Rewind: Tobias Freund über “Take Away/The Lure Of Salvage”
Posted: September 13th, 2010 | Author: Finn | Filed under: Artikel | Tags: Andy Partridge, Interview, Rewind, sounds-like-me.com, Tobias Freund, XTC | No Comments »Im Gespräch mit Tobias Freund über “Take Away/The Lure Of Salvage” von Andy Partridge (1980).
Auf Deiner Myspace-Seite steht, dass Du seit 1980 Musiker bist, das Jahr also, in dem “Take Away/The Lure Of Salvage” erschien. Ich nehme an, Du warst schon früh ein Fan von XTC?
Die erste Platte von XTC hab ich 1979 entdeckt, „Go 2“. Ich lebte damals in Frankfurt am Main und bin mit meinem Freund öfters nach der Schule in einen Plattenladen nach Offenbach gefahren. Es war einer der einzigen Läden zu der Zeit, der neue außergewöhnliche Platten verkaufte. Ich erinnere mich, dass es immer total spannend war in den Laden zu fahren, man hat immer irgendetwas Neues, Unbekanntes gefunden. Neben XTC hab ich unter anderem das „Black And White“-Album der Stranglers entdeckt, auch eine meiner damaligen Lieblingsplatten. Mich hat immer sehr das Artwork einer Platte angesprochen, ich hab mir des Öfteren platten “blind” gekauft, allein weil mir das Cover gefallen hat. Meistens bin ich nicht enttäuscht worden. Bei „Go 2“ war es genau so, das Cover hat mich gleich fasziniert, noch heute finde ich es eines der besten Artworks, simpel und effektiv. Weiße Schrift auf schwarzem Untergrund über die ganze Vorder- und Rückseite. In dem Text wird das Artwork erklärt und der Leser wird manipuliert die platte zu kaufen. Ich habe die Idee des Covers für die nsi.-Veröffentlichungen auf meinem Label Non Standard Productions aufgegriffen. Allerdings nur das Layout, Courier ist seitdem für mich der Punk unter den Fonts.
Waren XTC eine typische Band dieser frühen Post Punk-Phase, oder waren sie einzigartig?
Für mich waren XTC einzigartig, sie waren frischer, witziger und haben sich nicht zu ernst genommen, außerdem sind es unglaublich gute Musiker. Sie haben sich mehr getraut gewohnte Strukturen aufzubrechen, auf ihren Platten gab es immer Experimente. Zum Beispiel konnte Andy Partridge seine Stimme wie ein Instrument einsetzen, er hat versucht jedem Lied eine eigene Note zu geben, zornig, verrückt oder hysterisch.
Andy Partridge war ja schon 1978, als das Album “Go 2” herauskam, maßgeblich für die begleitende EP “Go+” verantwortlich, die sicherlich ein musikalischer Vorläufer von “Take Away/The Lure Of Salvage” ist. War diese EP nur ein erster Versuch, der mit “Take Away/The Lure Of Salvage” ganz ausgeführt wurde?
“Go+” ist in der Tat der Vorläufer von “Take Away/The Lure Of Salvage”. Auf dem Cover von “Take Away/The Lure Of Salvage” wird auch erwähnt, “if you liked “Go+” than this record weighs approximately the same amount. Musikalisch ist “Go+” noch reduzierter, noch nackter als der Nachfolger.
Was mag ihn dazu bewogen haben, diesen experimentellen Weg einzuschlagen? War das die generelle Experimentierfreude dieser Jahre, die ja auch von größeren Plattenfirmen gestützt wurde?
In der Zeit haben viele Musiker bemerkt, dass man das Studio auch als eine art Instrument einsetzen kann. Ich hab in einem Interview gelesen, dass Andy Partridge sich am liebsten im Studio aufgehalten hat, er hatte extremes Lampenfieber und Konzerte waren für ihn eine Qual. Da er meiner Meinung nach ein genialer Musiker, Sänger und Songwriter ist, hat er sein Talent im Studio eingesetzt und mit vorhandenem Material durch Manipulationen den Liedern ein neues Gesicht gegeben. Es ist einfach ein weiteres Ventil, seine Kreativität auszudrücken. Es ist auch bemerkenswert, dass die Plattenfirma Virgin diese recht unkommerzielle Musik unterstützt hat und das zeigt eigentlich, dass man an seine Künstler geglaubt hat. Virgin hatte damals Devo, The Human League, Magazine oder z. B. die erste John Foxx unter Vertrag, alles wegweisende Erstlingswerke.
Da “Go+” sich auf die Songs von “Go 2” bezog, griff Partridge für “Take Away/The Lure Of Salvage” Songs der XTC-Alben “White Music” und “Drums And Wires” auf. In den Linernotes auf der Coverrückseite steht: “This used to be some XTC records. It is now a collection of tracks that have been electronically processed/shattered and layered with other sounds or lyrical pieces.”Destructed/constructed at Regents Park Recording Company.” Sagt das schon alles über seine Vorgehensweise aus? Und wie stehen diese De- und Rekonstruktionen im Verhältnis zum Originalmaterial?
