. Ein Beat, ein paar Akkorde, ein versprengtes Vocal-Sample. Fertig ist das Meisterstück, auch wenn es, wie auch schon bei früheren Tracks der Labels der Fall, hier in einer Kürze zum Verzweifeln fast nur skizziert wird. A2 ist der wilde Ritt zur Disco-Himmelspforte, bis zur Atemlosigkeit vorangetrieben, de- und rekonstruiert aus Sample-Versatzstücken des klassischen Disco-Erbes und den Insignien des eigenen Stils. Auch eine Lehrstunde, nur mit anderem Inhalt. Wo tue ich was hin, damit es wie funktioniert? Im Ergebnis wieder ein Meisterstück. B2 ist dann schließlich die noch eine geniale Lektion, und zwar in Sachen hypnotischer Eindringlichkeit. Wild Pitch trifft auf Dub trifft auf Chicago-Bounce, keiner der drei war danach wie er vorher war, und der Hörer, glücklich verloren im Sog, schon gar nicht. All das veröffentlichten Damier und Trent in einem ausgesprochenen House-Krisenjahr mit wenig Konkurrenz auf Augenhöhe, was die Wirkung und Verehrung folglich noch erheblich potenzierte. Und so rechtfertigen sich auch mindestens die nächsten 14 Jahre Kult- und Legendenstatus.

de:bug 09/09


Marc Almond – Tenement Symphony

Posted: August 25th, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

Marc Almond war schon immer der Crooner mit dem künstlerischen Selbstverständnis, das sich mit vollem Einsatz in alle Tragik und Glückseligkeit hineinwirft, die das Leben zu bieten hat. Bei Soft Cell war diese Pose noch ganz mieses Hinterzimmer, billiger Exzess, abseitiger Sex und kaputte Träume, doch danach entschloss er sich seinen liebsten troubled artists zu folgen und zielte wesentlich höher. Jacques Brel, Scott Walker, PJ Proby. Sehr große Stimmen. Sehr große Balladen. Sehr große Posen. Mit sympathischer Zielstrebigkeit baute er sich eine eigene Nische in der Popwelt, in der nichts zu dramatisch, zu schwülstig, zu übertrieben, zu anmaßend oder zu Pierre et Gilles ist. Seine abseitigen Interessen nahm er in diesen Entwurf mit und erweiterte ihn fast dialektisch um Pomp, Glam und Luxus und allerlei Mysterien des Abend- und Morgenlandes. Beim Album “The Stars We Are“ kam er damit etwas überraschend hoch in die Charts, konnte das aber mit den beiden Nachfolgealben nicht wiederholen. Was macht man sodann als ambitionierter Fatalist und Großromantiker? Man macht es gleich noch einmal, nur mit noch mehr Grandezza, und mit wesentlich mehr Aufwand. “Tenement Symphony“ von 1991 ist gleichermaßen konsequent wie größenwahnsinnig, ein Werk der großen Gesten und Widersprüche, dass von einer selbstbewussten Steherqualität durchsetzt ist. Schon der erste Titel “Meet Me In My Dream“ dürfte wohl programmatisch zu verstehen sein, und schon kurz danach kommt thematisch eine ganze Menge zusammen: Liebesunglück- und glück, Rauschzustände zwischen Champagner, Pulver und Pillen, Parksexanonymität, und durchgehender Gefühlsüberschwang. Dave Ball unterstützt ihn wieder dabei, sowie eine illustre Studiomannschaft in Legionsstärke, und die Produktion ist bei aller Opulenz clubbig, schick und zeitgemäß, und harmoniert wunderbar mit Almonds Prachtstimme und seinen schwärmerisch angeschlagenen Geschichten. Die zweite Seite ist dann die eigentliche Symphonie, und sie ist produziert von Trevor Horn, dessen kompromissloseste Phase noch andauerte, man erinnere sich die Remixe zu “Introspective“ zuvor, wo er wie Kubrick und von Stroheim gleichzeitig diktatorisch, mehrmonatig und finanziell wie kreativ völlig überbordend derart epische Rekonstruktionen auf die unschuldige Popwelt losließ, dass man fortan jedem Produzenten den Final Cut verweigerte. Bei “Jacky“ von Brel bzw. Walker marschiert ein Orchester von mindestens 40 Mann auf einem forschen Hi-NRG-Beat zu orgiastischen Höhen, es gibt bei „What Is Love?“ eine merkwürdige Deutung von Chicago House mit San Francisco-Männerchor, dann folgt der Gossenromantik-Klassiker “The Days Of Pearly Spencer“ in einer Version, dessen hemmungslose Überladenheit sich nicht einmal Jimmy Webb zu Glanzzeiten getraut hätte, und dann das Finale Grande mit “My Hand Over My Heart“, ein wahres Ungetüm von einer Ballade, das in meiner Vorstellung mit jedem Crescendo (und davon gibt es viele) jeden musikalischen Kleingeist bis zur Unkenntlichkeit zermalmt, der sich jemals erdreistet hat, sich als vermeintlich gewichtige Komposition vor dem Papierkorb der Musikgeschichte davonstehlen zu wollen. Und ist dieses Album zu dem kommerziellen Hit geworden, der Almond für immerdar in den Olymp seiner Heroen empor schleuderte? Natürlich überhaupt nicht.

