Rewind: Thomas Meinecke über “Dr. Buzzard’s Original Savannah Band”
Posted: October 12th, 2009 | Author: Finn | Filed under: Artikel | Tags: Dr. Buzzard’s Original Savannah Band, Interview, Rewind, sounds-like-me.com, Thomas Meinecke | No Comments »Im Gespräch mit Thomas Meinecke über “Dr. Buzzard’s Original Savannah Band” von Dr. Buzzard’s Original Savannah Band (1976).
Beginnen wir mit einer simplen Frage. Wie bist Du auf Dr. Buzzard’s Original Savannah Band gekommen?
Den Namen habe ich zuerst in Andy Warhols Magazin Interview gelesen, ich würde mal tippen so 1977 oder 78. Da gab es damals eine sehr gute Musikkolumne von Glenn O’Brien, und Interview war in den Zeiten, als es noch nicht so richtig losgegangen war mit dem Hedonismus in der Subkultur, ein Zentralorgan. Man konnte sich sowohl über P-Funk informieren als auch über frühe Ausformungen von New Wave, Pere Ubu, Richard Hell, Blondie usw. Diese ganze Szene wurde natürlich sofort quasi vor der Haustür chronistenmäßig mitgeschrieben. Hier in Deutschland war von der Informationsseite in Sachen interessanter Rock, Pop, Soul und sonst welche Musik nicht viel geboten. Es gab damals die Zeitschrift Sounds, dort glänzte dann manchmal Ingeborg Schober mit einem Artikel über Kevin Ayers oder Roxy Music-Ableger, oder La Düsseldorf und Neu!, es war noch die Zeit bevor Leute wie Diedrich Diederichsen dort geschrieben haben, oder Hans Keller, die das Andere dann auch aufgegriffen haben. Wenn man aber ein bisschen mehr wissen wollte, fand ich es echt schwierig, und ich bin sowieso Warholianer und fand in Interview eine schöne Quelle. Und da wurde dann im Zusammenhang mit ganz anderen merkwürdigen Musikformen, ich glaube es war tatsächlich gerade etwas mit P-Funk geschehen, Dr. Buzzard erwähnt. Und wie das dort beschrieben wurde hat bei mir sofort eine Sehnsucht losgetreten. Ich war eben jemand, der auch damals gerne Disco hörte, ich hörte aber auch gerne Punk und mochte das Gebrochene in Disco. Ich fand den Camp-Aspekt, den man als Leser von Andy Warhols Interview sowieso beherrschte oder erkennen konnte, an Popmusik immer sehr reizvoll. Das Zitathafte, das Vorformulierte. Und es schien mir in der Beschreibung dessen, was diese Band machen würde, als wäre das so eine Art afroamerikanische Ausgabe von Roxy Music. Eine dandyeske, hedonistische Formation, die über das, was man von anderen, sehr eleganten Formationen wie Chic kannte, hinausging. Und so war es dann auch. Ich habe mich auf die Suche gemacht, man konnte über Import die Sachen schon irgendwie erwischen, und da kam dann gerade das zweite Album „Meets King Pennett“ raus als ich das las. Das habe ich mir gekauft und dann das erste gleich danach, was ja schon 1976 erschienen war. Und 79 kam dann ja gleich noch „Goes To Washington“ raus. Das sind die drei ganz großen Alben dieser Band. Es gab später noch ein etwas verunglücktes, wo auch die Besetzung nicht mehr dieselbe war. Und es gab natürlich eine ganz große Folgegeschichte ins etwas leichter Verständliche, mit Kid Creole & The Coconuts, den Coconuts und Coati Mundi usw. Diese ganze New York-Paris-Achse auf dem ZE-Label, wo es dann rüberging bis zu James Chance, der dann plötzlich bei den Aural Exciters mitspielte. Und plötzlich mischte sich das, was man Post Punk nannte, mit Disco, was ja heute ganz modisch und modern ist, diese ganze Post Punk/Disco-Connection. Und das Ganze kündigte sich mit Dr. Buzzard schon an.
