The Sugarcubes – Leash Called Love / Hit

Posted: February 2nd, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , , , , , , | No Comments »

Ich möchte heute die Rubrik dazu nutzen, um auf ein eher weniger beachtetes Opfer der Musikwirtschaftskrise hinzuweisen: den housigen Undergroundmix für normalerweise nicht housige Artists. In Zeiten, in denen Remixbudgets von Majorlabels die Beträge für die Praktikantenbetreuung nicht mehr übersteigen dürfen, A&R-Leute mit noch wesentlich mehr Verspätung ein Ohr von außen an die Mauern der Clubs halten, oder sich allgemein eingeredet wird, der Auftragsproduzent des Originaltracks könne die Dance-Version bestimmt auch gut machen, können sie nicht mehr wohl gedeihen, die seltsamen Blüten, die entstehen, wenn Bürostrategen, die nicht tanzen, auf Produzenten treffen, die nur bedingt in Chartsnotierungen denken. Die Blütezeit dieser Untergattung der House-Historie ist von den spätern 80ern bis Mitte der 90er datierbar, als krude Illusionen von Tanzflächenkredibilität gepaart mit prallen Marketingkampfkassen auf die Crème de la Crème der Clubkultur trafen, oder auch nur auf die Auftragsallzwecktypen, die sich für keinen Auftragsallzweck zu schade waren. Letztere gab es in der Clubkultur schon seit immerdar. Konzentrieren wir uns also lieber auf die Ersteren. Und vernachlässigen wir auch die Grundvorrausetzung dieser schiefen Konstellationen, nämlich dass sowohl Auftraggeber als auch Interpret das Endergebnis völlig gleichgültig ist, bis hin zur kompletten Verleugnung desselben bzw. peinlicher Zurschaustellung von nicht einmal Einviertelfachwissen, wenn die Dance-Version unerwarteterweise die Originalversion in Verkaufszahlen übertrumpft. Demgegenüber liefern die housigen Undergroundmixer zumeist genau das, was den nicht housigen Artists nur allzu offensichtlich fehlt. Die selbstverständliche Anbindung an Geschrei und Arme in der Luft, Schweiß, Sex und Tränen der Augenblicks-Ekstase und des Wochenendglücks. Und den Beweis, dass die jeweilige Zauberformel mit jedem Interpreten und Song funktioniert, solange man sich die Werktreue für die Radioversion aufhebt, und in den Dub- und Instrumentalversionen den dicken Hund von der Leine lässt. Es gibt sehr sehr viele Platten, wo dieses Prinzip hervorragend funktioniert, und dann Menschen auf der Tanzfläche zu Interpreten ausflippen, über die sie im Tagesgeschehen nicht einmal nachdenken würden. Indiskutables Popgeträller wird zu rhythmisch zerhackten Samples ohne stimmlichen Wiedererkennungswert, und Masters At Work machen aus Debbie Gibson, MK aus Bette Midler, aus Donny Osmond, Shep Pettibone aus Paul McCartney, oder David Morales aus U2 unantastbare Clubikonen, für die Dauer des Tracks zumindest. One Little Indian hatte z. B. 1991 die merkwürdige Idee, ihre hauseigenen Indie-Superstars, die Sugarcubes, mit einem ganzen Remixalbum in der Clubszene zu vertäuen. Darauf waren, einige Mixe stinkenfaul, einige am Thema noch mehr vorbei als überhaupt befürchtet, einige uninteressant, einige interessant und einige waren echte Prachtexponate. Klarer Sieger des Wettbewerbs war für mich Tony Humphries, der seine schon anderswo demonstrierte Fähigkeit, großzügig eine Schicht New Jersey-Zauber über artfremde Musik zu legen, hier noch weit übertraf. Und er schaffte es, obwohl er sowohl alle kaprioligen Gesangsmanierismen der Sängerin unangetastet ließ, als auch dem knurrigen Sängerhünen seinen Lauf ließ. Im wunderbaren Klanguniversum von Humphries zu seiner besten Schaffensphase hat das alles seinen Platz, und wird zudem noch von allerlei feinsten Geistesblitzen erhellt. Für Humphries mag das nur eine Episode geblieben sein, aber Björk kehrte nie wieder zu Schrammelpop zurück, und für alle anderen war es ein gleißendes Himmelslicht im zwielichtigen Dunst von Körpern und Substanzen.

