Rewind: Marcel Dettmann über “Ich und die Wirklichkeit”
Posted: October 25th, 2010 | Author: Finn | Filed under: Artikel | Tags: Deutsch Amerikanische Freundschaft, Gabi Delgado, Interview, Marcel Dettmann, Rewind, Robert Görl, sounds-like-me.com | No Comments »Im Gespräch mit Marcel Dettmann über “Ich und die Wirklichkeit” von Deutsch Amerikanische Freundschaft (1981).
Die entscheidende Frage zuerst, wie bist Du zu DAF gekommen?
Ich komme aus dem Ostteil Deutschlands, und nachdem man zu DDR-Zeiten nur Depeche Mode, Madonna oder Prince hatte, die richtig dicken Pop-Acts, kam kurz nach der Wende ein ganzer Schwall von Musik, wie z. B. auch DAF, Throbbing Gristle oder Front 242, später auch Nitzer Ebb. Der Bruder eines Freundes von mir hat uns ständig mit CDs ausgerüstet, da war ich 12, und habe das erste Mal DAF gehört und fand das total verrückt.
Du hattest vorher nie von ihnen gehört?
Nein. Ich hatte vorher Ultravox, Erasure oder Depeche Mode gehört. Poppige Sachen. Und dann kamen DAF oder auch Nitzer Ebb, was ja artverwandt ist, sie waren ja quasi die englische Version von DAF. Wir hörten „Der Räuber und der Prinz“ und „Der Mussolini“ auch im Jugendclub, der von vier Uhr nachmittags bis abends um zehn offen hatte. Dort wurde in Runden gespielt, eine Runde für die Hip-Hopper, eine Runde für die Elektronikleute usw.
Diese Ost-West-Zeitverzögerung ist interessant. Die DJs in den Clubs während der 80er im Westen haben oft sehr ähnlich aufgelegt. Man spielte Musik in stilistischen Blöcken. Und im Osten war es nach der Wende anscheinend dann wieder so.
Genau. Ich habe ja auch erst angefangen auszugehen, als die Wende passiert ist. Mit 10 geht man ja noch nicht in Jugendclubs. Vorher saßen wir im Kinder- bzw. Jugendzimmer und haben Konzerte mitgeschnitten. Dann kam auf einmal eine geballte Ladung verrückter Musik, die wir vorher noch nie kannten, und wahrscheinlich auch nie kennen gelernt hätten, so wie die Gegebenheiten halt waren. Auf einmal war alles da, und die DJs waren genauso heiß darauf. Und dieser Jungendclub war eher punkig, und der DJ war sehr gut und fing auch irgendwann an, Techno zu spielen.
Da Du ja vorher gerne Synthpop mochtest, hatte Dich das dann wachgerüttelt, dass man mit elektronischer Musik auch anders vorgehen kann?
Ja, ich war ja auch in der Pubertät und mochte es dementsprechend ein bisschen härter. Ich war kein wirkliches Kind mehr, und ich mochte dieses Konkrete. Ich kann mich entsinnen, dass ich den Rekorder aufgedreht habe, und dann habe ich im Zimmer getanzt. Man ist quasi zu der Musik mitmarschiert.
Gerade bei „Alles ist gut“ ist es ja auch eigentlich egal, ob man es 1980 hört oder 1990. Die Kraft war immer noch die gleiche.
Genau. Es war tatsächlich zeitlich versetzt, zehn Jahre später. Ich habe DAF kennen gelernt, als es mit ihnen schon wieder ganz anders war. Robert Görl hat später angefangen auf Disko B Techno zu machen, oder auf DN, zusammen mit Regis. Loopiger Techno. Fand ich auch super.
Als Du auf DAF gestoßen bist, hatten sie eigentlich gerade eine Phase hinter sich, in der sie so etwas wie frühen House gemacht hatten.
Ja, da gab es so lustige Dokumentarfilme zu jener Zeit, mit Interviews mit Westbam und Sven Väth usw., und da war dann auch Gabi Delgado, mit Basecap und ganz bunt gekleidet, und vorher war alles in schwarz.
Aber sie hatten da ein ganz gutes Timing, solche Musik hatte zu dem Zeitpunkt in Deutschland kaum jemand gemacht. Aber es war natürlich etwas ganz Anderes als vorher.
Ich hatte das gar nicht mitbekommen, diese Filme und ihre Inhalte waren zu der Zeit für mich noch kein Thema.
Es gab ja auch viel andere spannende Musik zu entdecken, was machte „Alles ist gut“ zu der Platte, die für Dich aus dieser geballten Ladung neuer Musik herausragte?
