The Flying Lizards – The Flying Lizards

Posted: November 11th, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , | No Comments »

Die Sound-, Konzept-, und Stilideen der klassischen Post-Punk-Zeit, auf unzählige Veröffentlichungen auf Klein- und Großlabels verteilt, bilden einen solchen Riesenwust von Referenzpotential, dass die nachfolgenden Generationen mit der Aufarbeitung kaum hinterherkommen. Diese Bemühungen gehen schon seit den 90ern voran, und immer noch gibt es neue Aspekte, die es aufzugreifen lohnt. Erst konzentrierte man sich bei Electroclash auf die eher übergreifenden Hits, Mode, und Performance, dann folgten die Spezialisten und gruben bis in die entlegensten Winkel nach Vergessenem, Unveröffentlichtem, und möglichen Wiederveröffentlichungen. Und nun geht Techno allerorten zu seinen alternativen Wurzeln zurück, und man beruft sich eher auf Throbbing Gristle denn auf Kraftwerk, grieseliges Grau statt knalliges Neon, Haltung statt Pose, Konzept-Elitismus statt Pop-Gegenentwurf. Bevor man sich in diesen ganzen Verhältnismäßigkeiten verheddert, kann man aber auch einfach auf die Flying Lizards zurückgreifen, die auf einem Album eigentlich alles anticken, was die Musik in diesem Kontext so großartig macht: respektlose Pop-Dekonstruktionen etwa, möglichst desinteressiert von einer blasierten New Wave-Schönheit interpretiert (“Money”, “Summertime Blues”), Tschingderassabumm-Speed-Opern (Mandelay Song), zweckentfremdeter Rock ‘n’ Roll-Klassizimus (“TV”), verqueres Songwritertum (“Her Story”, “The Window”) oder Dub-Labortests (man beachte die brilliante Abfolge “The Flood”, “Trouble”, Events During Flood”). Man kann David Cunningham nicht wirklich einen unterschätzten Künstler nennen, aber was er hier mit u. a. Steve Beresford, David Toop, Vivien Goldman, Deborah Evans und Mitgliedern der Pop Group und This Heat verantaltet, ist wirklich außergewöhnlich. Das Nachfolgealbum “Fourth Wall” ist nicht so zerstreut, aber ähnlich genial, und ist eine merkwürdige, aber gern genommene Samplequelle für Detroit Techno (z. B. “Steam Away”). Das dritte Album “Top Ten” erschöpfte sich etwas in der Idee der gelangweilten Schepper-Coverversionen, auf den B-Seiten der Single-Auskoppelungen “Sex Machine” und “Dizzy Miss Lizzie” tummeln sich aber sehr bemerkenswerte und einflussreiche Proto-Techno-Wildheiten (“Flesh And Steel”, Gyrostatics”). Cunningham ist natürlich sowieso ein überragender Produzent von Palais Schaumburg, General Strike, This Heat bis Wayne/Jayne County & The Electic Chairs, anerkannter Avantgarde-Haudegen und, ich vermute mal vermutlich unfair, derjenige, der Michael Nymans Musik u .a. für Peter Greenaway zur Erträglichkeit dirigiert hat. Und dank Staubgold zum ersten Mal auf Vinyl im Erscheinen begriffen ist “The Secret Dub Life Of The Flying Lizards”, eine Sammlung von Dub-Aufnahmen von 1978, mit Jah Lloyd auf Jamaika aufgenommen. Ich finde das braucht man alles, wenn nicht mehr.

The Flying Lizards – The Flying Lizards (Virgin, 1980).

de:bug 11/10


Landlord – I Like It

Posted: October 20th, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , | No Comments »

