Bei Kieran Hebden mag man breit gefächerte musikalische Vorlieben bereits vermuten und die Tracklist löst gleich flächendeckend ein: Electro von Model 500, frickelige Elektronik von Akufen, düstere Breaks von Syclops, zappeliger Jazz von Heiner Stadler, unzweifelhafter Soul von Curtis Mayfield, schlauer Hip Hop von Madvillain, zickige No Wave-Disco von Julian Priester, verkopfter Indie-Kram von Quickspace Supersport, Prog Rock von Gong und noch viele smarte Einfälle mehr. Da fehlt fast nur noch der ganz käsige Hit als Kontrapunkt um das durchgehende Checkertum noch zu unterstreichen. Als Set erzählt das eine kluge Geschichte, die mit ein paar mehr gewitzten Übergängen den Vogel komplett abgeschossen hätte. Da wird er dann zuweilen zu David Mancuso.
Wer sich auf der Suche nach dem noch nie verwendeten Break gerne in unübersichtlichen Haufen von obskuren gebrauchten Platten die Hände schmutzig macht, kann sich freuen. Seine bevorzugte Obsession erlangt mit dieser Compilation die Weihen eines offiziellen Genres. Man will fast hoffen, dass findige Gebrauchthändler das nicht mitbekommen und gleich ein Fach für die tausend Platten einrichten, die sie in all den Jahren nicht losgeworden sind. Den Auftrag im Mix zu demonstrieren, was man mit den vergessenen Pfründen alles anstellen kann, erhalten die Vorzeigearchäologen Kon & Amir aus New York und DJ Muro aus Tokyo. Alle Beteiligten gehen das mit einer Souveränität an, die sich aus dem in jahrelangen Ausgrabungen erlangten Wissen um Tunes speist, die normalerweise nur von Druidenmund zu Druidenohr gehen. Dabei wählen Kon & Amir die entspannte Herangehensweise mit lässigen Grooves zwischen Folk, Soul, einer Prise Brasilien und natürlich jeder Menge Funk, wohingegen die japanische Abteilung den glücklich verschwitzten Rare Groove-Furioso-Peaktime-Megamix wählt. Allesamt zeigen unmissverständlich, dass der Ertrag die Mühe wert ist.
Bis jetzt gab es drei EPs mit Neubearbeitungen des Albums ‚Virgin Ubiquity’, laut Ankündigung sollen auch noch weitere kommen (u.a. mit Beteiligung von Âme, Vikter Duplaix und Sean P). Aus den vorhergegangenen Runden auf das Remix-Album geschafft haben es Kenny Dope, Mr V, Aloe Blacc, Osunlade, DJ Marky & XRS und die Platinum Pied Pipers. Neu hinzugekommen sind Matthew Herbert, Joey Negro, Sir Piers und Basement Jaxx. Es ist also offensichtlich, dass die Zusammenstellung eher den konventionellen Geschmack bedienen soll, diesbezüglich wird besonders Pépé Bradock schmerzlich vermisst, der aus ‚I Am Your Mind Part II’ einen selten schönen, trippigen Slow Motion-House-Track für die Jahrescharts gezaubert hatte. Die Rolle des schrägen Außenseiters übernimmt an seiner statt Herbert, ähnlich in der Idee, wenngleich auch mit weniger beeindruckendem Endergebnis. Auf der anderen Seite liefern alle Beteiligten exakt das ab, was man von ihnen erwartet, was je nach Perspektive schade oder toll ist. Ich hoffe, dass ‚Holiday’ Kenny Dopes vorerst letzter Remix mit diesem perkussivem Nu-yorican Hüpf-Beat plus Gniedel-Bass bleibt, da hängt er jetzt schon seit gefühlten Dekaden fest. Joey Negro und Sir Piers befinden sich immer noch im Rhodes-Disco-House-Dämmerzustand, als hätte es die gegenwärtige Schwemme an innovativen Edits nie gegeben und Basement Jaxx kommen vorerst auch nicht mehr zur Besinnung.
