Lewis Taylor – The Lost Album

Posted: July 1st, 2010 | Author: | Filed under: Rezensionen | Tags: , , | No Comments »

Die Musikgeschichte ist reich an Vermisstenanzeigen großer Talente, die sich nach wechselhaften Karrieren voller Missverständnisse einfach komplett aus dem Business ausklinkten, aber kaum jemand hat das so konsequent durchgezogen wie Lewis Taylor. Einige seiner Werke sind mit ausreichend Forschergeist und Beschaffungsbudget noch aufzutreiben, aber ansonsten ist die Faktenlage sehr brüchig. Seitdem Taylor 2006 bekannt gab nicht mehr in der Musikindustrie arbeiten zu wollen, gibt es kaum Videos (die meisten werden nach kurzer Zeit gelöscht), kaum Interviews, und schon gar keine offiziellen Artist-Seiten. Es scheint fast so, als würde es Taylor begrüßen, dass niemand mehr überhaupt auf seine Musik stößt. Und tatsächlich muss sich bei ihm einige Frustration aufgestaut haben. Island nahm ihn für sein Debütalbum unter Vertrag, als ersten Künstler der es nur per Demo dorthin schaffte, und wollte ihn als große weiße Soulhoffnung lancieren, alle Songs und deren üppige Arrangements selbst geschrieben, und dann noch alle Instrumente selbst eingespielt. Tatsächlich war aber der Soul in seiner Musik nur eine Facette, er hatte eben eine Ausnahmestimme, und er setzte sie gern auf schleppende R&B-Grooves. Ebenso wichtig waren ihm aber der klassische Rock und Pop der 60er und 70er Jahre in der psychedelisch-progressiven Variante. Die einzigen dokumentierten Fremdkompositionen in seinem Schaffen sind „Ghosts“ von Japan, und ein Großteil von Captain Beefhearts „Trout Mask Replica“, werkgetreu nachgestellt. Seine Alben wimmeln nur so vor Referenzen, die Mitte der 90er eher vorerst abgehakt als revisionsbedürftig galten, und dementsprechend wurde er stets von großen Teilen der Kritik bejubelt, und von noch wesentlich größeren Teilen des Publikum übersehen. Die Aufnahmen des „Lost Album“ sollten gleich nach seinem Debüt erscheinen, und die Plattenfirma, die es noch nicht aufgegeben hatte ihn als Singer-Songwriter-Produzenten-Genie und als weiße Antwort auf Marvin Gaye zu etablieren, musste ihm wohl beim Anhören der Bänder fast Unzurechnungsfähigkeit bescheinigt haben. Taylor hatte sich vollends in seine Liebe für opulenten Westcoast-Pop geworfen, er schichtete seine Stimme zu Kathedralen aus Beach Boys-Harmonien, er baute Klangwände aus mehr Instrumenten als auf Sgt. Pepper benötigt wurden, und setzte sie so ausladend zusammen, dass sie außer Sichtweite gerieten. Er versuchte in seine Melodien die Kompositionskunst der gesamten Popmoderne zu vereinen. Doch dann bremste man ihn einfach aus und statt seines großen Wurfes erschien ein Album das in etwa so war das erste, nur noch verschrobener, dann wurde er in die Wüste geschickt. Beim Versuch mit gleichem Aufwand auf eigenem Label weiter zu veröffentlichen, womöglich angetrieben von stetigen Promi-Lobeshmynen von Bowie bis Weller bis Timbaland, rieb er vermutlich sein gesamtes Restvermögen auf. Als dann 2005 ein kleines Label endlich das verschollene Album auf den Markt brachte, war es wieder nix. Es ging völlig unter, zuwenig Unterstützung, zuwenig Interesse. Taylor gestattete noch, dass Robbie Williams „Lovelight“ coverte und verschwand dann auf Nimmerwiedersehen. Ironischerweise bewies er damit abermals ein sehr eigensinniges Timing, hätte er nur etwas länger gewartet, das „Lost Album“ hätte im Zuge von Yacht Rock-Renaissance und neuer Psychedelik-Begeisterung alle Aeroplanes, Harveys, Prog-Norweger und Neo-Baleariker in die Schranken gewiesen. Aber im Grunde genommen tut es das trotzdem.

Lewis Taylor – The Lost Album (Slow Reality, 2005)

de:bug 07/10