Das Dilemma der Mix-CD im Zeitalter digitalen DJings, wie holt man sich da noch die Props ab? Multispur-Opulenz? Unablässiges Editieren für den persönlichen Touch? Die ganz große Geschichte erzählen? Eklektizismus bis zum Anschlag? Miss Kittin hat mit zwei CDs ausreichend Armfreiheit und entscheidet sich für stilistische Vielfalt anhand persönlicher Favoriten, sinngemäß und ohne unnötigen Heckmeck aneinandergekoppelt. Sich selber bringt sie mehr als auf anderen ihrer Mix-Veröffentlichungen als Mixtechnikerin denn als Performerin auf die Party, was in diesem Fall eine gute Entscheidung ist. Die Musik rangiert zwischen Peaktime-Minimal, UK-Breakz, Großstadt-Electro, Wave-Techno, Introspektiv-Elektronika und einer guten Dosis Evergreens. Beim Abdecken dieser Bandbreite wird dann zwangsläufig manchmal abgebogen, wo man gerne noch etwas weiter geradeaus gefahren wäre, aber da kommt man dann auch irgendwie wieder hin.
Tom Moulton ist für Disco ein Primus inter pares der legendären Typen. Er hat den Remix auf den Weg gebracht, die 12“, die Mix-Compilation und die Kolumne zur Musik der Party. Dabei sah er einst und vermutlich einige Zeit danach wie ein Halbgott aus und über seine Person gibt es selbst im Egokrieg Musikbusiness keine nennenswerten bösen Worte. Er hat mittelmäßige in großartige und ohnehin großartige in noch großartigere Musik verwandelt. Wenn man das Original und seine Bearbeitung vergleicht, wird er gewinnen und wenn Stücke auf einem Fund merkwürdig umwerfender klingen als der Rest, werden sie von ihm geadelt sein. „A Tom Moulton Mix“ prangt Vertrauen und Respekt einfordernd auf mehr Veröffentlichungen als man verarbeiten kann. Dem Mann kann man gar nicht gerecht werden indem man seine größten Klassiker einfach aneinanderreiht. Man muss chronologisch vorgehen, erschütternd gute Raritäten ausgraben und den Großteil bereits besungener Großtaten in raren und unveröffentlichten Versionen ausstellen. Das macht Moultons Status und Klasse noch umso deutlicher. Die guten Menschen von Soul Jazz wissen, dass man das so machen muss. Ich bin jetzt schon für eine Fortsetzung.
Entweder man hortet musikalische Preziosen im gleichgesinnten Elitisten-Zirkel oder man gibt das Druidenwissen großzügig weiter. Wenn man Franzose ist, sollte man Letzteres nicht unternehmen, ohne nicht mindestens in todschickster Manier eine Website, regelmäßige Clubabende und vor allem eine Serie von Compilations zu präsentieren, deren Linernotes so irrwitzig prätentiös sind, dass The Capuccino Kid angesichts seiner simplen Prosa ein Comeback für alle Zeiten ausschließen muss. Damit grenzt man sich von den Methoden anderer Modenschau-Geschmacksfilterer nur unwesentlich ab, vielmehr prangert man Missstände im Bereich von niveauvollen Compilations ungefähr so an, wie Michael Bay filmisch Gewalt in der Gesellschaft anprangert, aber immerhin kann man sich konzeptuell so abgefedert fühlen, dass man flugs Ennio Morricone, Nico, Flash and the Pan, Kevin Ayers, Robert Wyatt und Skeeter Davis mit vermeintlich leichtfertig übersehenen Stücken von Cristian Vogel, The Emperor Machine, Isolée, Brooks und naturalment Supermax auf den gleichen Tonträger packen kann und der geneigte Geschmacksverwaiste vor soviel Esprit und je ne sais quoi nur demütig den Hut zieht. Aber hallo.
Und wieder einmal legt in der unterhaltsamen Choice-Serie ein Mitglied der internationalen DJ-Haute Volée seine Inspirationsquellen offen. Diesmal der Dopeman, angesichts seiner beträchtlichen Meriten in punkto Mix-CDs vor allem im Rare Groove-Bereich fast logischer als sein schon früher an der Reihe gewesener kleiner Kumpel mit Hut, somit hängt der interne Haussegen wieder gerade. Wie auch andere Vorgänger hält sich Kenny Dope mit allzu viel Studio Mixing-Spielereien und Edits zurück, hier wird funktionell und rapide gecuttet, damit sich das Aroma klassischer Allzweckwaffen aus dem Bereich Disco (mit Betonung auf Boogie), Funk und Philly auch angemessen entfalten kann. Ebenso sinnstiftend ist diese Auswahl an den eigenen Output angeschlossen, der aufmerksame Masters At Work-Anhänger findet hier so manches Sample aus dem hauseigenen Backkatalog in seiner ursprünglichen Form wieder. Für die Experten mögen die vertretenen Stücke von beispielsweise Sylvester, Serious Intention, Level 42, BT Express oder Atmosfear etwas zu gut abgehangen sein, aber sie nehmen den Wind nicht aus den Segeln und es gehört sich eigentlich auch nicht, sofern keine akuten Geschmacksverirrungen vorliegen, jemanden seine perönlichen Favoriten anzukreiden. Der Mix befindet sich jedenfalls durchgehend im Plus (Extra Props für Dazzle, Hokis Pokis, Rainbow Brown und Manhattan Transfer).
