Rewind: Peter Kruder über “Wish You Were Here”

Posted: June 14th, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit Peter Kruder über “Wish You Were Here” von Pink Floyd (1975).

Kannst Du Dich noch daran erinnern, wie Du auf Pink Floyd gestoßen bist? War das noch in Deiner Jugend?

Ich war gerade mal 11 Jahre alt als mein Bruder, der damals für Bang & Olufsen im Service gearbeitet hat, mit einer neu erstandenen B&O-Anlage nach Hause kam. Als das Ding aufgebaut war, zog er eine in schwarzes Plastik gehüllte Platte aus einer Einkaufstüte, schlitzte vorsichtig die Plastikhülle auf und legte die Platte auf den Teller. Die B&O-Anlagen damals hatten keine ordinären Drehregler, sondern in Glas gefasste elegante Schieberegler, und den Volumenregler auf ein angemessenes Level geschoben schwebte mir dieser G-Moll-Akkord aus den Boxen entgegen und ich war von der ersten Sekunde an auf einen anderen Planeten transportiert.

Die blubbernden Synths im Hintergrund und die zarte Moog-Melodie, die nichts sagt außer dass sie einen noch mehr hineinzieht, waren mir damals total unerklärlich und ich war gefangen vor Aufregung über was auch immer als Nächstes kommen würde. Das Vier-Noten-Motiv der Gitarre war für mich dann der endgültige Beweis, dass ich mich in einem neuen Stadium meiner persönlichen Entwicklung befand und von da an gab es nur mehr Pre-Floyd und Post-Floyd in meinem musikalischen Universum.

Pink Floyd hatten einige wegweisende Alben vorzuweisen. Warum hast Du Dir “Wish You Were Here” ausgesucht? Was macht das Album so wichtig für dich?

Ich war natürlich total angefixt von dem Floyd-Sound, sodass ich mich dann sofort auf die Suche nach mehr begab. Das Taschengeld damals reichte nicht für mehr als ein Album alle vier Monate und wurde mehr in Singles investiert, meine Schulfreunde damals waren mehr bei Abba als bei Floyd. Ich hatte in meiner Schule zwei ausgezeichnete Professorinnen im Englischunterricht, beide aktive 68erinnen, die eine Unterrichtsstunde nutzten, um uns Pink Floyds „The Wall“ vorzuspielen. Da war er wieder, dieser Sound, diesmal mit mehr Text, und ich lief nach dem Unterricht nach Hause, köpfte das Sparschwein und ab in den Plattenladen. The Wall verließ die nächsten fünf Monate nicht mehr den Plattenteller und wöchentlich wurde eine andere Seite favorisiert. Ich war damals unsäglich schlecht in Englisch und verstand kein Wort, was mich nach einiger Zeit zum Wörterbuch greifen ließ um mir die auf den Hüllen gedruckten Lyrics Wort für Wort zu übersetzen. Am Ende des Jahres hatte ich eine Zwei in Englisch und wurde speziell für meinen drastischen Fortschritt im Unterricht gelobt. Von daher gesehen ist „The Wall“ für mich auch eine wichtige Floyd-Platte. Dass die Lyrics eigentlich schrecklich sind und als öffentlichen Therapiecouchplatz von Roger Waters missbraucht wurden, kam mir erst viele Jahre später und deswegen ist „Wish You Were Here“ auch meine  bevorzugte Platte im Floyd-Schaffen.

Das Album ist ja schon mit seinem sehr durchdachten Fluss darauf angelegt, dass man es als Ganzes hören sollte. Ist das die beste Art das Album zu hören, oder gibt es persönliche Highlights oder auch Aussetzer? Überstrahlt “Shine On You Crazy Diamond” die anderen Songs?

