Queer Anthems

Posted: October 18th, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , | No Comments »

Lesley Gore – You Don’t Own Me (Mercury, 1963)

Der prototypische Selbstbestimmungssong. Lesley Gore sah ihn eher als geschlechtsloses “humanist anthem”, aber dass die Feministinnen und die Gay Rights-Bewegung den Song später für sich einspannten, hat ihr sehr gut gefallen.

Nina Simone – See-Line Woman (Philips, 1964)

Eine schöne und stolze schwarze Frau in teuren Kleidern, die den Männern das Geld aus der Tasche zieht und ihre Herzen bricht, und trotzdem bewundert wird. Drag Queens aus armen Verhältnissen erkoren dies bis heute zu ihrem theme song.

The Carpenters – Let Me Be The One (A&M, 1971)

Die Geschwister Carpenter waren eher asexuell, aber die Campness ihrer Musik und die tragischen Komponenten ihres Lebens waren nicht nur in Todd Haynes’ legendärem Barbiepuppentrickfilm „Superstar“ höchst ikonentauglich.

David Bowie – John, I’m Only Dancing (RCA, 1972)

Egal, ob der Tänzer des Songs seinen Freund beschwichtigt, oder den Freund seiner Mittänzerin, Bowie ließ sich sein Gender bending nicht nehmen und die „boys“ blieben für ihn stets beschwingt, mitsamt Zwischentönen. Einer musste eben auf seinem Level den Anfang machen, und das war er am liebsten selbst.

Lou Reed – Walk On The Wild Side (RCA, 1972)

Der Song für alle unverstandenen Außenseiter, die ihr bisheriges Leben verabschieden und in der Großstadt angespült werden. Der Glam den sie dort finden ist selten der eingeplante, aber es ist immer noch Glam.

Jobriath – I’maman (Elektra, 1973)

Mit vereinten Kräften versuchte man aus Jobriath den alles überstrahlenden Megastar des Glam Rock zu machen, und es wurde ein fürchterliches Fiasko. Er starb früh und vereinsamt an AIDS, und erst eine von Morrissey lancierte Retrospektive konnte später beweisen, dass er überhaupt je existierte.

The Elton John Band – Philadelphia Freedom (MCA, 1975)

Zum Erscheinungsdatum der Single versteckte sich Sir Elton noch weitestgehend im Schrank, aber diese Hymne an die lesbische Tennislegende Billie Jean King und den Sound der City Of Brotherly Love zeigte schon, dass er auf einem guten Weg war.

South Shore Commission – Free Man (Wand, 1975)

Eigentlich ein Mann-Frau-Duett, aber der geschlechtlich nicht eindeutig einzuordnende Gesang und markige Textzeilen wie „I’m a free man and talking ‘bout it” und „Freedom is the key to loving me” führten schleunigst zur Rekontextualisierung.

Candi Staton – Young Hearts Run Free (Warner Bros. Inc, 1976)

Wer jung ist, soll seine Jugend genießen und selbst bestimmen wohin er seine Liebe wirft. Der traurige Rest kommt schon noch früh genug. Wird von Ignoranten oft mit Rod Stewarts „Young Turks“ verwechselt.

Carl Bean – I Was Born This Way (Motown, 1977)

Ein gläubiger Gospelsänger und Reverend hält Seite an Seite mit Tom Moulton, dem legendärsten Mixer der Discogeschichte, ein glühendes, stolzes, mutiges und total umwerfendes Plädoyer für Toleranz, Nächstenliebe und schwules Selbstverständnis.

Grace Jones – I Need A Man (Beam Junction, 1977)

Mit den sexuellen Bedürfnissen dieser Discodiva sollte man sich natürlich überhaupt nicht anlegen. So fordernd, dass immer noch genug Identifikationspotential für andere Suchende übrig blieb, die nur über einen Bruchteil ihres Selbstbewusstseins verfügten.

Amanda Lear – Follow Me (Ariola, 1978)

Der Haushit des Clubs Trocadero Transfer in San Francisco, von dessen Stamm-DJ Bobby Viteritti in die Unsterblichkeit erhoben. Musikalisch wies der Song den Weg in die Zukunft elektronischer Musik, und die kontinuierliche Ungewissheit über Amanda Lears Sexualität tat ihr Übriges.