Es war die erste Platte, die ich von DAF gehört habe, und auch wenn ich das mag, was sie davor gemacht haben, ist es noch immer die Platte, die ich von ihnen am liebsten höre. Natürlich hatten sie sich gefunden, und es war professioneller und ging entschieden in eine Richtung. Speziell „Ich und die Wirklichkeit“ höre ich immer und immer wieder. Es beginnt so melancholisch, dann hört es ständig auf und startet wieder neu. Ich möchte da gar keinen Vergleich zu Techno anstellen, aber zu der ganzen Prä-Techno-Phase mit EBM, die ich damals durchgemacht habe, und Techno war für mich nicht anders, sondern eine logische Weiterentwicklung davon. Im Nachhinein. Damals hatte ich natürlich gedacht, EBM interessiert mich jetzt nicht mehr, jetzt ist Techno. Und Jahre später habe ich erkannt, wie nah das zusammen lag, dass man zwangsläufig darauf stößt.
Bei „Ich und die Wirklichkeit“ hört man ja auch viele Sounds, die gerade jetzt bei Techno wieder häufig anzutreffen sind.
Ja, diese Drones im Hintergrund z. B., diese tolle Atmosphäre. Man kann auch andere nehmen, aber das war für mich immer einer der wichtigsten Tracks des Albums. „Der Mussolini“ ist halt ein Party-Track, und „Der Räuber und der Prinz“ letztendlich auch, aber „Ich und die Wirklichkeit“ ist intensiver. Die anderen Tracks funktionieren sofort und gehen durch Mark und Bein, aber dieser schürft noch ein Stück tiefer.
Gerade zu dieser Phase wurden DAF in der Öffentlichkeit gerne auf reine Provokationen reduziert, aber „Ich und die Wirklichkeit“ geht nicht in diese Richtung.
Gar nicht, nein. Überhaupt nicht. Es ist sehr persönlich, es kommt sehr viel von innen heraus. Ich habe noch nie Texte geschrieben, und hier sind es nur zwei Sätze, aber wenn die dann so prägnant sind und sich mit der Musik so verbinden, dann finde ich das schon extrem beeindruckend.
Hat Dich trotzdem auch diese kontroverse Aura interessiert, die sie hatten?
Schon, ja. Am Anfang haben mich die ganzen Texte am meisten beeindruckt. Natürlich auch die harte Musik, aber vor allem die Texte. Als Zwölfjähriger versucht man alles zu verstehen. Ich habe mich z. B. besonders intensiv mit der englischen Sprache beschäftigt. Nicht, weil wir es im Unterricht hatten, sondern weil ich wissen wollte was da eigentlich gesungen wird. Und dann kam eine Band wie DAF, und Gabi singt deutsch, und ich habe mich trotzdem erneut gefragt, was er damit meint. Sie wollten natürlich provozieren, und es ist ihnen auch gelungen und das hat sie berühmt, berüchtigt und erfolgreich gemacht. Es war wie ein geiler Film, in dem nicht viel gelabert wird. Man geht raus und denkt, was war das denn? Und dann sitzt man wochenlang da und denkt darüber nach, und man will Teil zwei. Man ist einfach gefesselt, und es muss sich ja auch nicht alles erklären. Es kann ja auch einfach etwas hinterlassen und man macht sich selbst ein Bild. Die Texte und die Musik sind bei DAF total stimmig, auch die Art des Gesangs. Wie es zelebriert wird, dieses gar nicht Weiche. Und dazu liefen die Sequenzer einfach durch. Viele haben das dann weiterentwickelt, das geht bis zum heutigen Tag. Aber damals war diese Reduziertheit natürlich eine absolute Ansage. Sie wollten keine harmonischen Popsongs schreiben, sondern ließen einfach eine Synthie-Line durchlaufen, dazu nur Gesang und Drums.
War das für Dich prägend? Hast Du gemerkt, dass das unter Umständen auch ausreichen kann, wenn man auf Arrangements komplett verzichtet?
Es ist oft so, wenn ich über Musik nachdenke, die mir andere Leute geben, dass ich nach und nach viel herausnehmen würde, und dann klänge es für mich besser. Für mich ist es sehr wichtig, dass ich nicht alles mitgeliefert bekomme. Da spielt natürlich auch Auflegen eine große Rolle, dass man da noch aufbauen kann. Ich mag aber oft auch den großen Pophouse-Track, bei dem die Leute im Club sich die Pulsadern aufschneiden und durchdrehen. Das finde ich oft genauso gut wie eine gute reduzierte Robert Hood-Nummer oder Vergleichbares. Aber oftmals kommt eine Hi-Hat, und dann kommt noch ein Sechzehntel obendrauf, und schon die Hi-Hat braucht man gar nicht.
Pflanzt sich das vielleicht auch im Kopf von selbst fort, was man wegnimmt?
