Rewind: nike.bordom über “Brown By August”

Posted: July 12th, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit nike.bordom über “Brown By August” von Neil Landstrumm” (1995).

Wie kamst Du zu “Brown By August”? War es ein Zufallsfund im Plattenladen, oder warst Du schon anderweitig darauf vorbereitet?

Ich habe zu der Zeit, als “Brown By August” 1995 rauskam, bei einem Musikvertrieb /-großhandel gearbeitet. Dadurch habe ich sehr viel Musik mitbekommen, die abseits des Mainstreams stattfand. Damals habe ich viele Veröffentlichungen von Warp und Rephlex gekauft, aber auch viel Acid, Djax-Up-Beats oder Synewave. Peacefrog kannte ich eigentlich durch die DBX-Releases. “Brown By August” ist natürlich eine ganz andere Kategorie, passte aber andererseits gut zu meinen früheren Vorlieben, Industrial und EBM, Musik die eher aggressiv und energetisch ist. Von daher hat das Album bei mir sofort Begeisterung ausgelöst.

Warum hast Du Dich für dieses Interview für das Album entschieden? Ist es exemplarischer Techno für Dich?

Die Entscheidung für eine Platte fiel mir ja alles andere als leicht, da es so viel Musik gibt, die mich zu einem bestimmten Zeitpunkt begeistert und rückblickend auch extrem geprägt hat. Die Liste möglicher Kandidaten wurde immer länger.

Was meine Entscheidung bestimmt hat, ist der Humor, den ich im Laufe der Jahre in dem Album entdeckt habe. Ich bin mir sicher, Neil Landstrumm hat bei der Produktion enormen Spaß gehabt. Diese Kombination von brachialer Musik und (Selbst-)Ironie finde ich sehr einzigartig, ich muss bei jedem Hören erneut schmunzeln.

Exemplarisch daran ist sicher der “Maschinen-Aspekt”: Pattern-basierte Strukturen ohne große Variationsbreite, eine limitierte Anzahl von Sounds, eben eine gewisse produktionsmittelbedingte Reduktion. Bei dieser Art von Musik liegt das Augenmerk natürlich mehr auf dem Sound als auf dem Arrangement. Und was an Maschinen so wunderbar ist: es ist nicht alles immer 100%ig tight im Tempo, die einzelnen Maschinen laufen nicht ständig völlig synchron. Auch wenn das nicht wirklich hörbar ist, es ist spürbar, dass da mehr Lebendigkeit drin ist, als bei reinen Computer-Produktionen.

War Mitte der 90er eine Phase für Techno, die Dich besonders geprägt hat?

Durchaus. Außer all den Chicago-inspirierten Produktionen mochte ich damals auch vieles, was irgendwie mit 303 war. Außerdem natürlich viele deutsche Sachen wie Profan, Force Inc., DJ.ungle Fever, Structure. Dann ging es los mit Panasonic und Sähkö. Mitte der 90er ist wahnsinnig viel passiert, und nicht alles davon habe ich damals auch verstanden. Basic Channel z. B. habe ich erst ein Jahrzehnt später wirklich lieben gelernt. Aber es gab eine enorme Bandbreite an elektronischer Musik, und mir scheint, es gab auch weniger Berührungsängste.

Ab 97 habe ich fast gar nichts mehr gekauft, was ich auch nur weitläufig in die Kategorie “Techno” einordnen würde. Was ich durchaus als Indiz dafür sehe, dass es nichts gab, was in diesem Bereich wirklich spannend gewesen wäre.

Ist das Album ein Gesamtkunstwerk, oder gibt es persönliche Favoriten, oder auch Durchhänger?

Das Album funktioniert für mich schon als Gesamtkunstwerk, da sich erst beim durchgehenden Hören des Albums erschließt, was für einen Irrsinn Herr Landstrumm da losgetreten hat. Trotzdem gibt es Favoriten und auch ein oder zwei Stücke, die meines Erachtens nicht ganz so zum Rest passen, wobei selbst die keine wirklichen “Durchhänger” sind, sondern einfach nicht ganz so energetisch-irsinnig sind.

Das Album gilt als absoluter Klassiker, woran mag das liegen? Worin liegt sein Mehrwert?

Es repräsentiert eine bestimmte Phase im Techno (eben mitt-90er), und ist von allen Produktionen dieser Zeit am kompromisslosesten. Zusätzlich ist das Album eigenständig genug, um sich von anderen Platten dieser Zeit abzuheben. Außerdem: es ist ein Album und keine 12″. Zu der Zeit gab es wenig Techno-Alben, die als Album funktionierten und nicht nur eine mehr oder minder gelungene Ansammlung von Tracks auf zwei 12″s waren. Zumindest erinnere ich mich nicht daran (und meine Plattensammlung sagt das auch), in dieser Zeit überhaupt viele Techno-Alben wahrgenommen oder gar gut gefunden zu haben. “Brown By August” funktioniert aber tatsächlich viel mehr als Album denn als Track-Ansammlung, gerade über die durchgängig hohe Energie. Es ist deutlich zu hören, dass die Tracks aus der gleichen Schaffensperiode stammen, es klingt alles sehr aus einem Guss. Die Ironie erschließt sich tatsächlich erst bei komplettem Hören des Albums. Und: ich finde es jedesmal zum Verzweifeln schwierig, beim Auflegen einen Track rauszupicken.

