Rewind: Boris Dlugosch über “Dance To The Music”
Posted: September 27th, 2010 | Author: Finn | Filed under: Artikel | Tags: Boris Dlugosch, Front, Interview, Junior Byron, Klaus Stockhausen, Rewind, sounds-like-me.com | 2 Comments »Im Gespräch mit Boris Dlugosch über “Dance To The Music” von Junior Byron (1983).
Hast Du Junior Byrons “Dance To The Music” zum ersten Mal gehört, als Du anfingst ins Front zu gehen?
Ich glaube, ich hatte den Titel zuerst auf einer Front-Cassette, die ich von einem Freund bekommen hatte. Also nicht ‘live’ im Front.
Du warst ja damals noch ziemlich jung. Wie bist Du eigentlich darauf gekommen dort hinzugehen? Hattest Du von Freunden gehört, dass man dort Musik zelebrierte, die Dir gefiel?
Also es war 1984, ich war 16 und die Schwester meines besten Freundes kannte den Kassierer des Front, Boris Breit. Er gab uns Front-Cassetten und hatte zwei Plattenspieler und ein Mischpult. Bei ihm zuhause verbrachten wir dann die Nachmittage nach der Schule und versuchten uns an seinen Plattenspielern und dem Mischpult. Er hatte vor allem Disco-Platten, kaufte aber auch fleißig aktuelleres Zeug bei Tractor-Schallplatten, dem damals besten Laden in Hamburg für Dance-Musik. Er hatte also die Musik, die im Front lief, bei ihm hörte ich die Sachen zuerst und dann wollte ich natürlich unbedingt einmal dorthin.
Als ich Anfang 1987 zum ersten Mal ins Front ging hat mich das ziemlich umgehauen. Ich war noch keine 18, und obwohl ich einige Platten kannte, die dort liefen, derart gemixt hatte ich sie noch nie gehört, und einen Club, der so intensiv ist, hatte ich bis dahin auch noch nicht erlebt. Es war verwirrend und faszinierend zugleich, und ich wollte so schnell wie möglich mehr davon. Ich nehme an, dass ging Dir ähnlich, wenn auch ein paar Jahre früher?
Ganz genau so hab ich es auch erlebt! Ich war vorher schon im Trinity und im Third World gewesen, Clubs, in denen auch ziemlich gute Musik lief, die auch von fähigen DJs gemixt wurde, aber das Front war noch mal was ganz anderes. Es war halt noch spezieller. Man hörte eigentlich nichts, was man im Radio oder sonst irgendwo schon einmal gehört hatte. Klar manchmal kam ein Klassiker dazu, aber die Front-Klassiker kannte man eben auch nicht aus Funk und Fernsehen. Und das Publikum ging einfach total mit. Die kannten jede Platte, hatte man das Gefühl, und waren voll dabei. Deshalb hat das Auflegen im Front auch soviel Spaß gemacht, weil man mit dem Publikum zusammen einfach total abgehen konnte.
Du hast dann bereits ab 1986 im Front aufgelegt. Wie kam es dazu? Konntest Du vorher schon mixen, oder hast Du Dir das nach den ersten Eindrücken dort angeeignet?
Ich hatte ja bei Boris zu Hause oft geübt und gemerkt, dass ich es irgendwie hinbekam, zwei Platten zu mischen. Als er sich irgendwann zwei Technics 1210er zulegte, bekam ich seine alten Lencos und das Monacor-Mischpult von Conrad. Damit hab ich dann weiter geübt und Tapes für Freunde aufgenommen. Irgendwann 1986 erzählte mir Michael Görlich, der Lichtmann des Front, dass der zweite DJ neben Klaus Stockhausen auswandern wollte und somit der Job frei würde. Ich gab Phillipp, einem der beiden Front-Chefs ein Tape von mir und hatte den Job. Wahrscheinlich war ich der einzige Bewerber, haha.
Die Interaktion zwischen DJ und Tanzfläche war im Front gelinde gesagt sehr frenetisch, aber auch ziemlich ungewöhnlich, weil die DJ-Kanzel ein von außen blickdichter, abgetrennter Raum war. War das eine bewusste Entscheidung gegen Personenkult bzw. haben die Qualität der Musik und diese Verweigerung nicht erst recht zur Mythenbildung geführt?
