Taz: über DSL

Posted: June 11th, 2018 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , | 1 Comment »

Der Wiener DJ, Produzent und Grafiker Stefan Biedermann alias DJ Super
Leiwand oder auch Danube Super Leiwand, kurz DSL, ist ein Phänomen. Er
war österreichischer Mix-Champion, mit Scratch-Gastauftritten in den
Charts bei Falco und Edelweiss und überregional einflussreicher Radio-DJ
bei der Sendung „Dope Beats and Tribe Vibes“ im ORF. DSL gibt selten
Interviews und seine Diskografie ist übersichtlich: Ein Album, einige
Singles und Remixe, deren hohe Qualität ein Verlangen nach mehr
auslöste, – leider vergeblich. So sind es vor allem seine Engagements in
den Clubs, die die Legende von DSL fortgeschrieben haben. DJs mit
einem Repertoire aus HipHop, Reggae und Rare Groove gibt es viele, aber
der Flow von DSL ist und bleibt stilprägend. Inzwischen ist DSL auch als
Grafiker renommiert. Aus Anlass der Veröffentlichung des von DSL
designten aktuellen WM-Spielplans haben wir einige Freundinnen,
Weggefährten und Bewunderer gebeten, das Wesen von DSL in Worte zu
fassen.

„Kennengelernt habe ich Stefan 1988 beim „New Music Seminar“ in New
York. Er hatte mit Dr. Moreau’s Creatures – zusammen mit Peter Kruder,
Sugar B, Rodney Hunter und Oliver Kartak, dort einen Auftritt. Das war
eine frühe Wiener HipHop-Crew, die hatten damals einen Hit und wurden
eingeladen, den live in New York zu spielen. DSL war ca. 18, ich
Mitte 20. Er hatte Mitte Achtziger schon aufgelegt und bei DJ-Battles
mitgemacht. Das lief in Wien in Großraumdiskotheken. Ich mochte seine
unglaublich präzise Art aufzulegen. Er hat Turntablism als einer der
ersten in Wien verstanden. Da waren die meisten noch rockistisch
orientiert mit Nick Cave und so. HipHop wurde, wenn überhaupt, dann
höchstens auf LPs wahrgenommen, Stefan mischte mit Maxisingles. Das war
rebellisch, er hat HipHop als Kunstform verstanden, die Instrumentals
geliebt, fast mehr als die Vocal-Tracks. Ich bekam dann von Werner Geyer
ein wöchentliches 15-Minuten Fenster für HipHop in der „Musicbox“ beim
ORF-Radio und fragte Stefan, ob er die Mixes machen will. Das war Beginn
von „Dope Beats and Tribe Vibes“, einer HipHop.Sendung, die es immer
noch gibt. Stefan hat eine sehr musikalische Ader. Sein Gespür für
Timing ist grandios. Der Vater war Orchestermusiker und von dem hat er
wohl ein sehr gutes Gehör geerbt. Er ist jetzt Grafiker und lebt –
frisch verheiratet – wieder in Wien. Die Club- und Musikszene in Wien
hat keiner so geprägt wie er. Den Funk hat er in unsere Sendung
gebracht. Es hat mich sehr geprägt mit ihm zu arbeiten und ich habe
extrem viel von ihm gelernt.“

Katharina Weingartner, Autorin und Filmemacherin, Wien

„Anfang der Neunziger teilten DSL und ich uns den Freitag in dem
kleinen, aber immer vollen Wiener „Roxy-Club“. Einen Freitag er, den
nächsten ich. Arbeitszeit für uns DJs war von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr.
Wenn es voll war, ging es manchmal auch bis Mittags. DSL besuchte mich
an seinen arbeitsfreien Freitagen regelmäßig, nachdem der letzte Tropfen
in den Bars der Nachbarschaft geflossen war, kam er beschwingt hinter
das DJ-Pult und fragte mich, was ich im Moment an neuen Doubles
(Dupletten) habe. Im HipHop steigert der versierte DJ die Dramaturgie,
indem er mit zwei Kopien der selben Platte, – eine Instrumental-Version,
eine Vocal-Version – , den Track mit der Technik von Scratching in
kleinste Einzelteile zerlegt und damit die Crowd auf dem Dancefloor zur
kollektiven Ekstase bringt. DSL konnte man mit zwei Platten so lange
alleine lassen, dass sich ein Frühstück locker ausging und ich mir dann
nach einer Stunde die völlig durchgedrehte Crowd wieder abholen musste.
Dass er die ganze Zeit den selben Song spielte, checkte keiner.“