In der House- und Technogeschichte gibt es reichlich Auswahl an Signaturklängen, die auch Dekaden nach ihrer Entstehung noch bestens funktionieren und deswegen auch weiter und weiter benutzt werden. Wenn Derrick May jedesmal Geld bekommen würde, wenn jemand die Bassline von “Nude Photo” verwendet, er hätte sich nicht nur die mit den Jahren immer unnachvollziehbareren Erklärungen sparen können, warum er keine Musik mehr produziert, er hätte nichtmal mehr auflegen müssen. Larry Heard hätte sich mit stetigen Tantiemen der Bassline von “Can You Feel It” nie mehr mit dem Musikbusiness rumärgern müssen, dito Kevin Saunderson, sei es mit seinem patentierten Bassgrummeln oder den Euphorieakkorden von “Good Life”. Der Flurschaden-Staubsauger von Joey Beltrams “Mentasm”, und so weiter und so fort. Es gibt diverse solche kanonisierten Großklassiker, welche die fortwährende Verehrung ihrer Urheber rechtfertigen, auch wenn ihnen mit den Jahren die Ideen ausgegangen sind. In Hinblick auf die eine geniale Idee hat die Clubkultur durchaus ein Elefantengedächtnis und man kann lange davon zehren. Und dann gibt es diese Platten, die fast aus Versehen zur Legende werden, ohne große Auswirkungen auf die Karriere des Produzenten. “I Like It” von Landlord ist dafür ein Paradebeispiel. Wer nach mehr Releases von Landlord sucht, wird nichts finden, es gibt nur dieses eine. Bereits 1989 auf dem klassischen kanadischen House-Label Big Shot erschienen, hatte der spätere Hi-Bias Hausproduzent Nick Fiorucci wohl nichts anderes im Sinn als eine amtliche House-Produktion. Er tat sich mit einem Sänger mit dem ziemlich unglaublichen Namen Dex Danclair zusammen (der außer auf “I Like It” nie wieder in Erscheinung trat), und machte das, was er desöfteren machte: Deep House mit Gefühl und leicht angedunkeltem Sanftmut, nicht zu kickend, nicht zu dramatisch, nicht zu tief schürfend. Aber selbst in den konventionelleren Versionen des Tracks schrauben sich an clever gesetzten Punkten diese Stabs hoch, die man, einmal gehört, einfach nie mehr aus dem Kopf bekommt. Fiorucci schien das Potential dieser Akkordfolge durchaus abgesehen zu haben, denn der “Blow Out Dub” besteht dann aus nicht anderem als einer Bassline, eher dezenten New York Freestyle-Breaks, und eben diesem Piano-Riff, immer und immer wieder. Und was sich auf Zimmerlautstärke schon beeindruckend effizient anhörte, richtete im Club ungeahnte Verheerungen an. Ein archetypisches Rave-Signal, aus einer so schönen wie unspektakulären Vocal-House-Platte geboren. Generationen von Produzenten konnten davon nicht mehr die Zitatfinger lassen, bis zum heutigen Tag. Natürlich kommt das nicht von ungefähr, man kann mit diesen wenigen Akkorden aus jedem unscheinbaren Track eine Stimmungsschleuder zusammenmixen, und aus jedem schon guten Track etwas, das wie ein außerordentlich guter Track wirkt. Wer das nicht glauben will, möge das gerne mit der aktuellen Preset-Produktion überprüfen, wo noch das gewisse je ne sais quoi fehlt. Aber bitte vorsichtig.

Landlord – I Like It (Bigshot Records, 1989)

de:bug 10/10


Eric B & Rakim – Follow The Leader

Posted: September 21st, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | 4 Comments »

