Justus Köhncke – Shelter Captain Comatose – Pricegun Baby Nµwalker Feat. Ken Cesar – Can You Hear Me? MD Jr. – The Merchant Of Grooves Marvin Dash – Real Fonky Cowboy Betrieb – Teppichstudie Peter F. Spiess – Sleazy Jazz Betrieb – Akt Mit Erhobenen Armen Sensorama – Where The Rabbit Sleeps Contriva – Stuck (Superpitcher Mix) Seidensticker – Verdichtung Phong Sui – Wintermute Seidensticker – Verdrängung
Total Confusion ging 1998 an den Start. War das eine symptomatische Platte, die den Sound dieser Frühphase definierte?
Tobias Thomas: Eher symptomatisch für eine bestimmte Uhrzeit, für die klassische Peaktime (damals ca. 3-4 Uhr morgens) und für eine allgemein sehr euphorische, ekstatische, affirmative Grundstimmung, die wir alle teilten. Es war die Zeit des Sägezahn-Technos, Nebel und Strobo, und alle drehten durch.
Wolltet ihr zu dieser Zeit ganz entschlossen Indie-Songs mit Clubmusik vereinigen und habt das vorangetrieben, oder war das eine Entwicklung die ihr eher aufgegriffen habt? Meintet ihr auch das mit „Total Confusion“?
Obwohl ich selbst als Teenager eher »Indie« war, haben uns immer eher die Verbindungslinien zwischen Pop und Techno interessiert. Als wir mit unserem damaligen Projekt Forever Sweet zu L’Age D’or/Ladomat kamen, waren Tocotronic quasi unsere Brüder im Geiste auf der Rock-Seite des Labels. Aus dieser ganzen “Lado-Szene”, die auch andere Acts wie Andreas Dorau, Egoexpress, Whirlpool und Die Sterne umfasste, entstanden im Laufe der Zeit viele gegenseitige Befruchtungen und vor allem Remixe, die u.a. deutsche Sprache auf den Technofloor brachte. Von “Girls in Love” bis “Pure Vernunft Darf Niemals Siegen”. Eine schöne Zeit und meiner bescheidenen Meinung nach der beste Remix, den ich (damals mit Kollege Olaf Dettinger zusammen) in meinem Leben zustande gebracht habe. Die Idee “Total Confusion” kreiste um diese Art Grenzüberschreitung, grundsätzlich ging es darum, sich selbst und das Publikum immer wieder von Neuem völlig durcheinander zu bringen.
Jan Jelinek – Tendency (Scape, 2000)
Habt ihr solch feinziselierten Tracks viel Platz eingeräumt? In welchen Phasen der Nacht habt ihr solche Platten gespielt?
Am ersten Tag erschuf Gott das Warm-Up. Eine dem DJ-Handwerk zwingend zugehörige Kunst, der Michael Mayer und ich schon seit unseren ersten Parties Anfang der Neunziger Jahre frönten und die wir nicht müde wurden, von jeder Kanzel herab zu predigen. Auch Aksel aka Superpitcher wurde in diese Kunst eingewiesen und mit der Zeit zum Meisterschüler.
Jede Nacht muss, wie jede andere Geschichte auch, einen Anfang haben. Jan Jelinek war einer der unerreichten Großmeister von solchen Tracks, die gegen 0:30 Uhr etwa den Übergang von Ambient und langsamen Beats hin zu knisternden, flirrenden, vertrackten Stücken markierten, bei denen die Teilchen in der Luft langsam anfingen, sich elektrisch aufzuladen. Jelineks “Loop-finding-jazz-records” ist ein Meilenstein der elektronischen Musik und gehört zur auralen Pflicht eines jeden Nachwuchs-DJs.
Luomo – Tessio (Force Tracks, 2000)
Ich vermute „Tessio“ wurde sehr rasch eine Hymne in eurem Club, oder? Brachte das Stück eure Vorstellung von elektronischen Songs auf den Punkt?
Was Sasu Ripatti aka Vladislav Delay aka Luomo damals mit House gemacht hat, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Er hat nicht weniger als den gesamten, in Stein gemeißelten Kanon von Bassdrum, Hi-Hat, Snare und Clap im 4/4-Takt in Frage gestellt. Seine ersten Tracks als Luomo waren Monster. Allen voran “Tessio”, eine Hymne, so randvoll mit Emotionen, Energie, Sex und Melancholie, dass einem noch heute schwindelig davon wird.
Static – Headphones (City Centre Offices, 2002)
Wie wichtig war IDM bei Total Confusion? Musste es mit einem guten Song verbunden sein, oder war das kein Kriterium?
Wir haben immer schon leidenschaftlich elektronische Musik gehört, die nicht zum Tanzen gedacht war. Von Underground Resistance und den “The Rings of Saturn” bis zu Aphex Twin, von Air Liquide bis zu The Bionaut. Chillen war vor 20 Jahren noch etwas von sehr intensiver Musik und auch entsprechenden Drogen durchwebter Zustand. Wenn sich solche Sachen dann wieder dem Format “Song” annäherten wie bei “Headphones” wurde es erst recht spannend für uns.