B-52’s – Rock Lobster (DB Recs, 1978)

Inmitten des grellen Beach Party-Tumultes ihrer Debütsingle fiel es gar nicht unmittelbar auf, dass die Mädchen die Surfbretter ritten und die Jungs einen Bikini trugen. Der Sound der B-52’s war stets so chaotisch wie mitreißend, wie ihre Subtexte gewitzt waren.

Cheryl Lynn – Got To Be Real (Columbia, 1978)

Der Soundtrack zu den Kategorien der Vogueing Balls, in denen die „Realness“, also ein möglichst genaues Abbild realer, meist heterosexueller Rollenbilder, die höchste Priorität war. Wer in der Realität nicht aufgefallen wäre, hatte gewonnen.

Diana Ross – I’m Coming Out (EMI, 1978)

Es ist nicht wirklich erwiesen, wie bewusst die ewiglich beste Discoband aller Zeiten den Divenstatus von La Ross mit einer Befreiungsbotschaft an ihre treue schwule Gefolgschaft koppeln wollte, aber es hat offensichtlich bestens funktioniert.

Nicolette Larson – Lotta Love (Warner Bros. Inc., 1978)

Exemplarisch für die Soft Rock-Einverleibung innerhalb der Balladenphase urbaner Schwulendiscos, Neil Young covernd, von einer Backingsängerin Neil Youngs gesungen, vom Disco-DJ Jim Burgess in den Tanzhimmel gemixt. „It’s gonna take a lotta love, to get us through the night”.

Marilyn McCoo & Billy Davis Jr. – Shine On Silver Moon (Columbia, 1978)

Das Liebespaar der MOR-Souler The 5th Dimension mit einer Mondscheinserenade. Es kann sich nur um die Mondskulptur des Studio 54 handeln, die aufleuchtete sobald der Kokslöffel unter der Nase angelangt war. Supercamp.

Queen – Don’t Stop Me Now (EMI, 1978)

Die Band, die uneindeutige Konnotationen schon im Namen trug, und auch hier war es egal ob Freddie Mercury einen Mann oder eine Frau „supersonic“ machen wollte. Kaum jemand machte es so energetisch plausibel dabei den bestmöglichen Spaß haben zu wollen.

Teri deSario – Ain’t Nothing Gonna Keep Me From You (Casablanca, 1978)

Wer Disco-Dolchstoßlegenden vermeiden, aber nicht auf die großartige Songschreiberkunst der Gebrüder Gibb verzichten will, greift eben zu deren Auftragsarbeiten. Da gibt es wirklich einiges zu entdecken.

Sylvester – You Make Me Feel (Mighty Real) (Fantasy, 1978)

Das Selbstverständnis, mit dem Sylvester seine schillernde Persona inszenierte, ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Und seine Musik sowieso nicht. Wenn jemand jemals mighty real war, dann war es Sylvester.

Abba – Gimme Gimme Gimme (Polydor, 1979)

Die meisten Hits der schwedischen Mitsingmaschine sind nicht gerade ein Ausbund an Doppelbödigkeit, aber auch bei ihnen gibt es dunkle Gemütszustände und simple Gegenrezepte. Im Vergleich zu etwa „Fernando“ tun sich da wahre Abgründe auf.

Bette Midler – My Knight In Black Leather (Atlantic, 1979)

Miss Divine M, fag hag extraordinaire, war seit ihren Anfangstagen als Sangesattraktion der legendären New Yorker Continental Baths oft over the top, aber selten so wie hier. Eine aberwitzige Satire, aber auch mit einigem Wahrheitsgehalt.

Cut Glass – Alive With Love (Ear Hole Records, 1979)

Emotionale Stimmen und künstliche Syntheziser, die zusammen einen zeitlosen Ohrwurm ergeben. Die späten Ausläufer der Discoära sind prall gefüllt mit dieser Formel, aber selten war dieser romantische Zwiespalt so schön aufgelöst wie hier.