Wenn heutzutage ein DJ in einem Techno- oder Houseset eine von der Geschwindigkeit passende Hip Hop-Platte auflegen würde, wäre mit großer Wahrscheinlichkeit augenblicklich Stille im Saloon, der betreffende Booker würde Stoßgebete gen Himmel richten, und die Forenserver gingen in Rauch auf. Gelegentliche Ausflüge von Erfolgsproduzenten -und Rappern in die Dance-Kultur einerseits, man erinnere sich beispielsweise an Snoop Doggs famosen Flötenhouse-Ausrutscher “Sexual/Sensual Eruption”, und gelegentliche Ausflüge von Erfolgsproduzenten- und DJs in die Hip Hop-Kultur andererseits, man erinnere sich beispielsweise an unselige Gastauftritte auf irgendwelchen Ed Banger-Platten o.ä., haben im Prinzip den Burgfrieden nicht wieder hergestellt. Hip Hopper halten Clubmusik für oberflächlich und schwul (oder auch für nicht lukrativ genug, zu wenig materialistisch, zu wenig poppende Glocks), und Clubmusiker halten Hip Hop für oberflächlich und nicht schwul genug (oder auch für zu lukrativ, zu materialistisch, zu viel poppende Glocks). Man wirft sich gegenseitig vor, falsche Botschaften auszusenden, und bezichtigt sich der Irrelevanz. Die eine Fraktion schüttelt den Kopf über falsche Drogen und Gehampel und sinnlose Eskapismen, die andere Fraktion schüttelt den Kopf über falsche Drogen, Statussymbole und sinnlose Gangsterismen. Die gemeinsamen Wurzeln, sie werden geschichtsklitternd unter den Teppich gekehrt. Die Zeiten, als im Club beides ging, sowieso. Alle Behauptungen, dass man sich da wieder annähern würde, sind Nischeneinblicke ohne Realitätsanbindung. Zulange hat es sich die große Mehrheit der Hip Hop-Kultur unterhalb der 120er-bpm-Grenze in Kopfnickertempi gemütlich gemacht, zulange hat sich die Tanzmusikkultur damit begnügt, der anderen Seite ein generelles inhaltliches Armutszeugnis auszustellen.
1988 etwa war das alles noch kein Problem. Der energetische Sloganismus von Public Enemy oder das unterschätzte Frühwerk der Stereo MCs liefen auf jeder amtlichen britischen oder kontinentaleuropäischen Acid House-Party (wo entgegen dem gegenwärtigen clubkulturellen Revisionismus keineswegs nur 303-Geblubber lief, sondern alles zwischen Barry White und Lisa Stansfield einen Auftritt haben konnte), und selbst ein düster-dräuendes Biest wie “Follow The Leader” war eine frenetisch gefeierte Hymne. Und warum auch nicht? Rakim, der weltcoolste MC, war schon früh via Sampling in den Dance-Kanon aufgenommen, und der soundtrackhafte Charakter des Stücks passte bestens in die funktionale Psychedelik der Strobonebelwelt. Noch war alles gemeinsam 4/4, und solange die DJs es schlüssig zusammenbringen konnten, war es schlüssig zusammengebracht. Und eigentlich könnte das jetzt wieder klappen. Die Slow Motion-House-Bewegung hat sich schon fast so heruntergedrosselt, dass man bei der überwiegenden Hängerdynamik von Hip Hop anklatscht, jeder dritte Pos(t)erboy-Emo-House-Produzent behauptet im ersten Interview, in der Jugend quasi nichts anderes gehört zu haben, ein bisschen House vielleicht noch, und die Rap-Elite ist auf der Sinnsuche immerhin schon bei Daft Punk und Haddaway angelangt. Man könnte also auch problemlos die Edit-Kanone aufeinander richten. Entweder es gibt dann wieder einen Leader mit reichlich Followern, oder man redet anschließend überhaupt nicht mehr miteinander, vielleicht nicht einmal mehr übereinander. Aber probieren geht über studieren.

Eric B & Rakim – Follow The Leader (MCA, 1988)

de:bug 09/10


Everything But The Girl – Eden

Posted: September 15th, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

1984, als “Eden” erschien, war der große Bruder doch noch nicht am Ruder, jedenfalls nicht in der englischen Popmusik. Gewisse Reglementierungen waren aber schon zu spüren. Irgendwo musste es hin, das schnelle Geld, und irgendwie musste es revidiert werden, das gute englische Stilempfinden. Den spätgeborenen Mods und Soulboys war Mod und Soulboy sein nicht mehr ausreichend, man entdeckte im großen Stil die Freuden von gefälliger Jazzmusik, Stil-, Literatur-, Film-, Literatur- und Designklassiker der 50er bis 60er Jahre und vor allem Londons Rare Groove-Szene brodelte dann so heftig, dass eine musikalische Ausgeburt in den Charts nur eine Frage der Zeit war. Blue Rondo À La Turk waren für Sohos Wag Club das, was Kid Creole & The Coconuts für die New Yorker Danceteria waren, Paul Weller war so von den Möglichkeiten eingenommen, dass er dafür The Jam opferte (deren Spätphase war der Nachfolgeband The Style Council eigentlich ähnlich, aber das neue Personal war einfach passender), und dann kam Sade, die vor allem bei männlichen Journalisten für ungeahnte Verwirrung sorgte, und aus einer Szene eine Bewegung werden ließ. Man konnte Everything But The Girl allerdings kaum Mitläufertum unterstellen, Tracey Thorn hatte bereits einige Meriten als tragendes Mitglied der legendären Marine Girls und eine umjubelte Lagerfeuer-Soloplatte vorzuweisen, und tatsächlich ließ sich die frühe Musik der Band eher mit dem Young Marble Giants-Nachfolger Weekend vergleichen, als mit Viktor Lazlo. Aber für den Erfolg von “Eden” hat das überwiegende Tristeza-Bossa Nova-Songwritertum der Songs auf “Eden” sicher nicht geschadet, und der Zeitgeist breitete folglich jovial die Arme aus. Sie wollten nicht so dringend die Coolness ihrer Vorbilder erreichen, vernestelten sich nicht so sehr mit ungelenkem Anti-Thatcher-Salonsozialismus und waren generell nicht so oberflächlich wie andere Vertreter jener Zunft. Man kann sicher argumentieren, dass Tracey Thorns Stimme so markant ist, dass jeder Song mit ihrer Beteiligung quasi automatisch schon immer ganz melancholisch wird, aber so schön wie hier fasste ihr Gesang Musik und Text selten zusammen. Und “Eden” ist bis heute eines dieser Alben, das deprimierte Grundstimmungen ergänzt und erklärt, ohne deprimierend zu sein, da kann kommen was wolle. Everything But The Girl blieben aber auch später verlässlich, sei es in ihrer kurzen Smiths-Phase auf dem nächsten Album, oder mit dem was sie jetzt sind, nach Ben Watts mysteriöser Erkrankung und Tracey Thorns Zweitkarriere als Gastauftrittsinstitution, sozusagen der altersweise Realitätscheck alternder und sinnsuchender jüngerer Clubber. Demgegenüber ist Paul Weller jetzt Steve Marriott, Sade ist Kate Bush, und der Rest wartet auf das große Acid Jazz-Revival.