Peter Kruder, G-Stone Recordings, Wien

„Bevor DSL in den Neunzigern im Hamburger Golden Pudel Club aufzulegen
begann, gab es dort bereits zwei Plattenspieler, der zweite wurde aber
nie benutzt. DSL war der Erste, den ich dort mit zwei Plattenspielern so
virtuos habe auflegen hören, dass ich schier gebannt war. Damals waren
tatsächlich schon renommierte DJs im Pudel zu Gast oder legten
regelmäßig auf, jedoch gefühlt angeknüpft am vermeintlichen, – ich sags
ungern-, Trash-Pudel-Style. DSL kam und scratchte Soulplatten, oder war
es HipHop? Was waren das für Beats! Für ihn selbstverständlich und
extrem locker: das Doppeln und die Arbeit mit der Endlosrille – ein
einfacher Trick, wir Hamburger kamen aus dem Staunen nicht heraus.
Zauberei! Leiwand! Dazu die Optik: Schlaksige Körperlichkeit aus Mensch
und Turntables, Beine, Arme, Schallplatten, Hände und Regler, alles
durcheinander gewirbelt und dabei Musik herstellend, dann auf direktem
Weg zurück damit in diesen langen Körper. Whoosh! Bald hatte ich diverse
Gelegenheiten, höchstselbst mit ihm und seinem musikalischen Body
aufzulegen. Ich hatte die Deckel der Plattenspieler nicht beiseite
gelegt, sondern sie als Schutz vor Blicken extra hochgeklappt, um mich
dahinter zu verbarrikadieren. DSL: Bitte übernehmen Sie.

Myriam Brüger, djmelanie, Berlin

„Kaum volljährig und frisch nach Bayern gezogen, war die ab 1990 im ORF
ausgestrahlte Radiosendung „Dope Beats and Tribe Vibes“ Auftakt und
Höhepunkt meines Ausgehwochenendes. Oft hörte ich sie auf der Fahrt in
den Club und verharrte bis zum letzten Ton im Autositz. Der
redaktionelle Teil beleuchtete mittels Interviews und Reportagen direkt
aus den USA zunächst die aktuellen, damals rasanten Neuerungen im HipHop
und ordnete diese auch kulturell und soziopolitisch ein, bevor zum
Finale DSL, damals im deutschsprachigen Radio wohl einzigartig, einen
durchgehenden Mix spielte. Moderationsinhalt und der sehr eigene Duktus
zwischen Slang und Feuilleton prägten mir ein, dass die
unterschiedlichen Lebensumstände dem Fan das direkte Kopieren der
US-Vorbilder verbieten. DSL unterstrich diesen Eindruck akustisch mit
einem damals schon eigenen Stil und seinem Signatur-Trick, das selbe
Stück auf beiden Plattenspielern minimal zeitversetzt zu spielen und so
einen verwaschenen Flanger-Effekt zu simulieren. Als ich DSL dann später
an unserem mittlerweile gemeinsamen Wohnort Hamburg kennen lernen und
live hören konnte, verstand ich auch, wie persönlich sein Stil und wie
musikalisch sein Leben ist; im Umgang eher bescheiden und etwas
introvertiert, aber mit einem feinen, trockenen Schmäh und unbändigem
Enthusiasmus ausgestattet, ist Stefan kein DJ, der mit seinen
meisterlichen, technischen Fähigkeiten eitel protzend Musikstücke
zerschreddert oder das Publikum mit schalem Hit-Potpourri ködert.
Sondern er zieht einen mit seiner originellen Auswahl und weichen,
fließenden Übergängen in die Strömung. Ebenso individuell vermengt er
HipHop-Kultur mit seiner anderen Leidenschaft, dem Fußball: Angefangen
mit seiner Ode an Toni Polster, später als Präsident unseres
vielköpfigen, regelmäßig im Vereinsheim spielenden DJ Kollektivs „St.
Pauli Sound Supporters“, für das er auch alle Flyer gestaltete und
dessen Banner der Steh-Fan auch bei jedem Spiel prominent in der Kurve
platzierte, bis jetzt zu den einzigartigen, zunächst aus Spaß für das
gemeinsame Schauen in relativ kleiner Freundesrunde entworfenen
Turnierplänen. Kurzum: super-leiwand DJ, ur-ur-leiwand als Typ.“

Constantin Groll, Word&Sound Vertrieb, Hamburg

„Vor fast 30 Jahren standen wir hinter dem DJ-Pult der Disko im Wiener
Volksgarten, tranken was, rauchten und lauschten der Musik, als ich
unvermittelt ohnmächtig wurde, zu Boden ging und auf dem besten Wege
war, mir den Hinterkopf volle Kanne an der Thekenkante anzuschlagen.
Glücklicherweise war Stefan geistesgegenwärtig, wie sonst auch, fing
mich heldenhaft auf – man könnte auch sagen, ich sank in seine Arme –
und rettete mich. Das hinterließ einen bleibenden Eindruck. Abgesehen
davon hat er mich musikalisch sehr beeinflusst. Er brachte mir die
Instrumentals auf den Maxis näher, deren reduzierte Beats und Grooves
waren fortan mein Ding. Und auf den New Yorker Produzent Mark The 45
King wäre ich ohne ihn auch nicht gekommen. DSL ist sehr groß, sehr
verschmitzt, sehr begabt und ich muss ihn unbedingt wieder mal auflegen
hören!“