Dennis Parker – Like An Eagle (RCA Victor, 1979)

Als der frühere Porno- und spätere Seifenoperndarsteller 1985 nach einer AIDS-Diagnose seinem Leben ein Ende setzte, hinterließ er einen Nachtflieger mit unbestimmtem Beuteschema, der bis heute seine Schwingen ausbreitet.

Gina X Performance – No G.D.M. (EMI, 1979)

Legendenproduzent Zeus B. Held und New Wave-Diva Gina Kikoine verkaufen New York die neonschicke Dekadenz zurück, mit einer Hommage an die britische Schwulenikone Quentin Crisp, und dessen unerreichbaren „great dark man“.

Macho – I’m A Man (Prelude, 1979)

Steve Winwoods Klassiker durchschritt unterschiedlichste Interpretationen, aber diese siebzehnminütige Zweckentfremdung hätte er sich wohl auch nicht träumen lassen. Disco mit Rockanleihen für eine Klientel, die es in jeder Hinsicht härter mag.

Madleen Kane – Forbidden Love (Ariola, 1979)

Mit dem gebotenen Melodrama einer schwedischen Exilantin, und den Gesangslimitierungen der meisten Exmodels, verschaffte Madleen Kane denjenigen ein Druckausgleichsventil, die ihre Liebe nicht ausleben konnten. Damals gab es noch sehr viele davon Betroffene.

Marlena Shaw – Touch Me In The Morning (Columbia, 1979)

Eine schwelgerische Discosymphonie ohne Gleichen, die sich konsequent himmelwärts schraubt, dazu ein geradezu niederschmetternder Text über flüchtiges Liebesglück. Genieße den Moment, im Morgengrauen ist er vorbei.

Marianne Faithfull – Why D’ya Do It (Island, 1979)

Marianne Faithfull überredete Heathcote Williams, ihr diesen für Tina Turner gedachten Text zur Verfügung zu stellen. Eine hervorragende Entscheidung, fanden Larry Levan und sein Publikum und adelten diesen Punk-Reggae-Kontroversenklassiker mit bedingungsloser Wertschätzung.

Sheila & B. Devotion – Spacer (Carrere, 1979)

Der golden touch der Chic Organisation macht auch aus romantischen Eurodisco-Spacekadetten-Fantasien eine eigene Galaxie. Jahre später kongenial weitergeführt von Alcazars klugem Camp-Konsenshit „Crying At The Discotheque“.

Skatt Bros. – Walk The Night (Casablanca, 1979)

Ursprünglich als straighte und rockigere Antwort auf Village People vermarktet, doch die schwule S/M-Szene fühlte sich unmissverständlich repräsentiert: „he’s got a rod beneath his coat, he’s gonna ram right down your throat.“ Verständlich.

The Terrell Company – Out On Fire Island (Fantasy, 1979)

Eine Hommage an die Koordinaten, welche die Insel vor den Toren New Yorks zum mythischen Ausflugsziel der gay community machten: Natur, Sex und Disco. Diese Koordinaten griffen dort so ineinander wie nirgendwo sonst.

Village People – Go West (Casablanca, 1979)

Das Original zum größten Hit der Pet Shop Boys, der fortan in allen Fußballstadien der Welt weiterleben sollte. Das konnte Jacques Morali nun doch nicht geahnt haben, als er seine maskulinen Stereotypen zusammencastete.

Foxy – Party Boys (T.K. Records, 1980)

Sich stylen sich für den Auftritt im Club, in Gedanken schon die Parade vor den „Party Boys“ abschreiten. Mit denen sollte man sich nicht einlassen, das gibt nur Ärger. Aber vielleicht will man ja eigentlich genau das.

Loose Joints – Is It All Over My Face (West End, 1980)

Man kann wirklich dankbar sein, dass Arthur Russell sein Genie nicht nur mit dem Cello auslebte, sondern auch gerne tanzen ging. Larry Levan, der Herrscher über die DJ-Kanzel der Paradise Garage, dankte es ihm ebenfalls, mit einem seiner schönsten Remixe.