Everything But The Girl – Eden (Blanco Y Negro, 1984)

de:bug 09/10


Jeff Mills – The Occurrence

Posted: September 8th, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

Das Konzept der alten, nicht rostenden Liebe hat einen schweren Stand in der hastigen Welt der elektronischen Musik, wo der eigene und der an hungrige Hypemaschinen verfütterte Fortschrittsglaube ständig Ausschau hält nach neuen Entwürfen, Klängen und unverbrauchten Themen. Das hält den Motor am Laufen, die Konkurrenz lebendig, und man braucht sowieso nicht das Gleiche in mehrfacher Ausführung, es gibt ja noch so viel mehr da draußen. Jemand, der einfach seinen Ansatz gefunden hat und diesen in jahrelanger Präzisionsarbeit weiter verfeinert, gerät, auch wenn die Ergebnisse fortdauernde Anerkennung durchaus rechtfertigen können und keineswegs irrelevanter werden, schnell in den Ruch desjenigen, der sich wiederholt, zitiert, die Sache nicht voranbringt, man hat davon schon reichlich ähnliche Tracks im Schrank, in der Mappe, auf der Festplatte, im Kopf. Man kann es eigentlich abhaken. Und dann kommen natürlich genau von solchen Produzenten Veröffentlichungen, die in der Tat vorherigen ästhetisch ähnlich sind, nur als schweinepriesterteure multimediale Obistrip-Exzesse über Japan-Umwege zu beschaffen, mit schon wieder so einem spinnert-prätentiösem Konzept, musikalisch eine weitere Variante bestimmter Gefilde des Backkatalogs, in der bekannten, ungelenken Art und Weise verwoben. Und dann ist das alles so zwingend gut, greift so umwerfend ineinander, ist ein so effizientes Katapult in die Gedankenwelt eines anderen Menschen, das alles wieder genauso ist wie früher, beim ersten Mal, und die Male danach, als man solche Überlegungen von Haltbarkeitsdauer, Vertrauensvorschüssen und Kontinuitätsproblemen nie angestellt hätte, und man sich wundert wie es so weit kommen konnte dass man je gezweifelt hat. Und dann rudert man nicht kräftig zurück in die Richtung von jemanden, der offensichtlich nie aufgehört kräftig zu rudern, man rudert kräftig hinterher. This report serves as my testimony to the above occurrence.

Jeff Mills – The Occurrence (Third Ear, 2010)

de:bug 09/10


Miss Joi Cardwell – Goodbye (The Victor Simonelli Remixes)

Posted: August 26th, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , , | No Comments »