Es fällt mir bis heute schwer die Original-Songs aus den Dub-Versionen rauszuhören. Er hat nicht nur einfach die Backing Tracks verwendet und darüber einen neuen Song kreiert, sondern er hat manchmal nur ein Element wie z. B. eine Snare Drum, eine Phrase oder ein Riff übrig gelassen. Dadurch bekommen die Dub-Versionen ein doppeltes Leben, es sind eigenständige Songs geworden, die aber ohne die Originale nicht existieren würden. Durch meine langjährige Arbeit als Tontechniker kenne ich den Prozess sehr gut, ein Mehrspurband aufzulegen und nur einige Spuren zu öffnen, die man dann durch Echos oder andere Prozessoren verfremdet. Interessant ist es auch mit verschiedenen Geschwindigkeiten zu spielen oder das Band rückwärts abzuspielen.
Ferner schrieb Partridge in jenen Linernotes “”If you liked ‘Go+’ then this record weighs approximately the same amount”. Später wurden die beiden Alben dann in auch der Reissue-CD “Explode Together”zusammengefasst. Macht das Sinn, oder gibt es Unterschiede, wegen denen man die beiden Veröffentlichungen eher getrennt betrachten sollte?
Nein. Ich denke die beiden Platten haben den gleichen Ansatz, es macht absolut Sinn sie zusammen auf einer CD zu veröffentlichen. Allerdings bin ich in der glücklichen Lage, beide Dub-Platten zu haben, mir ist ein Cover das individuell für die Platte gestaltet wurde sehr wichtig, genau so wichtig wie auch dem Künstler, der die Musik macht. Auf dem Front-Cover von “Take Away/The Lure Of Salvage” sind Gummipuppen von Jayne Mansfield, die in einem Swimmingpool liegen, auf der Rückseite ist das gleiche Bild, allerdings sind einige puppen mit Edding durchgestrichen. Die Dub-Idee spiegelt sich auch auf dem Cover wieder.
“Explode Together” trug den Untertitel “The Dub Experiments ’78-’80”. Dub ist offensichtlich eine Inspiration für den Sound von “Go+” und “Take Away/The Lure Of Salvage”, und generell arbeitete viel Post Punk-Musik mit Dub-Einflüssen. Warum passte das so gut zusammen?
In der Post Punk-Phase haben viel Bands mit neuen Stilrichtungen gespielt. The Slits, PIL, The Clash oder The Flying Lizards haben alle Dub- und Reggaeeinflüsse. Man suchte einfach nach neuen Ausdrucksformen, außerdem denke ich, dass die Studiotechnik einen großen Teil dazu beitrug, wie sich die Musik entwickelt hat. Selbst kleinere Studios konnten sich Mehrspurmaschinen leisten. Mit relativ günstigen Effektgeräten konnte man schon beeindruckende Ergebnisse erzielen, man war viel neugieriger, mutiger und unbefangener.
Gibt es vergleichbare Musik vor und während des Erscheinens von “Take Away/The Lure Of Salvage”, die in dieser Hinsicht vorgegangen ist und ähnlich gut ist?
Ich kenne ehrlich gesagt keine vergleichbare Platte, bei der es eine Referenz zu einer bestehenden Aufnahme gibt. Aber ich denke, dass viele Songs aus dieser zeit durch Reduktion entstanden sind. Damit meine ich, dass man vermieden hat Songs zu überladen. Man hat mehr Spuren entfernt als dazugefügt. Andy Partridge hat zur gleichen zeit von “Take Away/The Lure Of Salvage” an Ryuichi Sakamotos Platte “B-2 Unit” mitgewirkt. Der Einfluss von Mr. Partridge ist sehr deutlich zu hören.
Auch die elektronischen Sounds von “Go+” und “Take Away/The Lure Of Salvage” sind sehr bemerkenswert. War Partridge hier seiner Zeit voraus, oder war das eher ein subjektiv gelungenes Ergebnis generell stattfindender Entwicklungen? Wie passt das zu den Versuchen anderer Künstler und Bands auf diesem Gebiet?
Es ist auf jeden Fall beeindruckend wie ein Pop/Punk-Musiker elektronische Elemente in seine Musik integriert hat, das lag aber wie schon gesagt an der allgemeinen Neugier gegenüber neuen Ausdrucksformen. Drum machines, Synthesizer und Computer waren zu der Zeit in einigen Kreisen nicht gerne gesehen. Man dachte das Gefühl in der Musik wird durch Roboter diktiert. Eine vernichtende Plattenkritik hat mich damals dazu bewegt, die zweite Platte von Suicide zu kaufen. Der Kritiker meinte zum Song “Touch Me”, dass ihn allenfalls eiskalte Roboterhände bei der Musik “touchen” würden… vielen Dank für den Tipp, dachte ich mir.
Machen gerade die elektronischen Elemente diese Musik von Partridge für Dich interessant? Gibt es Aspekte davon, die Dich als Produzent beeinflusst haben?