Madelynn von Ritz – When I Close My Eyes I See Blood (Lorimar, 1980)

Eine Sängerin, die wie ein Sänger klingt, vom „Cruising“-Soundtrack, dessen reißerischer Fokus auf die harte Lederszene lange ein hartnäckiges Image im Mainstream-Kollektivbewusstsein blieb. The community was not amused.

Olivia Newton-John – Magic (Jet, 1980)

Der Übercamp von „Xanadu“ ist sicherlich eines der merkwürdigsten Ereignisse der Popgeschichte, und die Musik des Films steht meistens hinter unbändigem Unglauben zurück. Es besteht dringender Aufarbeitungsbedarf.

Voyage – I Love You Dancer (Papagayo, 1980)

Die Band hinterließ bereits mit Eurodisco-Exporthits wie „Souvenirs“ oder „Point Zero“ Eindruck in Übersee, aber als sie die Geschehnisse und Balzrituale auf der Tanzfläche thematisierten, wurden sie wirklich unsterblich.

The Boys Town Gang – Cruisin’ The Streets (WEA International Inc., 1981)

Beginnt als traditioneller Discosong mit unverhohlenen Textanspielungen auf die Cruiser-Kultur, und mündet dann in eine nachgestellte Straßenszene, deren expliziter Inhalt immer noch nicht überboten wurde.

Deutsch-Amerikanische Freundschaft – Der Räuber und der Prinz (Virgin, 1981)

Das dynamischste Duo der deutschen Popgeschichte geizte nicht im Geringsten mit gezielten Provokationen, doch die wenigen Zeilen dieser Ballade waren mindestens ebenso nachhaltig wie die politisch-ideologischen Befreiungsschläge.

Divine – Native Love (“O” Records, 1981)

Harris Glenn Milstead wartete nicht, bis sich die Türen für seine überlebensgroße Persönlichkeit öffneten, er brach einfach hindurch. Und das mit solcher Wucht, dass sie auch für alle danach offen blieben. Dazu die prototypischen Sequencer Bobby Orlandos, die man oft kopieren und auch oft erreichen konnte. Aber man hatte sie eben nicht erfunden.

Klaus Nomi – Total Eclipse (RCA Victor, 1981)

Er wäre wohl viel lieber ein gefeierter Opernsänger geworden, aber kaum jemand hat so nachhaltig aus der Not eine Tugend gemacht wie Klaus Nomi. Und wenn er nicht so früh an AIDS verstorben wäre, hätte er auch sein Hauptziel erreicht.

Patrick Cowley – Menergy (Polydor, 1981)

Ein definitiver Moment im beeindruckenden Schaffen des Syntheziser-Genies. Er ahnte spätere Entwicklungen der elektronischen Musik um etliche Jahre voraus und starb 1982 als eines der ersten prominenten AIDS-Opfer. Der Verlust hallt bis heute nach.

Pete Shelley – Homosapien (Island, 1981)

Legendärer Ex-Punk macht einen Synthpop-Hit mit einem Text über schwulen Sex. Viele Fans der ersten Stunde waren mindestens verwirrt, und die BBC verkraftete es gar nicht und sprach einen Bann aus. Und der hat in der Popgeschichte noch immer funktioniert.

Culture Club – White Boy (Virgin, 1982)

Auf ihrem Debüt positionierten sie sich in Musik und Text noch wesentlich deutlicher (und wesentlich erfolgloser) als mit dem Schunkelreggaehit, mit dem Boy George seine Persona in Sphären tragen konnte, in die vorher kaum ein Crossdresser-Clubkid vorgedrungen war.

Donna Summer – I Feel Love (Casablanca, 1982)

Der Quantensprung von Disco zu Techno. Vor allem der 15minütige Remix von Patrick Cowley ist eine ewige Lehrstunde in psychedelischer Intensität. Hinterlässt im Club für alle Zeiten Schutt und Asche.

Joe Jackson – Steppin’ Out (A&M Records, 1982)

“Real Men” vom gleichen Album wurde deutlicher was maskuline Rollenbilder angeht, aber “Steppin’ Out“ ist natürlich die ewige Hymne. Schnell, überaus elegant, immer gültig wenn es um die Ungewissheiten geht, die die Nacht mitbringt, oder die Absage an alles was vorher war.