José Padilla, den ehemaligen obersten Befindlichkeitsknusperverstärker des Café del Mar, drängt es nach übersichtlicher Musikerkarriere wieder zurück an die alte Idee. Nicht nur als Sandmann bzw. Urlaubsex-Erfüllungsgehilfe und Maitre de Sonnenaufgang von Generationen von Clubtouristen hat der Mann Meriten, er hat auch mit elektronischer Sanftmut den Kuschelrock aus der Kompaktanlage des deutschen Feierabends geboxt. Die Mission ist immer noch der ewige Schönklang, die bewährten fluffigen Balearismen werden jetzt aber auch mit beispielsweise Kölner Elektronik und Daniel Wang aufgefrischt. Nichts für Menschen, die den langen Zapfenstreich mit einem Crescendo von etwa Cecil Taylor begehen oder zum Einschlafen eine Berghain Mix-CD auf Repeat stellen, ansonsten durchaus zweckdienlich.
Im Gegensatz zum ersten Teil etwas weiter ab vom Kanon mixt sich der Deep Sound-Nachlassverwalter DJ Deep durch Expertenklassiker aus Chicago, Detroit und New York/New Jersey der späten 80er/frühen 90er. Das klingt nah dran an den hypnotisch-drückenden Clubnächten dieser Jahre, als deepe Klänge noch nicht in Stromlinienförmigkeit, Daddeltum oder Traditionalität eingeteilt wurden und House und Techno für den Tiefgang noch selig einhergingen. Da hat man sich ja mittlerweile wieder angenähert, aber das Gefühl das diese Musik vermittelt ist in seiner Unmittelbarkeit bei der heutigen Konventionslast schwerlich zu erreichen. Angeschossener Maschinen-Soul, der ansatzlos Beine, Bauch und Kopf überrumpelt, zwischen sublimen Flächen, zwielichtigen Grooves, unzweifelhaften Worten, nächtlichem Größenwahn und exzentrischer Coolness. Mit Liebe ausgeteilt an Menschen, denen Strobe, Blackmale, Eclipse oder Saber Suchbegriffe sind und die um die entsprechenden frühen Katalognummern von Trax, Djax-Up und Dance Mania wissen, und über alles was darüber hinausgeht Bescheid wissen wollen.
Vor Jahren gab es schon mal eine Compilation namens “Queer To The Core”, die schräge Obskuritäten schwulen Garage-Punks aus den 60ern zusammenstellte. Derartiges hat Jon Savage hier auch zur Verfügung, aber seine Auswahl ist ein regelrecht ehrgeiziges Unterfangen, das sehr imposant einen chronologischen Überblick über homosexuelle Künstler bzw. Popmusik mit homosexuellen Inhalten aufbereitet. Zu hören gibt es die ganze Bandbreite zwischen Comedy, Crooning, Country, Garagenkrach, Soul, Glam Rock und Songwritertum in überwiegend raren Artefakten, und dann steht am Ende folgerichtig Sylvester und stößt die Tür zu Disco auf. Es gibt dazu ein umfangreiches Booklet mit Erläuterungen zu Codes, Themen, Hintergründen und Einzelschicksalen. Dadurch entfaltet sich ein Panorama von tragischem Kampf, verlorener Selbstbehauptung und Konventionsschwellen, aber auch smartem Witz, trotziger Haltung und gerechtem Stolz. Man kann sich darüber streiten, ob oder zumindest wie schwule Kultur mit allen Vor- und Nachteilen den Mainstream geentert hat, hier sind auf jeden Fall einige glorreiche Pionierleistungen auf dem windungsreichen Weg dahin.
