Rewind: Jonas Gempp über “Ill Communication”

Posted: April 5th, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit Jonas Gempp über “Ill Communication” von den Beastie Boys (1994).

Seit wann hattest Du die Beastie Boys im Visier? Seit Beginn ihrer Karriere?

Da ich 1980 geboren bin, hatte ich die Beastie Boys erst viel später auf dem Schirm und war zu Beginn ihrer Karriere eher an Rolf Zuckowskis Schulhofhitparade und der EAV interessiert. Um 1994 herum habe ich begonnen mich mehr für HipHop zu interessieren und einen Musikgeschmack zu entwickeln, der nicht mehr nur und ausschließlich durch einen schmissigen Refrain bestimmt war.

Warum hast Du Dir “Ill Commuication” ausgesucht? Was macht das Album so besonders für dich?

Gekauft habe ich mir das Album damals wegen „Sure Shot“, vor allem aber wegen „Sabotage“. Video und Lied waren der absolute Killer, damals spielte ja MTV auch noch Musikvideos und das war eben eines jener magischen Videos. Danach habe ich sukzessive den Rest des Albums für mich entdeckt und gemerkt, dass „Sabotage“ gar nicht mal das Highlight ist, sondern „Flute Loop“, „Root Down“ und vor allem „Get It Together“, das für mich noch heute eines der besten Stücke Musik überhaupt ist. „Ill Communication“ ist eines von drei „Alben meiner Jugend“, die ein unglaublich wichtiger Teil meines persönlichen und musikalischen Entwicklungsprozesses waren; Rage Against The Machines gleichnamiges Album war der zeitlich verzögerte Soundtrack (kam ja schon 1992 raus) zur Beschäftigung mit linksradikaler Politik und Artikulation einer Wut angesichts der als ungerecht empfundenen kapitalistischen Verhältnisse; die Smashing Pumpkins haben mit „Mellon Collie & The Infinite Sadness“, ganz cheesy, der pubertären Traurigkeit einen Klang gegeben. Doch die Beastie Boys und „Ill Communication“ gingen über diese fragmentarische Abdeckung wichtiger Bezugspunkte hinaus, denn neben der urbanen, blasierten Coolheit, die uns damals unheimlich wichtig war und sich auch in den bis zum Erbrechen geschauten „Kids“ und „Pulp Fiction“ immer wieder fand, waren die Beastie Boys der Soundtrack zum Alltag, der immer passte: zum Nintendo 64 spielen, Kiffen, Biertrinken, Abhängen. Read the rest of this entry »


Rewind: Gerd Janson über “Bobby Konders & Massive Sounds”

Posted: March 29th, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit Gerd Janson über “Bobby Konders & Massive Sounds” von Bobby Konders & Massive Sounds (1992).

Wie und wann bist Du auf “Bobby Konders & Massive Sounds” gestoßen?

Der Name Bobby Konders fiel mir zum ersten Mal 1994/95 im Rahmen einer Nu Groove Records-Retrospektive des Size!-Magazins auf. Das war eines jener selig machenden Fanzines, die damals die Funktion heutiger Blogs übernahmen und sich bevorzugt mit House und Techno aus dem Detroit-Chicago-New-York-Triangel beschäftigten bzw. den europäischen Brüdern im Geiste. Die dort beschriebene Konders-Disziplin aus Deep House, seitwärts getragenen Baseballmützen, Krankenkassenbrillen, Langhaarmatte und Dub-Reggae-Einflüssen klang sehr plausibel und sein greatest hit „The Poem“, das vom Dub-Poeten Mutabaruka eingeleitet wird, stieß dann sozusagen das Tor zum Fantum himmelweit auf. „Bobby Konders & Massive Sounds“ hat mir ein guter Freund daraufhin geliehen und es ward um mich geschehen.

Wie hast Du das Album beim erstmaligen Hören empfunden? Wie würdest Du es beschreiben und was macht es so wichtig für Dich?