Johnny Dynell And New York 88 – Jam Hot (Epic, 1983)

DJ aus der Mitte der schillernden Downtown New York-Szene bringt mitsamt glitzerndem Paradiesvogel-Gefolge den Post-Disco-Sound der artsy Clubs mit der frühen Hip Hop-Kultur zusammen. Die Umarmung blieb bis heute einseitig, aber folgenreich.

Le Jeté – La Cage Aux Folles (Megatone, 1983)

So windschief wie in “Cabaret” das Berlin der 20er beschworen wurde, versetzt sich dies in den oh so frivolen Chic des Narrenkäfigs von St. Tropez. Complètement faux, ziemlich albern, nimmt aber auf voller Lautstärke verheerende Züge an.

Miquel Brown – So Many Men, So Little Time /Record Shack, 1983)

Schwul und wohlhabend, musste Ian Levine hart um die Anerkennung der Northern Soul-Elitisten kämpfen, aber er hatte die richtigen Platten. Und dann pfiff er einfach drauf, brachte seine Liebe zu klassischem Soul-Songwriting mit HiNRG-Pioniersounds zusammen und startete voll durch.

Wow – Bring On The Men (Memo, 1983)

Theoretisch ist diese Aufforderung einer namenlos gebliebenen Sängerin, schleunigst die Männer anzubringen, egal ob als Liebhaber oder als Freund, ein rein heterosexuelles Anliegen, der Produzent Bobby Orlando war schließlich auch entschieden straight. Theoretisch.

Bronski Beat – Smalltown Boy (Metronome, 1984)

Das Drama eines jeden Jungen, dessen sexuelle Neigungen im Heimatkaff von allen anderen angefeindet werden, in Stein gemeißelt mit einem perfekten Popsong und einem herzzerreißenden Video. Rekrutierte seitdem sehr viel Toleranz.

Falco – Junge Roemer (TELDEC, 1984)

Er hatte generell viel für Stil, Schönheit und Dekadenz übrig, aber in diesem Song beschrieb er die jungen Hedonisten, die den Verlockungen und Versprechungen der Nacht erliegen, so liebevoll und treffend, dass man der Sonne tatsächlich entsagen wollte.

Frankie Goes To Hollywood – Relax (ZTT, 1984)

Das Label ZTT von Trevor Horn und Paul Morley war eins der besten Beispiele der Popgeschichte dafür, wie smart und aufregend man in Wort, Klang und Konzept einen Erfolg kalkulieren konnte. Und „Relax“ war wohl der denkbar effektivste Erstschlag.

Jimmy Ruffin – Hold On To My Love (ERC Records, 1984)

Als der legendäre New Yorker Schwulenclub „The Saint“ 1988 nach einem 48stündigen Marathon für immer seine Pforten schloss, entließ DJ Robbie Leslie sein Publikum mit seinem Remix dieses Songs in die Realität.

Karen Finley – Tales Of Taboo (Pow Wow Art International, 1986)

New Yorks mit Obszönitäten freigiebigste Performancekünstlerin mit einer Freestyle-Coverversion von Anne Clarks „Sleeper In Metropolis“, der vermutlich humorlosesten „Poetin“ des New Wave. Miss Finley erzielt technischen Knockout nach Gongschlag Runde 1.

Man 2 Man meet Man Parrish – Male Stripper (Bolts Records, 1986)

Electro-Pionier huldigt der sleazy-bezahlten Seite des Körperkults. Von dem Handel ziehen alle Beteiligten ihren Nutzen, und das Objekt der Begierde behauptet seinen Stolz. Explizit und überraschend hoch in den Charts.

Pet Shop Boys – I Want A Lover (Parlophone, 1986)

“Love Is The Drug”, eine Dekade später. Zu dieser Zeit galten die Pet Shop Boys noch als heterosexuell, obwohl sie, wie sich hier leicht nachhören lässt, nie wirklich etwas verheimlicht haben. Und warum sollten sie auch?