Man könnte an dieser Stelle etliche wundervolle Platten bejubeln, die Victor Simonelli im Alleingang oder zusammen mit Tommy Musto Anfang der 90er gemixt und produziert hat. Zu dieser Zeit war er schon ein Veteran der New Yorker Clubmusik, die beeindruckende Liste von exklusiven Mixtape-Dokumenten auf seiner Webseite belegt umfassend mit welchen Legenden der Jahre vor und nach dem Discokollaps er bestens bekannt war. In seiner alten Nachbarschaft in Brooklyn hat man jedoch sehr unterschiedliche Lehren aus diesen Lehrjahren gezogen. Der an New York Freestyle geschulte, sehr samplefreudige Ansatz weiter Teile seines House-Bekanntenkreises scheint seinen Prämissen nicht entsprochen zu haben, denn seine Arbeiten waren geradezu mustergültige Beispiele für die Besinnung auf das Wesentliche. Eine Stimme, ein Groove, ein Dub, und alles auf gleicher Augenhöhe. Seine Beats waren prägnant, aber nicht zu aufdringlich, und seine Arrangements waren beneidenswert strukturiert, da sie nur mit wenigen aber dafür zwingenden durchgehenden Melodien soviel federnde Fahrt aufnahmen, dass dazu nur noch wenige punktgenaue Details hinzukommen mussten, alles andere hätte das geschmeidige Gleichgewicht als sinnlose Ornamente zerstört. Und wie einst Burt Bacharch mit Dionne Warwick, hatte Simonelli mit Joi Cardwell eine kongeniale Interpretin gefunden, die vergleichbar sophisticated, manierismenfrei und ungospelig seiner Musik den entscheidenden Assoziationsmehrwert und die Wahrhaftigkeit verleihen konnte, die sich aus dem entspannten Wesen ihres Gesangsstils im Kopf potenzierte. Joi Cardwell klang immer sexy, weil sie sich niemals an unrealistischen musikalischen und inhaltlichen Vorgaben und Konstellationen verhob. Und so ist “Goodbye” vielleicht der tröstendste Song, zu dem man den Part des Prellbocks einer ungleichen Beziehung wegtanzen kann. Der Moment der Erkenntnis ist gekommen, es gibt ein letztes Fazit, und dann wird endgültig klar Schiff gemacht:

“So here it is 4 a.m., and I’ve been thinking about all the things I can tell you. But I’m a lady and I’m always gonna be a lady. So I keep it simple. Goodbye.”

Miss Joi Cardwell – Goodbye (The Victor Simonelli Remixes) (Eightball Records, 1992)

de:bug 08/10


Omniverse – Antares

Posted: July 27th, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

Eins musste man den Italienern schon immer lassen, sie wissen meist sehr zeitig welcher Sound sich in qualitativer und kommerzieller Hinsicht zu kopieren lohnt. Das zieht sich von Adaptionen amerikanischer Discomusik der klassischen Phase bis hin zu heutigem Minimalgeklacker. Natürlich hat das auch oft zu sehr originären Interpretationen geführt, teilweise wurde auch etwas ganz Neues daraus was sich an die Ursprungsländer als Ursprung zurückverkaufen ließ. Die musikalisch fortschrittliche Fraktion von Italo Disco wäre ein Beispiel, diverse ältere House- und Technoproduzenten in den US-Metropolen können es bestätigen. Ein wirklich glückliches Zusammentreffen war die italienische Annektierung von House. Wurden die ersten Chicago-Trax noch mit massivem Pianoeinsatz und plakativsten Disco-Diven-Samples Ende der 80er zu Chartbreakern à la Blackbox verkehrt, an denen sich insbesondere die englische Breakbeat-Szene schon seit Jahren erfreut und abarbeitet, griff man Anfang der 90er den New Yorker House-Sound auf, für den vor allem Labels wie Strictly Rhythm, Nervous und Nu Groove standen, neben zahllosen anderen anbetungswürdigen Kleinstadressen mit gelegentlichen Geniestreichen. Auf einmal erschienen Importe aus Italien, die in der Sanftheit und Emotionalität der US-Prototypen geradezu badeten, denn in den Großclubs in Rimini und Riccione wie Peter Pan oder Ethos Mama reichten die großzügigen Flächen und Bassgrooves von Produzenten wie Wayne Gardiner, Bobby Konders, Mood II Swing, den Burrell-Brüdern oder Nathaniel X nicht einmal aus, da ging es um andere Räume und ein anderes Gemeinschaftsgefühl auf der Tanzfläche, da musste mit dem großen Pinsel nachgebessert werden. Wenn man Italo House dieser Jahre beschreibt, verfällt man deswegen schnell in azurblaue Klischees, denn tatsächlich eint alle diese Stücke, dass sie eine mediterrane Selbstzufriedenheit ausstrahlen, die mit dem vom urbanen Alltagskampf geprägten Melancholieklang amerikanischer Großstädte nur noch in Resten zu tun hat. Stattdessen bekommt man hier eine reiche Palette an Sounds und Arrangements, die teilweise bis knapp unter die Kitschgrenze stoßen, auf der Tanzfläche aber nicht nur für die kollektive Glückseligkeit aufgebrezelter Einheimischer und der clubeigenen Fächertänzerinnen sorgten. Reichlich Urlauber waren genauso von dieser warmen Umarmung eingenommen, und reisten mit einer musikalischen Utopie in ihre grauen Vorstädte zurück. So etwas erzielt man natürlich nur mit Könnerschaft, und die Produzenten hinter Omniverse beispielsweise, Ricky Montanari und Moz-art, wussten schon seit etlichen Jahren was bei ihren Tänzern funktioniert und was nicht. Beide waren seit den 70ern hinter den Decks, ersterer fing eher als klassischer Disco-DJ an, letzterer war einer der wenigen Cosmic-Pioniere, die heutzutage jeder schon damals kannte. Und „Antares“ ist neben „Alone“ von Don Carlos die Genredefinition, sechs Minuten wie ein übermütiger Sprung in einen glitzernden Pool, und wenn man am anderen Ende wieder auftaucht, sieht man schöne Menschen in luftiger Bekleidung und schweißtreibenden Bewegungen, und da kommt auch schon der erste Drink. Es geht auch ohne Kopf.