„This wasn’t supposed to happen, I was happy by myself, accidentally, you seduced me, I’m in love again“.

The Sugarcubes – Leash Called Love / Hit (One Little Indian, 1991)

de:bug 02/10


DJ Pierre – Muzik

Posted: September 29th, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , , , | No Comments »

Es wurde in den letzten Jahren gehörig Schindluder getrieben mit dem -Begriff. Hunderte von Tracks, die einfach nur lang und im Aufbau etwas ausladender Natur waren, wurden von faulen Journalisten in diese Schublade gesteckt. Dabei ist Herkunft und Machart von Wild Pitch club- und musikhistorisch in guter Quellenlage. Eine Gruppe von DJs in New York, u. a. Bobby Konders, Victor Rosado, Kenny Carpenter, John Robinson, David Camacho, Timmy Richardson und eben , versuchten mit einer Party-Reihe namens Wild Pitch die Lücke zu schließen, welche mit der Schließung der Paradise Garage im Jahr 1987 einherging. Die Musik dazu war ähnlich wie in Levans Legendenstätte, nur der Anteil von Reggae und House war gestiegen. DJ Pierre verarbeitete seine Erlebnisse dort 1990 in dem Track ”Generate Power“, und entwickelte dafür eine neue Stilausprägung von House, die er nach dem Club benannte. Das Grundprinzip war im Grunde genommen einfach. Über etwas ungelenke Beats, die diesen speziellen watscheligen entwickeln, schichtete er im gemächlichen Takt von mehreren Minuten Element über Element: Bass, Akkorde, Ravesignale, Stimmen, Perkussion, Zerrsounds, schließlich stehende Strings, alles was recht war, immer schön eins nach dem anderen, immer noch eine Schippe drauf. Das Ganze entwickelt in der Summe eine hypnotische Sogwirkung mit strikter Vorwärtsrichtung, die sich mit jedem addiertem Element potenziert und nach und nach, scheinbar endlos und doch immer intensiver, einem Höhepunkt entgegensteuert, sich dann imposant entlädt, und danach wieder behutsam heruntergefahren wird. Das erinnerte nicht von ungefähr an sehr guten Sex, wenn es gut gemacht war klang es auch so. Pierre begriff schnell, dass er nach seinem Geistesblitz mit den modulierten Bassklängen der Roland TB-303, aus denen dann Acid House wurde, hiermit einen weiteren, noch nie da gewesenen Sound parat hatte, den er in den Folgejahren konsequent verfeinerte. Und wie bei Acid House ließen sich andere Produzenten von der Idee anstecken. Leute wie Roy Davis Jr., Spanky bei Strictly Rhythm, Maurice Joshua, Nate Williams und DJ Duke bei Power Music, dann etwas szeneexterner Junior Vasquez oder X-Press 2 und zahllose weitere Epigonen. Und wie immer war das Prinzip dann irgendwann ausgereizt, war vom ganzen Interpretieren ganz ausgeleiert, ließ sich nicht mehr mit neuen Trends verknüpfen. Und wie immer wurde es dann irgendwann später wieder hervorgeholt, und mit frischen Ideen versetzt klappte es dann auch wieder. ”Muzik“ von 1992 ist Wild Pitch der klassischen Phase im Moment seiner höchsten Vollendung. Eine Lehrstunde in Aufbau und Wirkung. Wer immer sich gegenwärtig Wild Pitch auf die Fahne schreiben möchte, möge doch bitte vorher hier vorbeischauen, denn von den Siegern lernen, heißt siegen lernen.

