Rewind: Jan Joswig über “Umleitung”
Posted: November 30th, 2009 | Author: Finn | Filed under: Artikel | Tags: Franz Josef Degenhardt, Interview, Jan Joswig, Rewind, sounds-like-me.com | No Comments »Im Gespräch mit Jan Joswig über “Umleitung” von Franz Josef Degenhardt (1966).
Wie und wann bist Du auf “Umleitung” bzw. überhaupt auf Franz Josef Degenhardt gestoßen?
Mein Schulfreund und ich dachten es wäre als Korrektiv zu unseren unverschämt blonden Surferhaaren wichtig, wenn wir uns als nachdenkliche Humanisten inszenierten statt als draufgängerische Hedonisten. Während die anderen Haschpfeifen am Gürtel trugen, schleppten wir eine Wandergitarre mit uns rum und hörten Georg Danzer, Konstantin Wecker, Bettina Wegner und Franz Josef Degenhardt. Fast wären wir in die Jugendpolitik gegangen. Ehrlich gesagt, bin ich’s sogar. Ich war Gründungsmitglied des „Grün Alternativen Jugendverbandes“. Aber es war nur wegen der Prinz-Eisenherz-Comics von Hal Foster, die der Kassenwart sammelte. Ich schwör’s beim Singenden Schwert!
Was macht “Umleitung” so wichtig für Dich?
„Umleitung“ ist der Freud’sche Versprecher in Degenhardts Werk, das Stück, das geheime Identitäts-Vorstellungen von ihm verrät: einmal der Star mit Pflaumenhintern-Groupie sein statt immer der Oberlehrer-Entertainer mit Faltenrock-Tanten am Rollkragenzipfel. Ich bilde mir ein, diesen Einblick hat er nur halb bewusst inszeniert. So viel unkontrollierte Sehnsucht und Frustration blitzt sonst nie im Liedermacher-Genre auf. Ferien vom eigenen (politisch-künstlerischen) Ich nehmen und sich endlich „ruhig mal reaktionär sein“ lassen. Als „miesen Chauvi“ haben wir ihn in unseren Wandergitarre-Zeiten dafür geächtet (erinnert sich heute auch keine Sau mehr dran, an dieses Schimpfwort).
Die textliche Ausgangsposition des Songs ist die eines Großstädters, den es aufgrund von Benzinmangel in ein Dorf verschlägt, vielleicht sogar in das aus dem er stammt. Diese Situation löst Erinnerungen an die eigene Vergangenheit aus. Gibt es eine persönliche Landfluchterfahrung, die Du darin wiederfindest, oder fasziniert Dich etwas anderes daran? Hast Du selber das Bedürfnis einer Rückkehr?
Was vergangen ist, taucht nur als Zombie wieder auf. Auf Zombies zu stoßen ist kein Bedürfnis von mir.
In dem Song gibt es die Position des “Rückkehrers” und die des Mädchens an der dörflichen Tankstelle, die vielleicht im Zuge ist, das Dorf zu verlassen, oder zumindest davon träumt. Ist dieser Stadt-Land-Träume-Gegensatz ein ewig gültiges Motiv, oder ist er eher romantisierend?
„The grass is always greener on the other side.“ Provinzler wollen in die Großstadt, Städter in die Landkommune, alle auf den Mars. Degenhardt braucht das Dorf in diesem Lied nur, damit sich der Protagonist wie ein griechischer Gott fühlen kann. Jörg Schröder, März-Verlags-Gründer und Deutschlands bester Chronist des laufenden Muffs, beschreibt einmal, wie er voll aufgegeilt im Jaguar über die Dörfer braust (oder ich hab’s nach der Lektüre von „Siegfried“ geträumt). So muss sich auch Degenhardts Figur fühlen. Das ist schwer romantisierend.
Kann jeder adoleszente Dorfbewohner auch ein potentieller Hipster sein und umgekehrt? Ist der Fortgang der Sieg, und die Rückkehr die Niederlage, oder relativiert sich das mit der Zeit? Mich erinnerte die Ausgangssituation auch an Filme, in denen Städter über Umwege in einem fremden, ländlichen Raum landen, der sich dann als durchaus bedrohlich und sogar feindlich entpuppt. Schwingt das hier auch unterschwellig mit, oder ist die Begegnung hier rein sentimental?
Die dicken Speck-und-Korn-Träumer, die Degenhardt auf dem Land findet, sind eine ganz andere Bedrohung als Leatherface aus dem Film „Texas Chainsaw Massacre“. Viel alltäglicher, viel verwurzelter in uns selbst, denn es sind die Nazi-Väter der 68er. Was für eine Mottenkiste, mit der sich Degenhardt da rumärgern musste. Diese Altnazi-Obsession kommt einem heute sehr paranoid vor (es sei denn, man arbeitet beim „Spiegel“), zurückgelassen in einer Zeit von Anti-Pershing-Demonstrationen. Damals war man noch Volkszählungs-Gegner und nicht Facebook-Fußvolk.
Wie gefällt Dir der Rest des Albums “Väterchen Franz”, von dem “Umleitung” stammt? Ist es nicht so explizit politisch wie andere Songs Degenhardts oder nur anders? Wie passt der Song in sein Werk?
„Väterchen Franz“ ist 1966 erschienen, im gleichen Jahr wie „Les Sucettes“ von Serge Gainsbourg. Gainsbourgs Stück hat in der Interpretation von France Gall einen landesweiten Skandal ausgelöst. Degenhardt hat nichts ausgelöst. Jugend und Körperlichkeit regt mehr auf als Altväterlichkeit und Kopflastigkeit. Ich bin weder jugendlich noch körperlich, deshalb gefällt mir „Väterchen Franz“ sehr gut und es regt mich auf, dass das Album nicht für mehr Aufregung sorgt.