Diese Platte prägte für mich das Verständnis, dass ein Album durchgehend gehört werden sollte, oder vielmehr dass ein Album so gut sein muss, dass man es von Anfang bis zum Ende hören will. Der Fluss, der durch das Weglassen der üblichen Pausen zwischen den Songs entsteht, will gut überlegt sein und wie in diesem Falle mit genauester Präzision ausgeführt werden. Ganz im Gegensatz zu Jimi Hendrix, der das auch machte, aber die pausenlose Aneinanderreihung mit acidgetränkten Akzenten durchführte, wobei das genau so beeindruckend ist. “Shine On You Crazy Diamond”ist natürlich die Perle des Albums und ich finde es auch entgegen gesetzter Meinungen gut, dass es auf die beiden Seiten der Platte verteilt ist. Es gibt der Platte Bookends, wie man es im Englischen nennt, und das fordert das Wollen nach mehrmaligem Hören.

Wie würdest Du die Musik von Pink Floyd auf “Wish You Were Here” beschreiben? Ist etwa die Band hier noch in den psychedelischen Anfangstagen verwurzelt, oder ist das schon eine ganz neue stilistische Ebene? Welche maßgeblichen Elemente machen das Album aus?

Für mich liegt die Größe der Platte in dem, dass keine Note zu viel ist und jeder auch noch so kleine Sound an seinem exakt richtigen Platz sitzt. Die musikalische Darbietung ist in diesem Sinne ohne jegliches Fett und zeigt, dass sie hier die Meister ihres eigenen Genres wurden. Wo „Dark Side Of The Moon“ noch überladen ist mit Showoff-Effekten, ist hier nur mehr Dienliches am Start. Es ist auch die Balance zwischen den trippigen Undergroundsounds der Anfangstage und breiten Melodien so geschickt getroffen, dass es allgemein verständlich ist, ohne sich dem Kommerz hinzugeben. Ein interessanter Aspekt ist für mich auch, dass die Brüche in der Gestaltung nicht als aufzeigende Maßnahmen gesetzt wurden, sondern mehr um den Fluss zu beschleunigen oder zu entschleunigen. Aber ich fand es immer schon eleganter, den Hörer durch sublime aber zwingende Elemente in deine Ecke zu ziehen, als sie mit dem Prügel über den Kopf dahin zu zwingen.

Wie verhält sich “Wish You Were Here” zu “Dark Side Of The Moon”, dem ungleich erfolgreicheren Vorgängeralbum? Ist es eine logische Fortführung? Ist es eine Emanzipation, bzw. ein Fortschritt?

Ich sehe es als absoluten Fortschritt, mit einer zurückgenommen Effektivität letztendlich noch mehr zu erzielen. Nicht das „Dark Side Of The Moon“ eine schlechte Platte wäre, aber im Gesamten ist sie bei weitem nicht so in sich stimmig wie „Wish You Were Here“. Bei „Dark Side Of The Moon“ haben sie die Grenzen des Machbaren mehr als die der eigenen Entwicklungsfähigkeit gesucht, waren aber mit dem Glück beseelt, dass das genau zu der Zeit gefragt war.

Gemeinhin wird die Geschichte von Pink Floyd in mehrere Phasen eingeteilt, und “Wish You Were Here” markiert die Phase, in der sie ihren Status als eine der größten Rockbands konsolidieren konnten. Magst Du auch die früheren und späteren Arbeiten der Band? Es gibt ja beispielsweise nicht wenige Anhänger, die alles nach Syd Barrett weniger schätzen, und umgekehrt.

Arnold Layne  und diese Art des Musikmachens hat eine zeitbezogene Wichtigkeit. Bei mir verhält es sich da wie mit dem frühen Bob Dylan-Katalog. Ich verstehe und respektiere die immense Wichtigkeit, zu einem Zeitpunkt genau das laut auszusprechen was sich eigentlich alle denken, aber es verliert für mich durch die Akzeptanz der Veränderungen im Nachhinein die Aussagekraft. Im Frühwerk mit Syd Barrett ging es darum avantgardistische Musikformen mit Rock zu verbinden. Es lag damals in der Luft und die Floyd-Urbesetzung hat das auf den Punkt gebracht, nicht zu vergessen ist der visuelle Aspekt ihrer damaligen Liveshow.