Heiko Voss – I Think About You (DJ Koze Remix) (Kompakt Pop, 2002)
Was machte diesen Track zu einer Total Confusion-Hymne? Die elegischen Streicher-Sounds, gepaart mit diesem bouncigen Groove? War das eine Qualität, die ihr verfolgt habt?
Heiko Voss ist nicht nur ein bis heute schmählich vom Weltgeist übergangenes musikalisches Genie, er war auch wahrscheinlich auf jeder verdammten Party in 16 Jahren Total Confusion zu Gast. Diese Nummer ist ein wundervolles Liebeslied, von Koze, einem anderen, mittlerweile anerkannten Genie, der im Studio 672 damals vieles gelernt und gelehrt hat, mit Samthandschuhen in den Club transportiert. Zu diesem Song haben die Menschen nicht nur getanzt, sie haben sich verliebt. Noch schneller als nur alle 11 Sekunden.
Dntel – The Dream of Evan and Chan (Superpitcher Remix) (Plug Research, 2002)
Ich nehme das war eine der größten Hymnen bei euch, die auch immer noch viel gespielt wird. Was hat das auf eurer Tanzfläche ausgelöst, und ging das von Anfang an los?
Ein kongenialeres musikalisches Zusammenspiel als das hier zwischen Jimmy Tamborello aka Dntel und Superpitcher hat es selten gegeben. Ein tieftrauriger Singer/Songwriter-Popsong geremixt von einem nicht weniger dauermelancholischen DJ und elektronischen Produzenten. Die Atmosphäre von “The Dream of…” beschreibt wie auf einem Gemälde unser damaliges Lebensgefühl. Entzieht sich jeder weiteren Beschreibung. Zuviel Gänsehaut.
Justus Köhncke – 2 After 909 (Kompakt, 2002)
Das kam mir immer vor wie Justus’ Annäherung an die großen Clubhits von Metro Area. Hat das bei euch eine Rolle gespielt, auch speziell dieser Groove?
Justus war und ist eben auch so ein Grenzgänger und die waren uns immer sehr willkommen. Damals hat er gefühlt alle zwei Monate so eine Nummer abgefeuert, immer getreu seinem Motto: “talent borrows, genius steals”. An Metro Area gab es ohnehin kein Vorbeikommen, genauso wie an Daft Punkt vielleicht. Die Nähe zu Disco generell war uns wichtig, es ging bei Total Confusion ja auch um eine gewisse sexuelle Ambivalenz. Und auch wenn diese Liste einen gewissen Eurozentrismus vermuten lässt, gab es auch unzählige Total Confusion-Hymnen von Moodymann, Carl Craig, Theo Parrish und diesen großen Helden. Aber das ist eine andere Geschichte…
Zumindest in meinem Bekanntenkreis war das ein eher umstrittener Track, auch unter LoSoul-Fans. Es gab doch lange eine Abwehrhaltung gegen Clubtracks mit deutschem Gesang. Hat es euch bei der Etablierung dieses Aspektes geholfen, dass ihr als wöchentliche Residents ein loyales Publikum hattet, mit dem man das kontinuierlich aufbauen konnte?
“Umstrittene Tracks” wurden bei uns am Eingang immer direkt durchgewunken. Die standen sozusagen auf der permanenten Gästeliste von Total Confusion. Unser Publikum hat solche Sachen geliebt. Manchmal auf Anhieb, manchmal mussten wir es ihnen aber auch erst zärtlich reinprügeln. Der wöchentliche Rhythmus hat auf jeden Fall für eine soziokulturelle “Togetherness” gesorgt, die es so heute leider nicht mehr gibt. Isso.
Welche Rolle spielten trancige Elemente bei Total Confusion? Hattet ihr das schon immer bewusst integriert, und welchen Stellenwert hatte das?
Ich persönlich habe wenig Sinn für Trance, Michael schon eher. Aber wenn, dann ging es schon um die Elemente von Trance, die einen Laden in Schutt und Asche legen. “Happiness” war natürlich auch so eine Selbstvergewisserungs-Hymne, die sehr unserem damaligen seelischen Zustand entsprang. Es war eine Zeit voller Sehnsucht, aber auch noch eine voller wahrhaftiger Glücksmomente.
War diese Art von euphorischem Club-Pop gängig bei Total Confusion, oder waren das eher Ausreißer? Bei solchen Platten zählt der richtige Moment, oder? Habt ihr euch in diesem Feld auch manchmal verhoben?
Pop stand immer als Dessert auf der Karte. Als Nachspiel und Epilog. Nachdem die Leute zwei, drei Stunden durch den Fleischwolf gedreht wurden und nahe der Epilepsie standen, ging das Strobo aus, das Licht wurde wieder wärmer, der Fuß des DJs ging vom Gas… dann war es Zeit für Pop, Kitsch, alte Klassiker, Flohmarkt-Schätze und dergleichen. Das war Programm und immens wichtig, um dieser kalten Tristesse vorzubeugen, die unweigerlich entsteht, wenn man einfach immer weiter macht, ohne auf die Erschöpfung der Menschen und ihren emotionalen Zustand am frühen Morgen Rücksicht zu nehmen. In Zeiten von Clubs die heutzutage 72 Stunden durchmachen natürlich eine absurde Vorstellung. Aber wir waren eben Old School, Baby.