Wie würdest Du den Stil Degenhardts historisch einordnen? Gibt es Vorläufer und Einflüsse bzw. Gleichgesinnte, musikalisch und ideologisch?
Wenn ich mir zwei Stücke von Degenhardts kritischem Realismus mit satirischem Beiton auf der Zunge zergehen lassen habe, muss ich immer lauthals ein paar Absätze von den großen amerikanischen Sozialdemokraten Sinclair Lewis („Babbitt“) und Saul Bellow („Die Abenteuer des Augie March“) rezitieren. Weiß auch nicht, warum. Mit der Frankfurter Schule um Robert Gernhardt („Ich, Ich, Ich“) und Eckhard Henscheid („Die Vollidioten“) verbindet Degenhardt weniger. Während er dem Deutschen Michel die Zipfelmütze runterreißen will, setzt die Frankfurter Schule dem Michel die Narrenkappe auf. Toskana-Liebhaber sind sie aber alle.
Hätte man seinen Interpretationsstil auch elektrifizieren können, oder ist diese Verbindung von Text und Musik akustisch wirksamer?
Ich atme immer auf, wenn es nicht ganz so nach vertonter Lyrik klingt, wenn bei „Väterchen Franz“ eine Orgel dazukommt zum Beispiel. Das bringt sinnliche Farben ins Spiel, die das Beherrschte, Zahme, Brave seiner Darbietung aufbrechen. Der frivole Pan, ick hör dir trapsen. Bob Dylan wurde mit seiner Elektrifizierung interessant. Den Schritt hat Degenhardt nie gemacht. Aber seine Altväterlichkeit ist auch gerade faszinierend. Nur beobachtet man die mehr, als dass man zu ihr abgehen würde. Abgehen zu Degenhardt, Tränen vergießen, Hände recken, Hüften schütteln? Mehr als verständnissinnig an der Pfeife ziehen ist nicht. Dass man das mal als attraktive Rezeptionshaltung gesehen hat, ist das Verblüffende. Kritische Musik muss entkörperte Musik sein – was für ein protestantisches Paradox.
Die Art von Musik, für die Degenhardt steht, hat ein ramponiertes Image in Deutschland, Stichwort “Liedermacher”. Warum denkst Du, ist das so? Warum verehrt man solche Musiker hierzulande nicht so wie etwa die klassischen amerikanischen Folksänger und Singer-Songwriter?
In den USA steht der Folksänger für den desperaten Einzelgänger, vom Teufel an der Kreuzung abgefangen. Er ist ein Outlaw-Mythos. Der Liedermacher aus deutschen Landen ist ein Kaffeekränzchen-Moralist, der dafür gesorgt hat, dass die Kritik nicht solchen Radaubrüdern wie „Ton Steine Scherben“ überlassen wurde, die einen mit ihrem affizierenden Lärm doch glatt zu Kontrollverlust verführen wollen. Da sei das wohlgesetzte Fingerpicking vor. Die US-amerikanischen Folksänger sehen in ihren eigenen Abgrund, die deutschen Liedermacher immer nur in den der anderen. Außer bei „Umleitung“ …
Gibt es in Deutschland eine Tendenz, Künstler in einen Kontext zu zwängen, in denen sie sich selber gar nicht sehen, oder ist das ein eher ein universelles Problem? Wie sollte man mit den daraus resultierenden Missverständnissen und Vorwürfen umgehen, auf beiden Seiten? Ist Degenhardt heutzutage noch relevant oder ist er eher anachronistisch? Kann man heutzutage noch politische Musik machen, die so deutlich in ihrer Aussage ist?
So deutlich ist es nicht, Degenhardt textet ja keine Parteiprogramme. Er entwirft gesellschaftliche Prototypen. Die beschreibt er aus der Perspektive des aufgeklärten, mäßigenden Wein-am-Kamin-Liebhabers. „Horsti Schmandhoff“, „Toni Schiavo“ oder „Väterchen Franz“ sind die realbundesrepublikanischen Gegenfiguren zu Udo Lindenbergs „Ball Pompös“-Figurenpanoptikum aus „Rudi Ratlos“, „Riki Masorati“ oder „Jonny Controlletti“. Wenn einem das Dauerbombardement eines Kultur-Jahrmarktes, der nur auf unmittelbare Affektreizung im Schnelldurchlauf aus ist, über die kulturpessimistische Hutschnur geht, wird Degenhardt in seiner Bedächtigkeit relevant.
Degenhardt war erst aktiver Jurist, bevor er sich ganz der Musik zuwandte und dann in Opposition zu den gesellschaftlichen Kreisen ging, aus denen er selbst stammte. Fehlen heute solche Abtrünnigen, bzw. solche Umleitungen?
Zugehörigkeiten beweist man dadurch, wie man etwas sagt, nicht dadurch, was man sagt. Degenhardt ist mit seinem Vortragsstil keineswegs in Opposition zu seiner Klasse gegangen. Der kritikfähige, vernunftgetriebene Vollbürger ist die Zentralfigur des Establishments in der Demokratie (erinnert sich heute auch keine Sau mehr dran, an den Begriff Establishment). Degenhardt ist der Barde der Toskana-Fraktion, die Theater subventioniert und für paritätische Minderheiten-Abbildung im Fernsehkrimi votiert. „Umleitung“ bietet einen Schlüssellochblick in diese Welt. Solche „Umleitungen“ gibt es nie genug.
Sounds Like Me 11/09
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