Die schalknackigen Jungs machen etwas erwartungsgemäß genau da weiter, wo sie eigentlich schon am Limit gewähnt wurden, also ganz knackigen Plastiktechnopop mit ulkigen Texten, deren Wortwitz jenseits norddeutscher Kiezbiotope zusehends ins Taumeln gerät. Insofern könnte man Deichbrot völlig unsachlich mit den Kollegen von Fettes Kind vergleichen, nur knackig plastiktechnopoppiger und in einer anderen Phase der Pubertät bzw. auf einer anderen Art von Zielgruppen-Fete. Es wird noch ab und zu gekifft, aber eigentlich ist dies die wirre Hacienda-Episode. Bei „E.S.D.B“ grüßt schon der Taxman.
Dieses Album des Projektes von Thaddi Herrmann und Michael Zorn vereint die „Removed“ und „Acetate“ EPs von 1999 und diesem Jahr, und beides zusammen ergibt in der Tat ein beeindruckendes Ganzes, bei dem so profane Dinge wie Erscheinungsdaten kaum noch ins Gewicht fallen. „Removed“ ist im Original und den fünf Bearbeitungen von Arovane, No. 9, Multipara, Pole und Artificial Duck Flavour völlig zu recht eine geheiligte Kuh zeitgenössischer Elektronik. Eine reichhaltige Assoziationsmaschine, in der schwer atmende Dub-Abstraktionen und vertrackte Klangauswertungen futuristisch irrlichtern und man zuweilen etwas nervös zum Heizkörper hinüberschaut, ob nicht doch Jack Nance mit seiner Lady zum kosmischen Rauschen einen Schieber tanzt. Ergänzend kommt noch der fulminante Bonustrack „Fabric“ hinzu, der sich auf einer nächtlichen Expedition in rhythmische Schwebezustände befindet. „Acetate“ knüpft schlüssig an diese Steilvorlagen an, auch wenn die Beats zur kaltkörnigen Grundstimmung beim Original, Claro Intelecto, DJ Maxximus und Something J zumeist grummeliger steppen und wie bei James Din A4 und Modeselektor gestörte Spielzeuge zu paradieren scheinen. Allesamt zwischen simpler Schönheit und unbequemen Störfällen kongenial auf Irritation und Einsicht gebürstet. Da haben alle Beteiligten weit geworfen, ihr müsst nur noch fangen.
Der breit gestreuten Veröffentlichungen von Matt Edwards als Radioslave, Quiet Village bzw. vielen anderen Pseudonymen sollten nicht skeptisch machen, der Mann weiß schon ganz genau was er tut, wie dieses Album als Rekid ziemlich eindrucksvoll zeigt. Die bisherigen 12“s auf Classic und Soul Jazz unter diesem Alias hatten es schon vermuten lassen, aber hier auf Albumlänge folgt jetzt das ganz große Opus in Dub, Disco, Electro und House. Geschwindigkeit ist für Musik eigentlich ein unerhebliches Kriterium, aber hier wird bewusst gedrosselt, bis die Grooves zu einer hermetischen Massivität erstarren, die völlig selbstverständlich wuchtet. Im Verbund mit der dunklen Grundstimmung, metallischen Störgeräuschen und kühlen Versatzstücken von Sequencer-Boogie und 808-Space-Hop aus fast unerforschten Tiefen der Echokammer erscheint dieser Gesamteindruck noch selbstbewusster. Sicherlich ein Affront-Update für diejenigen, die unter Ausschlusskriterien hartnäckig das Revival von New Beat einfordern, alle anderen sollten sich mal paralysieren lassen. Am besten sehr laut.
Schön kontinuierlich wie die deepen Klänge gerade quer übers Land aus den Geräten sprießen und man entdeckt ständig neue vielversprechende Exponate. „Doin’ It“ ist ein gemütlicher Live Jam-Ausreißer, den man bei Unkenntnis des Urhebers auch auf Large Records vermuten könnte. Die restlichen Tracks gehen dann ganz anders tief, erinnern mit dunkle Spiralen ziehenden Akkorden an einen psychedelischen Kompositbau aus Sound Signature und Other People Place, dem man kurz vor dem Start in die Nacht noch ein stramm schepperndes Chassis aus Rhythmen mit einer langen Liste vertrackter Extra-Extras untergeschraubt hat. Man kann ja nie wissen.
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