Tja, das ist eine gute Frage! Ich denke Klaus weiß, wie es zu dieser blickdichten Kanzel kam, obwohl die ja auch schon da war, als er 1983 aus Köln ins Front geholt wurde. Für mich, der ich bis dahin nur drei Clubs kannte, war es eben so, wie es war. Und für mich war es ideal! Ich bin/war eher etwas schüchtern, stehe ungern im Mittelpunkt und konnte hier, von den meisten unbemerkt, meine ersten Abende im Front absolvieren, ohne das es auffiel. Sicher hat es später, als der ‘Kult’ um DJs zunahm, diesen auch noch verstärkt.
Bei mir hat es etliche Jahre gedauert bis ich wusste wie es in der DJ-Kanzel aussah, ich fand das aber auch etliche Jahre gerade gut so. Aber wie hat es sich angefühlt dort zu sein, wie hat man dort gearbeitet? Beeinflussten die räumlichen Gegebenheiten das Auflegen?
Klar hat das beeinflusst, obwohl ich es ja nicht anders kannte. Aber wir hatten halt unsere Ruhe! Dort waren nur ich und der Lichtmann. Anfangs Michael Görlich, später mein Produktionspartner Michi Lange. Niemand hat uns gestört. Oft hatten wir die Tür abgeschlossen, damit auch wirklich niemand reinkam. Ich konnte mich voll auf die Musik und das Mixen konzentrieren. Der Sound war natürlich perfekt, durch die dortigen Monitore. Später in vielen vielen anderen Clubs musste ich feststellen, dass dies nicht ‘normal’ war. Schlechtes Monitoring war gerade in den 80ern und 90ern eher die Regel. Ab und zu kamen ein paar Freunde und durften rauf in die Kanzel. Jacken abgeben und Drogen konsumieren.
Es gibt nur wenige Clubs in Deutschland, die auch Jahre nach der Schließung noch so einen legendären Ruf behaupten wie das Front, auch international. Liegt das an den DJs und der Musik? Weil es einer der ersten Clubs war, wo in Europa House lief? Weil der Club an sich speziell war, und das Publikum auch? Oder war es einfach eine optimale Zusammenkunft von all dem, die so oft eben nicht hinzubekommen ist?
Ich denke es war die Kombination von allem. Wir hatten die besten DJs, den besten Club mit sehr gutem Sound/Licht und wir hatten das beste Publikum, das sich auf alles einließ. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das habe ich natürlich erst später mitbekommen, wie perfekt das eigentlich alles war. Damals hab ich mich nur jede Woche, ob als Gast oder später als DJ, wie wahnsinnig auf die Front-Nächte gefreut und wurde niemals enttäuscht! Fast zehn Jahre lang war einfach jeder Samstag fast genauso wahnsinnig und gut, wie der vorherige. Das hat also zumindest für alle die damals dabei waren und deren Umfeld zu einem Front-Kult geführt. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Nur war Hamburg eben nicht New York oder London. Nicht einmal Berlin. Und Klaus und ich haben so gar nichts von einem Sven Väth.
Für mich war das damals etwas ganz Neues, dass der DJ mit verschiedenen Versionen eines Tracks arbeitete, und dann oft auch noch mit Musik, die zu der Zeit nicht besonders hip war, wie z. B. Italo Disco. Was machte den damaligen Resident-DJ Klaus Stockhausen so besonders? Was machte er anders?
Klaus hatte vor allem einen wahnsinnig guten Musikgeschmack. Es lief von allem das Beste. Ob das nun Disco, House, Italo oder ein Caterina Valente/Frankie Goes To Hollywood-Mashup war. Es passte einfach immer perfekt in die Stimmung! Das hat mich eigentlich am meisten geprägt, diese Vielfalt. Mir hat es nie gefallen, wenn DJs über lange Zeit das ‘Gleiche’ spielen. Es musste immer Breaks geben. Klaus hat die Menge hochgepusht bis hin zu Hi-Energy und danach mit enem ‘Geräusche-Break’ wieder komplett runter. Gerne auch spektakuläre Breaks mit Licht aus und überhaupt keiner Musik für zwei bis drei Minuten. Stattdessen der ‘Quadrophonie-Traktor’ über alle vier Ecken der Tanzfläche. Und danach wieder ein neuer Aufbau.
