Interview – Tim Lawrence
Posted: February 6th, 2017 | Author: Finn | Filed under: Artikel | Tags: Interview, taz, Tim Lawrence | No Comments »Photo: Katja Ruge
Als Dein erstes Buch Loves Saves The Day erschien, gab es schon mehrere Bücher über die klassische Ära Disco-Musik der 70er in New York, aber es stach hervor. Was bewog Dich, es zu schreiben?
Disco von Albert Goldman erschien 1979, aber es handelte vornehmlich vom Club Studio 54. Es gab darin eine ziemlich rassistische Referenz über David Mancusos Club The Loft und flüchtige Erwähnungen eines weiteren DJ-Pioniers, Francis Grasso. Zudem schrieb Anthony Haden-Guest The Last Party, aber darin ging es auch hauptsächlich um das Studio 54 und deren Celebrity-Kultur. Beide hatten ein anderes Interesse an Nightlife-Kultur, und das hatte nichts mit DJs zu tun, und ich dachte, dass sie an der eigentlichen Dynamik vorbeigingen, die Partys so interessant macht.
Stimmt es, dass Loves Saves The Day ursprünglich als Einleitungskapitel eines Buches über House-Musik gedacht war?
Ja, das stimmt. Das Buch über House sollte in Chicago Mitte der 80er einsetzen und dann zum New York der späten 80er übergehen, und von dort zu den Anfängen der englischen Rave-Kultur. Ich bin 1967 geboren, für mich war Disco also Musik, die ich zu ihrem Gipfel 1977/78 als Kind gemocht hatte. Als ich wirklich anfing, mich für Musik zu interessieren ging ich aus und interessierte mich für House. Aber ich interviewte für das Projekt DJs wie Tony Humphries, Frankie Knuckles, oder David Morales, und sie alle erwähnten einen anderen DJ als großen Einfluss, und das war David Mancuso. Also traf ich mich mit ihm und er riet mir, nicht nur mit Disco anzufangen, sondern mit der Zeit davor, den frühen 70ern. Zuerst behagte mir die Idee nicht, aber als Journalist erkannte ich, dass da eine Story war. Und es ist auch wichtiger Teil von Nachforschungen, den Ursprüngen nachzuspüren, und ich sah mich immer zwischen dem Journalismus und dem akademischen Betrieb. Also vergrub ich mich in das Thema für die Einleitung, und 500 Seiten später war ich im Jahr 1979 angelangt, und beendete ein völlig anderes Buch. Ich erkannte sehr früh, dass die wichtigste Entwicklung in dieser Kultur stattfand, als die Kommunikation zwischen DJ und tanzendem Publikum einen völlig neuen Umgang mit der Musik einführte. Und es war auch Teil der Gegenkultur, eng mit den sozialen Kräften verbunden, die in den USA dieser Ära am Werk waren: die Schwulenbewegung, Bürger- und Frauenrechte, LSD-Experimente, und die Anti-Kriegsbewegung.
Hatten die Interviewten des Buches schon darauf gewartet, ihre Geschichte erzählen zu können?
Ja, denn bis dahin wurde ihre Geschichte nicht wirklich erzählt, auch wenn ihr kultureller Einfluss in den 70ern enorm war. Als ich nach dem ersten Interview mit David Mancuso nach Hause kam, hatte sich schnell herumgesprochen, dass man mir trauen konnte, und ich hatte einige Nachrichten von seinen Freunden auf dem Band, unter anderem vom DJ Steve D’Acquisto, der mich wiederum Francis Grasso vorstellte, und dann ging es von dort weiter. Das alles geschah ab 1997, bevor einige von ihnen mit Bill Brewster und Frank Broughton für ihr Buch Last Night A DJ Saved My Life sprachen. Als Mancuso und Grasso Anfang der 70er anfingen aufzulegen, gab es einen demografischen Wandel auf den Tanzflächen, und beide legten den Grundstein für das, was wir heute unter DJ-Kultur verstehen. Grasso war z. B. der Stamm-DJ des Sanctuary, das bis Ende der 60er eine heterosexuelle Diskothek war, und dann die erste, die Schwule einließ. In den 60ern musste der DJ ab und zu die Tanzfläche abwürgen, damit die Bar ihren Umsatz machen konnte. Aber dann wurde irgendwann so frenetisch getanzt, dass Grasso diese Intensität hochhalten wollte, und dafür erfand er die Technik des Mixens von zwei Platten. Die Herangehensweise von Mancuso war hingegen, als musikalischer Gastgeber einer Privatveranstaltung zu fungieren, in seinem eigenen Loft, ausgestattet mit einer hochwertigen Hifi-Anlage, und seine Gäste auf eine musikalische Reise zu schicken. Und seine erste Party fand am Valentinstag 1970 statt, unter dem Motto „Love Saves The Day“. Es führt eine direkte Linie vom frühen Loft zu anderen New Yorker Clubs wie der Paradise Garage, deren Besitzer Michael Brody und Stamm-DJ Larry Levan regelmäßige Gäste waren. Auch Robert Williams ging dorthin, was ihn dazu bewog, das Warehouse in Chicago zu eröffnen, in dem Frankie Knuckles als DJ die Grundfesten von House errichtete. Alle Wege führten zurück zum Loft, es war alles verbunden.