Ein wenig angeekelt und fasziniert gleichzeitig. Das Debütalbum von Bobby Konders ist ein Paradebeispiel für die gescheiterte Ehe von underground dance music und dem Versuch, diese für den Massenmarkt tauglich zu machen. Das Resultat ist meist weder Fisch noch Fleisch. Vor allem in der causa Konders. Der Boy aus New Jersey mit Wohnsitz Brooklyn expandierte seinen Vibe aus House, Reggae, Hip Hop und Soul um einige Unzen Pop. Einer US-amerikanischen Version der Erfolgsformel aus Jazzie B und Soul II Soul gleich, betörte und bezirzte Konders diesen Markt – wohl relativ erfolglos für die damaligen Verhältnisse. Was dieses Scheitern so charmant macht, ist allerdings der unbedingte Wille, die dominanten Machismos der Dancehall und das Straßenimage von Hip Hop mit den doch eher ambivalenten Geschlechterrollen und philanthropischen Utopien der Housemusik zu vereinen, unter einem Regenschirm von Soul und R&B. Solchen Querdenkern und Querulanten kann man nicht genug Respekt bezollen. Read the rest of this entry »


Rewind: Detlef Diederichsen über “Stan Kenton and Tex Ritter”

Posted: March 22nd, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit Detlef Diederichsen über “Stan Kenton & Tex Ritter” von Stan Kenton & Tex Ritter (1962).

1983, ein Jahr nach der ersten Zimmermänner-LP, gab es auf der Rückseite der Single “Hockey” von Palais Schaumburg ein Stück namens “Stan Kenton”. War das ungefähr die Zeit als Du auf seine Musik gestoßen bist? Wie ist es dazu gekommen?

Interessanterweise hat mich weder die Palais-Schaumburg-B-Seite noch irgendein anderer Tippgeber zu jener Zeit auf Stan Kenton gestoßen, obwohl ich schon damals eine Schwäche für verstiegene Macher mit genialischem Habitus hatte. Meine diversen Jazz-Entdeckungsphasen verliefen an Kenton vorbei, obwohl mich durchaus hochtrabende Third-Stream-Ideen, etwa von John Lewis, Gil Evans und John Carisi, mehr interessierten als expressionistisches Power Blowing. Westcoast-Jazz war allerdings nie so recht mein Ding, von Jimmy Giuffre mal abgesehen.

So dauerte es bis 1999, als mich schließlich ein Tippgeber auf die Zusammenarbeit von Kenton mit Bob Graettinger („City Of Glass“) aufmerksam machte und mich in dem Zusammenhang auch mit weiteren Kenton-Alben bestückte. Zur selben Zeit hatte ich gerade begonnen, einige besonders hartnäckige Lücken meiner Plattensammlung via eBay zu schließen. So schaute ich auch unter Kenton und fand dort in der Vielzahl der Angebote von Werken dieses sehr produktiven Menschen auch das Album mit Tex Ritter.

Es gibt dazu noch eine lustige kleine Geschichte, die ich 1975 las: Zu der Zeit hatte Kenton mal wieder irgendwo lautstark über den niedrigen musikalischen Standard in den USA allgemein herumgepöbelt und über Country-Musik im Speziellen. Sie sei „eine Schande für das Land“ (nach dem Gedächtnis zitiert). Der ebenfalls nicht gerade schüchterne und zurückhaltende Southern Rocker Charlie Daniels hatte zurückgepestet, nicht die Country-Musik, sondern Kenton sei eine Schande fürs Land und er würde 1000 Dollar wetten, Kenton könnte niemals eine Country-Platte machen. Woraufhin ihm Kenton eine Kopie seines Albums mit Tex Ritter schickte und eine Rechnung über 1000 Dollar beilegte.

Stan Kenton konnte wahrlich auf eine lange Karriere zurückblicken. Was hat Dich an seiner Arbeit fasziniert, auch im Hinblick auf vergleichbare Musik? Was ist seine Rolle im Jazz?

