Musik hören mit: Tama Sumo
Posted: October 30th, 2009 | Author: Finn | Filed under: Artikel | Tags: de:bug, Interview, Musik hören mit, Tama Sumo | 1 Comment »Lowtec – Angstrom (Polyfon) 2009
Das ist neueren Datums. Redaktionshit.
So viel zum Thema trippig. Könnte ich dafür schon anwenden den Begriff.
Ist das eine Platte über die Du im Plattenladen nachdenken würdest?
Wahrscheinlich ja. Möchte sie aber noch ein bisschen länger hören.
Bist du jemand der Platten im Laden etwas länger hört?
Ich höre gerne ein bisschen länger, weil ich ansonsten gerne mal etwas nicht entdecke, und dann denke „das ist es nicht“. Aber dann merke ich, dass sich das entfaltet, wenn man ein bisschen länger reinhört. Umgekehrt ist es mir auch schon mal passiert, dass ich ganz schnell reingehört hab und mich zuhause frage, was ich da mitgenommen habe. Das hier mag ich von der Stimmung ganz gern. Die hat schon ein bisschen was Düsteres, aber gleichzeitig auch was ganz Entspanntes, wo man sich reinlegen und dahin fließen kann.
Ein Soundtrack-Feeling?
Ja, auf jeden Fall. Da kann man schon mal ein bisschen wackeln, das könnte ich mir für ein Anfangsset super schön vorstellen. Zum Reinkommen.
Das ist die neue Lowtec.
Jetzt wo du es sagst finde ich es gar nicht so abwegig. War jetzt überhaupt nicht der Erste, der mir einfiel, aber doch schön.
Terre Thaemlitz – Hush Now (DJ Sprinkles Broken Record Mix) (Public Record) 2006
Alt?
Ulkigerweise nicht. Das ganze Knacken gehört konzeptuell dazu und ist ganz schön übertrieben. Also wir haben hier Jemanden, der schon ein sehr komplexes Verhältnis zur Clubkultur hat.
Obwohl ich sagen muss, dass ich die Knackgeräusche im Moment dezenter angenehmer finden würde. Also es nervt mich gerade. Am Anfang dachte ich noch: „Oh, da bin ich wirklich voll reingefallen, dachte halt es ist ein altes Stück.“ Das ist mir zu inflationär eingesetzt. So ein bisschen ab und zu hätte ganz viel Charme haben können. Aber so ist es: „Guck mal, ich hab eine lustige Idee.“
Der Mixtitel ist „Broken Record Mix“.
Das ist mir jetzt gerade zu gewollt.
Und wie findest du die Musik ansonsten?
Die könnte hübsch sein. Ich höre ich mir aber lieber eine alte Platte an mit ein bisschen Knistern. Und ich finde das Vocal-Sample total blöd, ist so ein bisschen cooles „Hey Hey Hey“. Es kommt auch zu oft.
Das ist Terre Thaemlitz als DJ Sprinkles.
Das find ich erstaunlich, weil ich den eigentlich toll finde. Die Idee an sich wäre nicht schlecht, aber es ist mir überall zuviel Gewürz drin.
Aber es geht schon in die Richtung von „Midtown 120 Blues“.
Ich würde das Sample rausnehmen und das Knistern reduzieren. Dann wäre es echt super. Hat eine schöne Stimmung und einen tollen Oldschool-Charakter.
Die Art von Bassline benutzt er gerne, erinnert an „Nude Photo“ von Derrick May.
Das finde ich ja ganz toll. Ah, jetzt wird es auch mit dem Knistern weniger. Vielleicht gibt es das auch als „nur leicht angestaubte Platte“-Mix.
Das ist nur als MP3-File erschienen.
Ohne Sample und mit weniger Knistern wäre es der Hit. Aber es gibt tatsächlich andere Tracks von ihm mit ähnlichen Basslines. Wirklich schade, weil ich den sonst ganz grandios finde.
Aber es ist eigentlich eine sehr konsequente Haltung, etwas so Schönes zu verhunzen. Vielleicht bringt er es ja noch ohne Knacken heraus.
Konsequente Haltung ist natürlich ein Argument, aber ich frag mich immer, was eine konsequente Haltung nützt, wenn es mich nervt. Und ich finde das so schade, weil das ohne das Knacken garantiert eine Platte wäre, die ich kaufen würde.
K.E.L.S.E.Y. – Baby Can (Infonet) 1992
(nach 5 Sekunden) Nehme ich. Aber mal gucken, der Schein kann auch trügen.
Das war eine schnelle Reaktion.
Bei manchen Sachen bin ich so einfach strukturiert.
Also es gibt da einen gewissen Kanon von Sounds, die dich immer kriegen?