Sowohl “Shine On You Crazy Diamond” als auch “Wish You Were Here” sind über das Schicksal von Syd Barrett, welcher der Band bei den Studioaufnahmen eine für alle Anwesenden nahezu traumatischen Überraschungsbesuch abstattete. Ist der Geist von Barrett auf diesem Album noch evident, oder meinst Du sie wollten die Zeit mit ihm auch im Sinne eines Abschlusses verarbeiten?

Die einzelnen Mitglieder sind bis heute traumatisch betroffen von ihrem damaligen Vorgehen, was in den Interviews zu den Geschehnissen der damaligen Zeit noch deutlich zu spüren ist. Sie wussten zu diesem, doch noch recht jugendlichen, Zeitpunkt einfach nicht mit der Gegebenheit umzugehen und holten ihn eines Tages für den anstehenden Gig einfach nicht mehr ab. Das schicksalsträchtige ”We should pick up Syd – ahh, don’t bother” wird sie wohl für ewig verfolgen, egal wie viele Tribute-Platten sie noch für ihn machen. Die gespenstische Geschichte, dass er dann zu dem Zeitpunkt, als sie die Ode an ihn verfassen, noch nach Jahren der Versenkung, plötzlich im Studio auftaucht, hat sicherlich einige Psychiater reich gemacht. Roger Waters hat sich lange Zeit der Personifizierung der Songs verwehrt, mit der Weisheit des Alterns hat er sich dann auch öffentlich dazu bekannt, dass Syd das Zentrum der Platte ist.

“Dark Side Of The Moon” ist nahezu berüchtigt für seinen aufwändigen Sound, und ist damit quasi zu einer klassischen Referenzplatte für Audiophile geworden. Ist das bei “Wish You Were Here” auch ähnlich gelagert? Wie wichtig ist die Produktion für das Album? Stehen die Songs an sich da zu Unrecht im Schatten, oder ging das für Dich einher?

„Dark Side Of The Moon“ war mit seinen für damalige Zeiten fast unerklärlichen Soundeffekten für das in den späten Sechzigern aufkommende HiFi-Bedürfnis der Hörer endlich eine gut klingende Platte, die nicht aus dem Jazz oder der Klassik kam. Sogar in der heutigen Zeit kann man die klangliche Sound Dimension von „Dark Side Of The Moon“ oder „Wish You Were Here“ sogar in minderer MP3-Qualität über Laptop Speakers gespielt wahrnehmen, wenn auch nur gering, aber sie ist da. Für mich funktioniert Musik auf einem höchst subliminalen Level und ich bin der Überzeugung, dass Musik nicht nur gehört, sondern mit dem ganzen Körper aufgenommen wird. Ein simples Beispiel dafür ist der Club, eine einfache Bassdrum bewegt Menschen zu rhythmischen Zuckungen, was zuhause über das Küchenradio nicht so einfach funktioniert.

Bei der Musik Floyds ist dieser Kanal zum Empfang der subliminalen Wirkstoffe sofort sensibilisiert und das ist sicherlich für mich einer ihrer größten Errungenschaften. Auf den Frühwerken war diese Message mehr von den halluzinierenden Wirkstoffen ausgehend, die sehr eindeutig beim Hören wahrgenommen werden. Songs wie „Astronomy Domine“ oder „Interstellar Overdrive“ sind ein in Sounds destillierter Trip und fühlen auch so an, selbst für den der diese Erfahrung niemals gemacht hat.

Bei „Wish You Were Here“ war die erwünschte subliminale Wirkung schon eine ganz andere. Hier ging es mehr um die Bestätigung des Wohlfühlfaktors mit der eigenen History, sprich mit dem erhofften Abschluss des Unwohlsein aus den Barrett-Tagen. Ein „Wish You Were Here“ als letztes Zugeständnis an einen großen Fehler, als Beweis des Überwindens sozusagen. Das dies in dem samtigen Kleid wohlwollender Harmonien passiert, ist dann auch nicht weiter überraschend, ob das jetzt berechnend, weise oder lahm istn liegt ganz in der Auffassung des Betrachters.