Tom Hooker – Looking For Love (Baby, 1986)

Sehr typisch für italienische Adaptionen internationaler Clubkultur ist dies mit dem Holzhammer zielgruppenorientiert. Stabs von Frankie entliehen, der hunky Bilderbuch-Exilsänger aus den Staaten, haarsträubender Text. Natürlich unwiderstehlich.

C.T. Satin – I Found A Friend (Underworld, 1987)

Erschienen, als man sich zwischen Chicago und New York noch heftig darüber stritt, wo die Verwaltung des Discoerbes am amtlichsten aufgehoben war. Dies ist aus New York, hätte aber vom Sound her auch aus Chicago kommen können. Glücklich sein konnte man dazu überall.

Dusty Springfield – In Private (Parlophone, 1989)

Sie weigerte sich Zeit ihres Lebens, ihre sexuellen Vorlieben zu erklären, aber es machte ihr auch vor allem während ihres von den Pet Shop Boys betreuten Comebacks nichts aus, die Spekulationen gehörig zu befeuern. Eine Heldin.

Jamie Principle – Cold World (Atlantic, 1989)

Die ungemein wichtige Glam-Integrationsfigur des frühen Chicago House als Sprachrohr der „Children“, trotzig der kalten Ignoranz der Gesellschaft seinen eigenen Lebensentwurf entgegenhaltend: „I will not change“.

Marc Almond – I’ve Never Seen Your Face (WEA, 1991)

Mit der für ihn typischen Kombination von großer Glam-Geste und „schmutzigem“ Inhalt bringt Almond das Dilemma von anonymem Sex auf den Punkt. Intimität als schneller Schuss und die Entzugserscheinungen danach, gegenüber der Sehnsucht nach Liebe im Normalzustand.

Jackie 60 pres. The Jackie MCs – The Jackie Hustle (Arista, 1992)

Die sehr lose auf Van McCoys „The Hustle“ basierende Haushymne des New Yorker Clubs Jackie 60. Arthur Baker und Danny Tenaglia gaben dem Anlass entsprechend im Studio ihr Bestes, und die Jackie MCs ihren Senf dazu. Ultracharmant.

RuPaul – Supermodel (Tommy Boy, 1992)

RuPaul war das definitive Aushängeschild der Drag Queen-Szene innerhalb von House, der lebendige Beweis dafür, dass man sich nicht nur als Star geriert und fühlt, sondern infolgedessen auch einer werden kann, und bleibt.

Junior Vasquez – Get Your Hands Off My Man (Tribal America, 1994)

Der definierende Track der Regentschaft von Junior Vasquez im New Yorker Club Sound Factory. Bildet sowohl das unerbittliche Selbstbewusstsein des DJs, als auch das seines Publikums ab. Don’t mess.

Ultra Naté – Free (Strictly Rhythm, 1997)

Es gab nach der klassischen Discoära jede Menge Hymen, die für die Gay Pride Marches dieser Welt am Reißbrett entworfen zu sein schienen, aber diese war beim Diven- und Produzentenpersonal einfach wesentlich überlegener besetzt.

Justus Köhncke – Weiche Zäune (Kompakt, 2003)

Der große Romantiker der hiesigen elektronischen Tanzmusik mit einem vielschichtigen Lamento über gefallene Barrieren, die nur zu neuen führen: „Diese weichen Zäune, durchkreuzen unsere Räume. Wir hatten andere Träume – in der Diskothek“.

Hercules & Love Affair – Blind (DFA, 2008)

Es war einfach eine großartige Idee, die zittrige Traurigkeit von Antonys Ausnahmestimme von Frankie Knuckles zu einer beschwingenden Garage House-Reminiszenz remixen zu lassen. Zwei Meister ihres Fachs erzielen zusammen die doppelte Wirkung.

Patrick Cowley & Jorge Socarras – Burn Brighter Flame (Macro, 2009)

Als dieser Song Mitte der 70er geschrieben und aufgenommen wurde, gab es wohl kaum eine so dezidiert homosexuelle Popballade, die dann auch noch klang wie aus einer anderen (besseren) Welt. 30 Jahre hat es dann bis zur Veröffentlichung gedauert, aber daran hat sich nichts geändert.

Musikexpress 11/10



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