Kenton war vor allem ein Provokateur, ein Mann, der von Klischees, Ritualen, sinnlosen Regularien, überkommenen Wertekanons zum Handeln getrieben wurde. Womöglich hatte er immer mehr die Welt der klassischen europäischen Hochkultur im Blick, als die des Jazz. Jazz konnte er, es war sozusagen das Handwerk, das er gelernt hatte. Das hätte er wunderbar herunterleben können, aber das Schnöseltum der Hochkultur-Welt machte ihn rasend, da es ihn ausschloss. Und also übernahm er die Insigniarien des Kulturschnösels und applizierte sie auf Jazz. Seine Alben versprachen „Artistry“ und „Concepts“, seine Kompositionen hießen „Concerto“, „Invention“ oder „Fugue“. Er war unermüdlich, bienenfleißig, Sun-Ra-haft produktiv und dazu ein großer Entdecker und Förderer von Talenten (The Four Freshmen, June Christy, Pete Rugolo).

Dennoch ist er für mich nicht mehr als ein verdienstvoller Mann, ein Ideenmensch, ein amüsantes Großmaul, aber nicht einer, dessen Musik mich wirklich tief bewegen kann. Wobei ich zugeben muss, wohl zirka achtzig Prozent seines riesigen Werks nicht zu kennen. Read the rest of this entry »


Rewind: Mathias Schaffhäuser über “Red”

Posted: March 15th, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit Mathias Schaffhäuser über “Red” von King Crimson (1974).

Kannst du Dich noch erinnern, wie und wann Du auf King Crimson gestoßen bist? War es eine nachhaltige Begegnung?

Auf jeden Fall! Die erste Begegnung war auf Radio SWF 3, da machte in den 70ern Frank Laufenberg (!) eine 2-teilige (!!) Sendung über King Crimson, das muss man sich mal vorstellen. Zwar abends, so gegen 22h vermutlich, aber immerhin. Da hab ich dann fleißig mitgeschnitten mit meinem kleinen Poppy Mono-Kassettenrecorder, und die Kassetten wurden dann rauf- und runtergespielt. Da waren praktisch alle “Hits” der Band dabei… und ich war gerade mal so 12 Jahre alt, schätze ich.

Warum hast Du Dir das Album “Red” ausgesucht? Was macht es so wichtig für Dich?

Es war dann das erste Album, das ich mir gekauft habe, zusammen mir dem Live-Album “USA” – beide gab es als Sonderangebot bei Zweitausendundeins, für 7 Mark fuffzich, glaube ich. Ich hab die bestellt, ohne genau zu wissen, was mich erwartet, und es war total der Hammer. Am Anfang hatte ich richtig Ehrfurcht vor dieser Musik, sie war so gewaltig und fremd für mich, dass ich die Alben gar nicht sooo oft hören konnte, aber ich hab sie von Anfang an geliebt. Da war ich ja auch erst 13. Read the rest of this entry »


Musik hören mit: DJ Sprinkles

Posted: March 9th, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , | No Comments »

> Bocca Grande – Overdose (Four Roses Recordings, 2009)

Ich kenne es nicht. Ist es aus Deutschland?

Nein, ist es nicht. Es ist ein deutsches Label, aber die Produzenten sind aus Japan.

Das wäre meine nächste Vermutung gewesen.

Warum hättest Du das vermutet?

Das Piano als Schlüsselelement. Ein helles Piano und auch die Art, wie sie es editiert haben. Es ist offen.

Interessant, dass Du aufgrund des Piano-Sounds auf Japan gekommen bist.

Ich denke, dass diese Art Melodie etwas hat von japanischem Soundtrack-Piano-Stil hat. Diese gewisse melodische Herangehensweise. Es gibt immer dieses romantische, dramatische Element. Und nun mit dem Keyboard weiß man genau, dass es definitiv aus Japan kommt. Es ist aber ein sehr schöner Sound. Sehr Yellow Magic Orchestra. Sehr oldschool.

