Rewind: Ralf Schmidt über “Songs Of Leonard Cohen”

Posted: October 11th, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit Ralf Schmidt über “Songs Of Leonard Cohen” von Leonard Cohen (1967).

In jüngeren Jahren kannte ich Leonard Cohen weitestgehend aus dem Radio, meine Mutter hatte zwar Platten von ihm, die ich aber lange Zeit ignoriert habe. War es bei Dir auch so eine Inspiration aus der elterlichen Plattensammlung?

Definitiv, das war eine der ersten Sachen mit denen ich musikalisch in Berührung kam, schon als sehr kleines Kind. Vor allem meine Mutter hörte und hört immer noch gerne seine Musik. Diese frühe Prägung ist sicherlich einer der Gründe, weshalb mich die Musik von Leonard Cohen so berührt. Natürlich hatten meine Eltern auch noch andere Platten im Schrank stehen, die mir nicht so sehr ans Herz gewachsen sind – es gibt also noch andere Gründe, aus denen ich mich für Cohen so begeistern kann. Welche das sind – ich kann es nicht genau sagen. Ich glaube auch, wenn ich es genau wüsste, wäre die Begeisterung nicht so groß. Die wirkliche Beschäftigung mit Cohen kam auch erst, nachdem ich schon lange von zu Hause ausgezogen war. Damals gab es für mich eigentlich nur HipHop, Soul & Funk und elektronische Musik.

Auch wenn man sich anfänglich nicht für Leonard Cohen interessiert, wenn man ihn einmal gehört hat, erkennt man ihn sicherlich immer wieder. Seine Stimme, und seine Art Songs zu schreiben sind schon sehr eigen. Was macht ihn für Dich so besonders? Sind es bestimmte Einzelteile, oder ist es ein Gesamtbild?

Rein musikalisch ist es natürlich als aller erstes seine Stimme, die einen hohen Wiedererkennungswert hat – eigentlich keine im traditionellen Sinne besonders “schöne” Singstimme. Es ist oft eher eine Art Sprechgesang, nicht immer genau im Takt, manchmal fast schon brüchig. Zudem ist seine Art und Weise, mit Melodien und Harmonien umzugehen sehr eigen. Besonders in der Anfangsphase waren seine Arrangements auf den ersten Blick sehr minimalistisch, nur wenige Elemente, meist Akustikgitarre, Streicher, Frauenchöre und sparsam eingesetzte Rhythmuselemente, die jedoch in ihrem Zusammenspiel eine unheimliche Dichte erzeugen. Bei genauerem Hinhören kann man dann jedoch in beinahe jedem dieser Stücke versteckte Schichten freilegen, Effekte, leise Geräusche, teilweise sogar synthetisch anmutende Klänge. Was ihn zudem für mich einzigartig macht, ist seine Fähigkeit, seine Texte, obwohl voll von Metaphern und Bildern, dennoch sehr offen zu halten und dem Hörer die Möglichkeit zu geben, sein eigenes Leben in die Lieder hineinzulegen – ohne dabei beliebig zu wirken.

Du hast Dir das Album “Songs Of Leonard Cohen” ausgesucht, sein Debütalbum von 1967. Ist es für Dich das definitive Leonard Cohen-Album? Und warum ist es für Dich allgemein so ein definitives Album?

Eigentlich habe ich mir dieses Album exemplarisch für sein gesamtes Schaffen ausgesucht. Eines musste es schließlich sein. Ich glaube, dass ich keines seiner Alben so oft gehört habe wie dieses – es ist für mich insofern schon das definitive Cohen-Album. Es hätte aber auch genau so gut “Songs From A Room” oder “Songs Of Love And Hate”, oder sogar eines seiner späteren Alben sein können.

Auf “Songs Of Leonard Cohen” finden sich schon gleich zu Beginn seiner Karriere ein paar seiner berühmtesten Songs. Gibt es für Dich Höhen und Tiefen auf dem Album, oder ist es ein Gesamtkunstwerk?

Es ist ein Gesamtkunstwerk, gerade dadurch, dass es diese Höhen und Tiefen hat. Ich habe das Album schon so oft gehört, dass ich es mir gar nicht anders vorstellen kann, als so, wie es eben ist. Jedes Lied hat seine Berechtigung und ist perfekt platziert. “Suzanne” zu Anfang ist natürlich schon ein Höhepunkt, aber auch Stücke wie “Sisters Of Mercy” oder “So Long, Marianne”… Ach, wenn ich es mir recht überlege, sind eigentlich alle Stücke auf ihre eigene Art und Weise Höhepunkte. Ich liebe diese Platte einfach.