War es Dir ein Anliegen, die politischen Aspekte von Disco hervorzuheben?
Absolut. Die Reaktion gegen Disco fand ihren Höhepunkt in der Disco Demolition Night bei einem Baseball-Match im Comiskey Park-Stadion in Chicago am 12. Juli 1979. Ein lokaler Radio-DJ hatte dazu aufgefordert, Disco-Platten mitzubringen und jagte sie dann zwischen zwei Spielen in die Luft. Es war eine Gegenreaktion im Mittleren Westen. Ich würde argumentieren, dass die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten dort begann. Es ist die gleiche Zusammensetzung und Grundstimmung einer Bevölkerungsgruppe, die sich sich ökonomisch abgehängt fühlte, und Disco-Kultur wurde zum Sündenbock für den Verfall der Industrie. Ich interessiere mich immer für die Korrelation zwischen einer Mikrokultur und der Makrokultur, in der sie erfahren wird. In diesem Buch ging es um mehr als nur Disco. Disco-Musik definiert als solche gab es erst ab 1974, es gab also schon vier Jahre davor, in denen all diese Entwicklungen stattfanden.
Hattest Du während des Schreibens den Musiker Arthur Russell schon als Schlüsselfigur ausgemacht, an dem sich die Verbindungen dieser Entwicklungen aufzeigen ließen? Er wurde dann ja der Mittelpunkt Deines nächsten Buches Hold On To Your Dreams.
Definitiv. Während der Gegenreaktion wurde es offensichtlich, dass sich die Disco-Szene, wie sie im Film Saturday Night Fever dargestellt wurde, weit von ihren Ursprüngen entfernt hatte. Sie explodierte zu einem Lebensstil, und selbst Disco DJs hatten es satt. Die Qualität der Musik hatte stark abgenommen und es war an der Zeit für etwas Neues. Steve D’Acquisto stand Arthur Russell sehr nahe und schlug mir vor, ein Buch über ihn zu schreiben. Mir wurde klar, dass ich nicht wie automatisiert Chronologie und Themen abarbeiten wollte. Mein Lektor war zuerst besorgt, dass sich nicht genug Leute für Russell interessieren würden, denn seine Musik wurde zwar noch gespielt und gehört, aber nach seinem Tod 1992 verschwand er als Person aus der öffentlichen Wahrnehmung. Aber 2003 schrieb David Toop einen langen Text über ihn in der Zeitschrift Wire, da zwei posthume Veröffentlichungen bevorstanden, und das Interesse lebte wieder auf und machte das Buch möglich. Natürlich war er ein interessante Person, aber ich hatte mich nie wirklich für die Gattung der Biografie interessiert. Ich interessiere mich für Szenen, die nach dem Mitwirkungsprinzip funktionieren. Arthur Russell hatte sich aber immer für Kollaborationen begeistern können, und die sozialen Erfahrungen, die durch Musik ermöglicht werden, und er war von sich aus offen für verschiedene Arten von Musik. Daher wurde er zu dieser Schlüsselfigur, die sich durch verschiedene Szenen von Downtown New York bewegte, wie etwa Orchestrale Musik, Punk, dann Disco und Hip Hop sowie Folk und Dub. Und er bewegte sich nicht der Reihe nach, und wechselte eine Szene durch eine andere aus, er machte es ohne Priorisierung und ohne hierarchisches Denken. Er wollte, dass die Szenen eine simultane Konversation haben, und er war sehr mobil.