Omniverse – Antares (Antima, 1991)

de:bug 07/10


The Style Council – Long Hot Summer

Posted: July 13th, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | 1 Comment »

Es gibt eine verschiedene Herangehensweisen an einen Sommerhit. Es gibt Songs, die musikalisch ein Sommergefühl transportieren, oft stammen diese Varianten sowieso schon aus wärmeren Gefilden, Bossa Nova etwa, da würde man lieber sein, wo es immer warm ist und die Menschen nur leichte Bekleidung brauchen, das sieht auch viel netter aus. Songwriter mit weniger Fantasie, wie George Michael, machen daraus gleich einen tönenden Reiseprospekt für diejenigen, die sich solche Fernreisen nicht leisten können (oder eine Bestätigung für die, die es können). Vergnügt klingen die Cocktailgläser, die von ausgebeuteten Einheimischen verteilt werden, alles ist blitzesauber und völlig ungebrochen. Die andere Art von Eskapismus sind die Ranschmeißerhits der Billigzielorte, jeder will den Charterfolg der Saison, nur wenige könne es schaffen, die Drinks und auch sonst alles ist wesentlich preiswerter und macht einen heftigeren Kopf. Beides sind Souvenirs, die sich schnell verbrauchen, denn der Realitätscheck zuhause macht die ganze Romantik rasch zunichte. Da möchte man den Club Tropicana oder Ähnliches auch gar nicht mehr ständig reingerieben bekommen, und es war einem ja auch ziemlich flau im Urlaub, mehrere Tage lang, muss man ja auch zugeben.
Nein nein, der wirkliche Sommerhit ist einerseits musikalisch direkt, andererseits textlich indirekt. Die Art von Flair, die er verströmt ist nicht touristisch geprägt, sondern eine sehr unmittelbare Umsetzung einer Wetterlage, die so bruttenheiß ist, dass sich kein Lebewesen mehr bewegt als unbedingt nötig. Alles ist schlapp, so schlapp, schlapp schlapp, fast schon paralysiert. Die Sonne ist ein Feind, alle Gardinen sind zu, hoffentlich halten das Eisfach und der Ventilator durch. Wenn das Hitzegewitter nicht bald kommt, wird der Restverstand verdunsten. Und so klingt „Long Hot Summer“. Der schlaffeste Groove der Welt, nur hier und da perlen ein paar seifige Tastensounds, wie das Kondenswasser was außen am Glas herunterperlt solange das Eis noch nicht geschmolzen ist. Bloß keinen Stress jetzt, ein Beat und ein paar Claps, nicht so schnell, eine schön elastische Bassline dazu, zu der man nicht viel denken muss, mit Wippdynamik. Die Referenz der Faulkner-Verfilmung im Titel wird angetippt, aber mehr muss nicht. Ein paar Reminiszenzen an gute Zeiten, die in diesem heißen Sommer zerfallen sind. Der Verlust, über den die Parties und all die anderen Zerstreuungen nicht hinweghelfen. Im stilsichersten Legeroutfit badet man im eigenen Ennui, wohl wissend, dass es bald wieder kühler wird, und dann kriecht die Leere durch und durch, bis sie alles besetzt hat, bis nichts mehr übrig ist was mal schön war, und leicht, und unbekümmert. Es ist einfach vorbei. Und wenn so etwas in einem Song passiert, reicht es nun wirklich den Sommer in einer Zeile nur zu erwähnen, man ahnt ohnehin, dass nach den Frühlingsgefühlen bis hin zur Herbstdepression nur eine Zeit dazwischen der Übeltäter gewesen sein kann. Darauf wird man nicht wieder hereinfallen, doch der long hot summer, er kommt jedes Jahr zurück. Und alles beginnt wieder von vorn.