Mir kommt es immer so vor, als wäre Cohens Musik irgendwie viel intensiver als Musik vergleichbarer Künstler. Hat er so eine inhaltliche und künstlerische Note, die beim Hörerlebnis tiefer greift bzw. andere Empfindungen auslässt?

Mir kommt es auch so vor. Aber woran es liegt, kann ich nicht sagen. Vielleicht macht das ja gerade den Reiz aus, dass ich es eben nicht erklären kann. Ich bin auch jemand, der sich zwar sehr viel mit Musik auseinandersetzt, viel hört und liest, aber trotzdem versucht, Musik nicht zu stark zu analysieren und in Worte zu fassen. Das können andere besser als ich und außerdem habe ich manchmal Angst, dass durch zu viel Nachdenken und darüber Reden etwas von der ursprünglichen Faszination, von der direkten Erfahrung verloren gehen könnte.

“Songs Of Leonard Cohen” wird oft in einer Reihe mit den Nachfolgealben “Songs From A Room” und “Songs Of Love And Hate” betrachtet. Würdest du dem zustimmen?

Diese drei Alben gehören für mich definitiv zusammen. Wobei “Songs Of Love And Hate” die Türen nach draußen teilweise schon etwas weiter auf macht, und zum Beispiel bei “Diamonds In The Mine” sogar richtig wütend und abgefuckt klingt, was vorher ja eigentlich so gar nicht seine Art war. Es ist natürlich auch passend, dass in allen drei Titeln das Wort “Song” vorkommt. “New Skin For The Old Ceremony”, sein viertes Album, deutet dann auch schon durch den Titel an, das hier etwas Neues versucht werden sollte, was sich vor allem in einer weniger sparsamen Orchestrierung niederschlägt, in einem neuen Soundgewand, einer “neuen Haut” – die Themen sind immer noch die alten. Mir gefällt das darauf folgende Album, “Death of A Ladies Man”, wahrscheinlich auch aufgrund der, meiner Meinung nach, relativ unpassenden Phil Spector-Produktion, dann nicht mehr so sehr. Phil Spector an sich hat natürlich auch großartige Musik produziert, aber mir scheint, die Chemie zwischen den beiden hat einfach nicht so richtig gestimmt und die Wall Of Sound hat den armen Sänger unter sich begraben. Ich hatte übrigens immer das Gefühl, das Cohens Gemütszustand im Verlauf der ersten vier Alben immer suizidaler wurde – jedenfalls Anhand der Texte gelesen – und “Death Of A Ladies Man” dann tatsächlich eine Art künstlerischer Selbstmord war.

Bevor Cohen als Musiker bekannt wurde, relativ spät mit Anfang 30, hatte er es schon als Literat zu einiger Anerkennung gebracht. Ich war als Student mal in einer Vorlesung Über kanadische Literatur, wo Cohens “Beautiful Losers” analysiert wurde, das für eine Textpassage mit einem dänischen Vibrator berühmt wurde und auch sonst ziemlich beeindruckend war. Für mich war das jedenfalls Anlass genug, mich danach auch mit seiner Musik zu beschäftigen. Die Texte sind somit eine wichtige Komponente seiner Songs. Wie würdest Du sie beschreiben? Sind sie ähnlich wichtig wie die Musik, oder gibt es da sogar ein Ungleichgewicht? Was sind seine Themen?

Das ist interessant, weil es für mich genau andersherum war: Zuerst kam die Beschäftigung mit der Musik, “Beautiful Losers” habe ich tatsächlich erst letztes Jahr gelesen. Ich konnte dann aber bei der Lektüre viele Themen wieder finden, die es auch in seine Musiktexte geschafft haben: Liebe und Einsamkeit, Sex und Verzweiflung, biblische Geschichten und schwarzer Humor. Bei seinen Texten ist es meistens so, dass man nicht genau bestimmen kann, um was es eigentlich geht. Es sind viele Bedeutungsebenen miteinander verwoben, es geht mehr um Stimmungen, Andeutungen, Assoziationen als um definitive Aussagen. Ich glaube nicht, dass seine Musik ohne diese Texte die gleiche Tiefe besitzen könnte, oder dass er ohne diese gedankliche Tiefe ähnliche Musik hätte schreiben können.

Gibt es vergleichbare Musik, die Du ähnlich gut findest? Aus jenen Jahren oder auch später?

Es gibt viel Musik, die ich ähnlich gut finde. Eine Aufzählung würde jetzt den Rahmen sprengen. Es gibt jedoch wenige Musiker, die über einen so langen Zeitraum wie Cohen herausragende Musik gemacht haben. Mehr als 40 Jahre! Wahnsinn.