DJ Pierre – Muzik (Strictly Rhythm, 1992)

de:bug 09/09


Druffmix 38 – The D.H.S. Rave Chronicles Chicago

Posted: September 16th, 2009 | Author: | Filed under: Mixes | Tags: , , , , , , , , | No Comments »

Welcome to the final chapter of the Druffalo Rave Chronicles. In sharp contrast to the usual brouhaha surrounding the city’s contributions to club music history there is no particular reason why we conclude the series with . It’s just the one we still had left for release, and we wanted to stop before we were even tempted to invent rave scenes that don’t really exist (given that all of it was a very subjective D*ruffalo take on the rave phenomenon anyway). So, as sad as it may be, we would like to kiss the rave goodbye with some real Windy City classics, and this is the way we jack the house…

K.A. Posse – Dig This (Underground)
Robert Armani – Circus Bells (Dance Mania)
The Housefactors – Play It Loud (Black Market International)
– We’re On The Move (Warehouse)
– Drive Me In Your Car (Jive)
M.D.3. – The Pressure Cooker (Underground)
326 – Falling (Muzique)
Brian Harris – H2O (Chicago Underground)
Lil’ Louis – Music Takes U away (Dance Mania)
Qx-1 – On A Journey (Rhythm Beat)
Pizarro – Suelta Mé (Gosa-Lo)
Mix Masters – In The Mix (DJ International)
– Payback Is A Bitch (Jive)
Lil’ Louis – Frequency (Dance Mania)
Steve Poindexter – Computer Madness (Muzique)
Vitamin B – You Make Me Feel (Rhythm Beat)
Two For Soul – The Music’s Taken Over Me (Future Sound)
2 Houss People – Baby Wants To Move You (Gherkin)
Myoshi Morris – Muzik (Rockin’ House)
Armando – 100% Of Dissin’ You (Warehouse)
Steve Poindexter – Work That Motherfucker (Muzique)
The Dance Kings – Climb The Walls (Dance Mania)
Terry Hunter – Madness (Muzique)
Risque 3 – Essence Of A Dream (Stride)
Mike Dearborn – New Dimension (Muzique)
– The Afterlife (Djax)
Da Posse – In The Life (Republic)
North/Clybourn – O Ban 1 (Gherkin)
Fingers Inc. – Bye Bye (Jack Trax)


Whirlpool Productions – Brian de Palma

Posted: July 23rd, 2009 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , , , , , , | No Comments »

Irgendwie kam House in Deutschland lange Jahre nicht in die Gänge. Nix Massenbewegung, nix Exportpotential, nix Sponsorenzielgruppe. Es gab zwar ausreichend Clubs, DJs und Produzenten, die sich von Anfang an mit House beschäftigten und den Sound hegten und pflegten, aber man studierte erstmal eingehend was da kistenweise importiert wurde und verschob den eigenen Einsatz auf später. Die Italiener hatten sich da schon längst zusammengeklaubt, was sie für die sonnigen Fantasiewelten ihrer Großclubs brauchten, in Holland und Belgien wollte man sich schon bald von dem amerikanischem Ausgangsmaterial emanzipieren, und in Großbritannien atomisierte die Hype-Presse bereits alle verfügbaren Stilmöglichkeiten zu Subgenres. In Deutschland hingegen wurde noch eine Weile analysiert, bis sinnigerweise der Dancefloor-Ableger vom Diskursstichwortgeber L’Age D’or diese Phase für beendet erklärte und sich alsbald beherzt daran machte, lose orientiert an der noch relativ jungen House-Historie anderer Länder, eine Reihe von sehr eigenständigen und funktionstüchtigen Veröffentlichungen zu starten. „Brian de Palma“, passend benannt nach dem Regisseur mit den dollsten Nachtclubsequenzen, ist sowohl der erste Höhepunkt als auch eine wegweisende Schnittstelle dieser Entwicklung. Hans Nieswandt, der damals in Worten wie kein Anderer auf den Punkt brachte was an House so wunderbar ist, Eric D. Clark, der immigrierte Glam-Faktor mit dem irritierenden Soul, und Justus Köhncke, der romantische Raketenwissenschaftler des Ganzen, wollten nicht länger zuschauen und nahmen sich ihre gesammelten Nightlife-Erfahrungen, ihre erheblichen Plattensammlungen, ihre durchdefinierten Popforderungen und ihren unverbrauchten Enthusiasmus für die Sache an sich, und bauten mit taufrischem Idealismus an ihrer Musik. Das allzu Offensichtliche wurde dabei vermieden, Mel Tormé oder Steely Dan kamen in die Samplebank, und nicht schon wieder Loleatta Holloway. Und obwohl hier und da oder als Inspirationsquelle hervorlugten, bekam man ihn hin, den eigenen Sound. Eine elastische Funkyness, eine lässige Dosis smarter Referenzen, und eine grundsympathische Einstellung im Umgang mit dem . Mit jedem ihrer späteren Alben vergrößerten sie genauso schlüssig und schlau den Spielraum, den sie sich mit diesem Album eröffneten, mit oftmals ebenso sperrigen wie überraschenden Resultaten zwischen Can-Studio und surrealer Charts-Kurzkarriere. Aber diese Verbindung von Kopf und Tanzfläche war nicht mehr ganz so ausschlaggebend, und ich habe das vermisst. Die weitere Laufbahn der drei nach dem Ende von Whirlpool Productions gestaltete sich dann gleichermaßen erwartet wie unerwartet, und es ist gut zu wissen, dass sie allesamt immer noch voll drin sind in der Chose.