The Style Council – Long Hot Summer (Polydor, 1983)

de:bug 07/10


Lewis Taylor – The Lost Album

Posted: July 1st, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

Die Musikgeschichte ist reich an Vermisstenanzeigen großer Talente, die sich nach wechselhaften Karrieren voller Missverständnisse einfach komplett aus dem Business ausklinkten, aber kaum jemand hat das so konsequent durchgezogen wie Lewis Taylor. Einige seiner Werke sind mit ausreichend Forschergeist und Beschaffungsbudget noch aufzutreiben, aber ansonsten ist die Faktenlage sehr brüchig. Seitdem Taylor 2006 bekannt gab nicht mehr in der Musikindustrie arbeiten zu wollen, gibt es kaum Videos (die meisten werden nach kurzer Zeit gelöscht), kaum Interviews, und schon gar keine offiziellen Artist-Seiten. Es scheint fast so, als würde es Taylor begrüßen, dass niemand mehr überhaupt auf seine Musik stößt. Und tatsächlich muss sich bei ihm einige Frustration aufgestaut haben. Island nahm ihn für sein Debütalbum unter Vertrag, als ersten Künstler der es nur per Demo dorthin schaffte, und wollte ihn als große weiße Soulhoffnung lancieren, alle Songs und deren üppige Arrangements selbst geschrieben, und dann noch alle Instrumente selbst eingespielt. Tatsächlich war aber der Soul in seiner Musik nur eine Facette, er hatte eben eine Ausnahmestimme, und er setzte sie gern auf schleppende R&B-Grooves. Ebenso wichtig waren ihm aber der klassische Rock und Pop der 60er und 70er Jahre in der psychedelisch-progressiven Variante. Die einzigen dokumentierten Fremdkompositionen in seinem Schaffen sind „Ghosts“ von Japan, und ein Großteil von Captain Beefhearts „Trout Mask Replica“, werkgetreu nachgestellt. Seine Alben wimmeln nur so vor Referenzen, die Mitte der 90er eher vorerst abgehakt als revisionsbedürftig galten, und dementsprechend wurde er stets von großen Teilen der Kritik bejubelt, und von noch wesentlich größeren Teilen des Publikum übersehen. Die Aufnahmen des „Lost Album“ sollten gleich nach seinem Debüt erscheinen, und die Plattenfirma, die es noch nicht aufgegeben hatte ihn als Singer-Songwriter-Produzenten-Genie und als weiße Antwort auf Marvin Gaye zu etablieren, musste ihm wohl beim Anhören der Bänder fast Unzurechnungsfähigkeit bescheinigt haben. Taylor hatte sich vollends in seine Liebe für opulenten Westcoast-Pop geworfen, er schichtete seine Stimme zu Kathedralen aus Beach Boys-Harmonien, er baute Klangwände aus mehr Instrumenten als auf Sgt. Pepper benötigt wurden, und setzte sie so ausladend zusammen, dass sie außer Sichtweite gerieten. Er versuchte in seine Melodien die Kompositionskunst der gesamten Popmoderne zu vereinen. Doch dann bremste man ihn einfach aus und statt seines großen Wurfes erschien ein Album das in etwa so war das erste, nur noch verschrobener, dann wurde er in die Wüste geschickt. Beim Versuch mit gleichem Aufwand auf eigenem Label weiter zu veröffentlichen, womöglich angetrieben von stetigen Promi-Lobeshmynen von Bowie bis Weller bis Timbaland, rieb er vermutlich sein gesamtes Restvermögen auf. Als dann 2005 ein kleines Label endlich das verschollene Album auf den Markt brachte, war es wieder nix. Es ging völlig unter, zuwenig Unterstützung, zuwenig Interesse. Taylor gestattete noch, dass Robbie Williams „Lovelight“ coverte und verschwand dann auf Nimmerwiedersehen. Ironischerweise bewies er damit abermals ein sehr eigensinniges Timing, hätte er nur etwas länger gewartet, das „Lost Album“ hätte im Zuge von Yacht Rock-Renaissance und neuer Psychedelik-Begeisterung alle Aeroplanes, Harveys, Prog-Norweger und Neo-Baleariker in die Schranken gewiesen. Aber im Grunde genommen tut es das trotzdem.