Die Tracks sind allesamt vergleichsweise kurz, schnell und sehr intensiv. Es gibt wenig mehr zu hören außer scheppernden Beats und zerrigen Loops. Magst Du diese entschlackte, unmittelbare Art von Techno? Erreicht das so eine Art von Intensität, die Dir wichtiger ist als komplexe Arrangements? Oder ist das nur eine Vorliebe von vielen?

Techno ist körper-, nicht kopfbetont. Zumindest meine Definition von Techno beinhaltet, dass es sich dabei um Tanzmusik handelt. Die Ursprünge von Musik bestehen ja aus durchaus ähnlich gearteten reduziert-repetetiven Formen mit Konzentration auf Rhythmus, zu denen sich Menschen schon vor Jahrtausenden in Trance getanzt haben. Im besten Falle funktioniert das auch mit Techno allein durch Tanzen. Komplexe Arrangements schließen Repetition zwar nicht per se aus, aber Reduktion. Bei einer Fülle an Variationen, Melodien, Spuren, Instrumenten in der Musik wird das Tanzen zunehmend schwierig, weil man automatisch anfängt, zuzuhören, anstatt sich dem (vielleicht archaischem) Sehnen nach Rhythmus & Tanz hinzugeben.

Persönlich macht 4/4tel für mich nur Sinn, wenn es mich zum Tanzen bringt, am besten mein Hintern bewegt sich automatisch dazu. Und das geht natürlich zu den beatbetonten & reduzierteren Formen besser als zu allem, was komplexer ist.

Neil Landstrumm war immer schon ein Produzent, der viele Einflüsse eingearbeitet hat. Hier stand offensichtlich Chicago House Pate, aber nicht unbedingt die Frühphase, eher die Track-Tradition von Dance Mania, Robert Armani, Steve Poindexter, Paul Johnson und und Co. Was unterscheidet “Brown By August” von diesen Einflüssen, und was ist genuin Landstrumm?

“Brown By August” ist härter und verrückter. Die Platte ist gleichzeitig völlig überdreht und hysterisch und energiegeladen, und das in unglaublicher Konsequenz. Das habe ich in der Form von keinem der Chicagoer Produzenten gehört. Es gibt schon Tracks, die da mithalten können, aber keiner hat das in dieser Form so stringent umgesetzt wie Neil Landstrumm. Diese Aspekte hat er einfach perfekt auf einem Album festgehalten. Lustigerweise ist für mich diese Form von Chicago House ja DIE Blaupause für Techno. Und vielleicht ist das dass, was das Album so einzigartig macht: es wird nicht mehr Chicago House genannt, sondern ist plötzlich Techno.

Findest Du die Vorbilder aus Chicago ebenso gut, oder wird dieser Sound erst durch Landstrumm so wie er sein sollte?

Dieser spezielle Chicago-Sound ist definitiv ein Faible von mir. HiHats, Claps, Snares, 808 oder 909 Bassdrums & dazu simple Synthesizer-Melodien… Außer den oben genannten fällt mir natürlich sofort auch DJ Funk ein, zu den Zeiten, als er noch nicht ganz so booty-lastig klang, also seine frühe Dancemania-Phase. Oder auch Green Velvet. Wenn ich diese Art von Musik höre, fange ich automatisch an, zu grinsen und zu tanzen.

“Brown By August” war für mich so etwas wie der gleichzeitige Höhepunkt und Schlusspunkt dieser Chicago-Tradition.

Denkst Du, die Produzenten aus Chicago haben diese Interpretation ihrer Musik respektiert?

Ich denke schon. Warum sollten sie auch nicht? Weil er weiß und aus Schottland ist? Musikalisch ist das doch sehr nahe dran an den ganzen Sachen aus Chicago.

Gibt es andere vergleichbare Produktionen aus der Zeit, die Dir ähnlich wichtig sind?

Vergleichbar… Außer den oben Genannten DBX, DJ Hyperactive, .xtrak/Todd Sines, Head In The Clouds/Communiqué, Contact, Stickman Records wären so Bezugspunkte, wobei die Zeit der Veröffentlichung für mich vielleicht mehr Ähnlichkeit erzeugt, als in der Musik tatsächlich vorhanden ist. Aber die Sachen kann man schon sinnig in einem Set unterbringen.

Es gab oft die Sichtweise, Techno auf der Insel würde gen Norden immer härter werden. Denkst du, “Brown By August” ist typisch schottisch? Oder ist das sowieso nur ein Klischee?

Keine Idee. Mir würde auch spontan kein Produzent aus Schottland einfallen.

Kann man das auf Deutschland übertragen? Konnte man “Brown By August” eher in bestimmten Gefilden hören als anderswo?