de:bug 07/09


Playing Favourites: Till von Sein

Posted: February 11th, 2009 | Author: | Filed under: Interviews English | Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , | No Comments »

> Backroom Productions – Definition Of A Track ( New York Underground Records) 1988

A rare tune from 1987. Indeed nothing but a track.

I knew this from the vinyl edition of the DJ-Kicks by Terranova. At that time it fit right in with what they were trying to represent with that compilation. I used to play this track regularly back then, it was very good for warming up.

So you actually know this for quite some time then.

Yeah, of course! I was not into Terranova that much, but the compilation had some brilliant tracks on it. East Flatbush Project and such.

This has some kind of Hip Hop vibe to it, too. But it does not exactly sound like 1988.

No, and I didn’t know that (laughs).

Would you still play it?

Definitely. I don’t know when and for what occasion but it is a class track.

It somehow reminds me of the bonus beats they used to have on the flipside of old House records.

Yeah, but bonus beats have gone out of fashion a bit, apart from Hip Hop. Argy had some for that Sydenham track “Ebian” on Ibadan last year. But I think it is not really relevant anymore for the current generation of House producers.

The percussive elements really distinguish the sound of that era from today’s productions. Lots of handclaps, or here it’s rimshots.

My problem is that I don’t really like all these percussion sounds from drum machines. I prefer sampled real instruments. This is probably some classic Roland drum machine, like a 606. I would take the bassdrum and hi-hats from somewhere else. The toms of these old machines are always cool, but the bongo sounds for example are not for me. I wouldn’t use that for my productions. I couldn’t do these 100 % authentic references. I think it’s supercool to listen to in a record for example, but I couldn’t do that.

You got qualms about doing something like that?

No (laughs)! I’m just working on a new track for which I sampled an old Amen-break. I don’t care, if I like it I use it. This kind of break is in 90 % of all Drum and Bass tracks and nobody cares, so I don’t care either.

> Phortune – Unity (Jack Trax) 1988

This is an old track by , from his Acid House days. But it is different to most tracks he produced back then. It is pretty deep.

It’s great. Awesome vibe for 1988, I could listen to this all day. It doesn’t tranquilize my feet, it’s not boring, it’s perfectly right. And I would grin from ear to ear if I would hear this in a club.

Some of its sounds have aged really well.

I really like this. I think it’s a pity that there are not so many tracks with great basslines at the moment. There are a lot of simple, functional basslines without much of a melody. Of course it’s effective and some current tracks need some of these dominating, functional elements, but a track like this for example needs a bit more, and I miss that. It’s also simple, but it has more and different harmonies. I like that, it gets me hooked. I would love to buy this on Beatport (laughs)!

Yes, that could be difficult. Read the rest of this entry »


Playing Favourites: Shed

Posted: October 12th, 2008 | Author: | Filed under: Interviews English | Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , | No Comments »

White Noise – Black Mass: Electric Storm In Hell

This is very early electronic music, from White Noise’s first album from 1969. They were among the first to use synthesizers in a rock context and their music became very influential later on. This particular track seems indeed way ahead of its contemporaries, and it is pretty wild.

I didn’t know that at all. I had problems listening through it, it is almost disturbing. From today’s point of view it maybe is not that overtly experimental anymore, but setting it into the time of its production, it is very cool.

There certainly was not much comparable music back then.

The sound is very good. They already had synthesizers? There is a lot of space in the production. If you would not have told me, I would never have guessed that it is so old. The arrangement and the noisy parts reminded me of destructed Amen breaks, totally distorted. Very interesting.