Auf jeden Fall.
Wo würdest du das ungefähr einordnen?
Ich bin da immer so schlecht. Ich könnte mir es Anfang der 90er vorstellen.
Goldrichtig, ist von 1992.
Und wer ist das?
Das ist Mark Kinchen alias MK.
Der kriegt mich ja eh immer.
Er hat diese sehr merkwürdige Art, Vocals zu samplen.
Aber die finde ich ja geil. Es ist schon sehr leidenschaftlich, ein bisschen leidend, aber ohne dass es nervt. Ich bin ja gar nicht so ein Orgel-Fan, aber er kriegt es immer hin, dass ich die toll finde. Er hat so etwas Sehnsuchtsvolles.
Das ist ja die klassische Deep House Orgel, die es damals in Hunderten von Tracks gab. Hast Du in dem Stil am Anfang aufgelegt?
Auch, das waren dann die guten Sachen. Es gab auch viel Schlechtes (lacht).
Was war schlecht?
Ganz viel. Ich fand damals auch Junior Vasquez toll, obwohl ich das inzwischen so schlimm finde, ganz gruselig.
Also Imperativ-Großraum-House.
Genau. Der Witz ist tatsächlich, dass ich mir auch damals manchmal Platten gekauft hab, weil mich irgendjemand bei Hard Wax überredet hat, aber ich trotzdem dachte: „Ja, die sind ganz schön, aber nicht für den Club“. Und jetzt entdecke ich die und bin ganz froh, dass ich sie zuhause stehen habe. Aber ich hab diese Musik schon auf dem zweiten Bildungsweg entdeckt. Das mit dem Imperativ hast du gut benannt. So ein Ausrufezeichen-Pop-House. Wie gesagt, da gab es damals Ausreißer, weil ich so etwas ganz gut fand. Ich hab damals auch viel Junior Boys Own gespielt, diesen etwas treibenden England-House, und irgendwann fand ich den dann ganz grausam. Aber irgendwie musste das halt noch sein in meiner Laufbahn. Mark Kinchen habe ich aber schon damals ab und zu gekauft. „Burning“ fand ich auch damals schon großartig. Clé hat das immer gespielt.
MK hat auf jeden Fall einen ganz eigenen Sound.
Das hat was Kräftiges, das hat was Sehnsuchtsvolles, und eine gute Tiefe. Das finde ich ganz toll. Eins mit Stern.
Never On Sunday – Memories Of You (430 West) 1996
Ja, klickt auch schon was an im Moment (lacht).
Es ist die gleiche Stadt. Kann man hören, dass etwas aus Detroit kommt?
Gute Frage. Ich finde das ist so ein Gefühl. Von dort kommt sehr viel Melancholie. Das ist auch einer der Gründe, warum ich so sehr darauf abfahre. Diese Art von Melancholie muss man erstmal hinkriegen. Nicht so nicht ein: „Jetzt sitze ich hier mit dem Kopfkissen“. Das ist schöner Weltschmerz. Das Leben dort ist eben oft nicht ganz so lustig und dann baut man sich Parallelwelten auf. Toll, ja, nehme ich.
Solch ein Sound wird oft despektierlich Flöten-House genannt, aber ich finde hier ist es genau richtig.
Genau. Das ist relativ dezent, eben nicht mit dem Ausrufezeichen, sondern man muschelt sich da schön ein. Das ist ganz großartig, ich finde das schön. Da gehen bei mir alle Lampen an, da kommt auch fast die Gänsehaut. Hach!
Das sind Octave One.
Echt? Können wir mal kurz auf Discogs gehen (lacht)? Kommt auf die inzwischen seitenlange Wantlist!
Ist schon prima, dass man das jetzt relativ bequem nachkaufen kann.
Großartig, auf jeden Fall. Auch wenn es mir für kleine Secondhand-Läden wieder leid tut. Weil ich mich jetzt schon wieder dabei ertappe, bevor ich dann durch tausend Läden gucke und dann trotzdem nicht weiß, ob da irgendwas steht, was ich suche, guck ich halt auf Discogs und finde das. Meistens. Nicht immer, leider.
Wenn man so etwas beim Suchen in einem Laden findet, kann man sich wochenlang drüber freuen.
Das kann ich aber auch online: „Endlich!“. Und wenn sie auch tatsächlich near mint ist wie beschrieben… Ich schmelze dahin. Schön. Einfach nur ganz bezaubernd.
Ziemlich vielseitig, die Jungs.
Das letzte Album finde ich nicht so toll, aber an sich finde ich die ja eh großartig.