Gibt es Dinge, die Du von ihm und dem Club an sich gelernt hast, die Du immer noch einsetzt? Vielleicht auch eine grundsätzliche Einstellung?
Siehe oben. Vielfalt. Monotonie über mehrere Platten ist nicht so mein Ding. Das hat aber auch mit meiner musikalischen Prägung zu tun. Von den Beatles über Heavy Metal zu Italo Disco und House ist ja ein weiter Weg. All dies konnte ich im Front ausleben und spielen. Das versuche ich bis heute.
Als DJ hat man ja oft ein gutes Gedächtnis für prägende Momente, die mit bestimmten Platten zusammenhängen. Kannst Du Dich noch daran erinnern, wie Klaus Stockhausen “Dance To The Music” eingesetzt hat?
Ich hab nur die Erinnerung an dieses Front-Tape was ich mind. 25.000 Mal gehört habe. Dort kommt das Stück nach einem dieser spektakulären Breaks. Im Break läuft so eine Space Sounds-Geräusche Platte. Der Wahnsinn! Und dann kommt eben ‘Dance To The Music’, was ja auch immer diese Synthie-Sound-Störgeräusche drin hat und diesen wahnsinnigen Moroderesken Synthbass. Das passte einfach total zusammen! Als ich ab 1985 regelmäßig im Front war, lief das Stück nicht mehr so oft.
Würdest Du sagen, dass “Dance To The Music” eine typische Front-Platte war in dieser Zeit? Woraus bestand der Front-Sound, bevor es mit House losging?
Ich denke schon, dass es typisch war. Wobei es ja damals nicht so dogmatisch genrespezifisch ausgerichtet war. Im Front jedenfalls nicht. Klaus und später auch ich spielten einfach nur was uns gefiel. Klaus hatte die Front-Crowd so geprägt. Es sollte vielfältig sein. Als nach der Acid-Phase Anfang 90/91 dann Techno losging, wollten viele Leute nur noch diesen Sound. Keine langsamen, funkigen Tracks mehr. Für die hat dann das Unit aufgemacht. Und für viele verlegte sich das Nightlife auf den Kiez. Dann kam eine neue, noch stärkere Housewelle, vor allem aus New York City, und es wurde auch für mich etwas schwerer, die Genres zu mischen. House war einfach zu dominant in den Neunzigern.
“Dance To The Music” bringt für mich verschiedene Elemente auf den Punkt, die mir in jenen Jahren gefallen haben. Italo Disco, Electro, und allgemein die Discosounds die nach dem Ende der klassischen Discoära aufkamen. Sind das Deine Wurzeln, ist das Musik die Dich damals besonders interessiert hat? Was macht “Dance To The Music” so wichtig für Dich?
Ja, Disco hab ich ja selbst nicht aktiv miterlebt. Aber alles was danach passierte. Bands wie Material, Yello, The Clash, ESG, New Order, Blancmange, Human League, Heaven 17 (Auszüge!). Das war meine Welt! Aber natürlich auch Popmusik. Michael Jackson, Prince, Madonna. Etwas später dann Frankie Goes To Hollywood, Art Of Noise, Propaganda. Das ganze Trevor Horn-Zeug eben. Parallel dazu hab ich in einer Heavy Metal Band Schlagzeug gespielt und Iron Maiden oder Judas Priest gehört.
Kurze Zeit später kamen die ersten Houseplatten aus den USA und setzten sich dann auch im Front durch, obwohl noch einige Zeit die Musik gespielt wurde, die davor den Ruf des Clubs ausmachte. Hattest Du damals schon eine Ahnung, dass House sich so dauerhaft festsetzen würde oder erschien das eher wie eine logische Weiterführung vorheriger Clubsounds? Wo lagen für Dich die Unterschiede in der Zeit vor und nach House?
House war schon irgendwie anders als alles zuvor. Das merkte man gleich. Es war gerade am Anfang sehr ‘rough’. Minimal produziert. Eine Drum-Machine, ein Synthie und vielleicht noch ein paar Samples, das war’s. Und dann oft ganz mies produziert und gemischt. Knisternd, rauschend und rumpelnd ging es so durch die Nacht. Aber gerade deshalb waren die Platten natürlich so gefragt und setzten sich schnell durch. Obwohl es anfangs ja nur ein paar wenige House-Platten gab, die über den Abend gemischt mit Prince und Madonna 12“s gemixt wurden. Aber wie das immer so ist mit Kult. Was da wirklich los war merkten wir erst, als die UK-Presse es so ausbreitete. Als Stock, Aitken, Waterman sich bei House bedienten und einen Hit nach dem anderen schrieben.