Haben Pink Floyd mit ihren Sounds in dieser Zeit neue Standards gesetzt, von denen lange Zeit kein Weg mehr zurück ging?

Für den Musiker, der sein Instrument als Aufgabe und die Möglichkeiten des Studios als Spielwiese der Fantasie gesehen hat, war dieser Sound mit Sicherheit das Maß aller Dinge. Die Gegenbewegung startete nur ein Jahr später mit Punk, aber ich habe nie so wirklich an die ”drei Akkorde müssen für eine Rockplatte reichen” Philosophie geglaubt, obwohl ich selbst aus diesem für mich damals glücklichen Umstand meine ersten Bands gründen konnte. Trotzdem war es immer ein Bestreben, mehr zu machen als diese drei Akkorde und vor allem auch besser zu klingen. Man bemerkt auch bei vielen Bands aus dieser Zeit, dass die erste Platte noch den genrespezifischen Garagensound hat, das zweite oder dritte Album dann aber schon mit viel mehr Bedacht auf Sound und weit über den ursprünglich vorgegebenen Grundmöglichkeiten produziert wurde. So gesehen kann man die Auffassung, die durch Floyd übergreifend erfahren wurde, auch als prägend annehmen und ich vermute das erstreckt sich noch bis in die Jetztzeit.

Nicht nur musikalisch, sondern auch thematisch hebt sich “Wish You Were Here” von tradierter Rockmusik bis zu den frühen 70ern ab. Wie schon bei “Dark Side Of The Moon”geht es ziemlich düster und introspektiv zu, es wurde sich abermals mit den psychsichen Problemen sowohl von Barrett als auch vermutlich Waters auseinandergesetzt, es gibt kritische Reflektionen über die eigene Position in der Musikwirtschaft. Nicht nur in der Musik waren die frühen 70er eine Phase großer Desillusionierung nach der Aufbruchseuphorie ab Mitte der 60er. Ist das Album ein Ausdruck dieser gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen? Und wie verantwortlich waren Pink Floyd für das Aufkommen für das Phänomen überlebensgroßer Bands in dieser Zeit?

Der heruntergefahrene Sound der Platte hat tatsächlich etwas von einem Gegenstrom zu den aufgebauten Rockgott-Fantasien der frühen Siebziger. Diese Platte hat aber noch die musikalische Finesse als Mittel zum Zweck der eigentlichen Darbietung eingesetzt und nicht wie in späteren Werken als in den Hintergrund gedrängte Akzentuierung der textlichen Leidenserforschung. Wo der Nachfolger „Animals“ noch ein Konzept fern der eigenen Persönlichkeiten hatte, wird dann mit „The Wall“ die persönliche Abrechnung Roger Waters’ mit dem Rockstardasein vollzogen. Letztendlich erscheint „The Wall“ als große Enttäuschung über die erreichten Ziele eines Musikers. Der Traum von der Erlösung durch das Erreichen des Rockolymps zerbarst wie eine mit Hass gefüllte Seifenblase, die eine schleimige Spur über die Seelen der Beteiligten zieht.

Die Erkenntnis, dass die mit höchsten Ansprüchen geschaffene Kunst dann letztendlich für das Publikum doch nicht mehr als eine temporäre Ablenkung für die zwei Stunden bei einem Konzert bedeutet, muss eine monströse Enttäuschung für den Idealisten Roger Waters gewesen sein. Dass er dann einem Fan, der bei einem Konzert kontinuierlich vor Aufregung und Freude schrie und auch bei den ruhigen meditativen Stellen nicht verstummte, von der Bühne aus ins Gesicht spuckte, zeigt mehr als deutlich die höchst unrealistische Selbsteinschätzung und führte später zu einem Moment der Selbstreflektion.