No Guilt – Playtime (Pow Wow) 1992
Da leidet jemand. Also dieses Stück wirft mich gerade auch von links nach rechts, ich weiß noch nicht so genau. Ich hab das Gefühl im Bauch, als ob eine Transe vor mir stehen würde. Das Bild krieg ich jetzt nicht mehr raus. Da könnte man was draus machen (lacht).
Es ist auf jeden Fall aus New York, also örtlich bist du da am richtigen Ursprung des Ganzen.
Also es reißt mich jetzt nicht vom Hocker, es kommt aber drauf an. Ich könnte mir schon vorstellen, in einer guten Transen-Show könnte das total gut wirken. Das hat schon auch was – also mit viel Augenzwinkern, wenn man das nicht ganz ernst nimmt.
Das ist ein Stück von Pal Joey.
Nein! Okay.
Die Version ist nur auf einer Compilation rausgekommen, die Vocals sind von Ultra Naté. Heute schwierig unterzubringen, das kommt schon sehr auf den Kontext an, oder?
Das kann schon gehen in so einer Sonntagnachmittags-Stimmung in der Panoramabar. Das ist nicht die Platte, die man immer spielen kann. Aber wenn es vielleicht diesen einen richtigen Moment gibt, dann kann die der Hammer sein. Wie gesagt, mit viel Augenzwinkern.
Man muss erstmal hinkommen, dass man die einsetzen kann.
Genau. Da gibt es im Jahr vielleicht zwei oder drei Momente und wenn man sie dann aber dabei hat, ist es wahrscheinlich ganz großes Kino. Vielleicht muss man die mal unterjubeln (lacht).
Wall Of Sound – Critical (Eightball) 1993
Hm, kriegt mich nicht so richtig. Das erinnert mich lustigerweise auch an Anfang der 90er.
Kommt hin.
Das ist mir alles zu honigsüß, zu nett. Also es ist nicht ganz furchtbar, eher so mittendrin. Das ist nicht eine Platte, die auf meiner Wantlist stehen würde. Der Text ist schon ganz süß irgendwie. Aber richtig kriegen tut die mich nicht. Ich kenn das aber, glaube ich.
Mood II Swing.
Mood II Swing sind bei vielen Sachen zu luftig, zu Handtasche. Entschuldigung, das hab ich jetzt nicht gesagt (lacht). Das sind genau die Mood II Swing-Sachen, da würde ich im Club stehen und denken: „Na ja, dann warten wir nochmal so drei, vier Stücke“.
Wie oft kommt das denn heute noch vor, dass Du eine Vocal-House Platte findest, die Du spielen würdest?
Sogar relativ häufig, aber da sind die Vocals dann reduzierter.
Also nicht ganz so songorientiert?
Genau. Schon ein bisschen trackiger und gerne auch dreckiger.
Das ist ja jetzt das Gegenteil von dreckig.
Das ist mir auch ein bisschen zu viel Sonne, zuviel Schmelz. Einfach alles zuviel. Dann doch lieber ein wenig abgespeckter.
Coke Escovedo – I Wouldn’t Change A Thing (Mercury) 1976
Ich hab lustige Bilder im Kopf. Witzigerweise Strandbilder. Irgendwas Miami Beach-mäßiges
Das ist Soul von 1976.
Müssen wir mal gucken. Also seine Stimme mag ich ganz gerne, die Frauenstimmen sind nicht so richtig meins, ich mag da eher so ein bisschen tiefere.
Bisschen mehr Drama auch?
Hm ja, muss aber nicht unbedingt. Das hier hat aber auch was Lässiges, das finde ich ganz hübsch. Es ist ganz easy, wäre aber keine Platte, die bei mir zuhause auf dem Plattenteller läuft.
Wie ist denn so dein Verhältnis zu Disco?
Eigentlich ganz gut. Ich mag sehr viele Sachen, ich kann sehr gut nachvollziehen, warum House dann Disco ein wenig abgespeckt hat. Etwas reduziertere Varianten mag ich ein wenig lieber, mir ist diese Discomusik aus den 70ern halt auch zu viel, zu opulent. Da knallen dann manchmal bei mir die Synapsen durch (lacht). Die haben ja ganz viele tolle Elemente drin, aber die würden mir manchmal etwas einfacher reichen. Also insofern bin ich bei House schon richtig, wo man sich Passagen herausgenommen hat, ich stehe schon eher auf die trackigeren Sachen. Trotzdem gibt es schon eine Menge Discosachen, die ich sehr gerne mag, aber ich könnte das jetzt nicht permanent spielen. Ich finde, das ist schon mal toll mit Prosumer im Möbel Olfe oder so. Und dann auch gerne Arthur Russell. „Go Bang“ von Dinosaur L finde ich schon großartig, aber ist ja keine klassische Discomusik.