Wenn Du damals über Interview davon erfahren hast, ist das ja schon ein Erstkontakt, der kontextuell vorbelastet ist. Konnte die Musik denn einlösen, was Du Dir davon erhofft hattest?
Ja, es hat es total eingelöst und ist sogar noch darüber hinausgegangen. Ich fand es, um mal den etwas merkwürdigen Begriff von Ornette Coleman auszuleihen, „harmolodisch“. Ich hatte das Gefühl hier ist eine musikalische Theorie am Start, die ich gar nicht in Worte fassen kann, aber der ich völlig fasziniert lausche. Und nicht nur lausche, zu der konnte man ja auch ganz toll tanzen. Es hörte sich an wie wenn man zwei Radiosender gleichzeitig hört. Die Anleihen bei leicht verständlicher Musik wie Swing, was ja die Camp- (schwule) Subkultur schon seit Jahrzehnten vorgemacht hatte, wie man spießige Elemente wie Glenn Miller gegen den Strich lesen konnte zu einem Soundtrack der Dissidenz, der sexuellen insbesondere, die ja auch immer eine politische war. Es war ja damals sowieso gang und gäbe, dass Disco sehr zickige und spießige Swing-Elemente rekontextualisierte, resignifizierte, völlig neu ins Feld führte. Aber hier ging es noch darüber hinaus, hier war es tonal sowas von komplex und schwierig. Versuch mal so eine Melodie nachzusingen, die diese unglaubliche Sängerin Cory Daye da immer zu singen hat bei denen, das ist unglaublich komplex und wurde später bei Kid Creole auch runtergerechnet auf einfachere, und dann vielleicht auch massentauglichere Formeln. Ich erinnere das so, dass mich das echt umgehauen hat. Ich fand den Sound der Bassdrum unglaublich. Den habe ich eigentlich erst wieder bei Theo Parrish gehört. Eine große, runde, weiche, unverhältnismäßig laut abgemischte Bassdrum, die dann sogar in Stücken wirkt, die gar nicht Disco sind, so wie bei „Sunshower“, das vor kurzem von M.I.A. noch mal als Sample auf die Tanzfläche geführt wurde. Unglaubliche Sounds, unglaublich viel Arbeit. Ich habe irgendwo mal gelesen, 600 Stunden waren sie im Studio fürs erste Album und haben dann wohl trotzdem von der Plattenfirma kein weiteres Backing erfahren. Sie haben gesehen, „Ah, die Platte steht ja schon in den Läden!“, und hatten davon noch gar nichts gewusst. Aber sie wirkt so, wenn man sie sich anhört, von einer solchen Elaboriertheit und Sophistication, wie man es selten bei Plattenproduktionen hat.
Das macht ja auch das Erlebnis dieser Band aus, dass man schon eine Weile braucht um zu begreifen, was da alles gleichzeitig an musikalischen Einflüssen und Zitaten passiert. Und textlich haben sie das dann in deutlichem Gegensatz zu anderen Disco-Acts noch fortgeführt.
Und dann geht das erste Lied „Cherchez La Femme“ damit los, dass Tommy Mottola, der später der Chef von Sony wurde und auch der Mann und Ex-Mann von Mariah Carey, auf der Straße lebt und nix mehr zu essen hat, und sein Mädchen hat ihn verstoßen. Die ersten Worte in dem ersten bekannt Lied dieser Gruppe sind auch noch gleich in der Metaebene angesiedelt. Hier wird Musik über Musik gemacht, selbst noch in den Texten. Unglaublich komplexes Zeug über Neonazis und Coloured Girls. Die Texte sind wirklich ziemlich Bryan Ferryesk finde ich.
Das erste Album ist ja im Disco-Kontext sehr früh erschienen. 1976 gab es kaum Vergleichbares.