Ich denke vor allem, dass sich der Fokus auch immer wieder verschieben kann. Wenn man sich etwa nur noch auf den Rhythmus konzentriert und nicht mehr auf die einzelnen Elemente, beispielsweise auf den Synthie, der kurz mal schief läuft, oder absackt und dann wieder anläuft. Selbst wenn der Track nur fünf Minuten hat, kann sich der Fokus verschieben, und der Track kann danach trotzdem eine Ordnung haben. Auch wenn es reduziert ist und nichts drin hat, was einen sofort anspricht, und man ein paar Minuten braucht, um sich in den Track reinzuhören.
Auf der anderen Seite gibt es heutzutage in der elektronischen Musik diese Performanceorientiertheit von DAF kaum noch. Ein Performer und Texter wie Delgado ist nicht mehr so wichtig.
Ja, im Techno gibt es kaum Gesichter. Ich glaube das liegt nicht unbedingt daran, dass keiner mehr die Rampensau sein könnte, eher haben die Leute, die die Musik machen keine Lust mehr dazu, sich auf einen Performer einzustellen, und machen es alleine. So viele Bands sind an Egos zerbrochen. Ich bin z. B. nicht der perfekte A&R-Typ, der ein Label betreiben kann, aber ich mache es trotzdem, aber auf meine Art. Und genauso mache ich meine Musik auf meine Art. Wenn ich einen Künstler interessant finde, versuche ich den immer so lange zu beeinflussen bis ich denke: das ist es. Das kann gut oder schlecht sein. Irgendwann kann man so an den Punkt kommen an dem man denkt, der macht ja dasselbe wie ich.
DAF waren ja beispielsweise immer eine komplexe Zweierbeziehung, auf so etwas muss man sich ja auch einlassen.
Ja, und der eine kann nicht ohne den anderen, zumindest nicht als DAF. Klar kann sich Gabi allein auf die Bühne stellen, aber es wäre nicht DAF. Und Robert könnte sich allein auf die Bühne stellen, und es wäre auch nicht DAF. Egal welcher Rolle der eine oder der andere hat, in einer Band ist das extrem wichtig. Aber bei Techno fanden die meisten Produzenten es viel entspannter, die Musik allein zu machen. Das ist schon interessant, wie sich das entwickelt hat.
Es gibt sicher viel Techno, der sich zumindest musikalisch an DAF orientiert, aber selbst zu der Zeit als sie groß waren gab es das. Du hast Nitzer Ebb erwähnt, die waren anfangs wirklich DAF mit englischem Gesang. Front 242 waren auch offenkundig von ihnen beeinflusst. Aber ich hatte irgendwie nie den Eindruck, dass sie es so ernst nehmen wie DAF.
Ich bin ein großer Nitzer Ebb-Fan, vor allem von „Belief“ und „Product“, aber ich habe es damals nicht so gesehen, dass sie eigentlich eine Kopie von DAF waren. Sie kamen aus England und hatten anfangs lange Haare. Und „Headhunter“ von Front 242 ist ein unfassbar guter Track, den ich heute noch im Club spiele. Aber es stimmt. Ich habe damals nie darüber nachgedacht, weil für mich all diese Musik auf einmal kam. Aber es sind Kopien, so wie es heute unzählige Kopien von Madonna oder Robbie Williams gibt, die von der Musikindustrie verbrannt werden.
Und heute wird wiederum der Berliner Techno-Sound kopiert, der mit dem Berghain assoziiert wird, also auch Deiner.
Ich finde es ist die größte Ehre, die einem zuteil werden kann, besser als jede Lobhuldigung. Und wenn ich das alles Revue passieren lasse, ist es aber auch tatsächlich so, dass mich DAF wahnsinnig geprägt haben, auch wenn sie nicht aus Berlin waren. Wenn ich nach Berlin gefahren bin, auch als Kind schon, war die Stadt immer rough. Was man heute alles über Berlin sagt, es war schon immer so. Und auch wenn man das alles außer acht lässt, wer hier alles gewohnt hat und wer alles hier Alben aufgenommen hat, ich habe oft darüber nachgedacht warum ich der bin, der ich bin. Warum finde ich das Berghain gerade so perfekt? Ich spiele ja nicht glücklicherweise in einem guten Techno-Club in Berlin, sondern ich spiele in dem für mich perfekten Techno-Club, und der ist auch noch in Berlin. Das ist irre, das ist eigentlich eine göttliche Fügung. Und ich denke oft darüber nach, dass mir das zuteil wurde. Das ist für mich Berlin, dieses Roughe, diese Harte, auch wenn ich House liebe, auch Disco, Italo Disco. Für mich sind das die 90er, obwohl es in den spätern 70ern oder 80ern stattgefunden hat. Und dann der Tresor, 140 bpm, hart, härter, am härtesten. Das war es für mich.