Das ist, was ich dachte, als ich es ersten Mal gehört habe. Es klingt nach der Art wie Sakamoto Piano spielt.

Genau, das Piano ist irgendwie Sakamoto, aber das Keyboard im Hintergrund ist der Hosono-Touch. Es ist diese Tanzmusik, zu der Du nicht tanzen kannst, für mich jedenfalls. Vielleicht bin ich, was das Tanzen angeht, zu einfach gestrickt. Es hat diese Plastizität an sich. Ich frage mich oft, wenn ich diese Art Musik höre, ob die Musiker diese Plastizität kritisch angehen, oder ob es nur ihr künstlerischer Ausdruck ist, und eine unkritische Herangehensweise. Aber dieser Collagen-Stil zwischen Melodien, Elektronik und Texturen ist auch sehr japanisch.

Sie nennen sich Bocca Grande. Ein Paar, und sie ist Klavierlehrerin. Alle ihre Tracks haben diese Piano-Elemente.

> H.O.D. – Alive And Kicking (Mata-Syn, 2009)

Schnelles Tempo. Zu schnell für mich zum Auflegen. Das kenne ich auch wieder nicht, ich vermute mal, es ist europäisch.

Ja.

Aber kontinental, definitiv nicht englisch.

Es ist englisch.

Nein, ist es nicht! (lacht) Plugin-Keyboards, würde ich sagen. Software-Studio. Auf eine Art wie Snd auf Acid, weißt Du was ich meine? Es klingt wie eine Snd-Platte auf 45, über die man einen Beat gelegt hat.

Ja, dies ist ein englischer Dubstep-Produzent. Ein gutes Beispiel für einen etwas deeperen Stil, nicht so abhängig von den sonst üblichen darken, wobbeligen Basslines.

Ich wünschte, wir hätten einen DJ-CD-Player dafür, denn der Bass ist nett. Es wäre schön, das erheblich langsamer zu spielen.

Ich hab das ein paarmal gespielt und auf -6 heruntergepitcht, und es funktioniert.

Ja, man müsste es so auf zwischen 120 und 125 BPM herunterbekommen, und es könnte wirklich deep sein.

Ist das ein Sound, den Du magst?

Nun, es erinnert mich an einen Sound, den ich mag. Aber die Pads, ich müsste raten, wenn ich sagen wollte, ob es Plugins oder Synth-Software-Keyboards sind, zumindest ist es ein Mastering-Stil, wo es hochgeladen wird und dann mit digitalem EQ und Plugins gearbeitet wird. Der Sound erhält dadurch diese Knusprigkeit, die mich nicht wirklich interessiert. Auf seine Art ist es zu clean, und zu scharf. Es ist ein Klang, der nur mit Digitalaufnahmen funktioniert. Was in Ordnung ist, es ist auf diese Art eben zeitspezifisch, und zeigt, dass ich überholt bin. Es ist wie House Music mit etwas zu unbehandelten Patch-Sounds. Das führt zu so einem industriellen Flavour. Das schreckt mich auch bei modernem Techno ab, ich mag das nicht.

Weil es vorgefertigt klingt?

Ja, aber auf eine Art die nicht zynisch ist. Ich kann es nicht genau sagen. Ich finde nicht die richtigen Worte um zu beschreiben, was mit diesem Keyboard-Sound ist. Aber ich mag den Bass.

Es ist definitiv für große Soundanlagen gemacht.

Ja. Read the rest of this entry »


Rewind: Johannes Ehmann über “Lupa”

Posted: March 1st, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit Johannes Ehmann über “Lupa” von Palais Schaumburg (1982).

Wie bist Du auf Palais Schaumburg gestoßen? Hast Du sie zu ihrer Blütezeit in den 80ern entdeckt?