Natürlich muss jeder Musiker mit einem halbwegs intakten Ego das Bestreben haben, sein Publikum allein durch den Klang seiner Noten zu aufmerksamen Lemminge erstarren zu lassen. Dieses Ego, dann durch die jahrelange Präsenz der Schulterklopfer und Analsurfer gestärkt, mit dem Bewusstsein noch größer als die Erfindung geschnittenen Brotes zu sein, öffnet dann die Türen für Ausrutscher weit jenseits des persönlichen Horizontes.

Das daraus dann sein Egotrip „The Wall“ wurde, lasst die Frage nach einer geglückten Reflektion weit offen.

Der Schluss, nach der Erkenntnis seiner eigenen Unwirksamkeit außerhalb des Kreises, eine Diktatur innerhalb seiner beeinflussbaren Zirkel zu starten, hatte letztendlich den Zusammenbruch des Vehikels seines Schaffens zu Folge, aber ich sehe das nicht aus einer richtenden Position sondern aus einer Position von Verständnis. Die Dezimierung seiner Folgeschaft auf ein Zehntel gegenüber den Floyd-Zeiten hat schlussendlich die übrig gelassen, die ihm die erwünschte Aufmerksamkeit entgegenbringen.

Halten die Texte das musikalische Niveau des Albums?

Das ist für mich nicht so einfach zu beurteilen, da ich immer erst die Musik höre und erst lange Zeit später mich auf den Text einlassen kann.

Deswegen habe ich auch in meiner Bildung über das Singer / Songwriter-Genre schwere Lücken, da ich primär von dem musikalischen Gehalt her in ein Thema hinein gezogen werde, selten bis nie über die lyrische Ebene. Gut in Songs verpackt kann ich da wahrscheinlich auch so Einiges durchgehen lassen, was bei anderen schwerste Übelkeit hervorrufen könnte.

Die freien Interpretationsmöglichkeiten von „Wish You Were Here“ sind auch Etwas, das den Reiz der Hookline ausmacht.

Ist jetzt Syd oder doch nur die nach all den Touren verlorene Frau gemeint? Geht das Ganze um mich oder einen abgeschlossenen Zeitabschnitt?

Natürlich kann man eine Zeile wie ” we are two lost souls swimming in a fishbowl, year after year” universell für fast alle Lebenslagen einsetzen und mit der Raserei der heutigen Zeit und der hinterhältigst aus allen Ecken hervorlugenden Langeweile, wird sie für viele im Minutentakt gültig. Die wahre Stärke dieser Zeile liegt aber wahrscheinlich darin, dass man sie sich, nach einem Streit und die durch heftigen Alkoholeinfluss forcierte Versöhnung, wunderbarst gegenseitig ins Gesicht grölen kann.

Bei „Have A Cigar“ ist das Ganze schon einfacher, da es sich relativ simpel auf das Musikbusiness bezieht. Eine interessante Frage, die sich da aufwirft, ist, ob die folgende Erkenntnis dass das schweinische Musikbusiness auch nur ein kleiner Teil des Psychosen stickenden Kuchens ist und ob das Waters später nach dem Spuck-Drama ganz klar erkannt hat.

Ich kann mir gut vorstellen dass sie, beflügelt von den ersten Anzeichen erklommener Weisheitsgipfel die man so Anfang Dreißig hat, wirklich für einen Moment daran geglaubt haben, mit einer elegant aufgeklärten aber letztendlich doch oberflächlichen Art und Weise mit den Geschehnissen der fünf vorangegangenen Jahre abzuschließen. Wenn dem wirklich so war, hatten sie ihre Köpfe weit tiefer in ihren Ärschen als vorher angenommen.

Ist es paradox, dass Pink Floyd ausgerechnet mit den Alben zu dieser Zeit so erfolgreich wurden? Die Band wurde in der Folgezeit zu einem einzigen konzeptuellen, produktionstechnischen und logistischen Superlativ. Sind die thematischen Inhalte damit überhaupt vereinbar? Stehen sie im Kontrast zu dem Sound des Albums, oder harmoniert das?