Mix with some German house music favourites, compiled and mixed for Motion FMradio.
Whirlpool Productions – The Cold Song (Ladomat 2000) Tiefschwarz Feat. Oezlem – Never (Four Music) Cassy – Night to Remember (Perlon) Sensorama – Quarzzeit (Ladomat 2000) DJ Linus – Pleasure (Freudenhouse) Losoul – Sunbeams And The Rain (Playhouse) Dntel – (This Is) The Dream Of Evan And Chan (Superpitcher Kompakt Remix) (Plug Research) Superpitcher – Happiness (Kompakt) Blumfeld – Tausend Tränen Tief (Loverboy Mix) (Rough Trade) Round Two – New Day (Main Street) Blumfeld – Neuer Morgen (Vredus Remix) (Wea) Jürgen Paape – So Weit Wie Noch Nie (Kompakt) Commercial Breakup – Walking Back Home (Ladomat 2000)
Die zweite 12” von Lullabies In The Dark auf dem Münchner Label nimmt sich ein Herz und langt hin mit den Rockismen wo andere zurückzucken. Die Akustische mit der verträumten Hypnosemelodie im Hintergrund täuscht schwelgendes Gemeinschaftsgefühl an, aber dann sind selbst die holzigen Beats akustisch geschneidert, die Synth-Loops schütteln das Gebräu auf, und dann knallt er der Korken, in Form des breitbeinigsten Schweinerockgitarrensolos seit man auf Ibiza noch zu der James Gang über den Bong stolperte. Und dann Abbruch, alle fallen übereinander. Fantastisch. Superpitcher bemüht sich sehr tapfer, den ganzen Irrsinn auf emotionales Poppertum herunter zu destillieren, aber er steht letztendlich etwas konsterniert als einziger in Daunenjacke unter lauter Wildleder auf dem Happening. Aber Claude Hooper Bukowski und George Berger sind in Hair am Ende auch gute Freunde geworden.
Die Umschichtung der Formatprioritäten und die Klingelton-Krise der Musiksender haben eine fruchtbare Brache hinterlassen, in der sich das Medium Musik-Clip nun mehr und mehr als Special-Interest DVD wieder findet. Kreative Speerspitzen mit krediblem Backstock wie Jonze, Gondry, Cunningham und Konsorten setzen sich die Retrospektiven gleich selber, von Paradise Garage, Sheffield-Wave bis hin zu Genialem Dilettantismus bekommt jede einflussreiche Periode der Popgeschichte ihre Dokumentation. Da die Viacom-Familie seit geraumer Zeit sowieso eher jeden Quatsch außer Musikvideos sendet, bietet es sich natürlich an, Sendungen wie Electronic Beats als Slices fortzuführen oder wie hier eine ‚Selection Of Outstanding Electronic Music Videos’ zu kompilieren. Es stellt sich die Frage, ob elektronische Musikclips per se schon künstlerischen Renegatentum-Mehrwert innehaben weil man sie im Fernsehprogramm mit der Lupe suchen muss. Bestimmt das Nischendasein auch die Freiräume in der Konzeption und wie nutzt man das? Die Clips auf dieser DVD bieten recht vielfältiges Anschauungsmaterial, doch manchmal fragt man sich, warum die Regisseure jedem Glitch visuell entsprechen müssen oder ob die Bildsprache da eigentlich wirklich so advanced ist wie sie tut. Die vorhandenen Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit werden zuweilen von den Infos im Booklet erst recht unterstrichen, wo man mit Superlativen und Referenzen von Eisenstein, Caspar David Friedrich bis Warhol eingebettet in einen großzügigen popkulturellen Kontext, nur so um sich schmeißt. Tatsächlich muten aber, wenn auch auf dem technisch neuesten Stand, einige Clips wie Coverversionen von Stephen R. Johnson oder Godley & Creme an, versetzt mit Mandelbrot-Flair (Bleip – Clicks), quietschbuntem Allerlei oder Stop And Go-Trickrobotern wie von Ata Tak (Bogdan Raczynski – Ahou Bouken). In narrativen Momenten orientiert man sich zuweilen an Dunkel-Tech-Paranoia vom Schlage eines Darren Aronofsky (Slam – Alien Radio). Wong Kar-Wai punktet souverän mit einer 1:1 Direktübertragung seiner Kinoarbeiten für DJ Shadow, das schöne Gebrüder Grimm meets Kompakt-Video vom Superpitcher ist enthalten, die Imbisstypen in Richard Anthonys Clip für Garniers rotgesichtigen Mann sind immer noch lustig und Designers Republic haben für Funkstörung einen formschönen Update von Sign Of The Times fabriziert, inklusive Nerd-Statistiken und schamloser Promotion, in grauer Vorzeit ja mal Sinn und Zweck des Mediums. Nun aber ist es Art, baby, in your face.
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