Ich denke, dass sie selbst dachten, das sei gar nicht Disco. Aber wenn man sich die ganz frühen Discoplatten anhört, Barry White von 73 oder 74 oder so etwas, wusste diese Musik eigentlich schon, dass sie Disco sein würde, oder was Disco denn sein würde? Ich glaube da schälte sich was heraus, wo das Phänomen dann so groß geworden war, dass es sagen konnte: „Hey, kommt mal mit! Ich biete euch jetzt dieses Feld. Ihr seid Disco.“ So ist es denen, glaube ich, auch gegangen. Wenn das auch Disco sein kann was wir machen, dann sind wir auch Disco. Und dann gab es ja auch Sophistication in Disco, und auch Art-Disco. Wenn man sich so etwas anhört wie das Salsoul Orchestra oder das Love Unlimited Orchestra, das sind auch sehr elaborierte Konzepte, aber eben sehr viel „lower“ codiert. Das, was wir bei Dr. Buzzard vor uns haben, ist intellektuell. August Darnell, einer der beiden Brüder, die diese Band geleitet haben, war in erster Linie Literaturwissenschaftler. Für mich war das immer ein Phänomen: als der andere Bruder, Stony Browder, später ohne August Darnell weitergemacht hat, war das so eine Art verunglückte Rockabillyplatte. Die ist richtig scheußlich, und dann fragt man sich wer denn welchen Einfluss in der Band gehabt hat. Das war wohl mal wieder so eine Chemie, die einfach gestimmt hat. Die beiden Brüder, die das geleitet haben, Darnell ein bisschen hinter dem anderen, ein toller Drummer, Mickey Sevilla, dann Sugar Coated Andy Hernandez, der das Vibraphon spielte und praktisch der Vince Montana dieser ganzen Sache war, und auch unglaublich tolle Sachen arrangiert hat, wie zum Beispiel das erste Cristina-Album auf ZE Records.
Aus ihm wurde dann ja Coati Mundi.
Eben, und das war ja zum Teil auch sehr tricky. Dann gab es noch Don Armando’s 2nd Avenue Rhumba Band. Diese ganzen Sachen werden ja zum Teil wieder fleißig aufgelegt, weil sie auf diesem wirklich tollen ZE-Label stattfanden.
Die Musik ist ja auch gut gealtert, weil es nach wie vor kaum Musik gibt, die sich vergleichen ließe bzw. vergleichbar gut wäre. Es ist ein eigener Kosmos.
Genau. Es wurde dann natürlich bei House gesamplet, DJ Sneak hat beispielsweise „Cherchez La Femme“ wiederaufgeführt, und man findet auch wieder bei diesen Classic 12“s, wie auch immer legal, Neuauflagen der Hits. Aber ich wüsste auch wirklich nicht, wer genau so etwas fortgeführt hätte. Es war einfach zu groß, dazu bräuchte man sozusagen einen Staatshaushalt. Eine Big Band mit Riesenaufwand. Sie haben sich ja auch zum Teil Arrangeure aus dem West Coast-Jazz ausgeliehen. Das war vielleicht einfach ein Glücksmoment. Es gibt ja auch eigentlich nicht wirklich eine zweite Roxy Music, oder einen zweiten Brian Eno. Aber Einflüsse. In der House Music, speziell New York, in den frühen 90ern. Das denke ich manchmal, „oh, das ist ja Dr. Buzzard-artig“. Da kommt manchmal was.
Disco war ja, wie auch House später, ein offenes System, in das sich Fremdeinflüsse gut einarbeiten ließen. Dr. Buzzard ist dafür ein Kardinalbeispiel. Und es gibt ein paar Platten in der klassischen Disco-Ära die etwas Ähnliches probiert haben. „Street Corner Symphony“ von Carrie Lucas auf Solar beispielsweise.