Die visuelle Präsentation war immer schon von größter Notwendigkeit für Floyd, da sie im Vergleich zu den anderen Rockgöttern nie einen Frontmann hatten. Die Dimensionen mussten dann natürlich auch proportional zum eigenen Status mitwachsen und nahmen ab „Dark Side Of The Moon“ kolossale Ausmaße an.

Nick Mason beschrieb dies in einem Interview in den Neunzigern. Um seine Mobilität auf Tour zu bewahren kam er auf den Plan, ein kleines Motorrad in einem der unzähligen Trucks mitzunehmen. Als er dann von der Produktionsleitung darauf aufmerksam gemacht wurde, dass dies am Ende der Tour mehr als 100.000 Dollar Transportkosten für sich veranschlagt und er gerne sein Motorrad mitnehmen kann, aber ihm die Transportkosten für dieses dann vom Gehalt abgezogen werden müssten, verabschiedete er den Plan recht schnell wieder und ließ sogar seine professionelle Fotoausrüstung daheim.

Berühmt war auch die eigens hergestellte Quad-Anlage, die die Konzerthalle von ihren vier Eckpunkten beschallte und durch einen Joystick gesteuert, genannt der Azimuth Co-ordinator, spezifische Sounds rund durch das Auditorium schleudern konnte.

Mich beeindruckt diese Detailverliebtheit, die auch in Phil Taylors Buch über Gilmores Black Stratocaster-Gitarre nachzulesen ist. Diese sowie die ganze restliche Floyd-Backline auf der Bühne wurden konstant modifiziert, um den allerbestmöglichsten Signalfluss zu gewährleisten. Von XLR-Steckern an den Gitarren bis zu in Wachs eingegossenen Tonabnehmern wurde alles ausprobiert, um den unberechenbaren Gegebenheiten des Live-Auftrittes entgegenzuwirken und der Präzision der Studioaufnahmen näher zu kommen.

So gesehen harmoniert das auch, da die Suche nach dem ungefilterten Ausdruck die Produktion diktiert und der finanzielle Schwerpunkt  trotz aufwändiger Pyrotechnik, Filmprojektionen, fliegenden Schweinen und was auch sonst noch, doch immer im Sound lag.

Hat der Erfolg der Band kreativ geschadet, bzw. haben sich die Probleme, die hier thematisch aufgegriffen wurden, mit dem Erfolg sogar noch potenziert?

Die sekundäre Antriebsfeder Floyds war immer Geld und dieses Ziel wurde dann im höchsten Ausmaß durch den Erfolg von „Dark Side Of The Moon“ erreicht. Die erste wahrgenommene Freiheit durch den errungenen Finanzstatus war das Household Objects-Projekt, das als Folgealbum in Angriff genommen wurde. Das Konzept war, nur mit Haushaltsutensilien ein ganzes Album aufzunehmen. Nach Wochen im Studio mit Tausenden Tapeloops und Aufnahmen verwarfen sie dieses Projekt wegen Erfolglosigkeit wieder. Hätte es damals schon den Fairlight-Sampler gegeben, hätten sie es wahrscheinlich durchgezogen. Interessanterweise gibt es von diesen Aufnahmen keine Bootlegs, haben doch sonst fast alle Floyd-Aktivitäten ihren Weg auf diese Art zum geneigten Fan gefunden.

Der Anfangs-Chord von „Wish You Were Here“ ist harmonisch mit Aufnahmen von durch Reibung zum Singen gebrachten Weingläsern aus den Household Objects-Sessions unterlegt. So gesehen ergab der Erfolg einen Schub Selbstvertrauen, dem bis dato ungehörte Konzepte entsprangen. Durch die trotz ursprünglichen Misserfolges erworbene Cut n Paste-Sensibilität konnte diese Technik dann geschickt zweitverwertet werden.