Wie wichtig war es für Klaus und Dich, neue Musik zu entdecken und zu etablieren? Hat man das von euch erwartet, oder hattet ihr alle Freiheiten aufzulegen, was ihr wolltet?
Neue Musik zu etablieren war extrem wichtig. Wir gingen jede Woche mindestens einmal zu Tractor. Auch Brinkmann in Hamburg hatte damals eine gute Auswahl an 12”s. Das lag wahrscheinlich daran, dass Björn Holstein, der DJ, der noch vor Klaus Stockhausen im Front gespielt hat, diese Plattenabteilung dort aufgebaut hatte. Klaus brachte natürlich immer mehr Sachen von seinen zunehmenden Reisen nach London oder aus den USA mit. Auch ich fing bald an dorthin zu reisen, um Platten einzukaufen. Glücklicherweise musste ich niemals in einem Club arbeiten, in dem mir der Besitzer oder gar das Publikum vorschrieb, was ich zu spielen hatte. Wir hatten halt echt Glück mit dem Front und der ganzen Situation dort.
Ich erinnere mich an einen Fragebogen in der Spex in den 90ern, in dem Du auf die Frage nach der besten Party geantwortet hast, “Letzter Samstag”. War das wirklich so eine Kontinuität? Wie habt ihr das hinbekommen? Kam da zu Hilfe, dass alles noch frisch und aufregend war, oder musste man hart dafür arbeiten?
Ich hab keine Ahnung, warum es so war, aber es war wirklich so! Du hast es ja selbst erlebt. Man konnte einfach zwischen 1983 und 1995 jeden Samstag ins Front gehen und wurde nicht enttäuscht. Sicher hatte es mit der ‘Neuheit’ dieser ganzen Szene zu tun. Es gab halt keinen anderen Club, der mit solcher Kontinuität und Stringenz das Konzept ‘Dance’ oder später ‘House’ umgesetzt hat. Wer diese Musik mochte und gern tanzte, der landete früher oder später im Front. Klar haben wir auch alle hart gearbeitet. Der Club öffnete um 22:00 und schloss um 5:00 Uhr. Das waren sieben Stunden Vollgas! Für das gesamte Personal, denn wir haben den Club ja gern voll und eng gehabt. Das Front war aber auch noch in anderer Hinsicht so besonders. Es gab einen engen Bund zwischen der Geschäftsleitung, Willi Prange und Phillipp Clarke, und dem Personal. Jeden Samstag vor der Schicht stand das Personal in der Küche neben dem Tresen, trank Kaffee und man spürte, wie die Anspannung stieg, wie sich alle auf den Abend freuten. Wir waren eine Familie, auch wenn das heute abgedroschen klingt, es traf aufs Front wirklich zu! Es gab Weihnachtsessen für das Personal, am ersten Weihnachtstag, der traditionell ein sehr starker Front-Abend war. An Weihnachten bekamen wir alle von unseren Chefs einen Umschlag mit ‘Weihnachtsgeld’. Dies wurde von Jahr zu Jahr (nach Zugehörigkeit) mehr. Wenn es Motto-Partys gab, trafen wir uns bei Willi und Phillipp zuhause und überlegten uns nächtelang Konzepte, Dekos und andere Specials. Aber auch das Publikum gehörte zur Familie. Jeder kannte jeden. Das machte diesen Club so besonders und ermöglichte diese ganz besondere Stimmung.
Du warst ja einer der Ersten, die dann auch amerikanische DJ-Größen nach Deutschland eingeladen haben. In den Tagen vor dem Internet war es ziemlich schwierig, hören zu können, was DJs in anderen Ländern machten, wenn man nicht gerade mal dort war. War das ein Beweggrund für Gast-DJs, eine andere Perspektive zu bekommen, oder wusstet ihr was wichtige DJs in anderen Ländern gemacht haben und wart davon beeinflusst?