Ja, ich war 16, wohnte in Hagen bei meinen Eltern und ein Schulfreund spielte mir “Wir bauen eine neue Stadt” vor, die dritte Single. Das war etwa 1982. Dieser Schulfreund hatte reiche Eltern mit einer Villa nur aus Glas und Beton, spielte halbprofessionell Golf, trug immer schicke Polohemden – und hatte eine großartige Plattensammlung. Ich weiß noch, dass wir an dem Nachmittag außerdem noch etwas von Chic und Afrika Bambaataa gehört haben.

“Lupa” ist ein Produkt der zweiten Phase der Band, als Holger Hiller ausgestiegen war. Warum hast Du Dir dieses Album ausgesucht, und nicht etwa “Das Single-Kabinett” oder die erste LP? Gefällt Dir diese Phase aus bestimmten Gründen besser?

Komischerweise, wenn ich jetzt so zurück schaue, hat es mich scheinbar schon immer elektrisiert, wenn sich neue Popmusik aus dem Ruhrgebiet, Düsseldorf oder Hamburg mit amerikanischen bzw. afroamerikanischen Traditionen gepaart hat. Und auf „Lupa“ hat man beide Einflüsse, die wunderbar zusammengehen. Das Deutsch-Hölzerne, Schräge, Dadaistische und den rhythmischen Flow der New Yorker Latindisco-Szene durch Produzent Coati Mundi. Das ist einmalig und hört sich heute noch so gut an wie 1982, oder besser. Read the rest of this entry »


Rewind: Heiko Zwirner über “Reign In Blood”

Posted: February 22nd, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit Heiko Zwirner über “Reign In Blood” von Slayer (1986).

Wie und wann bist Du zum ersten Mal Slayer begegnet?

„Reign In Blood“ ist Ende 1986 erschienen. Damals war ich 14 Jahre alt. Meine musikalische Sozialisation hatte bis dahin sich irgendwo zwischen „Formel Eins“ und der „Hitparade International“ auf HR3 abgespielt, und wenn ich mal ganz hart drauf war, hörte ich Queen, Gary Moore oder die Scorpions. Mit Beginn des neuen Schuljahres war ich jedoch in einen exklusiven Hometaping-Zirkel aufgenommen worden, dessen Hauptumschlagsplätze der Schulhof meines Gymnasiums und der Mannschaftsbus meines Fußballvereins waren. In diesem Tauschring wurde abgestimmt, wer welche Platten kauft und wem überspielt, sodass man am Ende des Monats alle relevante Neuerscheinungen auf Kassette hatte. Je extremer, desto besser. So lernte ich Metallica, Kreator und Anthrax kennen, aber auch klassische Metalbands wie Iron Maiden und Judas Priest. Ja, und dann kamen Slayer mit der angeblich härtesten Platte aller Zeiten: „Reign In Blood“, Album des Monats im Metal Hammer, und wegen des Mengele-Songs „Angel of Death“ von Anfang an heftig umstritten. Da die Scheibe keine halbe Stunde dauerte, ließ ich sie mir auf die A-Seite einer C60-Kassette überspielen (auf der B-Seite war „Another Wasted Night“ von Gang Green, aber das ist eine andere Geschichte). Ich kann mich noch erinnern, wie sich meine Mutter darüber wunderte, dass ich mein Zimmer verdunkelte, um „Reign In Blood“ über Kopfhörer zu hören. Welche Macht Slayer auch über andere hatten, erfuhr ich dann bei meinem ersten Metal-Konzert im Februar 1987. Helloween und Overkill spielten in Mainz, um zum Aufwärmen kam „Reign In Blood“ aus den Boxen. Bei „Criminally Insane“ hat die ganze Halle mitgesungen.

Warum hast Du Dich für “Reign In Blood” entschieden? Was macht das Album so wichtig für Dich?