Die zweite wahrgenommen Freiheit war natürlich die Unabhängigkeit die Reichtum schafft, man baute sich mit Britannia Row ein eigenes Studio und Zeit wurde zu einem dehnbaren Begriff. Insbesondre nach „Wish You Were Here“ erlag Floyd einer allgegenwärtigen Erschöpfung. „The Wall“ ein paar Jahre später wurde nur zeitgerecht fertig gestellt, als die Plattenfirma eine höhere Beteiligung am Verkauf bei rechtzeitiger Ablieferung in Aussicht stellte.

Sind Pink Floyd auf “Wish You Were Here” ein eigenes System, oder kann man auch musikalische Einflüsse von außen hören?

„Wish You Were Here“ und „Dark Side Of The Moon“ sind die definitiven Alben des ”Pink Floyd Trademark Sounds” in der Wahrnehmung der Massen. Waren die früheren Alben doch noch in der psychedelischen Anfangsphase haftend, sind diese beiden Manifestation einer klaren Vorstellung. Der erste Zyklus der Entwicklung war abgeschlossen und man enthäutete sich schlangenmäßig den alten Kostümen. Bei „Dark Side Of The Moon“ und im speziellen „Wish You Were Here“ dachten Pink Floyd in die Tiefe. Die bewusstseinserweiternden Aufnahmen wurden jetzt nicht mehr durch schräge Gitarrensounds und aurale Effektschleifen erzeugt, sondern die Erweiterung in die Tiefe wurde eingeführt. In Klassik- oder auch bei Jazzaufnahmen war die natürliche Tiefe durch akustische Instrumente grundsätzlich gegeben, bei den elektrischen Verstärkern und multi-mikrophonierten Aufnahmen war diese Tiefe noch undefiniert und Floyd schufen in ihrem Sound eine natürliche Tiefenstaffelung, die den Klassikaufnahmen gleichkam und bis heute beispielhaft ist.

Andersherum gelten Pink Floyd als maßgeblicher Einfluss auf den Kraut- und Progrock der 70er. Fallen Dir zeitgenössische oder auch moderne Bands ein, die sich offensichtlich auf Pink Floyd beziehen?

Air und Radiohead sind bekennende Floyd-Disciples. Die Prägung ist aber uferlos und erstreckt sich über die ganze Musikgeschichte seit dieser Zeit. Die frühen Floyd-Alben sind auch generationenübergreifend und gehören damit zu den wenigen Platten, auf die sich Väter und Söhne einigen konnten. Dementsprechend sind auch mehrere Generationen mit diesen Platten aufgewachsen.

Auf “Wish You Were Here” wurde die Arbeit mit dem Syntheziser ausgebaut. Wie wichtig waren Pink Floyd für die Entwicklung elektronischer Musik?

Ihr Verdienst war sicherlich, dass der Synthesizer ihren Kontext präsentiert, die Berührungsängste der Rockfraktion mit elektronischer Musik schmälerte. Die geschickte Einbindung und das außerirdische Gefühl waren es auch, was die elektronischen Sounds vom Effekt weg zum Bestandteil der erzählten Geschichte machten und damit auch leichter verdaubar wurden. Man kann aber Floyd auch mehr als eine der ersten Bands verstehen, die das Studio als Kompositionswerkzeug nutzen und damit einen noch viel breiteren Bezug zur elektronisch hergestellten Musik erfassen, als nur den Einsatz von Synthezisern. Zur damaligen Zeit war das Herstellen diverser Soundeffekte noch eine wahre Hexerei, die lange unverstanden war. Erst in den Achtzigern, mit dem Anfang der Digital Revolution, gab es viele der früher im Handwerk erschaffenen Effekte in nette kleine Kästchen gepackt, mit idiotensicherem Bedienungskomfort allzeit abrufbar.