Viel Folkmusik hat ja so einen ländlichen Hippie-Touch, wohingegen Cohen, obwohl er auch stark von Country beeinflusst war, eher den Gestus des großstädtischen Intellektuellen vermittelte. Worin liegen für Dich die Unterschiede bei diesen Aspekten von Folk? Gibt es Boheme-Folk und authentischen Folk, oder kann und sollte man das Überhaupt trennen?

Diese verschieden Arten von Folk vereint, meiner Meinung nach, eher die Instrumentierung – Akustikgitarre und Gesang, um es ganz einfach zu sagen. Alles andere ist dann formbar und von dem Willen und dem Können des Musikers abhängig. Ich könnte mir vorstellen, dass der Boheme-Folk, wenn man von so etwas sprechen möchte, ein Ausdruck der Sehnsucht der Stadtbewohner nach einer heilen Welt ist, teilweise dann auch ironisch gebrochen. Über Authentizität bei Musik zu diskutieren finde ich generell eher schwierig, da man die persönlichen Absichten und Beweggründe einer Person als Außenstehender niemals komplett verstehen können wird.

Ich fand immer, dass Cohen nicht nur sehr charismatisch sang, sondern auch charismatisch aussah. Im Grunde genommen war er schon äußerlich die perfekte Entsprechung seiner Musik. Glaubst Du, sein Ladies Man-Image, gespeist von diversen Songs Über seine Beziehungen, und sein stylishes Erscheinungsbild trug zu seiner Faszination bei, oder ist das eher irrelevant?

Das Image passt natürlich und er hat es auch gerne thematisiert (“Because of” von “Dear Heather” ist da ein gutes Beispiel) und sich als Musiker gut zu kleiden war noch nie verkehrt. Er war/ist somit definitiv eine faszinierende Person. Aber an der Musik an sich ändert das für mich nichts.

Die Frage ist eher, ob er nicht andere, weniger großartige Musik geschrieben hätte, wenn er ein anderer Typ mit weniger Stilbewusstsein und Problemen mit Frauen gewesen wäre.

Ich hatte eine große Schwäche für das Album “I’m Your Man”, mit dem Cohen 1988 ein Comeback hatte. Das hatte musikalisch nicht so viel mit seinen frÜhen Alben zu tun, es war schon eher Synthpop. Hat seine Persona mit diesem anderen Sound auch so gut funktioniert bzw. hätte er das vielleicht sogar weiterentwickeln können? Oder Ist Leonard Cohen in Verbindung mit gegenwärtiger elektronischer Musik eine eher unwürdige Vorstellung?

Ich liebe dieses Album, jedoch auf eine völlig andere Art und Weise als zum Beispiel die ersten Drei. Unwürdig würde ich es überhaupt nicht nennen, ich finde, dass er diesen neuen Sound inhaltlich sehr gut verkörpert. Wenn er zum Beispiel in “First We Take Manhattan” singt: “I don’t like these drugs that keep you thin” und im Hintergrund diese Discodrums kommen, wirkt er auf mich eher wie jemand, der die ganze Szenerie wissend von Oben herab kommentiert, nicht wie jemand, den man jetzt mal schnell in ein modernes Soundgewand hineinzwängt und dem das Ganze drei Nummern zu klein ist. Nein, da hat sich jemand eindeutig Gedanken gemacht und ist mit der Zeit gegangen, ohne sich dabei selbst zu verraten.

Es gibt sehr viele Coverversionen von seinen Songs, gibt es auch welche, die Dir gefallen?

Ich habe mal während eines Kanada Urlaubs eine CD gekauft mit Coverversionen von seinen Stücken, die haben mir nicht so richtig gut gefallen. Ansonsten kenne ich ehrlich gesagt keine.

Leonard Cohen ist ja in letzter Zeit wieder auf Tour, hattest Du die Chance, Dir eines der Konzerte anzuschauen?

Ja, die Chance hatte ich und zwar in 2008 Berlin. Das war ein kleines Familienereignis und wir waren alle begeistert. Cohen war mit 74 Jahren unglaublich charismatisch und präsent, seine Begleitband war perfekt und der Sound sehr gut. Eines der besten Konzerte meines Lebens.

Du machst ja manchmal Edits von Musik, die Du magst. Könntest du Dir vorstellen, dass auch mit einem Song von Leonard Cohen zu machen, oder ist da der Respekt zu groß?

Ich hab es sogar schon einige Male versucht – war aber mit dem Ergebnis nie so richtig zufrieden. Wobei sich “First We Take Manhattan” geradezu anbieten würde…gute Idee eigentlich!

Sounds Like Me 10/10



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