Quartz – Chaos

The next one is by Quartz from France . Also early synthesizer music, but within a disco context.

I was not into that at all. My calendar does not really start before 1990 or so. Even stuff like early , Cybotron, it is ok, but it’s not mine. I also can’t get into . What has been called techno from 1990 on was what got me to listen to music consciously for the first time. I was never the one to check the influences on music that I like. I know Disco only from TV, Saturday Night Fever and such. I was never really interested in it.

Is that based on a basic antipathy towards the sounds of disco music?

There was a short period I found it exciting, around the time the filter and cut-up disco house arrived with , all the sample stuff. But that was over pretty soon when all the records started to sound the same. So yes, it is based on principle that I don’t like the sounds too much.

So you were more interested in how a track was built on samples than where they came from?

Exactly. It was fascinating to me how all could be said in a loop that went for three minutes, if it was a cool one. Longer than that it could get boring. Of course you can’t compare that to what happens in the original disco track, there was more happening there than in house tracks, which only used bits. It was interesting that many people used the same samples and you became aware that there must some source for it. But sample based productions are not my philosophy. I never wanted to just use bits of other people’s music.

Those disco house records also did not always pay tribute to disco, they deconstructed it, and often in a not very respectful manner.

Not at all. It’s strange how American producers often deal with each other, all that stealing amongst themselves. But in the end we all benefited from that (laughs). Read the rest of this entry »


Mark E – Slave 1 (Running Back)

Posted: March 4th, 2008 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , , , , | No Comments »

ist erwiesenermaßen jemand, der den Wust der Einflüsse und Klänge in seinem Kopf zu eigenständiger und überraschender Musik ordnen kann und damit ist er bei Running Back genau richtig. Auf seiner zweiten EP für das Label holt er konsequent weit aus. Er interpretiert beim Titeltrack „Lost Again“ von Yello als reduzierten, hypnotisch stampfenden Darkroomsubwoofertest und „Pulse Friction“ ist ein einziger Arpeggio-Strudel mit dunklen Weiten, der sich komplett kitschfrei mit und zum Soundaustausch verabredet hat. „Slave 1“ ist ein Midtempo-Knäuel mit zahlreichen Schlaufen aus Dub, Boogie und , das zuerst einem Zustand gepflegter Breite entgegen zu schliddern scheint, dann doch in ein fiebriges Crescendo umschwingt, um schlussendlich in seine Einzelteile zu verfusseln. Große Klasse, das alles.

03/08


Front Club, Hamburg

Posted: November 6th, 2006 | Author: | Filed under: Texte Deutsch | Tags: , , , , , , | 9 Comments »

„I can’t even dance straight.” (Aufdruck eines -Tshirts)

Das gängige Club-Koordinatensystem in Mitte der 80er bewegte sich irgendwo zwischen Mod-Kultur und Northern Soul sowie Post-Punk und Wave in Läden wie dem Kir und Disco-Poppertum im Trinity, Voilà oder Stairways. Welcher Hafen angelaufen wurde, entschied sich meistens danach, ob der Schwerpunkt der Planung auf Musik bzw. Tanzen, Mädchen oder Saufen gelegt werden sollte. Diese Komponenten kamen zwar manchmal auch an einem Ort befriedigend zusammen, aber in der Hansestadt wurde schon immer bei ersten Anzeichen von diesbezüglichen Ungleichgewichten der Standort verlagert. DJs mixten in der Regel nicht und die Musik war oft ziemlich durcheinander und demnach war man es auch gewohnt, nur hier und da zu tanzen und den Rest der Nacht anderweitig auszufüllen.

Etwas ab vom Schuss, Nähe Berliner Tor, gab es dann noch das Front, das Willi Prange 1983 eröffnet hatte. Der Stamm-DJ dort war ab 1984 der Kölner Klaus Stockhausen, der ebenso wie andere DJs in der Stadt eine Mischung aus Boogie, Synthpop, Electro, Hi-Energy und Italo auflegte. Dennoch hatte das Front im Rest der Stadt schnell diesen speziellen Status. Das lag einerseits sicherlich daran, dass das Publikum dem Vernehmen nach fast ausschließlich schwul war und sich nicht groß darum kümmerte, sich jedes Wochenende so abseits von Kiez oder Alster zusammenzufinden. Andererseits lag das aber auch vor allem an Stockhausen, der seinen Kollegen in vielerlei Hinsicht weit voraus war.