Marc Almond – Tenement Symphony (WEA, 1991)

de:bug 09/09


Urbanized Featuring Silvano – Helpless (I Don’t Know What To Do Without You)

Posted: August 18th, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , , | No Comments »

Seit House Mitte der 90er Jahre die Großraumclubs eroberte, befindet sich House mit Gesang in einer erheblichen Schaffenskrise. Wo vorher Hymnen mit schönen Melodien mit Armgeruder im Club mitgesungen wurden, herrscht nun Überforderung hinsichtlich der Diva plus Kirchenchor-Standards und Unterforderung hinsichtlich der Tatsache, dass in dieser Konstellation nicht mehr eingängige Songs in der Tradition von Soul und Disco benötigt werden, sondern nur noch einschüchternde Breitwandspiritualität. Und wenn mich später heute noch ein Blitz aus dem Himmel treffen mag, der Gospel ist schuld. Dabei gibt es eigentlich genug Beispiele, wie man das Thema für alle Seiten gewinnbringend angeht ohne sich in imperativen Grußformeln auf Filterdiscobasis für die Handtaschenklientel zu erschöpfen oder gleich die ganz große Messe abzuhalten. Lovesongs zum Beispiel, die einfach so schön und wahrhaftig sind, dass der Himmel nicht erst beschrieen werden muss damit er sich öffnen möge. Bei dieser Platte von 1992 macht er das jedenfalls ganz von selbst. Ursprünglich von Mood II Swing zur ihrer besten Schaffensperiode ausgetüftelt, machen Masters At Work in ihrem Remix aus dem Song eine herzerweichende Erklärung an die bittersüße Hilflosigkeit, die nur die ganz große Liebe auszulösen vermag. Elegant schwingt er dahin, dieser Track, von wenig mehr zusammenhalten als einem genialen Klavierakkord und diesem überzeugenden Hilferuf von Silvano, der mich aus etwas rätselhaften Gründen immer an eine Garage-Version von Chris Isaaks “Wicked Game“ erinnert. Aber rätselhafte Assoziationen sollte man niemals verleugnen.

de:bug 08/09


World Domination Enterprises – Let’s Play Domination

Posted: August 6th, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

Oft genug hat man eine Stimmung in der nur kompromissloser Lärm hilft und man eine Platte braucht, die einem mit ungebremster Wucht den Kopf gerade rückt. Ich habe dafür stets dieses großartige, 1988 erschienene Album parat, funktioniert immer. Selten war ein Bandname unprogrammatischer, World Domination Enterprises brachten es nur auf ein paar Singles, ein Studio- und ein Livealbum, aber das macht rein gar nichts, mehr hätte man auch gar nicht verkraften können. Der Sound von World Domination Enterprises ist so massiv, dass es schon fast lächerlich ist. Bass und Schlagzeug sind eine einzige Wand, und dazu kommt dann noch eine Gitarre die in ungefähr so klingt, als würde sie nicht gespielt, sondern mit einer Flex gescratcht. Dazu hat Keith Dobson die weltcoolste Stimme und Haltung, die man sich dazu hätte ausdenken können, und sprechsingt sich hämisch durch seine linken Texte, allesamt triefend vor Zynismus und hinterhältigem Humor. Stilistisch wird Hip Hop, Industrial, Flash Rock, Post Punk, Disco und Dub von hinten in die Beine gegrätscht und selbst die Coverversionen (LL Cool J, U Roy und Lipps Inc.) klingen wie der fiese Auswurf einer kleinstadtgroßen Großfabrik im Ostblock der 70er Jahre. Es schadet einfach nie, wenn man einzigartig ist.

Und hier noch das spinnerte Manifest von der Coverrückseite:
“WARNING
Last year WORLD DOMINATION ENTERPRISES employed over 5 billion people in making 1.4 million brand names in over 700 territories – WORLD DOMINATION ENTERPRISES the global employer
Last Year WORLD DOMINATION ENTERPRISES manufactured and sold 1.4 million different brand names to over 5 billion people in over 700 territories – WORLD DOMINATION ENTERPRISES the home of international commerce
Every year millions of people become dead maimed or diseased as a direct result of our ambitious expansion programmes – a small price to pay for increased profits – WORLD DOMINATION ENTERPRISES getting bigger by sucking you drier”

World Domination Enterprises – Let’s Play Domination (Product Inc.)

de:bug 08/09


Garçons – Divorce (Philips)

Posted: August 4th, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , , , | No Comments »