Nein, definitiv nicht. Ich sehe da eher einzelne Städte, die für einen bestimmten Sound standen: Hamburg ist für mich definitiv eine sehr (Acid-) House geprägte Stadt, wo diese Art von härterer Musik lange nur Kopfschütteln geerntet hat. In Frankfurt war das anders, die Stadt und die Musik konnten durchaus hart sein, wie man ja durchaus auch an so Labels wie PCP erkennen kann. Köln hingegen verbinde ich mit DJ.ungle Fever, Structure & Profan, also eher mit sehr acid-lastigen Produktionen. Und Berlin… Berlin ist nicht so leicht auf einen bestimmten Sound zu reduzieren.

Nach jahrelangem Minimalregime scheint es, als wäre der Sound von “Brown By August” wieder präsenter, sowohl in den Clubs als auch in neueren Produktionen. Alte Helden haben sich zurückgemeldet. Ist die Zeit wieder reif für mehr prägnante Rauheit?

Ehrlich gesagt war Neil Landstrumm damals schon nicht unbedingt die Musik, die in den Clubs lief – zumindest nicht in denen, in die ich da noch gegangen bin. Und zumindest in Hamburg habe ich aktuell auch noch keinen wirklichen Trend in diese Richtung ausgemacht. Ich glaube, Hamburg ist einfach keine Stadt für solch direkte, energetische Musik. Es gibt sicher eine Tendenz weg von, na ja, Minimal ist ja längst durch, da kräht kein Hahn mehr nach, aber auch weg von zu schnuffeligem House. Und ich glaube durchaus, dass die heutige Zeit, weil die Umstände widriger werden, darauf musikalisch reagiert und die Musik direkter, schroffer, rauer wird.

Kannst Du dir vorstellen, dass Techno wieder ganz im Sinne von “Brown By August” ein flächendeckendes Revival haben kann, oder ist diese Zeit vorbei?

In der Form wird es nicht wiederkommen, obwohl ich durchaus eine Tendenz “zurück zu den Maschinen” erkenne. Allerdings leben Genres ja durchaus davon, sich weiter zu entwickeln – zum Glück! Sicher bin ich sehr “traditionalistisch”, wenn es um den Begriff Techno geht, aber kompletter Stillstand würde doch einfach langweilen. Ich kann mir schon vorstellen, dass wieder mehr Energie, mehr Repetition, mehr Irrsinn den Weg zurück in die Tanzmusik findet. Zumindest hoffe ich das!

Techno scheint heutzutage meistens langsamer zu sein, und meistens weniger brachial. Wodurch ist dieser Konsens begründet? Zeitgeist? Andere Drogen? Andere Clubsozialisationen? Anderes Equipment? Warum klang das damals so, und heute anders?

Definitiv hängt das hauptsächlich mit Zeitgeist und Equipment zusammen. Dieser Mitte 90er Sound ist natürlich einerseits sehr geprägt durch Acid & Chicago House und Detroit Techno, andererseits durch die Möglichkeiten (& Maschinen), die es damals gab – und die waren nun mal begrenzter als heute. Durch flächendeckende Computerisierung hat ja inzwischen jeder Produzent fast unendliche Möglichkeiten. Natürlich ist die Sozialisation auch eine andere, aber die Entwicklung weg vom Brachialen ist ja durch alle Altersgruppen hindurch erfolgt.

Mit “Brown By August” hat Landstrumm gleich zu Beginn seiner Karriere einen Meilenstein gesetzt. Konnte er später daran anknüpfen? Verfolgst Du immer noch was er veröffentlicht, oder konntest bzw. mochtest Du nicht mehr folgen?

Ich verfolge seine Veröffentlichungen immer noch. Und ich respektiere ihn dafür, dass er sich weiterentwickelt hat und inzwischen eher an Grime anknüpft. Seine Musik zu hören macht immer noch Spaß, auch weil ich da viel von meiner eigenen Historie drin entdecke.

Gibt es heutzutage Veröffentlichungen, die die Fackel von “Brown By August” weiter tragen?

Wenn, dann kenne ich sie nicht. Ich habe allerdings in den letzten Jahren nicht sehr aufmerksam verfolgt, was so rauskommt. Aber Zufallsfunde in der Richtung gab es nicht. Wobei es genug andere neue, spannende Musik gibt, über die ich mich freuen kann.

Du produzierst ja auch selber Musik. Gibt es Aspekte von “Brown By August”, die sich darin wiederfinden?

Die Art, wie ich mit den Beats umgehe vermutlich. Beats sind immer das wichtigste, die sollten schon für sich genommen funktionieren. Und natürlich auch eine gewisse Reduktion, wegzulassen, was sich als überflüssig erweist. Was heutzutage schwieriger ist als damals, angesichts der Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen.

Bisher bin ich kläglich damit gescheitert, “Brown By August” so nahe zu kommen, wie ich es gerne möchte. Es erweist sich dann doch als wesentlich schwieriger, diese Energie und Ironie in einen Track zu bannen, als man denken würde!

Sounds Like Me 07/10



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