Lewis Taylor – The Lost Album (Slow Reality, 2005)

de:bug 07/10


The Pale Fountains – … From Across The Kitchen Table

Posted: June 23rd, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

Disco-Ausgrabungsgebiete scheinen langsam aber sicher den Weg von Northern Soul zu beschreiten. Von der Ursuppe der klassischen Ära ausgehend wurde von recherchefreudigen DJs und Sammlern mittlerweile jedes Spezialthema ausgeweidet, was nicht bei drei auf den Bäumen war, der Kanon hunderter Stilverzweigungen steigt stetig im Preis, ist aber sowieso keine Herausforderung mehr, da schon erschöpfend in den gängigen Spezialforen durchgewunken. Es ist schon zuweilen etwas sehr überbemüht, wie nun entlegene Nischenphänomene und die dazugehörigen Produzenten für das Checker-Repertoire der Party herhalten sollen, auch wenn sie zur Zeit ihrer aktiven Phase nicht die geringste Aufmerksamkeit erlangt haben, ob rechtmäßig , oder berichtigenswert. Fest steht, vieles von dem was da noch in hintersten Kisten schlummern mag, ist eventuell der heiße Scheiß mit dem man vor der Konkurrenz mächtig Eindruck schinden kann, vieles bringt aber heute auch nur ungefähr drei Gleichgesinnte pro Veranstaltung dazu, Blicke wissender Zustimmung vom Rand der Tanzfläche herüberzunicken. Das ist natürlich nur für sehr egozentrische DJs eine Genugtuung, denen die Abgrenzung wichtiger ist als anderen Menschen im Club Freude zu bereiten, die Mehrheit auf der Party hält es höchstwahrscheinlich schlichtweg für Unvermögen. Für Individualisten mit Sendungsbewusstsein gibt es aber immer noch viel zu entdecken, zum Beispiel britische Musik der 80er mit zurückhaltender Funkyness und überhaupt nicht zurückhaltender Popgeste. Natürlich sind Bands wie Aztec Camera, Orange Juice oder Haircut 100 nicht unbedingt speziell, aber die wunderbaren 12“-Versionen ihrer Songs sind es offenbar schon, denn sie sind kaum im Clubkontext zu hören, sie bleiben von hingeluschten Edits und verknappten Laserprint-Cover-Bootlegs verschont, niemand mag dafür mehr bezahlen als den Bruchteil der Preise, welche die Spezialfunde auf den Kompilationen der Szenepräsis hochjubeln. Dabei ist es oft nicht nur gewollt, wie man die Tanzflächen mit verlängerten und kompakteren Versionen der eigenen Hits erobern wollte, es ist oft sehr gekonnt. Als Beispiel dafür soll hier die 12“-Version von „… From Across The Kitchen Table“ der Pale Fountains dienen, einer dieser Bands, die nur ein paar Singles und noch weniger Alben hinbekamen bevor sie in die Versenkung entlassen wurden, die aber auch eine dieser Bands sind, deren gute Songs man nie mehr aus dem Kopf bekommt. „… From Across The Kitchen Table“ ist in der Albumversion schon eine umwerfende Hymne, aber in der Maxiversion werden die 60er-Einflüsse im Arrangement etwas zurückgepfiffen, es gibt eine überaus kombinationsfreudige Synthiefläche, den Anfang kann man nun auf den Beat mixen, es gibt eine prima Disco-Backgroundsängerin, überhaupt bietet die Dramaturgie nun die Wendungen und Höhepunkte, die auch ein abwegiger Selektionseinfall benötigt um getanzt zu werden. Und das Schöne daran ist, dass es sehr sehr sehr viele andere Maxis aus dieser Zeit gibt, die diesem Kleinod in nichts nachstehen. Wer das als Indiediscoprototypenschrullen abtut hat wirklich nichts begriffen, das wollte alles mindestens in die Charts, und es wirklich nichts Schlimmes daran, ein großzügiges und smartes Pop-Statement einzuwerfen, und das Mitsingen großer Refrains beim Tanzen, das gilt es unbedingt zu erhalten, in jedem Kontext.

The Pale Fountains – … From Across The Kitchen Table (Virgin, 1985)

de:bug 06/10