Überhaupt Solar, das ist ja in ungefähr die Fortführung, das Ganze in synthetisch, zur anderen Küste rübergeholt. „The Sound Of Los Angeles“. Alles etwas slicker. Bands wie Kleeer sind eine Mischung aus dem und Chic. Bei Solar Records ist auch diese merkwürdige Eleganz, die dann später Leute wie Green Gartside von Scritti Politti stark beeinflusst hat. Da könnte man wirklich was fortgeschrieben sehen. Auch Shalamar, die allerdings zu der Zeit von Dr. Buzzard auch schon da waren.
Es gab allerdings auch eine ganze Serie von schrecklichen Discoplatten, die Big Band-Sound aufgriffen. Das war dann eher Glenn Miller mit Beat. Da hat man im Vergleich gemerkt, was Dr. Buzzard eigentlich geleistet haben.
Eben, das ist das was ich vorhin mit harmolodisch meinte. Eine Übersetzung in ein System, das wirklich ausgekocht und intellektuell kontrolliert ist, wie bei Ornette Coleman. Mich erinnert es tatsächlich daran. Musik, die einen herausfordert, in ihrer, im gewissen Sinne, Schwerverständlichkeit, die einen aber auch sofort flachlegt und schon eingenommen hat. Und dass das auch bei Disco stattfindet, wie Du schon sagst, ist eben auch eine der tollen Errungenschaften von Disco. Die Offenheit für das jeweils Andere ist kaum in einem anderen Genre so groß. Mit der großen Unfallgefahr natürlich. Hör Dir selbst die großen Produktionen von Giorgio Moroder an, der teilweise wirklich total toll gewusst hat, was gerade jetzt gemacht werden könnte, und trotzdem hört man dann nach anderthalb Minuten wieder den Schnauzbart durch, und alles ist wieder kaputt. Es ist auch ein fragiles, gleichzeitig kommerzielles Genre, aber auch absturzgefährdet wie kaum ein anderes. Dadurch aber auch nie so fettarschig und sich selbst so sicher wie Rock.
August Darnell hat mich immer fasziniert. Ich habe ihn über Kid Creole kennen gelernt und habe mich dann zu Dr. Buzzard zurückgearbeitet. Es ist schon erstaunlich bei wie vielen verschiedenen Projekten mit seiner Beteiligung seine Visionen deutlich durchscheinen.
Ja, genau. Ich habe ihn dann aber auch noch mal gesehen, so richtig traurig, in einer deutschen Fernsehshow, im Zoot Suit, in so einem Musical auf Tournee tingelnd. Ich sah ihn dann plötzlich vor mir, in Duisburg oder Mönchengladbach in extra errichteten Hallen den Cab Calloway gebend. Wobei Cab Calloway ja auch superinteressant war, schon vierzig Jahre vor Dr. Buzzard, so ist es ja nicht. Aber nun war praktisch Nostalgia anstelle von Camp getreten. Ich weiß nicht, das war wahrscheinlich auch sein Job, Musicals. Da ist er quasi von Kid Creole noch eine Stufe weiter zu Jump ‚n’ Jive. Aber das ist ja voll legitim. Aber ich dachte dann auch, wie wird man eigentlich alt wenn man August Darnell ist? Ich glaube er war sogar mit Thomas Gottschalk auf der Couch und musste das erklären, in seinem rosa Zoot Suit.
Er war ja auch ein archetypischer Hipster, der eine zeitlang alles richtig gemacht hat. Das kann man ja auch nicht ewig durchhalten, oder?
Nee, vielleicht nicht. Aber Bryan Ferry macht es irgendwie doch immer noch richtig, aber er wählt die falsche Partei. Auch das gibt es ja leider immer wieder, nicht nur in Disco.
Vielleicht sollte einfach mal jemand Darnell fragen, mal wieder was Vernünftiges zu machen?
