Limited Unlimited

Posted: December 16th, 2011 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: | No Comments »

Durch die Umwälzungen, die durch Downloads und digitales DJing ausgelöst wurden, rückte im letzten Jahr mehr und mehr eine Käuferschicht in den Vordergrund, die zwar immer befriedigt wurde, und befriedigt werden wollte, aber selten so direkt in der Peilung war: Sammler und Komplettisten. Man konnte sich als Künstler, Label und Vertrieb schon immer auf diese Konsumenten verlassen, wenn man Veröffentlichungen mit wie auch immer geartetem Mehrwert verkaufen wollte, doch nun schien es fast, als wäre man in Zeiten schwindender Erlöse aus physikalischen Tonträgern direkt auf sie angewiesen.

Vor allem am Discogs Marketplace, dem mittlerweile ausschlaggebenden Gebrauchtmarkt für elektronische Musik, ließen sich Entwicklungen verfolgen, die vorher zwar auch existierten, aber in schwächerer Ausprägung. In Zeiten des virtuellen Informationsüberflusses konnte man sich binnen kürzester Zeit mit dem nötigen Wissen ausstatten, um das jeweilige Sammelgebiet in Angriff zu nehmen, und dann war auch alles gleich verfügbar, denn es drängten weitaus mehr als zuvor ältere und neuere Second Hand-Platten in den Markt. DJs lösten ihre vorher digitalisierten Plattensammlungen auf, um sie danach gewinnbringend zu verkaufen, und viele neue Händler, von heftigen Verkaufspreisen für Raritäten angelockt, versuchten ihr Stück vom Kuchen abzubekommen. Folglich fiel der Preis für etliche vormals kaum erschwingliche Releases zusehends. Um da noch auf einen vernünftigen Schnitt zu kommen, musste man sich als Verkäufer auf ein Angebot spezialisieren, das entweder über Masse den Profit generiert, oder die Klasse anbieten, die eben noch nicht vom Preisverfall betroffen war. Also ältere Platten, die seit Jahren einfach immer selten und teuer waren und sein werden, und neuere Platten, die vom Release-Termin an einfach nur darauf ausgelegt waren, selten und teuer zu sein.

Die Produktionsseite stellte sich jedenfalls schnell auf die neuen Tendenzen ein. Den Boden bereitete eine Vielzahl von Wiederveröffentlichungen, entweder gewissenhaft lizensiert, ausgestattet und kuratiert, oder höchst windige und schnellgeschossene Bootlegs, und beider Release-Plan orientierte sich ziemlich präzise an Angebot und Nachfrage des Gebrauchtmarktes. Je rarer, je lukrativer. Erstaunlicherweise waren vor allem viele Bootlegs oft dicht dran am Preis der Originale, ohne das Original-Artwork, oder sogar das Original-Tracklisting bieten zu können, und verkauften sich trotzdem prächtig. Sei es Bequemlichkeit oder Kaufreflex, charakteristische Verhaltensweisen des Sammlerpublikums ließen sich nicht nur bestenfalls effektiv einkalkulieren, sie wurden auch schlimmstenfalls schamlos ausgenutzt.

In einer beachtlichen Anzahl von Vertriebsankündigungen fiel das Wort „limitiert“, ungeachtet der Tatsache, dass viele Platten ohnehin nicht mehr Auflage absetzen können, als sie limitieren. Das ist keine neue Strategie, und eine durchsichtige dazu, die aber immer noch oft funktioniert. Man hat mehr Plattformen und Kanäle zur Verfügung als je zuvor um Beschaffungshektik auszulösen und dem Käuferkreis zu versichern, er könne leer ausgehen, wenn er sich nicht sputet. Oft ist das tatsächlich der Fall, das ist prinzipiell seit jeher der Schnelllebigkeit der Clubmusik geschuldet, entsprechenden Risikokalkulationen, aber auch dem Bestreben, mit künstlicher Verknappung ein Sammlerobjekt zu kreieren. Künstler bzw. Label erhoffen sich Releases, die durch unbefriedigte Nachfrage gesucht sind und somit den Backkatalog aufwerten, der Käufer erhofft sich, im Besitz eines Sammlerobjektes zu sein, auf dessen zeitnahe Aufwertung sich spekulieren lässt. Tatsächlich steigen viele schwer erhältliche bzw. schwer erhältlich gemachte Platten rasant im Preis und lassen sich dann gewinnbringend wiederverkaufen. Diese Preise fallen aber ebenso rasant wieder, da muss man den Kurs sehr regelmäßig im Auge behalten.

Der stärkste Motor dieser Vorgänge ist natürlich der Kultstatus. Und hat sich ein Label oder ein Produzent mit entsprechendem Output diese Stellung erarbeitet, ist es zwar nicht zwingend, aber durchaus legitim, wenn sich das im Preis von Veröffentlichungen niederschlägt, sofern der Output diese Vorgehensweise auch über einen längeren Zeitraum rechtfertigt. Als Verbraucher muss man für sich selbst entscheiden, ob man bereit ist, für den Namen mit zu bezahlen, was dann auch einer Respektbekundung gleichkommt, oder ob sich dieser Name mit der Zeit verbraucht. Und da die Berichterstattung heutzutage eher mehr Nachschub an Namen braucht als früher, kann das schneller gehen als ursprünglich gedacht. Auf jeden Fall gilt auch hier, dass es mindestens genauso schwierig ist, einen Status zu erreichen, wie ihn zu behaupten. Wer konstant ein paar Euro mehr auf den Einkaufspreis aufschlägt, weil er sich seiner Fans sicher wähnt, muss auch entsprechend liefern, denn Sammler sind nicht nur schnell entflammt, sie kühlen auch schnell wieder ab, und sie sind potentiell nachtragend. Der Bogen lässt sich oft eine ganze Weile überspannen, aber dann ist nicht nur genug, sondern Schluss, und man kehrt meistens auch nicht zurück. Es gibt immer noch genug andere Fische im Teich.

Paradoxerweise ist der Mehrwert, den Vinyl-Releases als Abgrenzung zu Audiofiles bieten sollten, zum Problem geworden. Pop- und Szenestars sowie sonstige Veröffentlichende in Aufschwung, Stagnation oder Abschwung schließen die Tore von Beginn an über Auflage, Preis und verkomplizierte Verteilungen an ausgesuchte Läden, und Sekundärhändler multiplizieren die Anfangsgebote um ein Vielfaches. Alles oft bevor die Releases überhaupt wirklich in den Handel gekommen sind.

Und so mancher wird sich schon binnen kurzer Zeit fragen, ob die vorsichtshalber doppelt gekaufte  limitierte Erstauflage mit Vollbildcover, das Poster, oder der unveröffentlichte Bonustrack den ganzen Hassel wert war. Wenn man nicht nur sowieso gar kein Cover hat, ein gestempeltes Label, und Musik, die eigentlich nicht die Qualität hat, in den Gegenwert hinein zu altern, den man ursprünglich angemessen bezahlt zu haben glaubte. Bis dann der nächste Hype losgetreten wird.

Groove 01/12



Leave a Reply