Interview: Tensnake

Posted: June 29th, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , | No Comments »

Du bist ja schon eine ganze Weile aktiv. Mit Deinem Label Mirau fing es an, was ja anfangs auch noch ganz anders ausgerichtet war als das, was jetzt Deine Karriere ausmacht. Man hätte also schon darauf kommen können, dass man Dich nicht so leicht festlegen kann. Stellt das mittlerweile ein Problem für Dich dar?

Nein, wo ich heutzutage stattfinde, ist schon größtenteils ein House/Disco-Rahmen. Ich sehe das nicht als Problem. Ich finde es nur dann schwierig, wenn ich nun auf eine Rolle als Nu Disco-Produzent beschränkt werde, weil es für mich halt nichts aussagt. Ich finde der Begriff „Nu Disco“ ist schon schwierig. Ich will mich auf gar keinen Fall festlegen, in irgendeine Richtung.

Es Dir also wichtig als Produzent einen Freiraum zu behaupten, in dem Du machen kannst, was Du willst?

Ja, das ist schon sehr wichtig. Das ist oft immer sehr stimmungsabhängig, und das kann morgen auch was ganz Anderes sein. Es war sicherlich auch Glück, dass es jetzt in dieser Disco-Welle alles zusammenkam, aber ich habe nicht gezielt daraufhin produziert.

Dadurch, dass Du bei Running Back und Permanent Vacation veröffentlicht hast, zwei Labels die im Zentrum dieser Entwicklung stehen, warst Du ja gleich mittendrin im Getümmel. Das hat es sicherlich auch forciert, oder?

Bestimmt, ja. Permanent Vacation sicherlich eher als Running Back. Ich finde Running Back ist ein sehr offenes Label, hat aber mit Disco eigentlich nicht viel zu tun. Finde ich zumindest, vielleicht sieht Gerd Janson das anders. Da passiert auch ganz viel Unterschiedliches.

Hattest Du im Hinterkopf, wenn Du beispielsweise eine EP wie „Coma Cat“ auf einem Label wie Permanent Vacation veröffentlichst, was da schon im Fokus ist, dass was für Dich passieren könnte?

Ja, sicherlich. Das sind zwei Label, die ich natürlich sehr toll finde und sehr schätze, und ich war auch froh, dass sie meine Sachen veröffentlicht haben. Das hat auch extrem geholfen, weil sie ja auch schon eine große Aufmerksamkeit haben. Gleichzeitig habe ich mich bei der Veröffentlichungspolitik sehr wohl gefühlt. Es ist sehr breit gefächert, was beide Labels machen. Ich fand, das passt ganz gut.

Wie stehst Du denn generell zu dieser Disco-Entwicklung? Es gab eine Menge Unterschubladen und Nischenforschung, und Dein Ansatz war ja etwas breiter angelegt.

Was ich immer spannend finde ist, wenn man bestimmte Elemente in der Musik hat, sich aber nicht darauf beschränkt. Wenn das Ganze gebrochen wird. Da gibt es sicherlich Produzenten und Produktionen, die dieses Disco-Ding viel klarer zum Ausdruck bringen. Leute wie Faze Action etwa. Vom Herzblut her bin ich sowieso eher in der Früh80er-Boogiezeit als bei End70er-Disco.

Dich interessieren eher Teilaspekte des Kontexts, die Du dann in Deinen eigenen Sound überträgst?

Genau. Eine große Motivation bei der „Coma Cat“ EP war, für mich noch einmal so einen Moment der Begeisterung zu schaffen den ich früher hatte, als ich Sachen zum ersten Mal gehört habe. Ich wollte es also so authentisch wie möglich, aber auch kompatibel machen.

Die Themen in diesem Kontext werden immer spezialisierter, und Deine Musik ist nicht unbedingt daran interessiert das abzubilden. Wirst Du deswegen kritisiert?

Ja. Viele Leute können wahrscheinlich auch gar nichts mit anfangen, weil es zu plastik ist, oder nicht deep genug. Es ist auf eine Art schon sehr zugänglich, was manche Leute dann wieder abschreckt. Aber das ist mir eigentlich ziemlich wurscht. Es hat schon Elemente von Popmusik, die vielleicht massenkompatibel sind, was den Erfolg gerade auch ein bisschen ausmacht. Die „Coma Cat“ wird von House- und Hip Hop-DJs aufgelegt, das ist so ein übergreifendes Ding.