Wenn man mich damals nach meiner Lieblingsband gefragt hätte, hätte ich vermutlich Anthrax genannt. Das New Yorker Quintett wirkte auf Fotos und in Interviews zugänglicher und sympathischer als die aggressiven Finsterlinge aus Kalifornien, und in ihren Texten beschäftigte sich die lustige Truppe um Scott Ian mit Situationen, die ich aus dem eigenen Alltag kannte. Die Typen von Slayer haben dagegen Angst eingejagt, die sahen richtig gefährlich aus. Kerry King trug ja damals immer dieses selbst gemachte Armband, das mit 250 fingerlangen Nägeln gespickt war.  Rückblickend haben Slayer jedoch klar die Nase vorn. „Reign In Blood“ hat sich bei mir tiefer eingegraben als jedes andere Metal-Album; über die Jahre hat es nichts von seiner Urgewalt verloren. Die Begegnung mit Slayer war für mich eine einschneidende Erfahrung. In diesen knapp 29 Minuten steckte so ziemlich alles drin, was ein Teenager, der das Leben bis dahin hauptsächlich aus dem Fernsehen kannte, bei der Herausbildung seiner Subjektivität brauchte: Massenmord, Religionskritik, Psychokiller – und Blut, das vom Himmel regnet. Mit einer überwältigenden Dichte und Intensität beschwört „Reign In Blood“ eine Welt herauf, die von Tod, Gewalt und Zerstörung bestimmt wird: die Hölle auf Erden. Gerade weil ich nur Fetzen von dem verstand, was da genau gesungen wurden, evozierten diese Songs einen gewaltigen, vulkanischen Bildereigen im Breitwandformat. In der Schule wurde einem ja damals noch ernsthaft vermittelt, dass Heavy Metal eine Gefahr für Seelenheil darstellt. Unser Religionslehrer warnte uns vor unterschwelligen Botschaften und berief sich dabei auf ein Pamphlet namens „Sie wollen nur deine Seele“, in dem Texte von Led Zeppelin und AC/DC analysiert wurden. Von daher war es stets auch mit einem wohligen Gruseln verbunden, sich auf ein so fragwürdiges Terrain zu begeben und Slayer zu hören. Read the rest of this entry »


Rewind: Paul Frick über “…And The Circus Leaves Town”

Posted: February 1st, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit Paul Frick über “…And The Circus Leaves Town” von Kyuss (1995).

Kannst du Dich noch daran erinnern, wie Du auf Kyuss gestoßen bist? Ist diese Musik eine lange Liebe von Dir?

Ich weiß noch, dass ich bei “City Music” am Ku-Damm im Metal Hammer geblättert hab, und dass das Vorgänger-Album “Sky Valley” dort Platte des Monats war. Das war 1994, mit 14 oder 15. Im Review stand, glaube ich, etwas von einer “Metal-Variante von Pink Floyd”… Das hat mich dann wohl geködert. Ich hab es mir angehört und war sofort von dem warmen, bassigen Sound eingenommen, und von dem unterschwelligen Blues. Sowohl “Sky Valley” als auch “…And The Circus Leaves Town” waren dann eine Zeit lang der Soundtrack meines Teenager-Lebens… Ich habe damals auch einige ihrer Songs und Riffs auf der E-Gitarre nachgespielt.

Warum hast Du Dir ausgerechnet “… And The Circus Leaves Town” ausgesucht? Was macht es zu DER Platte für dich?

Ich würde zwar nicht sagen, dass es DIE eine Platte ist, aber von meinen diversen All-Time-Favourites ist “…And The Circus Leaves Town” eine der wenigen, die ich immer ähnlich stark gespürt habe, die für mich auch eine Art innere Konstante über 15 Jahre hinweg darstellt, während sich mein Geschmack und meine Art Musik wahrzunehmen des öfteren stark geändert haben.