Ja, das fragt man sich nämlich. Vincent Montana bringt immerhin weiter Fünftaufgüsse seiner großen Salsoul-Momente auf seinem eigenen kleinen Label heraus, als 12“s. Der hat immer noch Lust, der macht einfach weiter. Vielleicht auch mehr so ein Geschäftsmanntyp, der Montana.
Diese ZE-Retrospektive läuft ja jetzt auch eine ganze Weile, es ist ja gerade schon die zweite Welle von Reissues, aber Darnell hat sich da gar nicht so richtig eingeschaltet. Andere aber auch nicht, die später schlimm wurden, wie Was (Not Was) zum Beispiel.
Genau, da kam dann so ein unangenehmer Rockismus rüber. Auch Material, das wurde dann so männlich und dick und feist. Es war alles nicht mehr so leicht, so cool und effeminiert. Das ist ja auch so toll an Dr. Buzzard, das es auch Sissy Music ist. Klarinetten etc. Die haben es herausgepult aus Glenn Miller, wie Du schon vorhin sagtest. Die haben das Queere wie unter eine Lupe gelegt und groß gemacht, und das war eben sehr sympathisch und damit stehen sie eben auch innerhalb von Disco interessanter da als die Village People. Ich fand es jedenfalls feingeistiger. Es gibt keinen Rockismus darin, und der ist bei Disco schon manchmal rein gekommen. Bei den Trammps war das aber auch ganz nett beispielsweise. Selbst bei Platten von Sylvester gibt es manchmal schweinöse Gitarrensoli. Bei „Over And Over“ muss man ungefähr anderthalb Minuten vor superekstatischen Bläsersätzen und sonst wie gut laufender Musik so ein Gitarrensolo über sich ergehen lassen. Einer meiner Favourites.
Was hältst Du denn von den ganzen ethnischen Verhältnismäßigkeiten, die bei Dr. Buzzard eingebaut waren? Natürlich dieser ganze Latino-Komplex und sonstige Identitätskonflikte wurden dort musikalisch und textlich auf eine sehr charmante Weise ausgetragen.
Das war aber auch auf einer durchgeknallten Ebene. Es war eher wie ein Pulverisieren von Identitäten, was ja auch immer wieder eine schöne Aufgabe der Popmusik ist. Nicht einfach die knallharte Analyse, sondern die Dekonstruktion. Ich denke da an so etwas wie „Auf Wiedersehen, Darrio“ oder „Once There Was A Coloured Girl“, wo es dann im Refrain immer heißt: „The Yankee! Humbug! Neo-Nazi“. Das ist schon teilweise als sehr frei im Sinne einer Zersetzung oder einer Auseinandernahme von dem was Identitäten wären zu sehen. Komischerweise hat die Band für mich aber was Katholisch-Lateinamerikanisches. Dr. Buzzard war ja wohl auch ein Hoodoo-Priester, den es wirklich gab. Da kommt immer so etwas Afro-Katholisches bzw. Lateinamerikanisches rein. Um mal bei den Klischees zu bleiben, der afroamerikanische Beat, der sampletauglich für Hip Hop war, den findet man hier gar nicht. Aber darüber habe ich mir komischerweise noch gar keine Gedanken gemacht, was die genau für einen Stammbaum haben. Bei Namen wie Hernandez kommt natürlich ein Spanish Harlem rein. Wie bei House in New York, oder der Vogueing-Kultur, ist es beides, afroamerikanisch, aber auch die Outlaws des oft homophoben Mainstreams, und lateinamerikanisch. Und diese hier haben sich eben auch noch sehr viel „weiße“ Musik reingezogen, was man ja später auch bei anderen sophisticateten, interessanten Entwürfen hat. Die Neptunes zum Anfang etwa hatten auch so far-out changes, die auch jazzig waren und vielleicht von Steely Dan kamen, aber dann bei ihnen „afroamerikanische“ Musik wurden. So etwas wird immer wiederkommen, dass sich Leute wie Chad Hugo und Pharrell Williams sich da auch was holen. Das ist für mich ja sowieso das Tollste an Popmusik, das Zitieren und Neueinfügen im anderen Sinne als wie das Zitat im Original gemeint gewesen war. Insofern bin ich immer auf alles gefasst, ich will hier überhaupt nicht kulturpessimistisch reden. Aber Dr. Buzzard waren schon eine echte Einzelerscheinung, und ich kann die Frage, was diese ethnischen Sachen betrifft, auch nicht auf den Punkt beantworten.