Ich fand es interessant, wie Du dort unterschiedliche Stile zusammenbringst.

Ja, das ist nicht etwas was ich mir überlegt habe, das passiert dann eben beim Produzieren. Es ist oft auch einfach Glück, dass man etwas zusammenbringt und dann passt es halt auf einmal.

Ich sehe da durchaus Parallelen zu der Art und Weise, in der sich Disco und House in den frühen 90ern getroffen haben. Leute wie Joey Negro haben ihre allerliebsten Zitate in House verpackt, wohingegen Leute wie die Idjut Boys etwas Anderes daraus machen wollten. Und mittlerweile wird abermals kritisiert, dass man sich aus der Discogeschichte nur das nimmt, was einem gefällt.

Ja, klar. Die Freiheit muss schon da sein, sonst wäre es ja eine reine Wiederholung. Was ja langweilig wäre. Jedem das Seine, Puristen gibt es natürlich immer und das ist auch gut so, aber diese Grenzen und Beschränkungen versuche ich eigentlich eher zu durchbrechen, als mich so darin zu bewegen.

Gibt es weitere Grenzen, die Du in der nahen Zukunft durchbrechen willst?

Nicht unbedingt von der Entwicklung her. Was sicherlich ansteht ist, dass ich mit meinem Album anfange. Ich bin da wahnsinnig schlecht mit. Dazu kommt ist, dass ich echt langsam bin beim Produzieren. Teilweise habe ich da Stücke liegen, die mir nach einem Jahr nicht mehr gefallen. Das geht sicherlich vielen so. Das ist vielleicht  auch ein Lernprozess, dass man sagt das war eine bestimmte Zeit und man nimmt es trotzdem mit aufs Album. Ich habe wahrscheinlich deswegen noch nicht wirklich damit angefangen, weil ich noch gar nicht genau weiß, wo ich hin will. Ich will auf jeden Fall mehr mit Gesang machen, noch mehr in Richtung Pop. Weg vom Club.

Und Du bist ja auch als Remixer sehr aktiv. Hast Du Ambitionen da mehr mit Pop-Acts zu machen und dann auch als Produzent?

Das wäre natürlich toll wenn das passiert, aber davor müsste ich erstmal selber meinen Kram fertig machen. Aber das ist auf jeden Fall ein Wunschgedanke. Ich könnte mir absolut vorstellen, mich als Auftragsproduzent zu etablieren. Vor allen Dingen wenn man mal älter ist, und nicht mehr durch die Weltgeschichte tingeln will. Das stelle ich mir als Herausforderung spannend vor. Aber da ist noch nichts in der Pipeline. Es gibt natürlich schon ein paar Wunschkandidaten, mit denen ich gerne für das Album zusammenarbeiten würde, aber da ist bis jetzt nur Kontakt da und dann muss man mal gucken was passiert.

Du hast Dich ja entschieden, nur als Live-Act im Club aufzutreten. Du willst gar nicht auflegen?

Das hat in erster Linie mit der Zeit zu tun. Es kommt soviel heraus was man im Blick haben und anhören muss. Die Zeit hätte ich lieber gerne um zu produzieren, weil mir das letzten Endes viel mehr Spaß bringt. Außerdem gibt es schon so viele gute DJs, da muss nicht noch einer ankommen.

Hast Du denn einigermaßen Überblick, oder ist es für Deine Produktionen sowieso irrelevant?

Irrelevant ist es sicher nicht. Ich komme in letzter Zeit viel zu wenig dazu. Ich schmeiße mir meine Lieblingspodcasts auf den iPod und höre mir das an wenn ich unterwegs bin. Das habe ich schon im Blick und das finde ich auch wichtig.

Gibt es denn andere Produzenten in der Szene, die Du gerade gut findest?

Ja, da gibt es eine ganze Menge. Aber das ist nicht zwingend begrenzt auf das Disco-Umfeld. Ich hör ja alles Mögliche. Ich finde die Wolf + Lamb-Sachen ganz spannend, aber ich habe mir auch das Dettmann-Album geholt, das ich ganz hervorragend finde. Es gibt einfach so viel tolle Musik!

Würdest Du so etwas auch mal machen wollen? Die Benjamin Wild auf Mirau damals war ja auch eher in diese Richtung.

