Rewind: Detlef Diederichsen über “Stan Kenton and Tex Ritter”

Posted: March 22nd, 2010 | Author: | Filed under: Artikel | Tags: , , , , , | No Comments »

Im Gespräch mit Detlef Diederichsen über “Stan Kenton & Tex Ritter” von Stan Kenton & Tex Ritter (1962).

1983, ein Jahr nach der ersten Zimmermänner-LP, gab es auf der Rückseite der Single “Hockey” von Palais Schaumburg ein Stück namens “Stan Kenton”. War das ungefähr die Zeit als Du auf seine Musik gestoßen bist? Wie ist es dazu gekommen?

Interessanterweise hat mich weder die Palais-Schaumburg-B-Seite noch irgendein anderer Tippgeber zu jener Zeit auf Stan Kenton gestoßen, obwohl ich schon damals eine Schwäche für verstiegene Macher mit genialischem Habitus hatte. Meine diversen Jazz-Entdeckungsphasen verliefen an Kenton vorbei, obwohl mich durchaus hochtrabende Third-Stream-Ideen, etwa von John Lewis, Gil Evans und John Carisi, mehr interessierten als expressionistisches Power Blowing. Westcoast-Jazz war allerdings nie so recht mein Ding, von Jimmy Giuffre mal abgesehen.

So dauerte es bis 1999, als mich schließlich ein Tippgeber auf die Zusammenarbeit von Kenton mit Bob Graettinger („City Of Glass“) aufmerksam machte und mich in dem Zusammenhang auch mit weiteren Kenton-Alben bestückte. Zur selben Zeit hatte ich gerade begonnen, einige besonders hartnäckige Lücken meiner Plattensammlung via eBay zu schließen. So schaute ich auch unter Kenton und fand dort in der Vielzahl der Angebote von Werken dieses sehr produktiven Menschen auch das Album mit Tex Ritter.

Es gibt dazu noch eine lustige kleine Geschichte, die ich 1975 las: Zu der Zeit hatte Kenton mal wieder irgendwo lautstark über den niedrigen musikalischen Standard in den USA allgemein herumgepöbelt und über Country-Musik im Speziellen. Sie sei „eine Schande für das Land“ (nach dem Gedächtnis zitiert). Der ebenfalls nicht gerade schüchterne und zurückhaltende Southern Rocker Charlie Daniels hatte zurückgepestet, nicht die Country-Musik, sondern Kenton sei eine Schande fürs Land und er würde 1000 Dollar wetten, Kenton könnte niemals eine Country-Platte machen. Woraufhin ihm Kenton eine Kopie seines Albums mit Tex Ritter schickte und eine Rechnung über 1000 Dollar beilegte.

Stan Kenton konnte wahrlich auf eine lange Karriere zurückblicken. Was hat Dich an seiner Arbeit fasziniert, auch im Hinblick auf vergleichbare Musik? Was ist seine Rolle im Jazz?

Kenton war vor allem ein Provokateur, ein Mann, der von Klischees, Ritualen, sinnlosen Regularien, überkommenen Wertekanons zum Handeln getrieben wurde. Womöglich hatte er immer mehr die Welt der klassischen europäischen Hochkultur im Blick, als die des Jazz. Jazz konnte er, es war sozusagen das Handwerk, das er gelernt hatte. Das hätte er wunderbar herunterleben können, aber das Schnöseltum der Hochkultur-Welt machte ihn rasend, da es ihn ausschloss. Und also übernahm er die Insigniarien des Kulturschnösels und applizierte sie auf Jazz. Seine Alben versprachen „Artistry“ und „Concepts“, seine Kompositionen hießen „Concerto“, „Invention“ oder „Fugue“. Er war unermüdlich, bienenfleißig, Sun-Ra-haft produktiv und dazu ein großer Entdecker und Förderer von Talenten (The Four Freshmen, June Christy, Pete Rugolo).

Dennoch ist er für mich nicht mehr als ein verdienstvoller Mann, ein Ideenmensch, ein amüsantes Großmaul, aber nicht einer, dessen Musik mich wirklich tief bewegen kann. Wobei ich zugeben muss, wohl zirka achtzig Prozent seines riesigen Werks nicht zu kennen. Read the rest of this entry »