Den persönlich nostalgischen Faktor mal beiseite genommen, würde ich hervorheben: Den unglaublich organischen Sound. Die tiefen Bass-/Gitarrenflächen klingen so körnig und lebendig, und bei aller Verzerrung überhaupt nicht “hart”. Wie ein in den Tiefen kondensierter Blues. Josh Hommes Gitarrenspiel wirkt nie technisch oder virtuos, sondern hat bei allen Psychedelic-Anleihen immer etwas Reduziertes. Er und auch der Basser Scott Reeder bringen sehr intensive Stimmungen mit nur wenigen Tönen hervor, sind Meister der Andeutung. Alfredo Hernandez’ Schlagzeug ist wunderbar warm gespielt und aufgenommen, Lichtjahre von mechanischen Metal-Drums entfernt. Die fast ständig durchzischelnde, dreckige Cymbal-”Fläche” ist sehr charakteristisch für Kyuss und frequenztechnisch quasi die Ergänzung der tiefen Gitarren. John Garcias tolle Stimme ist grandios leise gemischt, manchmal eher eine Art sehnsuchtsvolle Andeutung in der Ferne… Man höre “El Rodeo”!

Der eigene Kyuss-Klang kommt auch besonders durch die Repetitivität der Stücke zur Geltung. Vielleicht ist diese Vertiefung in den Klang andersherum auch eine Konsequenz dieser Repetitivität. Eins ist hier jedenfalls ohne das andere nicht denkbar. Da wären wir eigentlich auch schon beim Thema Club-Musik…

Die Stärke dieser Musik liegt für mich im Zusammenspiel. Es können keine Songs sein, die einer schreibt und als Mastermind umsetzt. Es sind Kondensate aus langen Jams, aus einer gemeinsamen Stimmung im Raum (oder natürlich – wie die Kyuss-Legendenschreibung sagt – in der Wüste…) Für mich war und ist diese hypnotische Melancholie unwiderstehlich. Kyuss’ Musik ist extrem energetisch, ohne sich punktuell und forciert aufzudrängen. Read the rest of this entry »


Rewind: Justus Köhncke über “Play Loud”

Posted: January 25th, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit Justus Köhncke über “Play Loud” von den B-52’s (1979).

Kannst Du Dich noch daran erinnern wie und wann Du auf die B-52’s gestoßen bist? War die Band eine prägende Jugendliebe von Dir?

Absolut. Anfang 1980, als ich 13 war, kam meine 2 Jahre ältere Patchworkfamilienschwester Corinna von einem zweijährigen Intermezzo bei ihrem leiblichen Vater in Berlin zurück in unseren mittelhessischen Provinzschoß der Patchworkfamilie (die derzeit ja noch lange nicht so hieß) – nicht ohne die heiße Ware ihrer Mauerstadt-Teenieclique: Ian Dury, The Specials, The Police (tja, auch) und: The B-52’s „Play Loud“. Ich war gerade dem Hitparadeausdemradioaufcassettemitschneiden hin zum Cooleleutehörenjaalbenvontollenkünstlern entwachsen, da kamen mir diese Empfehlungen gerade recht. Tatsächlich kann ich noch heute viel für die erste Specials, „New Boots And Panties“ von Ian Dury & The Blockheads und unser Thema, „Play Loud“, tun. Corinna liebe ich nach wie vor heiß und innig, sie ist Wissenschaftlerin des psychologischen Fachs in Heidelberg, und findet poptechnisch nurmehr Abba, die Carpenters und Anett Louisian gut, von der sie meint, ich müsste die doch auch toll finden, wegen der einfühlsamen deutschen Texte, woran ich mich ja auch versucht hätte. Aber das nur am Rande.

Warum hast Du Dir ihr Debüt „Play Loud“ ausgesucht? Was macht das Album so wichtig für dich?

Wichtig ist natürlich, siehe oben, die (pop-)frühkindliche Prägung mit 13, aber andererseits nenne ich hier ja nun auch nicht „Regatta De Blanc“ (von Police, aus derselben Tranche). Denn „Play Loud“ ist für mich über die Jahre einfach nur gewachsen als besonderes Gewächs, das sie ist, diese Platte – später mehr dazu. Read the rest of this entry »


Rewind: Stefan Goldmann über “Devotion”

Posted: January 18th, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit Stefan Goldmann über “Devotion” von John McLaughlin (1972).

Was ist Deine persönliche Verbindung zu John McLaughlin? Wie und wann bist Du auf ihn gestoßen?