Es ist auf jeden Fall auffällig, dass sie sich sehr oft damit auseinandersetzen, dass Stammbäume durcheinander geraten. Was sie auch textlich genau benennen, „Yankee romancers, the gift they gave us was café au lait”, usw.
Genau, und es gibt ja auch dieses komische afro-germanische Element. Deutsche Namen auch gerne. Franz Krauns, der Vocal Arranger, ob der nun wirklich so hieß? Oder es sind da Bilder drauf, die aussehen wie aus dem Kaiserreich, irgendwelche merkwürdigen Figuren. Aber das gehört ja auch zum Kanon besonders der 70er Jahre, dass man mit diesem Germanic-Ding so kokettiert.
Vielleicht ist es die definitive, schlussendliche Melting Point-Platte.
Eben, wir wollen ja nicht als Deutsche ihre Schädel vermessen. Das ist ja das Faszinierende, das es eine fließende, ozeanische Ästhetik ist, der wir hier gegenüberstehen.
Meinst Du, so etwas wie Dr. Buzzard wäre heute noch machbar?
Auf jeden Fall denkbar. Eine Freundin von mir, die gerade mal eben 30 geworden ist, ist vor kurzem darauf gestoßen und seitdem in alle Richtungen missioniert und denkt es ist das Allergrößte. Ist es ja auch. Sie kannte das nicht und kommt heute unvorbereitet darauf und ist sofort begeistert. Und wenn das so ist, warum nicht? Und Spuren davon finden sich ja auch in der House Music. Aber wer stellt ein dreißigköpfiges Orchester ins Studio und hat 600 Stunden Zeit? Man kann es auf der Sampleebene bewältigen, so wie Theo Parrish, wenn er Gichy Dan samplet. Es hat eben viel mit den Produktionsbedingungen der jetzigen Popmusik zu tun, dass kaum einer in der Lage ist, mit so einem Aufwand ins Studio zu gehen. Und dafür muss man auch ins Studio gehen, dass kann man nicht am Bildschirm machen. Man könnte es vielleicht zusammenklicken, aber es ist bei der Band besonders schwierig, denn wenn man cool samplet, samplet man nicht so, dass man das 1:1 überträgt. Das wäre ja auch ein bisschen dumpf. Aber wir haben es ja erlebt, bei M.I.A., mit diesem sonst nicht so discoesken Sunshower-Stück, da ist es ja sehr schön gelaufen. Und was die Leute an diesem Stück mochten, war wohl schon das, was bei Dr. Buzzard bereits toll gewesen war. Vielleicht brauchen wir das auch nicht als Revival, sondern es ist toll, dass es das gab. Ich hätte nichts dagegen, aber siehst Du das irgendwo?
Nein. Ich sehe, dass es in der elektronischen Musik eine gesunde Anzahl von Exzentrikern gibt, die ich auch unbedingt unterstützenswert finde, aber es ist einfach anders. Eine eigene, verschrobene Vision, die man durchzieht, bleibt aber immer wichtig.
Finde ich eben auch. Es gibt ja auch immer Visionen, von denen wir gar nichts ahnen, und dann kommt eben ein anderer toller, idiosynkratischer Typ auf, wie eben Theo Parrish. Ich weiß noch wie mich das total umgehauen hat, die ersten Platten in den mittleren 90ern. Ich bin immer gefasst auf sowas.
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