Von seinen besonderen Fertigkeiten als DJ erfuhr zuerst ich von einem meiner besten Freunde, der ein klein wenig älter war und schon ab 84 regelmäßig hinfuhr. Dort kaufte er Stockhausen irgendwann einen Schwung Live-Mitschnitte auf Kassette ab, für ganz schön gutes Geld, der Mann wusste eben was er wert war. Als ich die Tapes zum ersten Mal hörte, war ich ziemlich baff. Ich hatte ein langjähriges Faible für alle Arten von tanzbarer Musik, aber was man damit im Mix anstellen konnte war mir eher fremd. Ich erkannte Teile meiner Plattensammlung wieder, aber irgendwie klangen die anders, energetischer und aufregender. Es liefen viele instrumentale Versionen, versetzt mit Soundeffekten, Scratches und Acapellas. Verschiedene Platten liefen minutenlang zusammen, oder Teile davon nur wenige Sekunden. Die meiste Zeit konnte ich die Stücke gar nicht auseinanderhalten. Ich hatte keinen Schimmer, wie man so was hinbekommt. Die Musik-Auswahl war dabei durchweg geschmackssicher und abenteuerlustig zugleich. Live muss das der Hammer sein, dachte ich.

Tatsächlich waren die Nächte im Front zu dieser Zeit schon ziemlich ausgelassen, doch richtig Fahrt kam ab Ende 85 auf, als bei Tractor und später Rocco und Container Records die ersten House-Importe eintrafen. Ich bekam House erst mit, als „Jack Your Body“ und „Love Can’t Turn Around“ 1986 plötzlich Hits wurden, aber es gefiel mir auf Anhieb. Es erschien wie die perfekte Synthese von allen möglichen Club-Stilen, war aber gleichzeitig total primitiv und direkt. Eine verheißungsvolle Variante in der Chronologie von Disco sozusagen. Im Front wurde House nach Ohrenzeugen vom Fleck weg vereinnahmt, es gab zwar nicht viele Platten zu kaufen, aber was verfügbar war, wurde auch gespielt. Die europäische Clublandschaft ist sicherlich zu diffus und weitläufig, um wirklich exakt die historischen Initialzündungen zu benennen, aber wenn man sich mit der entsprechenden Geschichtsschreibung in anderen Ländern befasst, war Hamburg verdammt früh dran, ohne davon viel Aufhebens zu machen. Die regelmäßigen Wochenendgäste aus England schienen sich jedenfalls mit voller Absicht zum Tanzen in die touristisch unterentwickelte Gegend am Heidenkampsweg zu verirren.

Das erste Mal dass ich tatsächlich ein Teil der schrägen Schlange wurde, die sich zeitig vor den Stiegen abwärts sammelte, war Anfang 87. Ich war fast volljährig und etwas angespannt. Die coolen Typen um mich herum schienen es kaum abwarten zu können, von dem mürrischen Kerl mit dem Schnauzbart durchgewunken zu werden, der die Tür zu dem Keller verwaltete. Das Publikum bestand zur stolzen Mehrheit aus schönen Jungs in glammigen Outfits und halbnackt-muskulösen Lederkerls, und es war zahlreich erschienen und schrie sich auf der Tanzfläche bereits geschlossen die Seele aus dem Leib. Der Club an sich war absolut unglamourös. Karg war noch untertrieben. Die Wände waren nackt bis auf ein paar Notausgangschilder, auf denen ab und zu „Danger“ aufblinkte und gelegentliche Diaprojektionen mit Worthülsen wie „I mean…is he…“ oder „…and suddenly…“. Die Tanzfläche war gesäumt von niedrigen Podesten mit Geländer, die einen bei der niedrigen Decke noch näher an die fiesen Horn-Hochtöner brachten, Bestandteile einer Anlage, die nicht unbedingt gut war, aber sehr effektiv und vor allem sehr laut.