Mich hat diese Platte in der Tat sehr beeinflusst, genau so wie die Arbeiten von David Cunningham. Dessen Produktionen von This Heat oder The Flying Lizards waren ausschlaggebend, mich für Tontechnik zu interessieren. Anfang 1980 gab es noch keine Computer, einer der ersten Sampler, der Fairlight CMI stand gerade in den Startlöchern. Viele Produzenten fingen an mit der Studiotechnik zu experimentieren. David Cunningham z. B. produzierte auf der ersten This Heat-Platte einen Track den er “24 track loop” nannte. Er schnitt ein paar Takte aus einem 24-Spur-Band heraus, klebte sie zusammen und bearbeitete die einzelnen Spuren mit Effekten. So konnte er aus einem einzigen sich immer wiederholenden Drum Loop ein neues Lied arrangieren, allein durch die Studiotechnik. Heutzutage hat man Sampler, die das wesentlich einfacher machen können, aber gerade die handwerkliche Arbeit gibt der Musik etwas Besonderes und Einzigartiges. Ich habe in meinen Anfangstagen als Tontechniker noch Bandschnitte mit Schneidewerkzeug gemacht, also Rasierklinge und Klebeschiene. Es gab meistens nur einen Versuch, der stimmen musste. Es gab kein “undo” und gute Tontechniker, die handwerklich begabt und experimentierfreudig waren, waren essentiell für eine gute Produktion.
Es ist auffällig, dass Partridge sowohl bei “Go+” als auch bei “Take Away/The Lure Of Salvage” nicht ganz auf seine Gesangsparts verzichten wollte. Er hat natürlich eine Stimme mit einigem Wiedererkennungswert, und ist auch ein exzellenter Texter, aber wie wichtig ist sein Performancepart dafür? Gehört das untrennbar zusammen, oder hätte das auch als Instrumentalalbum genauso gut funktionieren können?
Andy Partridge ist Musiker und Sänger. Er will sich musikalisch ausdrücken, aber er hat auch etwas zu erzählen. Ich sehe die Texte der XTC-Platten eher als eine Auseinandersetzung mit Realität und Zukunft, während die Dub-Platten mehr Fiktionen und Träume behandeln. Einige texte auf der „Take Away/The Lure Of Salvage“ sind dadaistisch und erinnern an kurt Schwitters’ Ursonate. Ich denke es war ihm wichtig, die Stimme und das was er sang als eine art Instrument zu sehen, ein Element, das sehr spontan und improvisiert in die Musik einfloss.
Auch wenn sie stets eine Kritikerband blieben, die Alben von XTC in den Folgejahren waren deutlich zugänglicher. Haben sie ihre Experimentierfreude nur in andere Bahnen gelenkt? 60’s-Psychedelia z. B.? Blieben sie für Dich trotzdem interessant?
Ich habe leider das Interesse nach dem vierten Album „Black Sea“ verloren. Für mich wiederholten sich die Lieder und eigentlich war mit den ersten Platten schon alles gesagt, es konnte nicht besser werden. Ich habe mir erst vor ein paar Jahren einige spätere Platten gekauft, finde aber nicht wirklich Zugang dazu.
Hat “Take Away/The Lure Of Salvage” in der gegenwärtigen Musik Spuren hinterlassen? Warum ist dieses Album immer noch relevant?
Ich bin mir nicht sicher, ob wirklich viele diese platte mitbekommen haben, ich kenne ehrlich gesagt nur eine Person, die dieses Album auch kennt. Natürlich hinterlässt alles irgendwo Spuren, aber mit Sicherheit hat diese platte keine neue Bewegung eingeleitet, darum ging es bei der Platte auch nicht. Für mich ist die Platte insofern relevant, dass sie eine der besten und kreativsten Zeiten widerspiegelt, nie wieder wurde aus so wenigen Mitteln ein so geniales Ergebnis geschaffen. „Take Away/The Lure Of Salvage“ ist für mich der kreative Höhepunkt von Andy Partridge.
Würde es Dich auch reizen, ein bestehendes Album derart zu de- und rekonstruieren?
Ein bestehendes Album von einer interessanten Band zu dekonstruieren wäre ein Traum. Die Produktionen und Mixe, die ich für andere Künstler mache, haben allerdings einen ähnlichen Ansatz. Zum Beispiel bei Ellen Alliens Album “Dust” hat Ellen verschiedene Textfragmente auf einen simplen Beat gesungen, sie hat die Vocals zuhause auf einen portablen Rekorder aufgenommen, ich hab dann die Stimme zerschnitten, die besten Teile verwendet und somit ihre Vocals neu konstruiert und arrangiert. Die Musik wurde erst danach an das neue Arrangement angepasst. Ein Prozess, der einem unheimlich viel Freiheit lässt, viel mehr als wenn der Sänger im Studio steht und man ihm sagen muss, was er wie und wo singen soll. Dabei hört sich das Endergebnis an, als hätte sie auf ein bestehendes Arrangement gesungen, aber genau das Gegenteil war der Fall. Eine solche Herangehensweise reizt mich sehr, da man den Künstler mit etwas völlig Neuem konfrontieren kann, das aber genau so Sinn macht, als wäre der Song in herkömmlicher Weise entstanden.
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