Ich war ein ganz großer Tony Humphries-Fan der ersten House-Jahre. House Music der frühen 90iger war halt extrem US-lastig. Ich fuhr also so früh wie möglich und so oft wie möglich nach New York, um soviel neue Musik wie möglich von dort mitzunehmen. So nahmen Freunde von mir und ich dort immer die Tony Humphries-Show auf 98.7 KISS NYC auf und versuchten dann möglichst alle guten Platten schnellstmöglich zu bekommen. Oft dauerte das Monate oder Jahre! Ich erinnere mich noch sehr gut an ein Tape, auf dem ich das erste Mal die ‘Peitschenscheibe’ hörte. So nannten wir die Platte, weil es ja keine Playlist gab, auf der wir den Titel hätten sehen können. Meine Freunde und ich waren TOTAL heiß darauf, diese Platte zu bekommen. Ich arbeitete zu dieser Zeit schon bei Tractor Records. Eines Tages, ca. ein Jahr nachdem ich das Stück auf besagtem Tony Humphries-Tape gehört hatte, öffnete ich einen neuen Karton von Discomania, ein deutscher Vertrieb und Importeur von US-Vinyl. Und da war sie: ‘Reasons 2 B Dismal’ von den Foremost Poets auf Nu Groove Records. Also US-DJs haben mich beeinflusst, weil sie die neue Musik immer als erste hatten. Als dann Frankie Knuckles als erster US-DJ im Front spielte, war das für uns alle natürlich eine Offenbarung. Obwohl zu der Zeit, glaube ich, nur ein Bruchteil der Gäste wusste, wer Frankie Knuckles war.
Konnte man dann tatsächlich etwas lernen, oder war das eher wie eine Abwechslung vom ohnehin schon sehr gut laufenden Programm mit den Residents? Gab es andere DJs, die Dich ähnlich beeindruckt und beeinflusst haben wie zuvor Klaus Stockhausen?
Ganz ehrlich? Ich war sogar ein bisschen enttäuscht. Klar konnte Frankie Knuckles gut mischen und hatte die neuesten Platten dabei, aber ich fand seine Programmgestaltung etwas langweilig. Er ließ achtminütige House-Hymnen gerne bis 7 Minuten 45 Sekunden laufen um dann noch minutenlang mit Dub-Mixes den Übergang zu dehnen. Vom Prinzip her schön, ich war aber eher ein Freund des schnelleren Mixens. Nein, mich hat vor allem Klaus geprägt. Danach kam erstmal lange nichts. Dann vielleicht noch ‘Kool’ DJ Red Alert. Seine Radioshow lief nämlich immer vor der von Tony Humphries und dieser Rap/HipHop-DJ hatte einfach Skills, die mir kein Klaus Stockhausen gezeigt hatte. Gleichzeitig entstand auch die Rap-NuSchool mit Bands wie A Tribe Called Quest, De La Soul und den Jungle Brothers, deren Platten ich wahnsinnig gut fand. Also versuchte ich mich ein bisschen im HipHop-Mixen und Scratchen. Leider, wie man heute weiß, ohne jeglichen Erfolg.
Trauerst Du manchmal der Zeit hinterher, in der ein DJ noch Woche für Woche für ein bedingungslos loyales Publikum gespielt hat? Ist so etwas heute überhaupt noch möglich?
Nein, den alten Zeiten trauere ich nicht nach. Ich bin heute als DJ auch noch glücklich. Die Situation im Front war schon sehr speziell und ich weiß nicht, ob es so etwas heute noch geben kann. Heute schauen sich die Clubkids YouTube-Videos an und wissen dann, wie sie zu bestimmter Musik und bestimmten Platten tanzen sollen. Durch das Internet wird auch gehypt, wer heute zu den ‘Top DJs’ der Welt gehört und wer nicht. Das alles kommt und geht oft wahnsinnig schnell. So ist das ja aber in fast allen kulturellen Lebensbereichen. Ein bedingungslos loyales Publikum hat heute der DJ, der gerade am erfolgreichsten/bekanntesten ist. DJ Superstar wird immer mehr oder weniger machen können, was er will und sein Publikum wird dazu ausrasten. Ein weniger bekannter DJ kann die gleichen Platten in der gleichen Reihenfolge am gleichen Ort eine Woche später spielen und er wird niemals die gleiche Wirkung erzielen. Der Personenkult um DJs hat in manchen Bereichen dieser Szene die Oberhand erlangt. Manche Clubs sind brechend voll, wenn ein großes Booking vor Ort ist, beim Resident DJ, egal wie gut dieser ist, kommt dann keiner. Gut für die Stars der Szene, aber nicht unbedingt von Vorteil für die Musik und deren Entwicklung. Immer mehr ‘Nachwuchs-DJs’ orientieren sich an immer weniger ‘Stars’, und somit verflacht die Vielfalt der Musik, die gespielt wird. Aber wie immer gibt es ja auch noch Gegenbewegungen und Nischen, in denen genau das nicht passiert. Trotzdem hätte ich mal Lust auf einen Club mit dem Projekt ‘Front-DJ-Kanzel’. Ob das funktionieren würde?