Die Lightshow bestand lediglich aus verschiedenfarbigen Neonröhren, die sich über der ganzen Tanzfläche erstreckten und in unnachvollziehbaren Intervallen ins Dunkel blitzten. Und im Gegensatz zu anderen Hamburger Clubs war es sehr dunkel, gepaart mit einem ungemein stickigen Dunst von mehr oder weniger nackten Körpern und Poppers, der stetig von der Decke tropfte und als dichter Nebelschwall über die Belüftung direkt neben den Eingang wieder auf die Straße zurückgeleitet wurde, als sollte er wie der Rauch bei der Papstfindung der Außenwelt künden, was für eine Stufe des Exzesses dieses Wochenende gemeinsam erreicht wurde.

Man kam eher zum Tanzen als zum Posen ins Front, auch wenn man bei Bedarf beides gleichzeitig konnte, und ließ sich von der wummernden Pracht von links nach rechts schicken. Die Stimmung war physisch und bis zum Anschlag sexuell aufgeladen. Die Front Kids hatten ihren Tempel eingerichtet und huldigten dem Hedonismus mit bedingungsloser Loyalität. Alles war egal, solange es Spaß machte. Wenn man sich überhaupt von der Tanzfläche entfernen wollte, waren die einzigen Ablenkungen eine Theke mit ein paar Bänken ein tiefer, deren Zapfanlage unter Gejohle von mitfeiernden Barleuten zum Beat bearbeitet wurden, die nicht selten im Torerokostüm den Dienst antraten, ferner notorische Toiletten mit äußerst regem Verkehr und deaktivierter Geschlechtertrennung sowie ein Flipper, der nie funktionierte.

Der ganze Überschwang hatte souveräne Methode, die von einem DJ-Bereich gesteuert wurde, der sich in einem wesentlichen Punkt von anderen unterschied; man konnte den DJ nicht sehen. Die Kanzel war eine erhöhte dunkle Box, die von der Tanzfläche aus durch eine Tür zugänglich war, der DJ schaute durch zwei winzige Schießscharten heraus und war selbst nur schemenhaft zu erkennen. Das hatte durchaus den Effekt, dass man sich auf die Musik konzentrierte bzw. dass die Musik teilweise wie aus einer anderen Welt herübergesendet kam, obwohl man sich natürlich sehr wohl bewusst war, dass der zuständige Zeremonienmeister etwas Besonderes war, was denn auch mit viel Geschrei auf dem Floor honoriert wurde.

Eine konsequente Absage an die fortschreitende Personifizierung des DJs, aufgrund derer Stockhausen schließlich 91 für immer die Kopfhörer für eine ebenso erfolgreiche Karriere als Moderedakteur bekannter Lifestylemagazine niederlegte. Wie er aussah wusste ich erst Jahre später dank einer Fotostrecke in einem Stadtmagazin, es war auch nicht wichtig. Gleiches galt auch für seinen überaus talentierten Nachfolger Boris Dlugosch, der ab 1986 Stockhausens Protegé war und nach dessen Rückzug den Taktstock übernahm und ebenso stilprägend die nächste Ära des Clubs dirigierte und weitere DJs wie Michael Braune, Michi Lange, Sören Schnakenberg und Merve Japes. Promis wurden vermehrt gesichtet, aber kaum beachtet. Diese Rahmenbedingungen sollten sich für die nächsten Jahre nur unwesentlich ändern. Es gab Rituale wie den Laster von einer Quadrophonie-Testplatte, der bei gelöschtem Licht durch den Raum knatterte und meistens die Schlussphase mit einem Rückblick auf Disco-Klassiker einläutete, die allerdings auf dem Front-Soundsystem klangen, als wären sie in einem Kugelblitz wiedergeboren worden. Es gab diverse zügellose und Spezialveranstaltungen mit wechselndem Motto und den jährlichen Geburtstagsrausch, bei dem immer noch eine Schippe draufgelegt wurde. Unvergessen dabei der Auftritt eines unbescholtenen Straßenmusikers, der anlässlich des ersten Golfkriegsausbruchs von der Einkaufsmeile wegengagiert wurde und dann nervös vor dem ekstatischen Auditorium „Give Peace A Chance“ klampfte.