Also nicht so orchestral.
Dann vielleicht eher so elektronische Discogeschichten aus den 80ern, aber so richtig 70er Disco? In Dosen, und nicht die ganze Nacht.
Es kommt abermals auf den Moment an.
Das stimmt.
Traxx – Introspective (Nation) 2009
Ist ja schon fast 60er Jahre (lacht). Zumindest irgendwas lugt da durch, finde ich.
Hat eine wirklich merkwürdige Atmosphäre.
Aber ganz interessant, also es ist auf jeden Fall etwas wo ich erstmal denke: „Okay, krieg nicht wirklich eine Schublade auf dazu und das muss gar nicht schlecht sein“.
Das ist das erste Stück vom anstehenden Traxx-Album.
Interessant gemacht finde ich. Das ist so anders, hat schon irgendwas, dass man dabei bleibt. Was düster Geheimnisvolles, das auf jeden Fall neugierig macht. Das hat was Soundtrackhaftes finde ich. Könnte ich mir super in irgendeinem Film vorstellen.
Ist auf jeden Fall ein Nachtstück würde ich sagen.
Neblig. Geil. Finde ich gut. Danach kann aber ganz viel passieren finde ich.
Es ist simpel gestrickt, aber es sitzt alles genau da wo es sitzen muss.
Auf eine Art erdet es, das meinte ich mit „danach kann ganz viel passieren“. Das kann der Grundstein sein für so viel.
Ist das eine Qualität die du generell magst, dieser frühe Chicago Sound?
Ja , auf jeden Fall. Also nicht ausschließlich, aber kriegt mich einfach immer. Das ist ganz bestimmt auch der Prosumer-Einfluss.
Hast du zu oft mit ihm gespielt?
Wir haben ja so oft viel miteinander zu tun, ich hab tatsächlich über ihn nochmal so viele Sachen kennen gelernt. Ich finde das so irre – der ist zehn Jahre jünger und kennt so viel altes Zeug. Man denkt: „Da warst du doch noch gar nicht auf der Welt.“ (lacht)
Aber jetzt ist auch mal wieder so eine Zeit, in der man das spielen kann. Es gibt wieder ein Grundbedürfnis nach Schmutz.
Bei neuen Produktionen klingt es halt so clean und zweidimensional und da ist es halt gut, dass es nicht ganz perfekt ist. Dass diese Maschinen nicht alles hundertprozentig machen. Das macht es halt so charmant.
Magst du denn auch Musik, die so ein Jack-Gefühl reproduziert?
Kommt drauf an, ich mag nicht alles. Oft denke ich: „Dann lieber das Original“. Aber wenn Produzentinnen und Produzenten dieses Gefühl ins Jetzt transportieren können, und dann noch mit neuen Mitteln, und es klingt toll, dann ja. Ich mag so einen roughen Charakter, so wie diese neuen Detroit-Sachen von Theo Parrish und Omar S. Wenn es dir so um die Ohren knallt. Es hat viel Funk, super sexy.
Du magst analogen Sound?
Total, ja. Das ist auch mit der Grund warum ich solange nicht produziert habe, weil ich gar nicht so viel Geräte habe. Ich brauche die Haptik, ohne wäre unvorstellbar für mich. Und ich finde es auch von den Sounds her toll. Wobei es schon ein paar Leute gibt, die mit Computern so produzieren, dass das eigentlich schon fast analog klingt, aber da muss man richtig gut sein.
Das erfordert wohl mehr Arbeit und Geduld, als wenn man es direkt analog machen würde.
Da braucht man irre gute Plug-Ins und muss lang dran rumbasteln, dass es so klingt. Aber bei ganz vielen neuen Produktionen hört man auch, dass es Rechnermusik ist, es ist so griffig, zu sauber. Wahrscheinlich ist das auch tatsächlich der Berlin-Einfluss, ich fand auch immer das Dreckige in den Clubs viel netter. Ende der 90er war es irgendwann mal modern, von dem ganzen Keller-Gedöns wegzukommen und mal schicke Clubs zu machen. Und ich denke da: „Nee, da funktioniert für mich aber Party nicht“. So ein bisschen gepflegter Dreck, vielleicht kann man es ja so nennen (lacht). Das gehört für mich irgendwie dazu.
Und nun bist Du in der Panorama Bar genau richtig.
Total, ich bin so glücklich, dass es sie gibt (lacht). Aber ich kann auch nicht begründen, warum es so ist, ich merke nur, dass ich bei manchen Sachen denke: „Ja, das zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht und ich möchte auf die Tanzfläche und es ist toll.“
danke furs teilen