Ein simple ”Flanging Effekt” musste damals noch mit zwei aus der Synchronizität gebrachten Bandmaschinen in einer Trial and Error-Methode hergestellt werden. Dass dieser Effekt heute, trotz aller Emulationsmöglichkeiten, mit zwei Bandmaschinen noch immer am besten klingt, lässt einen darüber grübeln wie weit wir wirklich mit der Digitalen Revolution gekommen sind. So gesehen waren Floyd mit ihrer Experimentierfreudigkeit und ihrem offenen Umgang mit den Möglichkeiten des Studios für mich genau so wichtig wie Kraftwerk die mit ihren, ohne eigentliches Vorbild, erschaffenen Syntheziser-Sounds den Blueprint für alle folgenden Preset-Schleudern der Zukunft schafften.

Beim Durchhören alter Kraftwerk-Platten finde ich es immer wieder erstaunlich, wie prägend sie auf die japanischen Programmierer der nächsten Synthie-Generationen ausgewirkt haben und ich frage mich immer wieder, wie der Synth wohl ohne die Ästhetik Kraftwerks heute klingen würde. Wäre Techno eine ernstzunehmende Musik geworden, wenn die Jungs aus Detroit Tomita gehört hätten?

Wie gut ist “Wish You Were Here” gealtert? Ist das Album auch heute noch relevant?

Die Relevanz einer Band oder einer Platte steht immer im zyklischen Verhältnis zur Zeit, einmal mehr, einmal weniger.

Ich kann mich schwer täuschen, aber im Moment fühlt sich das Album wieder ganz richtig an und könnte nach dem Bombardement an Lautstärke und Dichtheit der letzten Jahre auch wieder einen Weg nach vorne aufzeigen.

Das Schöne an der Musikgeschichte ist, das man mit der Zeit alles immer wieder in einem neuen Licht und unter einer durch die Gegenwart neu geschaffenen Sensibilität erfahren kann.

Kann man Pink Floyd auch in Deiner eigenen musikalischen Arbeit wiederfinden?

Absolut! Es ist für mich manchmal selbst erschreckend, wie viel ich unterbewusst von diesen Platten geklaut habe. Ich meine damit nicht, dass ich Noten oder Phrasen übernommen habe, obwohl wenn ich genauer nachdenke hab ich wohl auch das, sondern mehr eine gesamte Auffassung von Wirkungsweisen musikalischer Elemente im Zusammenhang mit der Präsentation und dem punktgenauen Akzentuieren der Darbietung. Auch sind alle Alben die ich bis jetzt gemacht habe durchgehend ohne die standardmäßigen Drei-Sekunden-Pausen zwischen den Songs. Floyd ist ganz tief in meiner musikalischen DNA verankert und es hat Jahre gedauert bis ich das ganz klar erkannte.

Jetzt, nachdem einige Bandmitglieder verstorben und der Rest verstritten ist, wird es immer unwahrscheinlicher, dass Pink Floyd außer auf Großereignissen noch weiter aktiv sind. Ist das ein Verlust, oder haben sie ihre Schuldigkeit getan?

Für mich haben sie schon lange ihre Schuldigkeit getan. Ich war ihnen auch nie für die gigantischen Veranstaltungen und Massenzelebrierungen der Neunziger Jahre böse. In meiner Auffassung haben sie es für immer verdient Musik zu machen, in was auch immer für einer Form. Eine Band die es schafft, über ein Jahrzehnt teilweise bahnbrechende Platten zu veröffentlichen, hat genug für die Weiterbildung der Kunstform getan und kann dann auch mal, so lange es halbwegs würdevoll bleibt, mit endlosen Touren abdanken. Wenn man sich zum Vergleich das grausame Spätwerk eines Paul McCartney oder das der Rolling Stones ansieht, muss man sich für Platten wie David Gilmores ”On An Island” fast mit einem Kniefall bedanken. Aber wie gesagt, der Sound ist in meiner DNA und wem das nicht gefällt, der soll sich bei meinem großen Bruder beschweren…

Sounds Like Me 06/10



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