Du hast ja nach dem Ende vom Front Deine Karriere sehr erfolgreich weitergeführt, als Produzent und als DJ in etlichen anderen Clubs. War das eine Entwicklung, die Du von Anfang an verfolgt hast, oder hat sich das erst nach und nach ergeben?
Also Musik war irgendwie immer das Wichtigste in meinem Leben. Ich hab als Achtjähriger angefangen Schlagzeug zu spielen. Ich hab dann über Schul-Praktika und kleinere Jobs in Tonstudios gearbeitet und so einen Eindruck bekommen, wie das funktioniert. So bin ich da reingerutscht.
Seit “Dance To The Music” 1983 erschien ist schon so viel Zeit vergangen, dass dieser Sound mittlerweile wieder da ist. Viele Houseplatten gehen wieder zu den Wurzeln zurück, und die Klassiker werden wieder veröffentlicht, so wie auch “Dance To The Music”. Begrüßt Du diese Entwicklung, oder ist das für Dich eher Nostalgie? Wie wichtig sind diese Anfänge für das, was Du jetzt machst?
Hm. Also ohne diese Geschichte wäre nichts so, wie es ist. So wie ich damals in den 80ern alte Disco- oder Funk- und Soul-Platten ‘second hand’ gekauft habe, können die Kids sich heute Musikgeschichte besorgen. Das erweitert das Spektrum und ist sehr wichtig. Ich belächle vielleicht manchmal neue Versionen, egal ob Sample oder Remix von Klassikern, die meiner Meinung nach überhaupt nicht an das Original heranreichen, aber irgendwem wird es sicher gefallen. Ich schaue immer nach vorn, habe aber meine Vergangenheit natürlich irgendwie auch immer dabei.
Erwischst Du Dich manchmal dabei, dass Du einen Club besuchst, der als einzigartig gilt und dann feststellst, dass es nicht an das erreicht was Du früher erlebt hast? Oder hat jede Stadt und jede Zeit einen Club, der solche Erinnerungen schafft wie das Front, und es ist nur eine Frage des individuellen Blickwinkels?
Schwer zu sagen. Ich weiß nicht, ob jede Stadt ihr Front hat oder hatte. Ich weiß, dass ich sehr enttäuscht war, als ich anfing zu reisen und z. B. zum ersten Mal im Ministry of Sound, DEM Kult-Club für House Music in den 90ern spielte. Eine Masse von mit Coaches aus dem ganzen Land herangekarrten Druffis, die keine Ahnung von Musik hatten! Aber natürlich sieht das jeder Mensch anders. Die kannten ja das Front schließlich nicht. Für die war das vielleicht der Musik-Himmel auf Erden.
Sollte man in der Clubkultur, die nun mal von Natur sprunghaft ist und sich schnell entwickelt, überhaupt zurückschauen, oder verhindert das nur, dass sich etwas Neues ergibt? Wieviel Schritte sollte man nach vorne machen, und wieviel zurück?
In der Musik, wie auch im Film, in der Mode, der Kunst im Allgemeinen, entwickeln sich ständig neue Strömungen. Sie kommen und gehen. Sicher sehr viel schneller, als früher. Aber eigentlich war das auch schon immer so. Es muss jeder selbst wissen, ob und wie weit er zurückschauen will, um nach vorn zu gehen. Am Ende zählt sowieso nur das Lied und ob es gefällt oder nicht.
Sehr schönes Interview.
“yes they dance to the music move that funky feet”
[…] vom Area in New York, wo sie immer im Schaufenster lagen usw. Und was Boris in dem anderen Interview sagte, dass man dann zusammen saß und das auf ganz gemütlich entwickelte, ist völlig richtig. Es […]