Wenn Dir jemand als Zwölfjährigem erzählt hätte, was du jetzt machen würdest, Du hättest es wohl kaum für möglich gehalten.
Natürlich nicht. Selbst wenn mir jemand vor zehn, vor fünf Jahren erzählt wo ich jetzt bin, hätte ich es nicht geglaubt. Als ich angefangen habe im Ostgut zu spielen war ich 20. Ein junger Hüpfer, ich durfte quasi gerade mal ausgehen. Und dann bin ich da reingerutscht, und sie haben mich unterstützt und gefördert. Mein Musikgeschmack war aber immer derselbe. Ich werde heute oft gefragt, warum machst du so eine Musik, die passt ja so perfekt zum Club. Aber das ist die Musik, die auch machen würde, wenn es den Club nicht geben würde. Aber es passt halt so perfekt zusammen. Es ist dieses Zusammenspiel, sonst wäre ich dort wahrscheinlich auch nicht Resident, sondern hätte nur ein paar Mal dort gespielt. Für mich ist es die perfekte Liaison. Und diese ganze Phase nach der Wende, der ganze Umbruch, man wird erwachsen und sexuell aktiv, das ist tief in mir drin, und hat mich extrem geprägt. Und DAF war der Soundtrack dazu. Alle meine Freundinnen damals haben es gehasst, die mochten meine Musik nie. Meine Frau hat sich damit arrangiert, und sie mag es auch und unterstützt mich sehr.
Aber es ist eher Jungsmusik.
Ja, total. Da denke ich auch oft drüber nach. Man steht oft im Club und denkt, das ist nicht mein Abend, ist das jetzt zu hart? Dabei spiele ich nicht die ganze Zeit so einen Sound, ich spiele auch zwischendurch House, oder Electro, oder wonach mir gerade ist. Eben so, wie es die DJs vor zwanzig Jahren gemacht haben, auch wenn ich schon versuche, einen gewissen Flow zu haben.
Der Unterschied ist wohl, dass es zu den Zeiten von DAF einen Club wie das Berghain nicht gab.
Ja. Es gab sicher mal Off-Locations, wo man mal Konzerte gemacht hat, aber so etwas nicht.
Auf der anderen Seite wurde DAF damals aber auch in Disco-Clubs von Disco-DJs gespielt. Ich habe Robert Görl mal vor Jahren auf einer Mute-Party kennen gelernt, und wir kamen irgendwie auf das Thema, und er verstand DAF auch „als eine Art von Disco“. Das sieht man zurückblickend vielleicht anders, aber im Kontext der Zeit stimmt das schon.
Klar, auch die ganzen Projekte zur Neuen Deutschen Welle. Auch Fehlfarben, oder der Pyrolator.
Fehlfarben klangen eine zeitlang wie Chic mit deutschen Texten, aber DAF wollten im Unterschied dazu wohl immer nur wie DAF klingen.
Mich würde interessieren, wer jetzt eigentlich DAF beeinflusst hat. Irgendwer beeinflusst einen doch immer. Ich würde zum Beispiel einen Berg CDs anhäufen, die mich alle beeinflusst haben. Weil ich nicht genau sagen könnte, wer mich am meisten beeinflusst hat.
Schwer zu sagen. Von der Konstellation her, ein Performer und ein Musiker, vielleicht Suicide.
Stimmt, die waren 1977, also einen Tick früher als DAF.
Suicide waren auch sehr monoton, aber es war anfangs elektronische Musik, die sich noch mit traditionellen Rocksong-Strukturen auseinandersetzte. Da gingen DAF ein paar Schritte weiter.
Ja, aber Suicide haben auch diese wilden Bühnenshows gehabt, die Performance konnte man durchaus vergleichen. Irgendwo muss es immer herkommen, und das ist ja auch gut so. Wichtig ist nur, dass man nicht kopiert. Wenn man heute das richtige Know-how hat, kann man wahrscheinlich alles kopieren. Man könnte das komplette DAF-Album nachproduzieren, aber das menschliche Element mit der Stimme von Delgado und den Drums von Görl ist nicht so leicht zu kopieren. Gerade Görl bringt ja einen ganz anderen Flow als eine Drum-Machine. Und mit einer Drum-Machine wären DAF auch nicht das Gleiche gewesen. Es ist halt ein Mensch, der live performt. Ich habe Robert Görl vor ein paar Jahren auch mal getroffen. Es war auf irgendeiner Party, und da saß er dann backstage. Und mir ist nichts anderes eingefallen außer ihm zu sagen, dass ich ein großer DAF-Fan bin.
Das war auch mein erster Satz, und den hat er wahrscheinlich schon öfter gehört.
Bestimmt! Aber er war cool, und wir haben uns unterhalten. Und ich konnte es mir nicht verkneifen, ihm das zu sagen.
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