“Demain” ist ein vetrackt funkiger, fiepsiger Hochgeschwindigkeitstrack mit Pling-Plong-Ohrwurmakkorden, bei dem es in der Spielzeugabteilung bis zum Morgengrauen rund zu gehen scheint, was von Miss Alaska mit selbstverständlicher Nonchalance kommentiert wird. Totaler Smash Hit. ‚Basslufe’ ist ein Dubtechnoid, der sich schiebend, stoisch und gluckernd ausrollt, auch sehr gewieft.
Francesco Spazzoli und Chris Shape haben die nicht so heiße Idee Electro, New Wave und Italo-Disco zu verbinden. Selbstredend mit obligatorischem Expressiv-Bühnenauftritt, Glam-Gesang und Beteiligung von Chelonis R. Jones und GD Luxxe alias Gerhard Potuznik. Einfach erstaunlich wie hartnäckig sich diese 80er-Anbindungen halten, dieser sagenhafte Trotz. Als könnte man das niemals wieder recyclen, wenn man jetzt mal kurz loslässt. Ich neige vor allem bei den Gesangseinlagen zu den beiden Stücken, bei denen der glitschige Italo-Anteil überwiegt, dieses aufgesetzte Herumzicken ist mir sonst etwas peinlich, auch wenn sicherlich jede Generation ein Anrecht auf aufgesetztes Herumgezicke hat.
Eigentlich tauchen gerade wieder die Perlen des Frühneunziger-Clubsouls auf, da hatte Jhelisa Anderson als Teil von Soul Family Sensation und später alleine mit dem Hit ‚Friendly Pressure’ eine veritable Habenseite, bevor sie sich jahrelang als Gastsängerin in die schicken Studios größerer Stars verabschiedete. Sie geht mit diesem Album zurück zu den Wurzeln, aber nicht zu denen ihrer Karriere, sondern zu denen ihrer Kultur. Die Koordinaten sind alte Bekannte wie Südstaaten inklusive Sumpf, Motherland, Nina Simone, Ungerechtigkeit, Zupfinstrumente, Multikultur, Blues, Bars in denen man noch rauchen darf und gehobene Jazzfestivals. Dazu gibt es eine passende DVD mit einer Dokumentation, welche die Sängerin in New Orleans begleitet. So weit, so gediegen. Ich ziehe in diesem Fall ‚I Don’t Even Know If I Should Call You Baby’ vor.
Ungebrochen ist die Begeisterung der Engländer für psychedelisch entrücktes 60’s/70’s Jazz Rock-Gegniedel, sleazy verhallte Soundtracks und Library Music. Die entsprechenden Flohmarktkisten dürften mittlerweile für die nächsten Dekaden geplündert sein. Loka aus Liverpool gehen nach bisher dünn gesäten Veröffentlichungen (ein Compilation-Beitrag und eine EP) auf ihrem Debütalbum voll Wah Wah-Prog, im Rhythmus schwergängig gebrochen und im Arrangement breitwandig aufgeplustert. Es gibt nicht so viele Soloausflüge, dafür einen geschäftigen Schlagzeuger und dunkle Streicherkaskaden für Cineasten. Suggeriert eine minutiös geplante Jam Session für ein ausgewähltes Publikum, ist aber interessanter als das letzte Album ihrer Labelchefs.
Vocoder trifft Sequencer-Bassline, trifft Kuhglocke, trifft Orchester-Stabs, trifft Syndrums, in der gefühlten 7549. Auflage. Vielleicht etwas poppiger als bei vergleichbaren Exponaten, aber wohl auch nicht origineller. Ich glaube kaum, dass das in Belgien oder auch anderswo Krawalle auslöst. Der Acid-Anteil war bis Redaktionsschluss nicht zu finden.
Opulenter Rückblick, über die CDs ‘Remixes’ und ‘Rarities’ verteilt. Das Duo ist ja eine verdiente Größe im Bereich Micro House, was auf der Insel vielleicht gar nicht derartig holprig-usurpierend kategorisiert worden wäre, wenn man dort deutsche Produktionen reduzierter Bauart nicht so lange ignoriert hätte. Dieses unübliche Versäumnis sollte man Swayzak aber nicht anlasten, die zwischen Clicks, Rave, Electro, Dub und gelegentlichen Indie-Anwandlungen seit jeher absolut solide dubbig plocken und bleepen, mal poppig, mal dark und meistens deep. Dieses breite Spektrum lässt in solch geballter Ladung zuweilen etwas eigene Identität vermissen aber es ist auch schön nachzuhören, was die Laptops der beiden alles so über die Jahre ausgespuckt haben, hat sich ja denn auch ein verlässliches Markenzeichen draus entwickelt. Und das muss man auch erstmal hinkriegen.
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