Deutet dieses Prinzip der Mobilität nicht schon auf Dein aktuelles Buch hin, Life And Death On The New York Dance Floor 1980-1983, das zu einem Großteil darstellt, in was für einem großen Umfang Club- und Kunstszene jener Jahre interagiert haben?
Sehr guter Punkt. Als ich mit dieser Anti-Biographie fertig war, begann ich mit dem neuen Buch, und es sollte erneut um House-Musik gehen. Es würde die 80er abdecken, und wieder dachte ich, die frühen 80er wären ein Kapitel. Ich lehnte Rock- gegenüber Tanzmusik ab. Ich hatte die dazugehörige Kultur in den 90ern wirklich in die Arme geschlossen. Es fühlte sich sehr ideologisch an. Rockmusik fühlte sich unglaublich reaktionär an, und Tanzmusik unglaublich progressiv, sowohl klanglich als auch sozial. In der Tanzmusik ging es um schwarze, queere und feministische Kultur, und neue Denkweisen im Zusammenhang mit Musik. Rock schien nur zurückzublicken und wirkte langweilig. Aber das Schreiben über David Mancuso und Arthur Russell hatte mich weitergebildet und ließ mich umdenken. Und sobald ich anfing zu schreiben wurde es schnell klar, dass ich Art Punk und Hip Hop nicht ignorieren konnte, auch wenn ich wieder das Gefühl hatte, es wäre eigentlich nicht mein Terrain. Es gab diese mutierende Phase, welche den Zeitraum zwischen Disco und House überbrückte, und ich erkannte, dass diese Phase die eigentliche Story war. Es war ein Übergangsprozess ohne Namen, und die Musik selbst hatte damals keine Namen. Jetzt benennen wir die Musik, aber Electro wurde beispielsweise in jenen Jahren nicht Electro genannt, und der Begriff Hip Hop kam nicht vor 1981 in den Umlauf, und das auch nur als erster Gebrauch. Man lernt immer eine Menge wenn man Nachforschungen anstellt, und man kann nie vorhersagen was man lernen wird.
Kannst Du Beispiele dafür geben, was Dich die Nachforschungen über den Kontext gelehrt haben, in dem die New Yorker Downtown-Szene stattfand?
Die Stadt war im Wandel. Clubs mussten schließen weil ihre Umgebung gentrifiziert wurde, und neue Anwohner setzten Clubbesitzer unter Druck, weil Clubs den Marktwert ihrer Investitionen nicht steigerten. Eine Menge gegenwärtiger Probleme in der Clubkultur kamen schon im New York der Jahre 1984/85 auf. AIDS wurde zum ersten Mal 1981 vermeldet, und 1983 nahm es schon epidemische Ausmaße an, was gravierende Auswirkungen auf die Downtown-Szene hatte. Und Ronald Reagan war bis zum Ende seiner Präsidentschaft nicht einmal dazu bereit, über die Krankheit zu sprechen. Schwule wurden in die Defensive gedrängt weil sie starben, und wegen gesellschaftlicher Homophobie, und der Weigerung, die Krankheit als ein Problem anzuerkennen, das nicht nur die Schwulen betraf. Das Gleiche passierte innerhalb der afro-amerikanischen Gemeinde, weil 1984 der Crack-Konsum ebenfalls epidemische Ausmaße annahm, und sie am meisten unter den Kürzungen im Sozialwesen zu leiden hatte, die von der Regierung eingeführt worden waren. Und die Musik veränderte sich mit diesen Entwicklungen. Zwischen 1980 und 1983 gab es jede Menge Platten, die einen hybriden Charakter aufwiesen, und sich zwischen allen Szenen hin und herbewegten, und die Menschen bewegten sich ebenfalls zwischen allen Szenen hin und her. All die Kunst im Buch fand in Clubräumen statt, und nicht in Galerien. Ab 1984 schotteten sich ganze Szenen ab, und 1988 hatte nur einer der erwähnten Clubs überlebt. Das Buch untersucht das alles nicht aus Nostalgie, sondern auch als Kritik der Gegenwart.
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