DJ Electric Indigo, Berlin

„DSL ist der DJ, der mir die schönsten Party-Nächte geschenkt hat. Er
hat die seltene Gabe, Menschen mit Musik überglücklich zu machen – wie
oft bin ich selig im ersten Morgenlicht nach Hause gewankt! Zum
erstenmal erlebt habe ich DSL in Hamburg Ende Achtziger auf einem
Openair-Soundclash an der Elbe – damals noch mit seinem Kollegen Sugar
B, und ich erinnere mich, dass wir da schon alle unseren Augen nicht
trauten über diesen langen Lulatsch an den Plattentellern. Später im
Pudel, hat Stefan meist im Sitzen aufgelegt, weil er sonst mit dem Kopf
durch die Decke gegangen wäre, und im Laufe der Nacht dann seine
mitgebrachten Stullen ausgepackt.“

Marga Glanz, Groove City Record Store-Inhaberin, Hamburg

„Von keinem anderen Künstler sind mir im Lauf der Jahre so viele Platten
abhanden gekommen, abgeschnackt oder stibitzt worden, wie von Wiens
allerfeinstem DJ DSL. Dies beweist zweierlei: Zum einen die turmhohe
Qualität seiner Produktionen, die rechtschaffene Tänzer zu spontanen,
aber irgendwo auch ehrenhaften Ganoven werden lässt, sobald der DJ nicht
genau aufpasst: Zum anderen die latenten Beschaffungsschwierigkeiten,
die mit seinen Platten stets verbunden waren. DSL-Vinyl war schwer zu
kriegen, kleine Auflagen auf Obskuro-Labels, echte, wirkmächtige
Fetische eben, denen ich immer noch nachflenne. Immerhin habe ich noch
das von ihm designte Sankt-Pauli-T-Shirt.“

DJ Hans Nieswandt, Köln

Ich hatte gerade meine Teenagerzeit als Mod und Atrium-DJ abgestreift
und beim Wiener Plattenladen Dum Dum Records neues, Aufregendes
entdeckt, da hörte man von den Brüdern Biedermann: Stefan Biedermann
wurde zweimal in Folge DMC-Weltmeister, damit war die Legende geboren.
Danke, lieber DSL für deine Pionierarbeit!

Erdem Tunakan, Cheap Records, Wien

„Als ich Stefan das erste mal sah, stand er an einem Flipper im
legendären U4 Club in Wien. Er trug damals eine unglaublich stylische
Haarsträhne, die aus einem keck in den Nacken geschobenen Basecap
hervorquoll. Mir wurde er als der beste DJ Wiens vorgestellt. Was mir
sofort auffiel, war ein Move, den er mit seiner Hand machte, während er
den Flipper bearbeitete. In regelmäßigen Aufständen wische er seine
Fingerspitzen an seinem Hemd ab! Profimove! Dass er das auch beim
Scratchen machte, fiel mir erst später bei einem Auftritt mit den
Moreau’s auf. Ich hab mir diesen Finger-Move dann selbst angewöhnt und
mach ihn bis heute beim Auflegen!“

DJ Patrick Pulsinger, Wien

„What a Great Happiness, DSL hat es wieder getan und den ultimativen
WM-Spielplan entworfen. Das ist wohl seine größte Tat nach dem Remix von
„Happy Bear“ und seinem „Der Mond“-Remix für Rocko Schamoni. Stefan, wir
vom Hund am Hafen vermissen dich und deinen HipHop für Erwachsene sehr,
konnten aber deiner in Wien-lässt-sich-in-Schönheit-Sterben-Sehnsucht
keine Hamburgensie entgegensetzen, die dich zum Bleiben veranlasst
hätte. Ohne Dein Deejaying ist HipHop nie wieder wie vorher, nicht so
elegant und anmutig in seiner reinen Form.

Ralf Köster, Golden Pudel Club-Mitbetreiber, Hamburg

Protokolle Finn Johannsen und Julian Weber

Taz 06/18


One Comment on “Taz: über DSL”

  1. 1 findtubes said at 12:08 am on December 12th, 2019:

    „DSL ist der DJ, der mir die schonsten Party-Nachte geschenkt hat. Er hat die seltene Gabe, Menschen mit Musik uberglucklich zu machen – wie oft bin ich selig im ersten Morgenlicht nach Hause gewankt! Zum ersten Mal erlebt habe ich DSL in Hamburg Ende der Achtziger auf einem Open-Air-Soundclash an der Elbe – damals noch mit seinem Kollegen Sugar B. Ich erinnere mich, dass wir da schon alle unseren Augen nicht trauten uber diesen langen Lulatsch an den Plattentellern. Spater im Pudel hat Stefan meist im Sitzen aufgelegt, weil er sonst mit dem Kopf durch die Decke gegangen ware, und im Laufe der Nacht dann seine mitgebrachten Stullen ausgepackt.“


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