Bei der Entwicklung von House und allen daraus resultierenden Stilarten war das Front in den folgenden Jahren eine unerbittliche Messlatte. Zuerst kam die Acid-Phase, die auch über andere Neueröffnungen wie das Opera House, Shag oder das Shangri-La die ganze Stadt eroberte, und Detroit Techno wurde in der ersten Welle herzlich umarmt. Ausflüge in Clubs anderer Städte zu dieser Zeit vermochten im Vergleich nicht so recht zu überzeugen, man freute sich bereits auf das nächste Heimspiel. Ab 89 kamen die New Yorker Hybriden aus Techno und House der Marke Nu und Strictly Rhythm dazu, und man verneigte sich gelegentlich vor den Post-Acid-Entwicklungen der Insel, Bleeps etwa, oder Shut Up And Dance und 4 Hero, damals noch Breakbeat Techno genannt.

Als Techno sich ab 91 mehr und mehr über Härte definierte, besann man sich im Front jedoch auf die hauseigene Tradition des Groove und überließ das Geheize Läden wie dem ersten Unit. Die Anteile von Garage und wurden unter der Ägide von Dlugosch quasi über Nacht nach vorne gemischt, ohne dass die unbeschwerte Dynamik auf dem Floor Einbußen erlitt, der Rausch klang nur etwas anders. Das Front verband Schub mit Stil und hatte seine Jünger bestens mit House erzogen und so wurde aus Hamburg, im Vergleich zu anderen Metropolen, nie eine Technostadt.

Der Club wurde in der Face, im I-D und in der Tempo als Weltklasse bestaunt und war auch mit Dlugosch mindestens auf Augenhöhe mit Clubs der reinen Lehre in den USA oder England und in Kontinentaleuropa lange Jahre praktisch konkurrenzlos, was nicht zuletzt dadurch untermauert wurde, dass das Front auch sehr früh begann, die Heldengestalten aus Übersee zu buchen. versagte und machte das mit Acid trifft Garage wieder wett, Mike Hitman Wilson versagte einfach völlig, Frankie Knuckles legte ein Handtuch um und eine Flasche Cognac und Tischventilator vor sich und breitete das große Gefühl aus, die Murk Boys waren gegenseitige Liebe auf den ersten Blick und Derrick May wollte gar nicht mehr aufhören.

Diese ersten Gäste vermittelten aber auch Einblicke in andere Szenen, was immer mehr Clubgänger interessierte und die Konkurrenz in der eigenen Stadt nahm zu und bediente sich beim Standard des Front. Die schwule Basis fühlte sich mehr und mehr von Neugierigen bedrängt und die Faces der ersten Generation zogen sich langsam zurück, der Geist der Pionierzeit verlor auch in der Musik an Strahlkraft und selbst die Nachttanke um die Ecke war plötzlich nicht mehr da.

Dennoch empfand ich es wie viele als Privileg, speziell an diesem Ort live zu hören wie sich das Haus erbaute, in dem wir heute noch allesamt wohnen. Nur lief die Chose irgendwann von ganz allein und an anderen Orten und ich ging ab 94 immer sporadischer hin, bis mich dann 97 die Nachricht von der Abschiedsparty wachrüttelte. Ich zog es vor, es in Erinnerung zu behalten wie es zu besten Zeiten war und bin nicht hingegangen. Das Inventar wurde später, einer echten Clublegende angemessen, wie Reliquien meistbietend versteigert.

Das perfekte Souvenir hatte ich aber ohnehin schon, es ziert noch immer meine Zimmertür: das Schild von der Damentoilette, mysteriöserweise eines Sonntagmittags auf meinem T-Shirt klebend, als ich in voller Montur auf dem Fußboden eines Kumpels aufwachte. Gute Zeiten. Klaus Stockhausen ist immer noch der beste DJ, den ich jemals gehört habe und die Intensität des Clubs bleibt für mich selbst minus sentimentaler Verklärung unübertroffen. Es hat mich tief geprägt. Wenn ich von nach Hamburg hineinfahre werfe ich jedes Mal einen verstohlenen Blick auf das Leder-Schüler-Gebäude und habe Musik im Kopf. This used to be my playground.

Mit besonderem Dank an Walter Fasshauer, Patrick Lazhar und Frank Ilgener.

Groove 11/06

Danke für alles, Willi Prange und Phillip Clarke… R.I.P.