Dieses 1979 in Zusammenarbeit mit der Downtown NYC-Bastion ZE Records erschienene Mini-Album ist in der Tat so chic dass es schmerzt und räumt nonchalant alle möglichen Punkte auf der nach oben offenen Hipster-Skala ab. Eigentlich als Begleitgruppe von Marie Girard konzipiert, ein Jahr später erschien ebenfalls auf ZE mit einem souveränen hellblauen Lacoste-Polo auf dem Cover das legendäre Debütalbum als Marie et les Garçons, inszenieren sich die Jungs hier als die naiven französischen Gäste der New Yorker Post-Punk-Disco-Szene, sozusagen der Brückenschlag zwischen Les Bains Douches und Danceteria. Ungläubig werden mit Accent die Skyscraper bestaunt und der ganze Glitz der darunter auf Straßenlevel schäumt (25th Street! Broadway!), aber gleichwohl sind die Pariser als feste Größen in der Schicki-Zwischenwelt ihrer Heimat bestens ausgestattet (die Straßenkehrer from outer space-Outfits auf dem Cover? Les Garçons sont habillés par Jean-Carles de Castelbajac). Damals zollten sich die Premiervisagen der Alten und Neuen Welt noch den gebührenden Respekt und deswegen sind sie auch alle für dieses transatlantische Joint Venture zusammengekommen: Ramona Brooks singt im Hintergrund, die ZE-Supremos Esteban und Zilkha produzieren, Bob Blank nimmt auf und DJ Tom Savarese mischt ab. Die Fotos der illustren Beteiligten auf dem Innersleeve rahmen ein Textfeld in dem sich zigmal „Danse-Dance-Danse-Dance“ wiederholt. Für die verständnislosen Außenstehenden fällt nur Häme ab: „Watch the critics when I dance with you, we’re so with it.“ Für den Rest gilt: “Dance, dance, let the French boy dance“. Mehr Geschenk als die Statue of Liberty, und wesentlich besser angezogen.

De:Bug online 08/09


Whirlpool Productions – Brian de Palma

Posted: July 23rd, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

Irgendwie kam House in Deutschland lange Jahre nicht in die Gänge. Nix Massenbewegung, nix Exportpotential, nix Sponsorenzielgruppe. Es gab zwar ausreichend Clubs, DJs und Produzenten, die sich von Anfang an mit House beschäftigten und den Sound hegten und pflegten, aber man studierte erstmal eingehend was da kistenweise importiert wurde und verschob den eigenen Einsatz auf später. Die Italiener hatten sich da schon längst zusammengeklaubt, was sie für die sonnigen Fantasiewelten ihrer Großclubs brauchten, in Holland und Belgien wollte man sich schon bald von dem amerikanischem Ausgangsmaterial emanzipieren, und in Großbritannien atomisierte die Hype-Presse bereits alle verfügbaren Stilmöglichkeiten zu Subgenres. In Deutschland hingegen wurde noch eine Weile analysiert, bis sinnigerweise der Dancefloor-Ableger vom Diskursstichwortgeber L’Age D’or diese Phase für beendet erklärte und sich alsbald beherzt daran machte, lose orientiert an der noch relativ jungen House-Historie anderer Länder, eine Reihe von sehr eigenständigen und funktionstüchtigen Veröffentlichungen zu starten. „Brian de Palma“, passend benannt nach dem Regisseur mit den dollsten Nachtclubsequenzen, ist sowohl der erste Höhepunkt als auch eine wegweisende Schnittstelle dieser Entwicklung. Hans Nieswandt, der damals in Worten wie kein Anderer auf den Punkt brachte was an House so wunderbar ist, Eric D. Clark, der immigrierte Glam-Faktor mit dem irritierenden Soul, und Justus Köhncke, der romantische Raketenwissenschaftler des Ganzen, wollten nicht länger zuschauen und nahmen sich ihre gesammelten Nightlife-Erfahrungen, ihre erheblichen Plattensammlungen, ihre durchdefinierten Popforderungen und ihren unverbrauchten Enthusiasmus für die Sache an sich, und bauten mit taufrischem Idealismus an ihrer Musik. Das allzu Offensichtliche wurde dabei vermieden, Mel Tormé oder Steely Dan kamen in die Samplebank, und nicht schon wieder Loleatta Holloway. Und obwohl hier und da DJ Pierre oder DJ Sneak als Inspirationsquelle hervorlugten, bekam man ihn hin, den eigenen Sound. Eine elastische Funkyness, eine lässige Dosis smarter Referenzen, und eine grundsympathische Einstellung im Umgang mit dem Groove. Mit jedem ihrer späteren Alben vergrößerten sie genauso schlüssig und schlau den Spielraum, den sie sich mit diesem Album eröffneten, mit oftmals ebenso sperrigen wie überraschenden Resultaten zwischen Can-Studio und surrealer Charts-Kurzkarriere. Aber diese Verbindung von Kopf und Tanzfläche war nicht mehr ganz so ausschlaggebend, und ich habe das vermisst. Die weitere Laufbahn der drei nach dem Ende von Whirlpool Productions gestaltete sich dann gleichermaßen erwartet wie unerwartet, und es ist gut zu wissen, dass sie allesamt immer noch voll drin sind in der Chose.

de:bug 07/09