Als ich 14-15 war und meine Ferien wie immer in Sofia verbrachte, war plötzlich Jazz das ganz große Thema bei meinen Freunden dort. Die anderen waren 2-4 Jahre älter als ich und ich ließ mich gerne beeinflussen. Als ich z. B. 9 war, kam ich so zu Iron Maiden, dann zu Led Zeppelin und Pink Floyd, und schließlich kam ich eines Sommers wieder und die waren alle ganz versessen auf das, was sie für Jazz hielten. Also Hauptsache virtuos – da wurde dann John Coltrane genau so gehört wie Al Di Meola oder die Chick Corea Elektric Band. Der Name McLaughlin fiel da auch schnell. Zurück in Berlin ging ich also zum Virgin Megastore und schaute mir die Kassetten an. Das war das Format, das mich interessierte, weil ich keinen eigenen Plattenspieler hatte, dafür aber einen Ghettoblaster und einen Walkman. Im Laden hatten sie die “Devotion” sowie die “Love Devotion Surrender” mit Carlos Santana. Sonst nichts. Als angehender Jazz-Snob hab ich natürlich die „Devotion“ mitgenommen und mich nicht mit irgendwelchen Rockern aufgehalten. Interessanterweise war dieses Tape die Lizenzausgabe von Celluloid, was später eines der wichtigsten Labels für mich werden sollte. Es hatte dieses super Coverdesign von Thi-Linh Le, der die ganzen legendären Celluloid-Cover in den 80ern gemacht hat. Ich kam hier also gleich mit zwei sehr wesentlichen Dingen in Berührung.  Als ich damals auf einer Skifahrt in Tschechien war, konnte ich damit ganz gut die Mädchen beeindrucken, weil das selbst für die offenkundig so viel besser war als der Spaß-Punk, den die anderen Jungs dabei hatten.

McLaughlin war ja an sehr vielen bedeutenden Alben beteiligt. Warum hast Du Dir “Devotion” ausgesucht?

Gut, allein die ganzen Miles Davis Platten, auf denen er mitspielt sind eh der Wahnsinn. „Bitches Brew“ ist für mich sicherlich das bedeutendste Album überhaupt. Nur ist “Devotion” für mich einerseits der Einstieg gewesen, anderseits ist es in mehreren anderen Aspekten wirklich bemerkenswert: Es ist ein Album, das jemand in ein bestehendes Genre hineingesetzt hat – und dieses völlig übertroffen hat. Das ist ein wichtiger Beleg, das so etwas möglich ist. Es gibt immer diesen riesigen Vorteil, der Erste zu sein, der etwas Bestimmtes macht. Also ich denke da an Jeff Mills oder Plastikman, die einfach als erste wahrnehmbar ein kompositorisches Niveau erreicht haben in einer Musik, die vorher eher nur raue Energie war. Solche Leute haben auf Jahrzehnte einen Vorteil gegenüber jedem, der erst später dazukommt. Es ist ein zentrales künstlerisches Problem, wenn man innerhalb irgendeiner bestehenden Kunstform arbeiten will: was kann ich eigentlich noch beitragen? Die Möglichkeiten sind halt entweder den Rahmen zu dehnen oder es einfach deutlich besser zu machen als alle Anderen. Und Letzteres hat McLaughlin mit “Devotion” einfach gemacht. Da kommt einer aus England nach New York und nimmt den kompletten Laden auseinander. Die “Devotion” ist der klanggewordene feuchte Traum jedes Hendrix-Fans, nur das Hendrix das nie hingekriegt hat. Auch nicht mit “Band Of Gypsies”. Da kulminiert Etwas, was die ganze Zeit als Erwartung in der Luft lag, nur von Niemandem vorher eingelöst werden konnte. Dieses Energieniveau war einfach damals unbekannt. Und sehr viele spätere Sachen fußen darauf – sowie auf Lifetime, der Tony Williams Band mit McLaughlin und Larry Young. Read the rest of this entry »