Ja, schon. Für mich persönlich eher nicht. Nicht weil ich es nicht mag, aber ich komme beim Produzieren nicht dahin, dass es authentisch genug wäre. Und um da bei der Stange zu bleiben, fehlt mir dann doch am Ende des Tages die Melodie. Ich brauche immer ein bisschen Harmonie da drin. Ich habe ja auch noch das Projekt Arp Aubert, mit dem wir eine Weile nix gemacht haben. Das ist mit Stephan Lorenz zusammen, mit dem ich auch Mirau mache. Da wollen wir jetzt eine EP machen und das wird musikalisch ganz anders. Da kann ich halt auch die dunklere Seite ausleben. Wir machen viel mit Gitarren und Stephan ist eher im Indie-Bereich angesiedelt, das wird eine ganz spannende Mischung werden.

Hast Du das Gefühl, die Clubszene ist für Acts wie dich offener geworden, oder haben sich manche Strukturen nicht geändert?

Ich werde meistens schon dahin gebucht wo es passt, aber grundsätzlich habe ich schon das Gefühl, dass es offener geworden ist. Im Vergleich zu einigen Jahren davor vermischt sich einfach viel mehr an Musikstilen und gerade die jungen Leute sind viel offener als früher.

Für Dich als jemand, der beides liebt, ist doch diese allgemeine Begeisterung für House und Disco ein Schlaraffenland, oder?

Ja! Und dann wieder Piano überall drin, was ich natürlich toll finde. Aber das wird natürlich auch irgendwann wieder vorbei sein. Musik ist ja auch wie Mode. Es verändert sich alles, es kommen wieder Zitate. Es wird wieder was genommen, was es schon mal gab, nur anders verpackt. Das wird wahrscheinlich immer so bleiben.

Ist das ein Problem für Dich, dass man nicht zu retro wird, aber immer noch ein Gefühl transportieren kann ohne dass es zu cheesy wird?

Ich weiß nicht, ich glaube ich bin an dem Cheese-Faktor schon oft nah dran (lacht). Ich habe da nicht so richtig Angst vor. Du kennst Dich ja auch gut mit diesen ganzen Boogie-Sachen aus, das ist ja schon oft so ein Plastik-Sound. Die Lyrics sind größtenteils banal. Ich finde aber, dass da trotzdem eine ganz große Tiefe drinstecken kann. Zum Beispiel „She Can’t Love You“ von Chemise, ich entdecke da immer neue Sachen drin, seit Jahren schon.

Ich fand es interessant, wie die Produzenten versucht haben nach dem Ende der klassischen Disco-Ära Anfang der 80er mit anderen Mitteln weiterzumachen. Der Sound wurde deutlich synthetischer, aber man wollte ein ähnliches Gefühl erhalten.

Genau, im Grunde genommen war es eine Reduktion des überladenen Disco-Sounds, viel elektronischer. Für mich ist das die spannendste Phase.

Meinst Du, diese Phase wird heutzutage so oft zitiert, weil man keine große Produktion braucht um sich dem anzunähern?

Ja, mit Sicherheit. Heutzutage braucht man dafür eigentlich nur noch einen Rechner und das war es. Es ist so eine Sache, ob man den Sound dann so hinkriegt. Ich bin noch lange nicht wo ich gerne wäre, vom Mischen, vom technischen Aspekt her. Aber grundsätzlich ist es natürlich toll, was man heutzutage alles machen kann. Ich bin da nicht so strikt. Angefangen habe ich allein mit dem Rechner, dann habe ich mir über die Jahre ein paar Outboard-Sachen zugelegt. Das ist natürlich ein Unterschied, und es klingt anders, aber ich bin kein Purist für den es analog sein muss. Man muss immer sehen was am besten passt, und das ist dann das Richtige.

Hast Du eine Prognose, wie es mit diesem Bereich zwischen House und Disco weitergehen wird?

Vom Gefühl her weiß ich nicht wohin die Reise gerade geht. Vor drei Jahren konnte man sicherlich besser sehen wie sich das entwickelt, und es war auch abzusehen, dass dieses Disco-Ding immer größer werden würde. Aber im kommerziellen Bereich ist es ja gerade erst angekommen. Was an sich ja ein gutes Zeichen dafür ist, dass es bald vorbei sein wird (lacht). Ich habe keine Ahnung was danach kommen wird. Konsequenterweise müsste es ja wieder runterbrechen, es müsste eigentlich das genaue Gegenteil davon passieren.

Aber wenn Du dann erfolgreicher Pop-Produzent bist, kann Dir das ja herzlich egal sein.

Schnurzegal, genau (lacht).

De:bug 07/08/10



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